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Titel: Der Widerstand von Andalgalá gegen die „Diktatur des Bergbaus” in Argentinien

Datum: 21. September 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Ressourcen, Schadstoffe, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Gemeinden kämpfen ums Überleben gegen eine übermächtige Allianz aus Politik, Justiz, Wirtschaft und Medien: Ein zwei Kilometer langes und fast einen Kilometer tiefes Loch klafft in der Bergkette von Andalgalá in den argentinischen Anden. 1997 wurde dort La Alumbrera in Betrieb genommen, das erste Bergbauprojekt in Lateinamerika, das Gold, Kupfer und Molybdän in dieser Größenordnung abbaut. Es markiert den Beginn einer neuen Form der Rohstoffgewinnung: großflächiger, transnationaler Metallbergbau, bekannt als megaminería oder „Mega-Mining”. Der sogenannte Extraktivismus erreichte damit eine neue, bislang ungeahnte Dimension. Von Bjarne Thum und Laure Péan.

Das Konzept Mega-Mining

In Andalgalá begann die Geschichte des Mega-Minings in den Neunzigerjahren. Neue Fördermethoden hielten Einzug in die Rohstoffgewinnung, die einen enormen Kapitaleinsatz erfordern. Solche Mega-Investitionen setzen eine erhebliche Kapitalakkumulation voraus. Da sich die Länder Lateinamerikas historisch vor allem auf das Schuften für den globalen Norden beschränken mussten, konnten sie keine eigene Kapitalbasis und damit auch keine eigenständige Industrieentwicklung aufbauen. Deshalb werden die Mega-Minen bis heute fast ausschließlich von internationalem Großkapital betrieben.

Im Fall La Alumbrera tätigte der Schweizer Konzern Glencore International eine Erstinvestition in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Das Projekt lief von 1997 bis etwa 2018. Solche gigantischen Investitionen sind gängige Praxis: Allein im Jahr 2023 wurden 55 Projekte im Metall- und Mineralsektor mit einem Gesamtvolumen von 13,1 Milliarden US-Dollar angekündigt.[1]

Laut der Wirtschaftskommission Cepal beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen in Lateinamerika und der Karibik im Jahr 2023 auf insgesamt 184,3 Milliarden US-Dollar.[2] Davon entfielen 21 Prozent auf die Extraktion natürlicher Ressourcen.[3] Mehr als die Hälfte dieser Investitionen stammte aus den USA und der Europäischen Union.[4]

Ein weiteres Charakteristikum des Mega-Minings ist die Abbaumethode. Statt wie herkömmlich mit Stollen und Lore vorzugehen, werden ganze Berge gesprengt. In Andalgalá geschah dies folgendermaßen: Zunächst kam tonnenweise Dynamit zum Einsatz. „Daten des Unternehmens brüsten sich damit, dass Alumbrera in einem einzigen Monat so viel Sprengstoff verbraucht wie ganz Argentinien in einem Jahr”, berichtete die Zeitung Lavaca.

Anschließend transportierten Ultra-Class-Muldenkipper mit einer Traglast von 220 Tonnen das Gestein zur Zerkleinerungsanlage – zum Vergleich: Ein herkömmlicher LKW fasst etwa 40 Tonnen. Danach begann die hydrometallurgische Mineraltrennung: Mit Wasser und verschiedenen Chemikalien wurden die Erze von den unerwünschten Bestandteilen getrennt. Dabei fielen enorme Mengen Abfall an, da der Metallanteil lediglich 0,1 bis zwei Prozent pro Tonne Gestein beträgt.

Das daraus gewonnene Metallkonzentrat wurde vom Restmaterial getrennt. Der verbleibende giftige Schlamm gelangte in ein 30 Hektar großes und 150 Meter tiefes Rückhaltebecken, den sogenannten „Tailings Dam”.

Neben dem monetären Preis hat das Mega-Mining noch einen anderen, ganz eigenen Preis. Die meisten damit verbundenen Gefahren sind so unsichtbar wie der Staub, der durch die Sprengungen aufgewirbelt und vom Wind über die Hügel bis in die Dörfer und Lungen der Menschen geweht wird. Doch die Bedrohung wird schnell sichtbar, wenn das Lebenselixier allen Lebens, das Wasser, in Gefahr gerät.

