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Titel: EFSF-Hebelung – Einladung an Spekulanten mit eingebauter Sollbruchstelle

Datum: 26. Oktober 2011 um 8:54 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Euro und Eurokrise, Finanzkrise, Finanzpolitik
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Anstatt der Spekulation beherzt einen Riegel vorzuschieben, wird die EU mit ihrer Hebelung der EFSF die Spekulation erst richtig anheizen. Vor allem die deutsche Regierung erweist sich einmal mehr als komplett lernresistent und ideologisch verbohrt. Dies ist gleich doppelt tragisch, da durch weitere Fehlentscheidungen noch mehr Volkswirtschaften in die Rezession getrieben werden und die Eurokrise sich abermals verschärfen wird. Von Jens Berger

Um die Problematik der EFSF-Hebelung zu verstehen, muss man sich zunächst einmal die Ursachen der aktuellen Eurokrise vergegenwärtigen. Wie die Beispiele USA und Japan zeigen, sind weder die Neuverschuldung (USA 2010: +9%, gemessen am BIP), noch die Staatsschuldenquote (Japan 2011: 199%, gemessen am BIP) eine ausreichende alleinige Erklärung für die plötzlich verlangten „Risikoaufschläge“, mit denen die Spekulanten seit einiger Zeit die Eurozone vor sich hertreiben. Solche „Risikoaufschläge“ können nur dann geltend gemacht werden, wenn ein Land keine Kontrolle über die Notenbankpolitik der eigenen Währungszone hat, wie es bei allen Eurostaaten der Fall ist. Wie das Beispiel Griechenland zeigt, können die „Risikoaufschläge“ zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Um angeschlagenen Ländern zu helfen, wäre es also zwingend notwendig, die Staatsfinanzierung entweder ganz von den Finanzmärkten zu entkoppeln oder die Rückzahlung der Staatsschulden der angegriffenen Länder glaubhaft und in voller Höhe zu garantieren.

Zum Thema siehe „Die Eurokrise in Zahlen (I) – Wie Musterschüler zu Problemkindern wurden“.

Die EZB als einzig glaubwürdige Retter

Obgleich es eigentlich keine überzeugenden Gründe gibt, die Staatsfinanzierung nicht von den Finanzmärkten zu entkoppeln, zieht die Eurozone eine solche Lösung – vor allem wegen des vehementen Widerstands Deutschlands – noch nicht einmal in Betracht. Somit bleibt nur eine Lösung übrig, bei der das Risiko eines Zahlungsausfalls auf die eine oder andere Art auf einen Bürgen übertragen wird, der zu solide und zu groß ist, um von den Spekulanten an den Finanzmärkten in die Enge getrieben zu werden. In Europa gibt es streng genommen nur einen einzigen Akteur, auf den diese Beschreibung zutrifft: die EZB.

Eine Notenbank kann bei Bedarf Geld erschaffen und somit jedes nur denkbare Risiko glaubhaft zu 100% absichern. Wenn sich die Regierungschefs der Eurozone dazu durchringen könnten, der EZB die Absicherung potentiell und real ausfallgefährdeter Staatsanleihen zu überlassen, hätten diese von einem Tag auf den anderen die höchste nur denkbare Sicherheit und es gäbe nicht den geringsten Grund für Spekulanten, „Risikoaufschläge“ zu verlangen. Die konkrete Staatsfinanzierungskrise wäre beendet – freilich ohne die zugrundeliegenden realwirtschaftlichen Probleme zu lösen – siehe dazu „Heiner Flassbeck zur aktuellen Eurokrise und zur Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“.

Eine solche Lösung lehnen die deutsche Regierung und – bis auf die LINKE – auch alle im Bundestag vertretenen Fraktionen jedoch kategorisch ab. Stattdessen setzt man lieber auf die bereits vorhandenen EFSF. Bei diesem Mechanismus gibt die Gemeinschaft Anleihen für ein angeschlagenes Land an private Investoren aus, reicht diese mit einem merklichen Zinsaufschlag an das betreffende Land weiter und garantiert dafür die vollständige Rückzahlung.

Probleme der aktuellen EFSF

Die Garantie der EFSF durch die Staaten der Eurozone ist jedoch nicht kollektiv, sondern jeder Staat garantiert nur für die Summe, die seinem Anteil der Wirtschaftskraft innerhalb der Eurozone entspricht. Deutschland bürgt beispielweise für maximal 119 Mrd. Euro der maximalen Garantiesumme von 440 Mrd. Euro. Da etwas mehr als die Hälfte der Garantien von Staaten mit einem AAA-Rating vergeben werden, haben auch die Anleihen der EFSF ein AAA-Rating, wodurch sie zu vergleichsweise niedrigen Zinsen platziert werden können. Für die aktuellen Probleme der Eurozone ist die EFSF jedoch zu klein. Die maximale Garantiesumme von 440 Mrd. Euro reicht gerade einmal für Griechenland, Portugal und Irland. Bereits die Kapitalerhöhung der Banken, die bei einem Schuldenschnitt Griechenlands notwendig wäre, ist mit der jetzigen EFSF nicht mehr zu finanzieren.

