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Titel: Im Schatten der Monroe-Doktrin: Neue Frontlinien in der Karibik

Datum: 27. August 2025 um 11:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Erosion der Demokratie
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Wie die US-Streitkräfte jüngst bestätigten, haben die USA erneut drei Kriegsschiffe sowie 4.000 Marinesoldaten in die südliche Karibik entsandt.[1] Bereits Anfang des Monats hatte US-Justizministerin Pamela Jo Bondi die Verdopplung des Kopfgeldes auf Venezuelas Präsident Nicolás Maduro bekannt gegeben. 50 Millionen Dollar setzt Washington nun auf dessen Ergreifung aus – eine beispiellose Maßnahme gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt.[2] Von Kurt Terstegen.

Offiziell wird der Schritt mit dem „Kampf gegen den Drogenhandel“ begründet. Bondi bezeichnete Maduro als einen der größten Drogenhändler der Welt und erklärte ihn zu einer Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten.[3] Doch in Lateinamerika ist man alarmiert – Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro warnte bereits vor einem möglichen Militärschlag gegen Caracas.[4]

US-Außenminister Marco Rubio erklärte zudem, die Regierung Venezuelas sei aus Sicht der Vereinigten Staaten nicht legitim, da Washington sie nicht anerkenne. Die Administration von Nicolás Maduro bezeichnete er als „kriminelle Organisation“.[5]

Als Reaktion kündigte die venezolanische Regierung eine groß angelegte Truppenmobilisierung an: Rund 4,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger sollen im Falle eines möglichen US-Angriffs zusammengezogen werden.[6] In einer offiziellen Mitteilung verurteilte Caracas die US-Militäraktion als „imperialistische Aggression“ und als Bedrohung der Souveränität der gesamten Region. Präsident Nicolás Maduro erklärte im venezolanischen Fernsehen, man werde die Errungenschaften der chavistischen Revolution verteidigen und sich gegen jeden militärischen Angriff zur Wehr setzen.

Diese Eskalation ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines alten imperialistischen Drehbuchs aus Zeiten des Kalten Krieges. Sie reiht sich ein in die lange Geschichte der US-Einmischung in der Region – eine Geschichte, die sich direkt auf die Monroe-Doktrin von 1823 zurückführen lässt. Schon im Kalten Krieg diente die amerikanische Einflussnahme in der westlichen Hemisphäre nicht der eigenen Sicherheit, sondern der Durchsetzung wirtschaftlicher und geopolitischer Interessen.

Donald Trump versuchte bereits 2020, die venezolanische Regierung mit einem verdeckten Söldnereinsatz zu stürzen. Bei der sogenannten „Operation Gideon“ landeten 60 Kämpfer der privaten US-Söldnerfirma Silvercorp USA an der Küste nahe La Guaira. Zwei ehemalige US-Elitesoldaten erklärten nach ihrer Festnahme, sie seien mit dem Auftrag entsandt worden, Maduro zu entführen und strategische Einrichtungen einzunehmen.

Auch dieser Versuch scheiterte – wie schon so viele davor. Doch die Entschlossenheit Washingtons bleibt bestehen. Die neue militärische Präsenz in der Karibik zeigt, dass Trump den Konfrontationskurs nun auf einer größeren Ebene weiterführt.

Die Kritik aus Lateinamerika ist laut und eindeutig. Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum wies das US-Narrativ zurück und erklärte, es gebe keine Beweise für eine Verbindung zwischen Maduro und dem Sinaloa-Kartell.[7] Besonders deutlich äußerten sich der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez[8] und Kolumbiens Präsident Petro[9], die den Militäreinsatz als Bedrohung für den regionalen Frieden bezeichneten. Sie berufen sich dabei auf die CELAC-Erklärung von 2014, die Lateinamerika zur Zone des Friedens erklärte – mit dem klaren Bekenntnis zu Nichteinmischung, Kooperation und friedlicher Konfliktlösung.[10]

Die US-Aggression gegenüber Venezuela ist jedoch älter als die Trump-Administration. Der Wahlsieg Hugo Chávez‘ (1998) markierte eine historische Zäsur. Zum ersten Mal gelang es der Bevölkerung in Venezuela, die politische Macht demokratisch in die Hände der arbeitenden Klassen und marginalisierten Bevölkerungsmehrheit zu legen. Mit der Bolivarischen Revolution begann für Millionen die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit, nationale Souveränität und ein Ende der neoliberalen Ausbeutung. Zahlreiche Projekte und Reformen der Regierung sorgten für eine Alphabetisierung der Massen und ein sozialstaatliches Netz.

