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Titel: Behämmert. Eine Chipfabrik gegen die Pandemie – nicht mit dieser Verfassung

Datum: 16. November 2023 um 13:27 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Finanzpolitik, Umweltpolitik
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Das Bundesverfassungsgericht untersagt die Zweckentfremdung von Corona-Mitteln und reißt ein Milliardenloch in die Pläne der Ampelregierung. Damit geraten auch gängige Finanzschummeleien mittels Schattenhaushalten und Schuldenbremse ins Wanken. Das könnte Besserung versprechen für die Menschen im Land – oder das Gegenteil. Ein Kommentar von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein „Hammer-Urteil“, schreibt die Bild-Zeitung, „Hammer-Urteil“, findet der Focus, die Berliner Morgenpost titelt: „Hammer-Urteil“. Fürwahr: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch, den Haushaltstricksern in Reihen der Ampel einen Riegel vorzuschieben, bringt die Bundesregierung in arge Nöte. Über Nacht wurde deren kurz- und mittelfristige Finanzplanung komplett über den Haufen geworfen und die Konsequenzen sind längst nicht absehbar. Die Frage ist daher auch und vor allem, auf wen der Hammer niedergeht. Auf die Koalition selbst? – Für manch einen Kommentator ist deren Bruch unvermeidbar. Auf das Klima? – Gleich eine ganze Reihe Vorhaben unter dem Label Energiewende müssen neu verhandelt und könnten mithin annulliert werden. Oder, was wahrscheinlicher ist, die einfachen Bürger im Land? – Denn die zahlen erfahrungsgemäß die Zeche, wenn die Politik Bockmist verzapft.

Und selten wurde regierungsamtlich mehr Bockmist verzapft als diesmal. Der Karlsruher Richterspruch negiert nicht nur das unsägliche Manöver, ungenutzte Mittel zur Bewältigung der Corona-Krise rückwirkend für andere Zwecke umzuwidmen, die mit Pandemie nichts zu tun haben. Der Entscheid zerfetzt obendrein die riesige Mogelpackung, mit der eine Politik des finanziellen Maßhaltens mittels „Schuldenbremse“ und „Schwarzer Null“ seit langem als reinste Vernunft verklärt wird. In der Realität ist „Haushaltsdisziplin“ aber stets nur dann Mantra, wenn es eine Störung der Umverteilungsmaschinerie zu verhindern gilt. So kommt es dann zum Beispiel, dass für das „ehrgeizigste sozialpolitische Projekt“ der Koalition, die Kindergrundsicherung, nicht zwölf Milliarden Euro jährlich, sondern kümmerliche zwei Milliarden Euro verfügbar sind.

29 Sonderschulden

Oder hätte man die 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen, die Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Vorjahr per Nachtragshaushalt für 2021 in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben hat, nicht auch in die Ertüchtigung des maroden Bildungssystems stecken können? Hier bestünde sogar ein Corona-Bezug, denn die monatelangen Lockdowns hängen Kindern und Jugendlichen mental und kognitiv bis heute nach. Aber nein: Ein „Sondervermögen Bildung“ stand nie zur Debatte, während 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Handumdrehen lockergemacht waren.

Hier zeigt sich, die Regierenden sind nicht sparsam und sie waren es nie. Sie tun nur dann so, wenn es um solche staatlichen Maßnahmen geht, die der Daseinsvorsorge und dem Gemeinwohl dienen und nicht unmittelbar den Interessen von Bankern, Industriellen, Investoren oder deutschen Großmannssüchten. Dafür schafft man Sondervermögen in Serie, fernab des Bundeshaushalts und vorbei an der „Schuldenbremse“, die alles an echtem gesellschaftlichen Fortschritt ausbremst, aber ganz bestimmt nicht Schuldenmacherei. Der Bundesrechnungshof (BRH) hat im Rahmen einer Prüfung nicht weniger als „29 Sondervermögen“ ausfindig gemacht. In denen sind mehrere Hundert Milliarden Euro geparkt, in großen Teilen in Gestalt von Krediten, also auf Pump, weshalb der BRH es für zutreffender hält, von „Sonderschulden“ zu sprechen.