Andalgalá ist eine heiße, trockene Region, geprägt von Wüsten und Kakteen. Es regnet nur viermal im Jahr. Das Wasser aus den Bergen ist die einzige Quelle – und sie ist begrenzt. Es stillt den Durst der Menschen und der Felder der Bauern. Aber auch den der Mine – und der hatte es in sich: Eine Anlage wie La Alumbrera benötigte sage und schreibe 66.000 Liter Wasser pro Minute.

Zu wenig Wasser ist eine Sache, gar keines eine andere. Aus einem Interessenkonflikt wird ein Überlebenskampf. Bei der oben erwähnten Mineraltrennung kommen in der Regel Chemikalien wie Zyanid und Schwefelsäure zum Einsatz. Zudem werden durch den Tagebau natürliche Vorkommen von Arsen und Blei freigesetzt. Diese hochgiftigen Stoffe können durch Leckagen in den Mineralpipelines in die Umwelt gelangen. In der Mine La Alumbrera wurden zwischen 2004 und 2008 vier solcher Lecks nachgewiesen.[5]

Auch Risse in der Folie des Rückhaltebeckens scheinen nicht unwahrscheinlich. Diese sei nach Angaben von Bewohnern Andalgalás aufgrund von Sparmaßnahmen des Unternehmens von minderer Qualität gewesen. In einer erdbebenreichen Region ist das eine tickende Zeitbombe. Schon kleinste Mengen der ausgetretenen Giftstoffe können aquatische wie terrestrische Ökosysteme dauerhaft schädigen oder zerstören.

Des Weiteren haben diese Stoffe lebensgefährliche Folgen für den Menschen. Arsen verursacht Hautkrebs, chronische Entzündungen in Nieren, Lunge und Darm sowie diverse neurologische Schäden. Blei führt zu schweren neurologischen Erkrankungen und Anämie. Cyanid (Blausäure) blockiert die Zellatmung, was zu innerem Ersticken führen kann. Schon kleinste Mengen können tödlich sein: Die letale Dosis von Natriumzyanid für einen Erwachsenen liegt bei 150 bis 300 Milligramm, etwa so viel wie ein Maiskorn.

Zwar gibt es Gesetze und Sicherheitsvorschriften, die solche Gefahren verhindern sollen, doch werden sie in der Praxis oft nicht eingehalten. Der 36-jährige Geologe Enzo Brizuela erklärte gegenüber amerika21, dass viele Unternehmen die Vorschriften nicht korrekt umsetzen:

„Es gibt eine natürliche Kontamination – also giftige Stoffe, die im Boden vorkommen und durch natürliche Prozesse freigesetzt werden. Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, Umwelt-Basiserhebungen durchzuführen, um den Zustand der Umwelt vor und nach Projektbeginn vergleichen zu können. Doch oft werden diese Tests an Orten durchgeführt, an denen menschliche Aktivitäten Böden und Ökosysteme bereits verändert haben. Dadurch sind die Ausgangswerte verzerrt. So können die Unternehmen später behaupten, die gemessene Verschmutzung liege noch im Rahmen der natürlichen Kontamination.”

Eine Kombination aus bipolarer Politik und profitgierigen Bergbaukonzernen findet in der Regel immer einen Weg, sich über geltende Vorschriften hinwegzusetzen – mit verheerenden, oft tödlichen Folgen. Und wie Brecht einst sagte: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.”

15 Jahre Protest in Andalgalá

Am 31. Mai versammelten sich die Bewohner von Andalgalá erneut auf dem Dorfplatz. Wie an jedem Samstag seit über 15 Jahren gehen sie unermüdlich auf die Straße – für ihr Wasser, für ihr Leben.

„Heute, mit der Freude, die die Demonstrationen in Andalgalá immer begleitet hat, zelebrieren wir unser Dorf. Heute, weil es manchmal der Seele wehtut, zu sehen, was mit unserem Land gemacht wird, sind wir hier, um zu spüren, wie stark wir alle zusammen sind. ¡Andalgalá resiste! [Andalgalá in Widerstand]”.

Mit diesen Worten eröffnet Ana Radusky den mittlerweile 800. Protestmarsch – gegen Glencore, gegen das Mega-Mining, gegen einen Extraktivismus, der das Leben bedroht.

Als La Alumbrera Ende der Neunzigerjahre eines der ersten Mega-Minen-Projekte in Lateinamerika war, waren transparente Informationen darüber noch rar. Viele Bewohner wollten für das Projekt arbeiten, das gut bezahlte und langfristige Arbeitsplätze versprach.