Eine Ausweitung der EFSF auf größere Volkswirtschaften wie Spanien und Italien ist gleich aus mehreren Gründen problematisch. Das Volumen der EFSF müsste massiv erweitert werden, um diese Länder wirkungsvoll schützen zu können. Eine Verfünffachung der Garantiesumme, von der die Rede ist, würde jedoch auch die Garantien der einzelnen Länder verfünffachen. Für Deutschland wäre dies ein handhabbares Problem. Frankreich, das momentan mit fast 90 Mrd. Euro bürgt, würde durch eine solche Aufstockung jedoch selbst Gefahr laufen, sein AAA-Rating zu verlieren und damit zum Spielball der Spekulanten zu werden. Griechenland haftet momentan für 12,4 Mrd. Euro, Portugal für 11 Mrd. Euro, Irland für 7 Mrd. Euro, Spanien für 52,3 Mrd. Euro und Italien sogar für 78,7 Mrd. Euro. Jeder Spekulant weiß, dass diese Garantien im Ernstfall gar nicht eingelöst werden können – bei einer Verfünffachung dieser Garantien bekäme die EFSF somit selbst ernsthafte Bonitätsprobleme, denn was nützt es, wenn Staaten, die durch die EFSF gerettet werden sollen, die Garantien für diese Rettung maßgeblich selbst vergeben? Ohne die EZB als Bürgen ins Boot zu holen, droht das Rettungsboot im Falle eines Unwetters selbst leckzuschlagen und die Retter zu gefährden.

Die Hebelung hebelt auch die Probleme

Daran ändert die angedachte Hebelung der EFSF-Anteile nicht das Geringste – im Gegenteil, sie vergrößert sogar die Gefahr, ins Fadenkreuz der Spekulanten zu gelangen. Die angedachte Hebelung funktioniert nach dem Prinzip einer Kreditausfallversicherung. Private Investoren erwerben weiterhin die Anleihen der EFSF, die Staaten der Eurozone garantieren jedoch nicht mehr die volle Rückzahlung, sondern nur die Rückzahlung der ersten 20% bis 30% der Kreditsumme. Bei einem möglichen Schuldenschnitt von 20% würden die Staaten also die volle Ausfallsumme erstatten. Dies ist bezüglich der Haftungssumme prinzipiell kein Unterschied zum jetzigen Modell. Momentan garantieren die Staaten zwar 100%, bei einem Schuldenschnitt von 20% müssten sie jedoch ebenfalls nur 20% der Summe erstatten – die restlichen 80% müssten von dem betreffenden Staat zurückgezahlt werden.

Einen Unterschied gibt es erst dann, wenn der Schuldenschnitt merklich höher ausfällt. Bei einem Schuldenschnitt von 50% würden die Staaten beim jetzigen Modell 50% der garantierten Summe erstatten – mit der angedachten Hebelung wären es (s.o.) nur 20%. Die Differenz zwischen der Garantiesumme und der Höhe des Schuldenschnitts trägt der Inhaber der Anleihe.

Was auf den ersten Blick nach einer verlockenden Risikobeteiligung des Finanzsektors klingt, ist jedoch genau die Achillesferse dieses Modells, da mit ihm die reale Wahrscheinlichkeit von teilweisen Kreditausfällen geschaffen wird. Eben diese Kreditausfallmöglichkeit ist jedoch genau der Grund, warum die Spekulanten bei diesem Modell wieder ihre „Risikoaufschläge“ verlangen werden. Eine EFSF, die angeschlagene Staaten nur mit Krediten, die einen „Risikoaufschlag“ enthalten, versorgen kann, ist jedoch keine Lösung des Finanzierungsproblems. Im Ernstfall wäre eine solche EFSF impotent – und das wissen auch die Spekulanten.

Die Differenz zwischen Garantiesumme und möglichem Schuldenschnitt stellt somit eine Sollbruchstelle im EFSF-Mechanismus dar – vor allem dann, wenn Deutschland an Griechenland ein Exempel statuiert und auf einen Schuldenschnitt in Höhe von 50 bis 60 Prozent drängt. Die Kombination zwischen einer gehebelten EFSF und der Forderung nach einem derart hohen Schuldenschnitt für Griechenland ist in ihrer ganzen Konsequenz einfach nur noch grotesk. Man erschafft einen „Rettungsschirm“, der nur einen Teil des Risikos abdeckt und sorgt gleichzeitig dafür, dass der abgesicherte Teil noch nicht einmal die Hälfte des Risikos ausmacht. Dies ist exakt die Steilvorlage, auf die die Spekulanten gewartet haben, um sich auch noch die EFSF als neues Spekulationsobjekt vorzunehmen.

Zum Thema „Schuldenschnitt für Griechenland“ siehe auch: „Schuldenerlass für Griechenland – und was dann?“ und „Schulden streichen – gut gemeint, aber nicht ausreichend und Konsequenzen nicht durchdacht

Steilvorlage für die Spekulanten

Ein Schuldenschnitt für Griechenland würde als sogenanntes Kreditereignis gelten. Genau die Spekulanten würden belohnt, die mit den berüchtigten Credit Default Swaps (CDS) auf einen Zahlungsausfall gewettet und damit maßgeblich die Kurse für griechische Staatsanleihen in Höhen getrieben haben, die das Land an den Rande des Kollaps geführt haben. Dies wäre nichts anderes als eine Einladung an die Spekulanten, ihr Treiben nicht nur auf andere Eurostaaten, sondern auch auf die EFSF auszuweiten.

Um die Staatsfinanzierungskrise zu entschärfen, ist es unerlässlich, die Spekulanten in die Schranken zu weisen und die Zinsen für die Staatsanleihen in der Eurozone auf ein stabiles und niedriges Niveau zu bringen. Es gäbe viele Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, die geplante Hebelung der EFSF ohne Rückendeckung durch die EZB ist das genaue Gegenteil. Es ist absolut unerklärlich, warum sich die Politik auf ein solches, zum Scheitern verurteiltes Modell einlässt. Die Folgen eines Scheiterns würden Europa und den Euro in seinem Kern treffen und hätten das Zeug, es/ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern.


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