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Titel: Multinationale Konzerne wie Bayer und BASF gegen Ernährungssouveränität: Selbst das Saatgut stehlen sie
Datum: 28. Juni 2025 um 14:00 Uhr
Rubrik: Ressourcen, Verbraucherschutz, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Bei der Kontrolle des Saatguts wird eine der wichtigsten Schlachten für die Zukunft der Menschheit geschlagen: Während ein Viertel der Menschheit unter Ernährungsunsicherheit leidet, spielt eine kleine Gruppe multinationaler Unternehmen eine nahezu hegemoniale Rolle in der Lebensmittelindustrie. Die transnationalen Unternehmen Syngenta Group aus der Schweiz, Bayer, BASF und KWS aus Deutschland, Corteva aus den USA und Limagrain aus Frankreich kontrollieren zwei Drittel des kommerziellen Saatguts weltweit und beschleunigen den Konzentrationsprozess weiter. Von Sergio Ferrari.
In weniger als drei Jahrzehnten ging dieses Monopol in der Saatgutindustrie Hand in Hand mit dem der größten Pestizidhersteller, die Tausende kleiner und mittlerer Saatgutunternehmen aufgekauft oder vom Markt verdrängt haben. Parallel dazu sind seit Beginn dieses Jahrhunderts 75 Prozent der genetischen Vielfalt der Nutzpflanzen verschwunden.
Diese aussagekräftigen Daten und Überlegungen wurden kürzlich von einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Netzwerken, die sich auf Ernährungsthemen spezialisiert haben, in „Semillas en Peligro. Las luchas mundiales por el control de la alimentación” (Saatgut in Gefahr. Der weltweite Kampf um die Kontrolle über die Ernährung) veröffentlicht. Das Dokument wurde gemeinsam von der Schweizer NGO Swissaid, der Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika, der Vereinigung für Pflanzenverbesserung zum Wohle der Gesellschaft, den Regionalinitiativen Südostasiens für die Stärkung der Gemeinschaften und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben. Es erschien auf Französisch unter dem Titel „Semences en péril. Les luttes mondiales pour le contrôle de l’alimentation”.
Pflanzen machen mehr als 80 Prozent der menschlichen Ernährung aus. Deshalb ist die monopolistische Kontrolle über Saatgut von so großer Bedeutung. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gibt an, dass bis heute 250.000 Arten höherer Pflanzen identifiziert und beschrieben wurden, von denen 30.000 essbar sind. Und 30 davon sind die wichtigsten Nutzpflanzen, die die Menschheit ernähren. Fünf Getreidesorten (Reis, Weizen, Mais, Hirse und Sorghum) liefern 60 Prozent der Kalorien der Weltbevölkerung. Bis 2050, wenn die Weltbevölkerung voraussichtlich neun Milliarden Menschen überschreiten wird, müsste eine Steigerung der Nahrungsmittelproduktion um 60 Prozent erreicht werden, um den Grundbedarf zu decken. Daher wird bei der Kontrolle des Saatguts nicht nur eine der wichtigsten Schlachten der Gegenwart, sondern auch der Zukunft der Menschheit geschlagen.
Nichts läuft gut
Die Kontrolle dieser sechs multinationalen Konzerne über zwei Drittel des kommerziellen Saatguts ist ein deutliches Zeichen für das Scheitern des internationalen Ernährungssystems, heißt es in „Semillas en peligro”. Gleichzeitig nimmt die weltweite Artenvielfalt rapide ab, und die am stärksten gefährdeten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen – insbesondere Landarbeiter und Kleinbauern – tragen die Hauptlast der zunehmenden Auswirkungen der Umwelt- und Wirtschaftskrisen.
Saatgut ist die zentrale Säule aller Ernährungssysteme, da es die genetischen Informationen enthält, die die Eigenschaften und den Ertrag von Nutzpflanzen bestimmen. Andererseits ist die Vielfalt der verfügbaren Sorten das Ergebnis der kollektiven Anstrengung der Landwirte, die sie seit Jahrtausenden von Generation zu Generation weitergegeben haben. Mit anderen Worten: Seit mehr als 10.000 Jahren haben Bauern dieses reiche Erbe ausgesucht, ausgetauscht und bewahrt, das nun vom Aussterben bedroht ist.
Seit der rapiden Industrialisierung der Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Saatgutauswahl zu einem lukrativen Geschäft für spezialisierte Unternehmen entwickelt. In verschiedenen europäischen Ländern und in Nordamerika wird diese Tätigkeit durch Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums geregelt. Dieser Ansatz ist jedoch für viele Länder des Südens, in denen bis zu 90 Prozent des Saatguts von den Landwirten selbst bewahrt wird, wenig geeignet. Paradoxerweise haben mehrere Länder des Südens trotz dieser Realität ähnliche oder sogar strengere Vorschriften für Saatgut erlassen als die Länder des Nordens, um transnationalen Unternehmen zu gefallen.
Große multinationale Konzerne versuchen, ihre Macht über die Produktion und Vermarktung von Saatgut und Lebensmitteln zu verstärken, indem sie die komplexe Gesetzgebung zum geistigen Eigentum zu ihrem Vorteil nutzen. Wie Swissaid und die anderen Mitherausgeber von „Semillas en Peligro” immer wieder betonen, werden diese Gesetze auch in internationale Handelsabkommen aufgenommen. Dies ermöglicht es den multinationalen Konzernen, zu kontrollieren, welche Saatgutarten vermarktet werden und letztlich welche Kulturen angebaut werden.