Als sich jedoch die ersten Auswirkungen des Bergbaus bemerkbar machten, begannen die Einwohner von Andalgalá zu begreifen, was sich nur wenige Kilometer entfernt zusammenbraute. Ein Beispiel ist Vis Vis: Das nur drei Kilometer vom Rückhaltebecken entfernte Dorf musste schon Anfang der Nullerjahre evakuiert werden. Das Wasser, das die Bewohner zum Trinken und für die Landwirtschaft nutzten, war kontaminiert und verursachte Krebserkrankungen und Hepatitis.

Angesichts dieser erschütternden Entwicklungen gründete sich im Dezember 2009 – nach einer von der Polizei brutal niedergeschlagenen Blockade – die Asamblea El Algarrobo. Sie bietet der lokalen Bevölkerung einen Raum für Austausch, Selbstorganisation und gegenseitige Unterstützung.

Die Notwendigkeit dieser Struktur ergibt sich nicht nur aus den Diskussionen über den Extraktivismus, sondern auch aus der systematischen Kriminalisierung der Protestierenden. Sie werden unbegründet verhaftet, willkürlich inhaftiert, und ihre Häuser werden nachts unangekündigt von der Polizei gestürmt.

Einigen Betroffenen werden zudem reihenweise Verfahren an den Hals gehängt, verbunden mit enormen Kosten, die in einem so armen Dorf besonders schwer wiegen. All das, um den Widerstand zu brechen.

Glencore führte in dieser Zeit seine Geschäfte ungehindert fort. Zwischen 1997 und etwa 2018 förderte das Unternehmen im Durchschnitt jährlich 100.000 Tonnen Kupfer, 300.000 Unzen Gold und 957 Tonnen Molybdän aus der Erde Andalgalás. So gute Zahlen, dass Glencore gemeinsam mit der kanadischen Yamana Gold und der US-amerikanischen Newmont Corporation ein zweites Projekt in der Region plant, diesmal nur 17 Kilometer Luftlinie vom Dorfzentrum entfernt. Und das nennen sie, sehr frech, „Agua Rica”, also „Reiches Wasser”.

Noch ist Agua Rica nicht gestartet. „Das Projekt befindet sich in einer fortgeschrittenen Erkundungsphase”. So lautet die inoffizielle Information, die im Dorf kursiert, angesichts der mangelnden Kommunikation seitens Glencore. Der Name des Projekts hingegen hat sich inzwischen mehrfach geändert. Agua Rica wurde wegen der Nichteinhaltung des Gletscherschutzgesetzes als illegal eingestuft. Dieses Gesetz verbietet Bergbau in der Umgebung von Gletschern, die unter anderem eine wichtige Wasserquelle darstellen.

Da Präsident Javier Milei zu diesem Zeitpunkt – anders als am 9. Juni angekündigt – noch nicht plante, das Gesetz per Dekret zu ändern und damit Bergbau- und Erdölprojekte in geschützten Gebieten zu ermöglichen, musste Glencore einen Weg finden, die Restriktionen zu umgehen.

Gut beraten und mit einem unter multinationalen Konzernen gängigen Trick bewaffnet, benannte das Unternehmen das Projekt 2020 in Mara (Minera Agua Rica – Alumbrera) um. Da La Alumbrera seinerzeit vom damaligen Bergbauminister Arnoldo Castillo genehmigt worden war, soll Agua Rica durch die Fusion mit dem bestehenden Projekt nun keine rechtlichen Probleme mehr bekommen.

„Diktatur des Bergbaus”

Solche Tricks sind keine Ausnahme. Und das liegt nicht nur daran, dass Glencore und andere Unternehmen über gute Anwälte und Rechtsberater verfügen, sondern auch daran, dass Justiz und Politik auf ihrer Seite stehen.

Dieses System nennt die 40-jährige Journalistin und Aktivistin der Asamblea El Algarrobo, Ana Chayle, die „Diktatur des Bergbaus”. „Es handelt sich um ein System, das vier Mächte verbindet”, erklärt sie gegenüber amerika21. „Die politische Macht, vertreten durch Regierungen auf verschiedenen Ebenen; die wirtschaftliche Macht, konzentriert in großen Bergbauunternehmen, die selbst innerhalb der Dörfer Macht ausüben; die Justiz, die eigentlich für die Einhaltung der Gesetze zuständig sein sollte; und schließlich die Medien, als Kommunikationsapparat. Jedes dieser Elemente ist ein Rädchen in einem Getriebe, das sehr harmonisch funktioniert.”

