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Titel: Grexit und Geuro – die Planspiele der Finanzlobby

Datum: 22. Mai 2012 um 16:28 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Europäische Union, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Vor wenigen Wochen war ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone lediglich für Stammtischökonomen ein Thema. Die erdrutschartigen Verluste der „Systemparteien“ bei den griechischen Parlamentswahlen haben nun das Undenkbare denkbar gemacht. Deutsche Regierungsvertreter spielen in der Öffentlichkeit ganz ungeniert mit dem Gedanken an einen Austritt Griechenlands aus der Gemeinschaftswährung und bekommen dabei von Vertretern der Finanzwirtschaft bestmögliche Schützenhilfe. Gestern präsentierte die Deutsche Bank ihren „Plan B“ für Griechenland. Selbstverständlich geht es der Finanzwirtschaft dabei nicht um Griechenland oder gar Europa, sondern darum, die eigenen Verluste einmal mehr dem Steuerzahler aufzubürden. Von Jens Berger.

Zum Thema siehe auch: Europa spielt mit dem Feuer.

In den Finanzzentren Frankfurts, Londons und New Yorks ist in diesen Tagen der Begriff „Grexit“ in aller Munde. Diese Wortschöpfung, die eine Kombination der Wörter „Greece“ (Griechenland) und „Exit“ (Ausgang/Ausstieg/Austritt) darstellt, geht auf Analysten der Citigroup zurück. Die „Experten“ von JP Morgan beziffern mittlerweile die Wahrscheinlichkeit eines „Grexit“ auf 50 Prozent. Damit sind sie nicht allein. In Finanzkreisen wird zu einem potentiellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nicht mehr nach dem ob, sondern nur noch nach dem wann und dem wie gefragt. Für Regierungen, die ihre Politik als „marktkonform“ charakterisieren, hat dies zweifelsohne eine Signalwirkung. Anstatt den Spekulationen der Finanzinstitute durch ein klares Bekenntnis zum Zusammenhalt der Eurozone Einhalt zu gebieten, schaffen es vor allem deutsche Regierungsmitglieder nicht, an einem Mikrophon vorüberzugehen, ohne die Spekulationen mit unbedachten Äußerungen weiter anzuheizen.

Grexit – das Spiel mit dem Feuer

Als erstes überschritt Finanzminister Schäuble den Rubikon, als er öffentlich kundtat, dass er einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone für „verkraftbar“ hält. Wenige Tage später sekundierte ihm FDP-Fraktionschef Brüderle mit der Aussage, dass er einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone für „beherrschbar“ hält. Mit Stolz verweisen Schäuble und Brüderle auf die „Brandmauern“, die von der europäischen Politik errichtet wurden, um einen drohenden Flächenbrand zu verhindern. Mit nahezu exakt den gleichen Worten begründeten auch vor nunmehr dreieinhalb Jahren der damalige US-Finanzminister Paulson und sein Amtsnachfolger und damaliger FED-Repräsentant, Timothy Geithner, ihre Entscheidung, die Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz gehen zu lassen – man habe aus dem Fall „Bear Stearns“ gelernt und ausreichend hohe Brandmauern errichtet. Wenn der „Grexit“ zum Flächenbrand werden sollte, geht es alleine in Spanien um die Absicherung von fast drei Billionen Euro[*]. Diese Summe übersteigt die „Brandmauern“ aus EFSF und dem noch nicht einmal ratifizierten ESM bei weitem. Sollte es hart auf hart kommen, werden sich EFSF und ESM als löchrige Palisadenzäune erweisen, mit denen die Feuerwalze nicht gestoppt werden kann.

Die Auswirkungen des „Grexit“, die sich nach Aussagen von Charles Dellara, dem Präsidenten des internationalen Bankenverbandes IIF, „irgendwo zwischen Katastrophe und Apokalypse“ bewegen würden, stellen eine existenzielle Bedrohung für das Bankensystem dar. Es ist jedoch nicht etwa der Austritt Griechenlands aus der Eurozone, der den Bankern schlaflose Nächte bereitet, sondern die Möglichkeit, dass sich dieser Austritt unkontrolliert ereignet und seine Folgekosten vom Finanzsystem getragen werden müssen. Um dies zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Risiken des „Grexit“ an den Staat ausgelagert werden, versucht man seitens der Banken den Eindruck zu erwecken, man arbeite konstruktiv an einer Auffanglösung für Griechenland mit. Um Griechenland geht es bei diesen Vorschlägen jedoch nur am Rande. Sinn und Zweck solcher Vorschläge ist vielmehr eine Auffanglösung für die Risiken in den Bilanzen der Banken.

