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Titel: Perfekte Meinungsmache-Strategie zur Vorbereitung der Stimmung im neuen Jahr. Und zum Kontrast: Gabriels Finger im Wind.

Datum: 29. Dezember 2011 um 9:45 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Euro und Eurokrise, Strategien der Meinungsmache
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Spiegel online ist ein wichtiges Leitmedium für Journalistinnen/en und Multiplikatoren. Wie das Amen in der Kirche erscheinen zum Jahreswechsel Artikel zur Prägung der Hauptbotschaft A: ‚Uns geht es gut; wir, wir Deutschen, die Wirtschaft und die Bundesregierung sind erfolgreich.’ Dazu gesellt sich die „hebelnde“ Botschaft B: ‚Wir sind viel besser als die andern“. Damit soll immer wieder gelernt werden, wie gut wir sind. Wenn man Beeinflussungsdiagramme erstellen könnte, dann könnte man sehen, wie sich die Spiegel online Botschaft „Deutsche Wirtschaft trotzt der Krise“ in den anderen Medien breitmacht. Es wäre toll, wenn Medienwissenschaftler und Politologen so etwas einmal recherchieren würden. Tun sie aber nicht. Das ist nicht fein genug. Albrecht Müller.

I. Die Verbreitung der Botschaft, es gehe uns herausragend gut, ist eine zentrale strategische Aufgabe sowohl für die Rechtfertigung der neoliberalen Ideologie als auch für das politische Standing der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition. Diese „Basismanipulation“ der neoliberalen Bewegung und der sie in Deutschland tragenden Koalition ist vermutlich professionell geplant.

Die neoliberalen Kräfte müssen mit allen Mitteln die These untermauern, dass die Reformpolitik der letzten 10 Jahre, dass die Agenda 2010 und die zuvor gelaufene Politik der Regierung Kohl und Lambsdorff erfolgreich waren. Nur dann können sie fortfahren auf dieser Linie und uns auch noch die Variation einer Agenda 2020 aufdrücken.

Das Märchen vom Erfolg für uns ist zugleich die Basis des gelingenden Versuchs der Regierung Merkel, anderen Völkern diesen Weg aufzunötigen und damit wiederum die Richtigkeit der eigenen Linie zu dokumentieren.

Die Hauptaussage des Artikels von Spiegel online ist nicht einmal durch die im Artikel präsentierten Daten belegt

Unter der Dachzeile „Aussichten für 2012“ behauptet Spiegel online, die „Deutsche Wirtschaft trotzt der Krise“. Weiter heißt es:

„Der Euro kriselt, die Konjunktur schwächelt weltweit, die wirtschaftlichen Aussichten für 2012 sind also trübe. Eigentlich. Denn die deutschen Unternehmen lassen sich nicht erschüttern: Die meisten Branchen erwarten ein erfolgreiches Jahr. Einzig die Banker sehen schwarz.“

Im Kleingedruckten steht dann, dass 26 von 46 vom IW befragten Verbänden von leicht steigenden Umsätzen ausgehen, neun Branchen rechnen mit stabilen Umsätzen, die restlichen elf mit einem Rückgang. Dass man auf der Basis dieser Befragungsergebnisse behauptet, die deutsche Wirtschaft trotze der Krise und einzig die Banker würden schwarz sehen, ist eine beachtliche Interpretationleistung.

Man kann sich diese Verfälschung leisten, weil man davon ausgehen kann, dass die meisten Multiplikatoren und Journalisten nur die Überschrift lesen und nicht die Fakten prüfen. Wenn man weiter liest, dann erfährt man auch noch, dass die Hälfte der Branchenverbände meinen, die Stimmung in ihren Mitgliedsunternehmen sei derzeit schlechter als vor einem Jahr. Auch damit kann man die Überschrift „Deutsche Wirtschaft trotzt der Krise“ wohl kaum stützen. Tatsächlich geht es vielen Unternehmen nicht gut –vor allem solchen nicht, die für den Binnenmarkt produzieren. Die Umsätze des Einzelhandels z.B. liegen – nach Abzug der Preissteigerungen – unter jenen von 2005 und sogar unter jenen von 1998. Siehe hier:

Umsätze des Einzelhandels

Die Meinung über die Lage der Wirtschaft wird im Institut der deutschen Wirtschaft und wohl auch beim damit verbundenen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im wesentlichen von der Exportwirtschaft gemacht. Diese ist aber nicht repräsentativ für die deutsche Wirtschaft.

Selbst bei der Exportwirtschaft dürften die erhobenen Daten noch geschönt sein. Niemand kann objektiv kontrollieren, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu seinen Daten und Interpretationen kommt.

