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Titel: Interview mit James K. Galbraith 3/3

Datum: 3. Mai 2012 um 8:58 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Interviews, Soziale Gerechtigkeit, USA
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Die NachDenkSeiten hatten am Rande der INET-Konferenz in Berlin die Chance, mit dem amerikanischen Ökonomen James K. Galbraith zu sprechen. Hier nun der dritte und abschließende Teil des Gesprächs Das Gespräch führten Roger Strassburg (RS) und Jens Berger (JB).

Der erste Teil des Interviews erschien am 26. April.
Der zweite Teil des Interviews erschien am 2. Mai.

RS: Wie interpretieren Sie die Veränderung des politischen Spektrums in den USA? Als ich aufwuchs, haben sich liberale und konservative gegenseitig die gleichen Anschuldigungen entgegen gehalten, aber wenn man sich beispielsweise ansieht, was Nixon zur Gesundheitsvorsorge vorschlug und im Vergleich was Obama tatsächlich in Kraft gesetzt hat und was heute als sozialistisch bezeichnet wird, dann würde man nach heutigen Standards, meine ich, fast denken, dass Nixon ein Sozialist war.

JG: Julie Nixon-Eisenhower und ihr Ehemann David kamen zur LBJ Bibliothek vor ein paar Wochen, und ich ging hin und ich saß, also nicht in der ersten Reihe, aber ich kam später dazu und begrüßte die beiden. Es war Julie Nixon, die sagte, dass ihr Vater der letzte liberale Präsident war.

RS: Dem würde ich zustimmen.

JG: Was ist in der amerikanischen Politik passiert? Ich denke eine Sache, die man im Kopf behalten muss ist, dass während des gesamten Kalten Krieges, die Notwendigkeit für die USA und ihre Verbündeten in Westeuropa bestand, einige Kriterien in Bezgug auf ihre Effzienz zu erfüllen …

RS: …sozial…

JG: …sozial, denn anderenfalls hätten sie in einem Vergleichsspiel gegen den Osten verloren, was natürlich in den 1970ern aufgehört hat, eine ernsthafte Bedrohung darzustellen und verschwand dann vollständig in den 80ern, mit der Folge, dass eine Art Entmachtung dessen stattfand, was einst ein starker Liberalismus während des Kalten Krieges war.

RS: Die Veränderung zum Liberalen begann tatsächlich schon davor. Der Kalte Krieg ging erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs los, und Roosevelt begann diese Liberalisierung mit dem New Deal, nicht?

JG: Der Wettbewerb zwischen Kapitalismus und den Alternativen war ziemlich intensiv in den 1930ern und das ist, was Roosevelt zum Handeln veranlasste. Was wir in den letzten 20 Jahren gesehen haben, um mich mal so auszurdücken, ist, ein Gefühl, dass es keine Alternative gibt und das hat sehr viel destruktiven Freiraum für die Rechte geschaffen, aber keinen für die Linke, weswegen im Ergebnis die alte Generation der Liberalen größtenteils verschwunden ist.

RS: …ausgestorben ist…

JG: Insgesamt betrachtet, gibt es nur einige wenige Relikte übrig, wie mich z.B. Ursprünglich linke Parteien, sowohl in den USA als auch in Europa – das gilt gleicher Maßen für die Demokraten, die SPD und die PS in Frankreich – haben Konzepte übernommen, die man früher als rechte Orthodoxien betrachtet hätte, insbesondere was Haushaltsdefizite und öffentliche Verschuldung angeht. So können sie vorgeben, solidarische Sozialpolitik vorzuziehen, aber leider nicht in der Lage irgendetwas zu unternehen im Angesicht der Realitäten, denen sie vorgeblich gegenüberstehen.

RS: Hätten sie eigentlich gedacht, dass die Neoliberalen wieder auf die Beine kommen, dass neoliberales Denken in Wirtschaft und Regierung nach dem Einschlag der Krise wieder aufleben würde?