Geuro – eine Schnapsidee der Deutschen Bank

Ein Musterbeispiel dieser Verschleierungstaktik ist der jüngste Vorstoß des Chefökonomen der Deutschen Bank, Thomas Mayer. In einem Papier der hauseigenen Kreativabteilung „DB Research“ schlägt Mayer die Einführung einer griechischen Parallelwährung vor, für den Fall dass eine neu gewählte griechische Regierung sich nicht an das Austeritätsdiktat aus Brüssel hält. Die Troika soll dem griechischen Staat in diesem Szenario keine „Haushaltsbeihilfen“ mehr zahlen, sondern „nur noch“ die auslaufenden Kredite durch neue ersetzen. Als Vertreter einer Bank, die auf milliardenschweren Forderungen gegenüber anderen Instituten sitzt, deren Liquidität vom steten Fluss der „Rettungsgelder“ abhängt, muss man wohl so argumentieren. Griechenland, das griechische Haushaltsdefizit, die griechische Volkswirtschaft und das griechische Volk interessieren die Deutschbanker nur in so weit, als es darum geht, die Risiken in den eigenen Bilanzen abzusichern.

Dieser Kerngedanke setzt sich auch in Mayers Papier fort, wenn er fordert, dass die Troika eine „europäische Bad Bank“ finanzieren solle, die sämtliche Forderungen gegenüber dem griechischen Bankensektor abdeckt. Die Deutsche Bank kassiert fürstliche Risikoprämien für die Vergabe von Krediten und der Steuerzahler soll nun das Risiko für diese Kredite übernehmen? Ohne, dass die Deutsche Bank dafür einen einzigen Cent zahlt? Das ist schon ziemlich dreist. Noch dreister ist Mayers Forderung, die EFSF solle auch die Gläubiger Griechenlands refinanzieren. Um die volle Bedeutung dieser Forderung zu verstehen, muss man wissen, dass die EFSF sich mit Anleihen am Finanzmarkt finanziert. Die Eurostaaten garantieren lediglich die Rückzahlung dieser Anleihen. Mayers Forderung läuft also darauf hinaus, dass beispielsweise die Deutsche Bank sich eine Milliarde Euro zu einem Zinssatz von 1,0% bei der EZB leiht, für dieses Geld EFSF-Anleihen mit einer Verzinsung von mehr als 4,0% kauft und die EFSF dieses Geld an griechische Banken mit Liquiditätsproblemen weiterverleiht, sodass diese Finanzinstitute ihre vollen Schulden bei der Deutschen Bank bedienen können. Egal, wie man es dreht und wendet, bei diesem Deal gibt es viele Verlierer – und nur einen Gewinner, die Deutsche Bank.

Schon beinahe nebensächlich, aber als Aufhänger unerlässlich, ist Mayers Vorschlag, eine Parallelwährung namens „Geuro“ (warum nicht gleich „Gyros“, das klingt im Englischen ähnlich) einzuführen. Als Parallelwährung soll der „Geuro“ den Euro im inländischen Zahlungsverkehr ersetzen. Löhne, Renten und Pensionen würden demnach fortan nicht mehr in Euro, sondern in „Geuro“ ausgezahlt. Der „Geuro“ soll keine echte Währung sein, sondern ein handelbarer Schuldschein des griechischen Staates – alleine dieser Umstand genügt schon, um vorherzusagen, dass außerhalb Griechenlands kein Mensch diese Papiere akzeptieren wird. Dies kalkuliert Mayer mit ein, prognostiziert er doch eine rund fünfzigprozentige „Abwertung“ des „Geuro“ gegenüber dem Euro.

De facto schlägt er also einen Abschlag von 50% auf die externe Kaufkraft der griechischen Bevölkerung vor. Das alles funktioniert folgendermaßen: Wenn VW beispielsweise einen Polo nach Athen verkauft, kassiert das Unternehmen 20.000 „Geuro“, die es zum Tageskurs in 10.000 Euro umtauscht. Sinkt der „Geuro“-Kurs, steigt der Preis in „Geuro“, die Parallelwährung spielt bei der Preisbemessung keine Rolle. Da der griechische Arbeiter, der zuvor ein Nettoeinkommen von 1.000 Euro hatte, nun 1.000 „Geuro“ bekommt, verdoppelt sich der Preis für ihn[**]. Dies betrifft alle Importe, egal ob es sich dabei um Autos, Öl, Nahrungsmittel oder Medikamente handelt. Hat der Arbeitnehmer auch noch einen laufenden Kredit, ist er doppelt benachteiligt, da der Kredit selbstverständlich weiterhin in Euro notiert ist und auch in Euro getilgt werden muss. Im Verhältnis zum Einkommen verdoppelt sich somit die monatliche Kreditbelastung der Privathaushalte. Dies gilt auch für Unternehmen, sofern diese keinen Außenhandel betreiben und harte Devisen erwirtschaften.

