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Titel: Steuersenkung oder doch eher schwarz-gelbe PR?

Datum: 8. November 2011 um 8:52 Uhr
Rubrik: Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Steuern und Abgaben, Strategien der Meinungsmache
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Obgleich Bund, Länder und Kommunen auch in den nächsten Jahren neue Schulden aufnehmen müssen, da die Ausgaben der öffentlichen Haushalte höher sind als die Einnahmen, will die Bunderegierung den steuerzahlenden Bürgern sechs Milliarden Euro erlassen. Um dies zu verwirklichen, plant man den Grundfreibetrag um 350 Euro zu erhöhen und die Grenzen der Tarifzonen entsprechend zu verschieben. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das vermeintliche Geschenk als verfassungsrechtliche Vorgabe. Aber nicht Geringverdiener, wie allgemein behauptet, sondern Spitzenverdiener werden von der „Steuersenkung“ profitieren. Von Jens Berger

Wenn die Bundesregierung die Erhöhung der Grundfreibetrags als Steuersenkung oder soziale Tat verkauft, so ist dies eine glatte Täuschung. Der Grundfreibetrag ist durch die Verfassung vorgegeben – er leitet sich aus dem Existenzminimum her und muss regelmäßig an die Inflation angepasst werden. Die nächste Prüfung steht im Herbst 2012 an, eine Erhöhung des Grundfreibetrags für das Jahr 2013 wäre somit ohnehin verfassungsrechtlich geboten. Im Jahr 2013 soll der Grundfreibetrag nach den Plänen der Regierung um 126 Euro erhöht werden – dies entspricht 1,57% des jetzigen Wertes von 8.004 Euro. Mit der zweiten Stufe von 224 Euro, die 2014 umgesetzt werden soll, wird der Grundfreibetrag dann 8.354 Euro betragen und 4,4% über dem aktuellen Wert liegen. Da der Grundfreibetrag seit 2010 nicht angepasst wurde, verteilen sich diese 4,4% jedoch auf vier Jahre und liegen damit sehr deutlich unter der Inflation von derzeit 2,6%. Ohne dem Bericht zum Existenzminimum vorgreifen zu wollen, erscheint die angekündigte Erhöhung vergleichsweise gering.

Diese – niedrig bemessene – verfassungsrechtliche Anpassung als Wohltat zu kaufen, ist schon ziemlich dreist. Geradezu dumm ist es, dass die versammelte Journalistenschar diesen Trick überwiegend nicht durchschaut und die Propagandaparolen der Regierung unreflektiert nachplappert. Dies setzt sich auch bei der Interpretation der Erhöhung des Grundfreibetrags fort. Würde nur dieser Wert angehoben und der Rest der Steuertarifzonen unangetastet bleiben, wäre dies in der Tat eine Reduzierung der Steuerlast, von der alle Einkommensgruppen, die oberhalb des neuen Grundfreibetrags liegen, im gleichen Maße profitieren würden. Nur würde dann die erste Progressionszone, die momentan von 8.005 bis 13.469 Euro Bruttojahreseinkommen verläuft, steiler ansteigen. Der „Bauch“ im Steuertarifgefüge, der stets kritisiert wird, würde nicht flacher, sondern noch schneller zunehmen.

Hintergrund zum Thema: „Steuerbäuche und Steuergeschenke – wie der Wähler an der Nase herumgeführt wird

Um dies zu vermeiden, hat die Regierungskoalition in einem Nebensatz auch die Verschiebung des gesamten Tarifzonengefüges angekündigt. In der Sprache der PR-Berater heißt dies dann „Milderung der kalten Progression“, was sich bei näherer Betrachtung jedoch ebenfalls als Luftbuchung herausstellt. Wenn alle vier Grenz- bzw. Eckwerte der Tarifzonen bis 2014 um 350 Euro nach oben verschoben werden, profitieren von der gesamten Verschiebung vor allem die Besserverdienenden. Jeder Steuerzahler spart durch diese Verschiebung exakt die Summe, die sich aus der Multiplikation von 350 Euro mit seinem Grenzsteuersatzes ergibt. Der Niedriglöhner oder Teilzeitarbeitnehmer mit einem zu versteuernden Jahresbrutto von 12.000 Euro und einem Grenzsteuersatz von ca. 21% muss 73,50 Euro weniger zahlen, die Krankenschwester mit ihrem Jahresbrutto von 24.000 Euro und einem Grenzsteuersatz von ca. 29% muss 101,50 Euro weniger zahlen, der Geschäftsführer mit einem Jahresbrutto von 100.000 Euro und einem Grenzsteuersatz von 42% muss 147 Euro weniger zahlen und der Banker, der mehr als 250.000 Euro bekommt, spart sogar 157,50 Euro.

Wie man bei diesen Zahlen auf die Idee kommen kann, dass besonders die Geringverdiener entlastet werden, ist und bleibt ein Rätsel. Die Steilvorlage zu dieser seltsamen Interpretation der Zahlen liefert wieder einmal die Lobbyorganisation „Bund der Steuerzahler“, indem sie die Ersparnisse nicht in absoluten, sondern in relativen Zahlen betrachtet. Die prozentuale Einsparung ist beim Niedriglöhner natürlich höher als beim Spitzenverdiener. Dummerweise kann man seine Rechnungen aber nicht in Prozenten zahlen, sondern nur in Euro.

Legt man die obengenannten Zahlen zugrunde und setzt sie in die Einkommens- und Lohnsteuerstatistik ein, so erhält man auch einen ungefähren Überblick, wer von der „Steuersenkung“ eigentlich profitieren wird. Rund 5,8 Millionen Steuerzahler haben ein Jahreseinkommen oberhalb des Spitzensteuersatzes. Von den sechs Milliarden Euro, die Schwarz-Gelb als „Steuersenkung“ unter das Volk bringen will, landet somit fast ein Drittel bei den Spitzenverdienern, während die echten Niedrigverdiener, die überhaupt keine Einkommenssteuer zahlen, einmal mehr gar nichts bekommen.

Anmerkung WL: In meinem gestrigen Beitrag „Sprudelnde Steuern?“ ist dieser Sachverhalt nicht korrekt dargestellt worden. Dort heißt es: „Vom steuerfreien Existenzminimum profitieren alle Steuerzahler – aufgrund der Steuerprogression zwar in abschwächenden Umfang, aber immerhin auch noch die Spitzenverdiener.“ Wie hier gezeigt ist es umgekehrt so, dass die Besserverdienenden besser dastehen.
Wir haben untereinander darüber ausgiebig diskutiert. Ich bedauere den Irrtum und schließe mich der obigen Darstellung an.


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