Diese ausgeprägte Abhängigkeit der lokalen Landwirte von multinationalen Saatgutkonzernen schränkt ihre Autonomie und ihre Entscheidungsfreiheit in Bezug auf landwirtschaftliche Praktiken ein. Infolgedessen werden ihre Rechte auf Nahrung beschnitten und ihre Bemühungen zur Beseitigung des Hungers in ihren eigenen Gemeinschaften und Ländern erheblich eingeschränkt. Andererseits verstärkt diese Abhängigkeit die Entwicklung von Monokulturen, die im Wesentlichen auf den Export ausgerichtet sind und verheerende Folgen für die biologische Vielfalt haben. Diese ist durch den massiven Einsatz chemischer Düngemittel, die Verwendung von Hybridsaatgut und den Einsatz genetisch veränderter Organismen bedroht.
Innovative Ideen
Um die Ernährungssysteme zu transformieren, ist laut den Mitherausgeberinnen von „Semillas en peligro” eine neue Sichtweise auf Samen und den Umgang mit ihnen unerlässlich. Sie greifen die Überlegungen von Michael Fakhri, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, auf. Fakhri erklärte, dass „die [eigenen] Saatgutsysteme der Landwirte es ihnen ermöglichen, Nahrungsmittel anzubauen, die auf Veränderungen reagieren und sich an sie anpassen, sodass die Gemeinschaften stärker und die Ernährungssysteme widerstandsfähiger werden”.
Obwohl große multinationale Konzerne die Agrar- und Lebensmittelkette mittels Technologie, Gesetzgebung und Marktkontrolle dominieren, gibt es Mittel und Wege, sich ihnen entgegenzustellen, betonen die großen sozialen Bewegungen auf dem Land. Als mögliche Kontrollmechanismen nennen sie die Stärkung und Durchsetzung von Kartellgesetzen und die Ablehnung von Gesetzen zum Schutz des geistigen Eigentums und von Handelsabkommen.
Diese sozialen Bewegungen in ländlichen Gebieten erinnern daran, dass dieses Saatgutsystem die Zustimmung der Welthandelsorganisation, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds genießt und sich in Freihandelsabkommen und Mustergesetzen zum Schutz der Rechte derjenigen widerspiegelt, die Pflanzensorten kontrollieren, wie beispielsweise die UPOV (Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen). Dieses System erlaubt nur den Umlauf von „patentiertem” (oder proprietärem) Saatgut, das exklusive Rechte gewährt, während die Bewahrung, der Austausch, die Verwendung, die Weitergabe und der Verkauf von lokalem Saatgut unter Landwirten kriminalisiert werden.
Die Situation ist mittlerweile so weit gekommen, dass die Bäuerinnen und Bauern die Kontrolle über ihr einheimisches Saatgut verloren haben, für die Verwendung und den Austausch ihres eigenen Saatguts bestraft werden und häufig Kontrollen und sogar Beschlagnahmungen ihres Saatguts hinnehmen müssen.
Die sozialen Bewegungen im ländlichen Raum und die sie unterstützenden Nichtregierungsorganisationen betrachten die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der Bauern und anderer Personen, die in ländlichen Gebieten arbeiten (UNDROP), die 2018 von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde, als einen wichtigen Fortschritt. Diese Erklärung verankert das Recht auf Saatgut und biologische Vielfalt und fordert die Staaten auf, Kleinbauern an Entscheidungsprozessen zu beteiligen, die ihr Leben, ihr Land und ihre Lebensgrundlagen betreffen.
Die Publikation „Semillas en peligro” zeigt auch kreative Wege auf. Derzeit werden Hunderte traditioneller und neuer Sorten unter einer Open-Source-Lizenz (ähnlich der für Software) veröffentlicht, um sie vor der Privatisierung und Einschränkung ihrer Nutzung zu schützen. Eine globale Koalition von Organisationen und Bewegungen identifiziert solche Initiativen auf den fünf Kontinenten.
In vielen Regionen werden Saatgutbanken eingerichtet, um die genetische Vielfalt zu sichern. Zum Beispiel die Welt-Saatgutbank oder Global Seed Vault in Svalbard, ein riesiges unterirdisches Lager auf der norwegischen Insel Spitzbergen, dessen Ziel es ist, Saatgutproben aller Nutzpflanzen des Planeten zu bewahren. Es wird auch als „Weltuntergangsbunker” bezeichnet, da es so gebaut wurde, dass es Erdbeben, Bombenangriffen und anderen Katastrophen standhält.
Der Kampf um Saatgut ist Teil der Identität der wichtigsten internationalen sozialen Bewegungen im ländlichen Raum. Die Vía Campesina, die mehr als 200 Millionen Landarbeiterinnen und Landarbeiter, Kleine und Mittlere Landwirte sowie indigene Völker vertritt, verteidigt das Konzept „Kleinbäuerliches Saatgut, Erbe der Völker im Dienste der Menschheit”.
Sie vertritt die Notwendigkeit, den Austausch von Saatgut und agroökologischen Produkten zu fördern, die lokale und regionale Märkte beleben. Sie setzt sich für eine ökologische Landwirtschaft in Stadt und Land ein. Und sie befürwortet die Wiedergewinnung des historischen Gedächtnisses und der traditionellen Kultur des Umgangs mit dem Saatgut: die Vorrangstellung des Autochthonen gegenüber gentechnisch veränderten Produkten und Kulturen.
Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21
Titelbild: Shutterstock / Jet City Images
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