Willkommen in Absurdistan

Was sich für die meisten Leser als himmelschreiende Ungerechtigkeit anhören dürfte, ist der realwirtschaftliche Kern von Mayers Vorschlag. Die Löhne der Arbeitnehmer sind die Kosten der Arbeitgeber. Bei einem Kurs von 1:2 könnten die griechischen Unternehmen ihre Personalkosten halbieren und hätten damit selbstverständlich Kostenvorteile gegenüber der internationalen Konkurrenz. Nun ist Griechenland aber weder ein Rohstoffexporteur noch die Werkbank Europas, sondern ein Land mit hohen Leistungsbilanzdefiziten. Selbst wenn die griechischen Unternehmen von heute auf morgen gar keine Löhne mehr zahlen müssten, würde es Jahrzehnte dauern, bis das Land eine industrielle Basis aufbauen könnte, die Grundlage für einen lohnkostenbedingten Exportboom sein könnte. Und selbst dann müssten andere europäische Länder ihre Überschüsse abbauen, da im internationalen Handel die Summe der Überschüsse der Einen immer gleich der Summe der Defizite der Anderen ist.

Die vielzitierten Kostenvorteile bei einer massiven Abwertung einer künftigen griechischen Währung sind ohnehin überschätzt. Selbst nach einer Umstellung der Währung wäre Griechenland immer noch ein hochentwickeltes Industrieland, in dem Waren produziert werden, bei denen der Lohnkostenanteil überschaubar ist. Da die Unternehmen Rohstoffe und Vorprodukte nur gegen harte Devisen bekommen, würde sich der Kostenvorteil eher in Grenzen halten. Eine Volkswirtschaft, die vor allem von der Binnenwirtschaft abhängt, hat durch eine Abwertung der eigenen Währung keine Vor-, sondern vor allem Nachteile.

Mayers „Geuro“ fehlt somit jegliche ernstzunehmende volkswirtschaftliche Basis. Ihm geht es vor allem darum, dass der Euro weiterhin die offizielle Erstwährung bleibt und Griechenland dadurch weiterhin Zugriff auf die Kapitalzuflüsse der EZB hat und damit seine Auslandsforderungen zumindest theoretisch bezahlen kann. Seine These, Griechenland könne nach der Transformation zum Exportwunderland und der damit verbundenen Angleichung von „Geuro“- und Eurokurs wieder zum Euro zurückkehren, ist noch nicht einmal ein Wunschgedanke, sondern vielmehr ein zynisches „Best-Case-Szenario“, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit noch nicht einmal zu beziffern ist.

Die Lage der Griechen ist düster. Eine Fortführung der Austeritätspolitik führt mittel- bis langfristig zum endgültigen Zusammenbruch der Volkswirtschaft und damit zum Staatsbankrott und wahrscheinlich auch zum erzwungenen Austritt aus dem Euro. Ein sofortiger Austritt/Rauswurf aus dem Euro würde ebenfalls zu einem Zusammenbruch der Volkswirtschaft und einem Staatsbankrott führen. Nicht großartig anders verhält es sich mit dem „Geuro-Plan“ der Deutschen Bank. Der einzige Unterschied besteht darin, dass bei diesem Plan private Gläubiger auf Kosten der Allgemeinheit gerettet werden. Dies mag marktkonform sein, darf jedoch nicht zum obersten Ziel politischen Handelns werden. Dieses Ziel sollte vielmehr in der bestmöglichen Abwehr der Krisenfolgen für die Menschen liegen. Noch wäre dieses Ziel für Griechenland sogar zu erreichen – dann, wenn sich die Gläubiger (also vor allem die Troika) dazu durchringen könnten, die ausstehenden Kredite entweder zu stunden oder gar zu erlassen und die milliardenschweren „Rettungsgelder“ nicht den Banken, sondern der Realwirtschaft und den Menschen zur Verfügung zu stellen. Leider hat die Politik dieses Ziel jedoch aus den Augen verloren und spielt stattdessen bereits ein Horrorszenario nach dem anderen durch. Wer weiß, vielleicht blufft Europa nur, um das griechische Volk zu „disziplinieren“? Vielleicht blufft Europa jedoch auch nicht. Auch 2008 dachte alle Welt, Paulson und Geithner würden nur bluffen und Lehman Brothers am Ende doch vor dem drohenden Zusammenbruch bewahren. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Glaube an die Vernunft von Politikern oftmals ein sehr schlechter Ratgeber ist.


[«*] Mehr als die Hälfte dieser Summe machen die Bankeinlagen aus, die im Falle einer Kapitalflucht binnen kürzester Zeit wegschmelzen würden.

[«**] Dies ist vereinfacht dargestellt, da einige Preisbestandteile (z.B. Steuern, Teile der Vertriebskosten etc.) ebenfalls in „Geuro“ notieren werden würden.


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