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Titel: „Mehrheit der Deutschen befürwortet Reform der Reform“ – ein Lehrstück an Irreführung

Datum: 1. Juni 2006 um 17:28 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Manipulation des Monats
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Diese Meldung von SPIEGEL ONLINE vom 1.6. ist ein Klasse-Kandidat für unserer Rubrik “Manipulation des Monats”. Wer schon einmal mit Umfragen umgegangen ist und erfahren hat, wie man als Partei oder Ideologie Umfragen zur Meinungsbildung einsetzen kann, weiß: Wenn du eine Mehrheit von Befragten erreichen willst, dann formuliere die Frage so, dass sich Gruppen aus gegensätzlichen Lagern addieren.

Im konkreten Fall wusste man im Vorhinein, dass auf der einen Seite die neoliberal geprägten Meinungsführer und die eher der CDU, CSU und FDP nahe stehenden Befragten eine grundsätzliche Revision von Hartz IV wollen, auf der andern Seite auch die von Hartz IV direkt betroffenen Arbeitslosen und jene Arbeitnehmer (einschließlich vieler SPD-Anhänger), die fürchten, eines Tages dieses Schicksal zu teilen, eine grundsätzliche Revision von Hartz IV wollen. Die einen wollen noch härtere Regeln, die andern wollen zum Beispiel, dass die Arbeitslosenversicherung wieder den Charakter einer wirklichen Versicherung bekommt und sie nicht nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf Sozialhilfe-Niveau fallen, Arbeitslose wollen grundsätzlich würdiger behandelt werden, und so weiter. Der Unmut dieser gegensätzlichen Gruppen über Hartz IV ist grundlegender Natur.

Deshalb werden beide Gruppen auf die Frage: „Grundlegend reformieren oder nur ein bisschen nachbessern?“ (so bei SpiegelOnline formuliert) mit „grundlegend reformieren” antworten. Und SpiegelOnline kann schön schreiben: „Eine große Mehrheit der Bundesbürger unterstützt einer Umfrage zufolge die Forderung der CDU/CSU, die Arbeitsmarktreform Hartz IV generell zu überarbeiten.“

Und nach dieser erfolgreichen Manipulation kann man weiter mit Verwunderung feststellen: „Erstaunlich ist vor allem die Meinung der Arbeitslosen selbst.“ Bei SpiegelOnline heißt es: „Von den befragten Arbeitslosen befürworteten sogar 70 Prozent eine Generalrevision, für Nachbesserungen plädierten 28 Prozent. Auch SPD-Anhänger forderten mit 57 Prozent mehrheitlich eine grundlegende Erneuerung von Hartz IV. 34 Prozent wollen es bei Nachbesserungen belassen.“

Die Ergebnisse für alle Befragten: „Das Gesetzeswerk müsse grundlegend überarbeitet und erneuert werden, meinten 67 Prozent der Befragten. Nur 26 Prozent halten Nachbesserungen für ausreichend, ergab eine heute vom Fernsehsender n-tv veröffentlichte Forsa-Umfrage. Insgesamt nahmen 1001 Menschen daran teil.“

Ein Stück aus dem Tollhaus. Und wieder ein wunderbarer Beleg dafür, wie manipulationslüstern unsre Führungseliten sind, und wie unkritisch Medien damit umgehen. Eigentlich müsste ein normaler Redakteur von SpiegelOnline und von den zulieferernden Agenturen die irreführende Anlage einer solchen Umfrage durchschauen und deshalb auf den Weitertransport verzichten. Vermutlich ist der Spiegel wie immer aber in dieses Geschäft der Irreführung voll integriert.


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