Ökowende paradox

Allein der Klima- und Transformationsfonds belief sich zuletzt auf knapp 212 Milliarden Euro. Mit dem Geld will die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft auf „grün“ umschalten und im Speziellen die Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrien, den Ausbau der Windkraft und Photovoltaik, der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur vorantreiben. Aber das ist wieder bloß ein Teil der Wahrheit, nicht nur weil sich der Fonds zum Teil aus Darlehen und weiteren Luftbuchungen namens „globale Mehreinnahmen“ speist, von denen völlig offen ist, ob sie sich dereinst auch materialisieren.

Gefördert werden aus dem Topf außerdem Dinge wie die Ansiedelung einer Intel-Fabrik bei Magdeburg mit zehn Milliarden Euro oder eines Werks des taiwanesischen Chipherstellers TSMC bei Dresden in Höhe von fünf Milliarden Euro. Damit zahlt der Normalverbraucher über steigende CO₂-Abgaben, die dem KTF zufließen, dafür, dass zwei Industriegiganten riesige Waldflächen abholzen, großflächig Boden versiegeln, massiv Grundwasser abgraben und Unmengen an Zeugs produzieren, das in wenigen Jahren als Elektroschrott endet. Das ist Ökowende paradox und mit Abstrichen gilt dies auch für das sogenannte Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dessen Umsetzung mit knapp 19 Milliarden Euro aus dem Fonds bestritten werden sollte. Das Projekt droht nicht nur erhebliche soziale Verwerfungen nach sich zu ziehen. Es ist über weite Strecken auch klimapolitisch unsinnig, etwa weil der Strom für die in Zukunft massenhaften Wärmepumpen noch auf lange Sicht aus Kohle- und Gasverstromung gewonnen werden müsste.

Bundeshaushalt wird massakriert

Aber nun schrumpft der Fonds ja mit einem Mal um besagte 60 Milliarden Euro. Fällt damit Habecks „Wärmewende“ aus? Nein! Zwar will die Regierung als erste Konsequenz des Richterspruchs eine Sperre des KTF-Wirtschaftsplans vornehmen, die die Jahre 2024 und 2025 betreffe. Davon ausgenommen sind laut Lindner und Habeck jedoch alle Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen in puncto erneuerbare Energien sowie Gebäudeenergieeffizienz. Vorerst für sich behalten die beiden, woher das Geld dafür genommen werden soll, wo doch nun 60 Milliarden Euro futsch sind.

Hier kommt eben der einfache Bürger ins Spiel. Es dürfte kein Zufall sein, dass Karlsruhe nur zwei Tage vor der für den Beschluss des 2024er-Bundeshaushalts entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags in der Sache geurteilt hat. Die sogenannte Bereinigungssitzung startet am Donnerstagabend. Galt der Termin bisher schon als „Nacht der langen Messer“, in der erbittert um die letzten finanziellen Reserven gerungen wird, ist diesmal mit einem regelrechten Massaker zu rechnen. Sonst wird in der Runde um Krümel gefeilscht, wie viel mehr vom ganzen Kuchen für dieses oder jenes Projekt abfallen sollen. Nun ist der Kuchen urplötzlich um ein fettes Stück kleiner und ein milliardengroßes Loch muss irgendwie verteilt werden. Dabei war Lindners Etatentwurf schon davor ein „Kürzungshaushalt“ mit tiefen Einschnitten ins soziale Netz. Und dies sollte erst der Auftakt sein für allerhand magere Jahre mehr. Man darf gespannt sein, was eine mittelfristige Finanzplanung nach einer 60-Milliarden-Euro-Diät so hermacht.

Sozialkahlschlag im Quadrat

Immerhin will sich die Ampel fürs „Bereinigen“ mehr Zeit nehmen, wohl auch um den Laden zusammenzuhalten und sich die richtigen Sprachregelungen für neue Zumutungen zurechtzulegen. Der Haushaltsausschuss wird zwar heute tagen, den finalen Beschluss aber auf den kommenden Donnerstag verschieben. Davor soll es noch eine Expertenanhörung geben.

In der Tat tut guter Rat not – auch für die Zukunft. Laut Helge Braun von der CDU-Fraktion verlangen die Karlsruher Richter nicht nur eine besser begründete Zweckbindung von Mitteln aus Sondervermögen – also Schluss mit Schummelei. Auch müssten die so gemachten Schulden „jährlich auf die Schuldenbremse angerechnet werden“. Wahlweise klingt das nach Quadratur des Kreises, Sozialkahlschlag im Quadrat oder eben dem Ende der Schuldenbremse. Nicht mit dieser Regierung …

Titelbild: Nejron Photo/shutterstock.com


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