Auch bei der Auswahl und Nutzung der Quellen und Testimonials geht Spiegel online davon aus, dass seine Leser keine Ahnung haben und deshalb die Quellen nicht zu- und einordnen können:

  • Das Institut der Deutschen Wirtschaft, das selbstverständlich ein Lobbyinstitut ist, wird wie eine seriöse Quelle behandelt.
  • Sein Direktor Michael Hüther wird als Zeitzeuge präsentiert, so als wäre er nicht der Ausbund massiver Interessenvertretung. Man kann diese Handhabung nicht alleine Spiegel online ankreiden. Es ist inzwischen üblich geworden, Personen wie Michael Hüther als objektive Experten zu zitieren. Das gilt auch für andere parteiische Experten wie etwa den früheren CDU Funktionär Gerd Langguth. Er wird auf allen Kanälen, auch im Spiegel, schlicht als Politologe vorgestellt, ohne jeglichen Hinweis auf seine Vergangenheit und Parteilichkeit.
  • Die meisten Leser werden auch den von SPON zitierten Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz nicht einordnen können. Er vertritt seit langem eindeutig die Position der deutschen Wirtschaft.
  • Und dann wird auch noch Philipp Rösler damit zitiert, dass er die Lage der deutschen Wirtschaft trotz der schwierigen Rahmenbedingungen für unproblematisch hält. Die Wirtschaft sei robust, meint der Bundeswirtschaftsminister.

Damit haben wir eine Palette von Quellen, die alles andere als objektiv sind. Aber das macht nichts. Nur wenige vermögen die Quellen – hier mit Ausnahme von Rösler – zuzuordnen.

Was sind schon 0,5 % Wachstum?

Dass der so genannte Wirtschaftsweise auf der Basis von 0,5 % keine Rezession befürchtet, ist so oder so erstaunlich. Vermutlich wird das Bruttoinlandsprodukts des Jahres 2011 nicht wesentlich über jenem von 2008 liegen. Die hohe Arbeitslosigkeit verbunden mit einem gewaltig wachsenden Niedriglohnsektor sind jedenfalls keine Zeichen für ein erfolgreiches Jahr.

Bei solchen Wertungen wird davon abgesehen, das Siechtum des Wohlstands und Anteils an der Wertschöpfung, den die arbeitenden Menschen erzielen, außen vor zu lassen. Diese werden von Herrn Professor Hüther nicht befragt. Aber mit den von ihm und anderen abgegebenen Wertungen und Interpretationen werden wir in einen Zustand des ökonomischen Erfolgs gemogelt. Sie werden es erleben, wie dann Anfang Januar auch auf der Basis und – wenn es nach früheren Gebräuchen geht – auch mit Unterstützung des statistischen Bundesamtes die Wachstumsraten für das Jahr 2011 präsentiert und interpretiert werden.

Das ist eine klar erkennbare Strategie der konservativen und neoliberal eingefärbten Kreise. Sie haben jedenfalls eine Strategie.

II. Von Strategie kann auf Seiten der etablierten politischen Opposition nicht die Rede sein. Jedenfalls ist nichts von einem eigenständigen Versuch zu spüren. Dort wird offensichtlich nicht voraus gedacht, sondern in weiten Bereichen der Politik mit dem Finger im Wind die Stimmung zu erfassen versucht und die eigene Politik daran orientiert.

Zwei Beispiele aus der letzten Zeit:

  1. Der SPD-Vorsitzende Gabriel fordert Sparen, wirbt für die Schuldengrenze und kann auch seinerseits den herablassenden Umgang mit südeuropäischen Völkern nicht lassen. Auch er suggeriert, dass es hierzulande wirtschaftlich gut gehe. Zum Beispiel in der FAZ.
  2. Der SPD-Vorsitzende wolle den angeschlagenen Bundespräsidenten Wulff im Amt behalten, meldeten die Medien am 26. Dezember. Er befürchte eine Staatskrise, sollte der Bundespräsident Wulff und damit der zweite nach Köhler innerhalb kurzer Zeit zurück treten. Das ist angesichts der Tatsache, dass die Staatskrise eher eintritt, wenn ein solch von Interessen abhängiger Mensch Bundespräsident bleibt, eine wirklich alberne Einlassung des Vorsitzenden einer großen Partei.

Sie wäre so zu erklären, dass die Redenschreiber von Gabriel und die damit verbundenen „großen“ Strategen sich daran orientieren, was angeblich das Volk will. Umfragen belegten angeblich, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland den Rücktritt von Wulff nicht verlangte. Sich an solchen Umfragen zu orientieren ist höchst fragwürdig. Zum einen wäre es die Funktion des Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, in einer solchen Frage meinungsführend und meinungsprägend tätig zu werden. Zum andern ist es leichtfertig, sich bei diesem Thema an Umfragen zu orientieren, weil ihre Ergebnisse sich sehr schnell ändern können und außerdem einige von ihnen von vornherein nicht zur Erhebung der Meinung sondern zur Beeinflussung der Meinung veranstaltet werden.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel steht mit seiner seltsamen Strategie nicht alleine. Das ist Usus in der SPD Führung der heutigen Zeit. Damit erweist sie sich als sehr viel schwächer als die herrschende Koalition und die herrschende Ideologie. Man muss ihr allerdings zugute halten, dass die von Angela Merkel angeführte Strategie der Meinungsprägung ohne Rücksicht auf die Fakten nur dann so möglich ist, wenn man in den Medien über die nötigen Bataillone verfügt. Das gilt für Angela Merkel und ihren Zirkel. Siehe auch: „Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt sich’s völlig ungeniert“.


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