JG: Ja. In der Tat habe ich, denke ich, geschrieben, dass das passieren wird. Sobald die erste Welle von unausreichenden Interventionen im Sinne Keynes vorbei war, war gut vorhersehbar. was passieren würde, nämlich dass man das Spectrum des Streits in einer völlig undisziplinierten Art öffnen würde und so im Grunde jeder mit einer Agenda mitredet und sagt: “Macht, was ich immer befürwortet habe und die Welt wird besser”. Die Wahlkampfkampagnen sind völlig von dieser Art, sowohl die von Präsident Obama als auch die von Gouverneur Romney.

RS: Das ist der traurige Teil daran, dass Obama …

JG: Die Krise forcierte ein vorübergehende intellectuelle Disziplin und einer Wiederaufleben der Prinzipien Keynes.
Aber diese Disziplin elangte nie in die Kreise der Entscheider, jedenfalls nicht weit genug und es wurde von, sagen wir, vorhandenden Protokollen, Gewohnheiten des Denkens und Handelns verdrängt, die sich in diesen Kreisen entwickelt hatten. Diese Prtokolle und Gewohnheiten schlossen jedoch angemessenes Reagieren aus. Was ich insbesondere sagen will, ist dass man Methoden hatte, Vorhersagen zu machen. die grundlegend zu optimistisch waren und die im Kern davon ausgingen, dass man sich zu einer Basislinie über einen 5 Jahres Zyklus zurück bewegt. Und das bedeutete, dass man nicht einmal dem Präsidenten die Möglichkeit vorgetragen bekommt, dass die Krise in ihrem Ausmaß jener der 1930er entsprach.

RS: Also es gab einige Leute, die das durchgerechnet haben und zu Ergebnissen kamen, die wenigstens doppelt so groß waren wie das, was Obama schließlich gemacht hat.

JG: Das stimmt, und es zeigte sich, dass Chrstina Romer’s Zahl ziemlich nah an meiner dran war.

RS: Wie hoch war die nochmal, 1,2?

JG: Ich denke sie kam auf 1,8 Billionen, und das ist etwa die Gegend, in der ich auch landete. Ich habe das nicht genau durchgerechnet, sondern nur versucht, eine Zahl zu bekommen ,die groß genug ist, um Leute zu beeindrucken. Meiner Ansicht war, dass das eine Situation war, in der dem Grunde nach eine unbegrenzte Intervention nötig war, und die Idee war – und das meine ich in einer ganz bestimmten Richtung – meine Idee war, dass man so lange interveniert, bis man die Folgen sieht, und danach könnte man etwas langsamer vorgehen, anstatt zuerst ein Ziel festzulegen, das erreicht werden sollte und zu hoffen, dass dies genügen würde.

RS: Also das war der ganze Fehler, dass Obama annahm, er könnte zurückgehen und mehr bekommen. Mit der politischen Lage die er damals hatte, hätte er das womöglich tatsächlich gekonnt …

JG: Nein, das war völlig ausgeschlossen. Wie jemand denken könnte, dass man zurückgehen und einen zweiten Bissen des Apfels bekommen könnte, ist surreal.

RS: Das ist genau was Krugman vorhergesagt hat, dass es nicht passieren würde und beweisen, dass Konjunkturprogramme nicht funktionieren, ist dem Grunde nach, was …

JG: Das war nicht schwer vorherzusagen, und Paul sah es kommen, so wie ich. Und wenn man sich einmal für diese Linie der Kritik geöffnet hat, dann wird jedes Argument, “lehnt Obamacare ab”, “reduziert staatliche Regulierung”, “ausgeglichener Haushalt”, “Unsicherheit reduzieren”, so gut wie jedes andere, soweit es ein Präsidentschaftskandidat im Fernsehen sagen kann.

RS: Tatsächlich gibt es durchaus etwas Sicherheit, die Sicherheit, dass es in naher Zukunft nicht besser wird.

Das Transskript in englischer Sprache finden Sie hier [PDF – 45.5 KB].


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