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Titel: Alarm! Die „Heuschrecken“ kommen!

Datum: 16. März 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Schlusslicht beim Wachstum, die höchsten Strom- und Energiepreise, Auftragsmangel, Wirtschaftsstimmung im Keller, Deindustrialisierung. Was für viele Unternehmen im Deutschland des Jahres 2024 ein Grund für Arbeitsplatzabbau und Abwanderung ist, ist für andere Firmen ein gefundenes Fressen. Die Rede ist von den berühmt-berüchtigten aktivistischen Investoren (manchmal auch „Heuschrecken“ genannt), die – inspiriert vom Niedergang der deutschen Wirtschaft – hierzulande offenbar immer mehr lohnende Angriffsziele entdecken. Von Thomas Trares.

Wie aus dem jüngsten „Review of Shareholder Activism“ der US-Investmentbank Lazard hervorgeht, richteten sich im vergangenen Jahr 20 Prozent aller Angriffe aktivistischer Investoren in Europa gegen deutsche Unternehmen. Das ist ein deutlicher Zuwachs gegenüber 2022, als es nur acht Prozent waren. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das US-Beratungsunternehmen Alvarez & Marsal (A & M), das in regelmäßigen Abständen einen Bericht über die Tätigkeit aktivistischer Investoren in Europa veröffentlicht. In ihrem neuen „A & M Activist Alert“ konstatieren die Berater nun, dass deutsche Unternehmen weiterhin zu den bevorzugten Zielen von Aktivisten zählen – vor allem im Industriesektor.

Aktive Einflussnahme

Aktivistische Investoren sind eine ganz spezielle Spezies am Kapitalmarkt. Sie kaufen nicht einfach Aktien und warten dann auf Kurssteigerungen und Dividendenzahlungen, sondern sie werden aktiv; sprich sie nehmen gezielt Einfluss auf die Unternehmensstrategie, fordern Kostensenkungen, Unternehmensaufspaltungen, Aktienrückkäufe, die Absetzung von Managern und Ähnliches. Ziel ist in der Regel die schnelle Steigerung des Aktienkurses. In den angegriffenen Unternehmen selbst werden diese Investoren meist als Plagegeister oder ungebetene Gäste wahrgenommen.

Der wohl bekannteste aktivistische Investor ist der US-Hedgefonds Elliott, hinter dem der US-Milliardär Paul Singer steckt. In der Presse wurde der Fonds auch schon mal als „Aasgeier“, „Wall-Street-Hai“ oder „Finanzheuschrecke“ bezeichnet. Berühmt geworden ist Elliott bereits in der Argentinienkrise 2001, in der er argentinische Staatsanleihen zum „Schleuderpreis“ aufkaufte und anschließend die Regierung des Landes unter Druck setzte, die Papiere zum vollen Nennwert zurückzukaufen. Um an die Gelder zu gelangen, ließ Singer sogar den Dreimaster Libertad, das Segelschulschiff der argentinischen Marine, festsetzen. In Deutschland war Elliott zuletzt bei dem Gesundheitskonzern Fresenius aktiv.

Unterbewertete Unternehmen im Visier

Die Strategie dieser „Aktivisten“ funktioniert freilich nur bei Unternehmen, die in irgendeiner Form in Schwierigkeiten geraten sind, sei es durch Managementfehler, Unstimmigkeiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat und Ähnlichem. Aktuell jedoch hat vor allem die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie das Interesse der Aktivisten geweckt. Im „Activist Alert“ von A & M heißt es dazu: „Die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich wird für deutsche Unternehmen zunehmend herausfordernder: Vor allem die gestiegenen Energie- und Kapitalkosten stellen erhöhte Anforderungen an Management Teams.” Die A & M-Berater sehen derzeit insgesamt 27 börsennotierte deutsche Unternehmen als gefährdet an – sie könnten in den nächsten 18 Monaten zum Ziel von Hedgefonds werden.

Zwar nennt der A & M-Bericht keine Namen, dennoch dürfte klar sein, dass insbesondere die Chemieindustrie im Fokus der aktivistischen Fonds steht. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Nahezu die gesamte Branche steckt wegen der explodierten Energiekosten in der Krise. Nach einem Umsatzeinbruch von zwölf Prozent im vergangenen Jahr rechnet der Branchenverband VCI für 2024 mit einem weiteren Rückgang von drei Prozent. Branchengrößen wie BASF und Lanxess legen Sparprogramme auf und bauen Stellen ab. Die Fachzeitschrift „Process“ schrieb kürzlich dazu: „Dass die Hedgefonds derzeit vor allem die Chemie-Branche ins Visier genommen haben, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass dieser Sektor sich mitten im disruptiven Wandel befindet und die großen Konzerne für die ‚Heuschrecken’ somit verschiedene Angriffspunkte liefern.“