Nach dem Tod von Chávez 2013 setzte Washington auf den Zerfall des chavistischen Projekts. Als dieser ausblieb, begann eine systematische wirtschaftliche Sabotage. Seit 2014 baut Washington, mit Unterstützung der Europäischen Union, ein Sanktionsregime auf. Tochtergesellschaften venezolanischer Firmen im Ausland wurden von den USA enteignet. Der Venezuela Defense of Human Rights and Civil Society Act (2014) bildete hierfür die juristische Grundlage.[11]

Die Sanktionen wurden anschließend auf venezolanische Regierungsmitglieder erweitert, die Obama zufolge eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellen. In den folgenden Jahren zielten die US-Sanktionen besonders auf die Schwächung des venezolanischen Finanzsektors ab.

Unter Executive Order 13808 verbot die US-Regierung dem venezolanischen Staat den Zugang zu internationalen Krediten. Das Ziel: die Zahlungsunfähigkeit des venezolanischen Staates erzwingen. Die Ölproduktion brach ein – von 1,97 Millionen Barrel pro Tag (2015) auf nur noch 440.000 (2022). Die Inflation explodierte: von 62 Prozent (2014) auf über 65.000 Prozent im Jahr 2018.

Auf politischer Ebene konnten die USA trotz maximalen Drucks keinen Sieg erringen. Nicolás Maduro und die Partido Socialista Unido de Venezuela bleiben weiterhin an der Macht. Der Putschversuch durch Juan Guaidó im Jahr 2019 – gestützt durch die Rückendeckung der USA – scheiterte vergeblich. Guaidó rief sich selbst zum Präsidenten aus, wurde jedoch nur vom Westen anerkannt. In Venezuela blieb er politisch machtlos. Korruptionsskandale und Verbindungen zu rechtsextremen Kräften sorgten für starke Unbeliebtheit. 2023 floh er nach Kolumbien – und wurde dort von der Regierung Petro des Landes verwiesen.

All das ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer imperialistischen Doktrin, die Lateinamerika seit zwei Jahrhunderten plagt. Die Monroe-Doktrin, formuliert 1823, erklärte den Kontinent zum Einflussgebiet der USA. In einer Rede zur Lage der Nation erklärte James Monroe seine Doktrin mit den Worten „Amerika den Amerikanern“.

Die Illusion einer antikolonialistischen Ausrichtung der US-Außenpolitik hielt nicht lange an. Denn schon bald sollte deutlich werden, wer mit „den Amerikanern“ gemeint war. Als die USA die kubanische Bevölkerung, geführt von José Martí, im Kubanischen Unabhängigkeitskrieg (1895 – 1898) unterstützten, zogen sich die Spanier aus ihrer letzten lateinamerikanischen Kolonie zurück.

Die USA stellte eine Übergangsregierung und besetzte Teile der Guantanamo-Provinz bis heute. Als die US-gestützte Batista-Regierung durch den Sieg der kubanischen Revolution im Jahr 1959 gestürzt wurde, reagierten die USA mit militärischer Aggression. Die Verstaatlichung großer (überwiegend US-)Konzerne sowie die Agrarreform gefährdeten die ökonomischen Interessen der US-Regierung. Die Schweinebuchtinvasion (1961) wurde von den revolutionären Streitkräften Kubas aufgehalten.

Andere Regierungen Lateinamerikas, die sich den imperialen Interessen der USA widersetzten, konnten den Offensiven Washingtons eher weniger entgegensetzen. Als der Sozialist Jacobo Árbenz die Präsidentschaftswahlen in Guatemala gewann, behaupteten die USA erstmals eine kommunistische Bedrohung in der westlichen Hemisphäre und stürzten die neue Regierung (1954). Nach der Schweinebuchtinvasion unterstützten die USA einen Putsch in Brasilien (1964) gegen den linken Präsident João Goulart und beteiligten sich an dem Sturz der Regierung Salvador Allendes in Chile (1973). Auch in Bolivien (1971), Nicaragua (1980) und Grenada (1983) unterstützten die USA Staatsstreiche gegen linke Regierungen. Auch bei dem Putschversuch gegen Hugo Chávez (2002) wird den USA von Experten eine Beteiligung vorgeworfen.

Kehren die USA nun zu ihrer Politik der Militärinvasionen zurück und greifen erneut eine souveräne Regierung in Lateinamerika an? Die sozioökonomische Lage in Venezuela bleibt weiterhin angespannt – Inflation, Korruption und Sanktionen der westlichen Staaten sorgen für soziale Krisen. Ob sich die sozioökonomischen Probleme in Venezuela durch eine Militärintervention lösen lassen, bleibt eher fragwürdig.

Titelbild: US Navy



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