Brenntag und Bayer betroffen

Im vergangenen Jahr ist bereits der Essener Chemikalienhändler Brenntag Ziel einer aktivistischen Attacke geworden. Mit Prime Stone und Engine Capital hatten sich gleich zwei US-Hedgefonds bei dem Unternehmen eingekauft und anschließend dessen Aufspaltung gefordert. Dazu nominierten sie sogar zwei eigene Kandidaten für den Aufsichtsrat. Deren Wahl scheiterte auf der Hauptversammlung nur knapp. Inzwischen gab Brenntag aber bekannt, seine beiden Geschäftsbereiche als weitgehend eigenständige Unternehmen aufstellen zu wollen, was bereits auf eine spätere Zerschlagung hindeutet.

Das derzeit wohl prominenteste „Opfer“ von aktivistischen Fonds ist jedoch der Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern Bayer. Hier ist vor gut einem Jahr der US-Investor Jeffrey Ubben über seinen Fonds Inclusive Capital mit gut 400 Millionen Euro eingestiegen. Kurz danach hat Ubben in der britischen Finanzzeitung Financial Times einen offenen Brief veröffentlicht. Darin forderte er, den Vorstandsvorsitzenden auszuwechseln und den Konzern zu zerschlagen. Tatsächlich hat Bayer inzwischen den damaligen Chef Werner Baumann abgesetzt und statt seiner den Amerikaner Bill Anderson installiert. Die Entscheidung über eine Aufspaltung des Konzerns steht aber noch aus.

Opfer des eigenen Missmanagements

Bayer jedenfalls ist Opfer seines eigenen Missmanagements geworden. Insbesondere der Kauf des US-Saatgutherstellers Monsanto im Jahr 2016 hat sich als krasse Fehlentscheidung erwiesen. Damit hat sich Bayer in den USA Rechtsstreitigkeiten ohne Ende aufgehalst. Vor dem Monsanto-Kauf war Bayer an der Börse 120 Milliarden Euro wert, heute sind es noch 26 Milliarden Euro. Ubben sieht nun in der Abspaltung des schwer beschädigten Agrarchemiegeschäfts den Hebel, mit dem sich der Börsenwert wieder heben und die Rendite seines Investments steigern lässt.

Als besonders umtriebig erwies sich zuletzt auch der Londoner Hedgefonds Petrus Advisers. Bei dem Göppinger Softwareunternehmen Teamviewer hat der Fonds Ende 2022 in einem offenen Brief die Glaubwürdigkeit des Vorstandsvorsitzenden Oliver Steil infrage gestellt und die Auflösung teurer Sport-Sponsoringverträge gefordert. Diese seien „ein Zeichen von Hybris und schlechtem Urteilsvermögen“. Zudem war Petrus vor gut einem Jahr mit drei Prozent bei der Deutschen Pfandbriefbank (pbb) eingestiegen, wettet inzwischen aber auf einen Kursverfall der Aktie – offenbar mit Erfolg. Denn die pbb wurde zuletzt stark vom Preisverfall bei den US-Gewerbeimmobilien getroffen. Dementsprechend hat die Aktie seit Jahresanfang noch einmal deutlich an Wert verloren. Davor hatte Petrus lange Zeit bei der Wiesbadener Aareal Bank für Unruhe gesorgt.

Die Geister scheiden sich

An dem Auftreten dieser aktivistischen Investoren scheiden sich generell die Geister. Einerseits wird gesagt, dass sie auf den Kapitalmärkten eine wichtige Kontroll- und Frühwarnfunktion ausüben, indem sie bei schlecht gemanagten Unternehmen die Finger in die Wunde legen und allein schon durch ihr Auftreten disziplinierend wirken. Andererseits verfolgen die Aktivisten oft nur kurzfristige Interessen, die konträr zu den mittel- bis langfristigen Unternehmenszielen stehen können. So haben insbesondere die von aktivistischen Fonds oft geforderten Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe das Potenzial, die finanzielle Basis der Unternehmen zu beschädigen.

Klar dürfte jedoch sein, dass die Kampagnen der aktivistischen Investoren künftig immer öfter von Erfolg gekrönt sein werden. Grund sind die sich ändernden Eigentumsverhältnisse bei den Dax-Unternehmen. Diese befinden sich inzwischen zu mehr als 60 Prozent im Besitz angelsächsischer Investmentfonds. Und diese neigen immer öfter dazu, die Kampagnen der Aktivisten zu unterstützen, bei denen es sich ebenfalls meist um Adressen aus dem angelsächsischen Raum handelt.

Titelbild: Minerva Studio/shutterstock.com


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