Es gibt drei gesetzliche Regelungen, die eine Umsetzung des Mara-Projekts eigentlich unmöglich machen müssten: das bereits erwähnte nationale Gletschergesetz, das Allgemeine Umweltgesetz – das die Pflege der Umwelt, die Aufklärung und Beteiligung der Bürger gewährleistet und die Auswirkungen und Umweltschäden kontrolliert, die durch Menschen verursacht werden können – und die Gemeindeverordnung 029/2016, die jegliche Aktivität im Einzugsgebiet des Flusses Andalgalá untersagt. Mara hält aber keines dieser drei Gesetze ein.

Es scheint in der Tat, als gelte für Großunternehmen ein anderes Rechtssystem. Die Liberalisierung des Bergbaus in den Neunzigerjahren brachte Gesetze hervor, die bis heute bestehen und für Unternehmen äußerst vorteilhaft sind: laxe Umweltauflagen und schwache Kontrollsysteme.

So gab La Alumbrera offenbar nicht alles an, was aus dem Mega-Loch gefördert wurde. In den jährlichen Produktionsberichten des Unternehmens wurde lediglich der Abbau von Gold, Silber und Kupfer angegeben.

Im Jahr 2021 machte die Forscherin Alcira Argumedo darauf aufmerksam, dass dort mutmaßlich mindestens 22 weitere seltene Metalle abgebaut werden. Dies entspräche einem Schmuggel von über acht Millionen US-Dollar pro Jahr und insgesamt mehr als 17 Millionen US-Dollar.

Doch diese Illegalität interessiert die Justiz nicht.

„Als die Beamten der National- und Provinzregierung die Fusion der Projekte unterzeichneten”, erklärt Chayle, „lagen ihnen Berichte vor, wonach sich am Standort der Lagerstätte Gletscher befinden. Ein Beamter darf nichts unterzeichnen, das gegen das Gesetz seines Landes verstößt. Und ich glaube, man muss nicht lange überlegen, um zu erkennen, dass hier Korruption im Spiel ist.”

Doch angesichts der fehlenden Untersuchungen durch die Justiz mangelt es dem Widerstand an Beweisen. Die Geschichten jedoch sind in Andalgalá allen vertraut: Politiker erhalten Geld für eine Unterschrift oder ihre Familienangehörigen sind Miteigentümer von Bergbauprojekten.

„Als 2021 Kollegen von uns festgenommen wurden, hatte die Staatsanwältin, die für den Fall zuständig war, zuvor für Bergbauunternehmen gearbeitet. In Argentinien ist es so: Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst und wechseln dann in die Privatwirtschaft oder umgekehrt”, fügt Chayle hinzu.

Während Justiz, Politik und Unternehmen Hand in Hand arbeiten, bleibt die Stimme der Bevölkerung ungehört. Laut Allgemeinem Umweltgesetz hat die Bevölkerung „das Recht, konsultiert zu werden und ihre Meinung in Verwaltungsverfahren zu äußern, die sich auf den Erhalt und den Schutz der Umwelt beziehen”.

Um dieses Recht zu gewährleisten, müssten die Behörden Konsultationsverfahren oder öffentliche Anhörungen einrichten. Doch in der Praxis bleibt die Bevölkerung uninformiert. „Sie sind sehr intransparent. Wenn wir davon erfahren haben, dass es ein Projekt gibt, dann immer durch Zufall, weil die Info durchgesickert ist”, erklärte eine Demonstrantin beim Protestmarsch gegen das Mara-Projekt.

Zum System der Bergbau-Diktatur gehören auch die Medien, die als Propaganda-Instrument wesentlich zur Desinformation beitragen. Chayle, die derzeit ihre Doktorarbeit zu diesem Thema schreibt, bestätigt:

„Die Medien – vor allem die lokalen – tragen dazu bei, die Demonstrierenden von Andalgalá zu kriminalisieren, indem sie sie als gewalttätig, bewaffnet und gefährlich darstellen. In Wirklichkeit sind unsere Aktionen immer gewaltfrei.”

Um der Desinformation entgegenzuwirken, gründete die Asamblea im Jahr 2010 ein Gemeinschaftsradio, das über Mega-Minen und andere Formen des Extraktivismus informiert. Auch Experten kommen zu Wort, die über die tatsächlichen Folgen des Bergbaus aufklären. Diese Beiträge sind äußerst wichtig, so Chayle:

„Die Wissenschaft wird in der Regel von großen Unternehmen finanziert, die dementsprechend zu deren Gunsten forschen. Aber zum Glück gibt es auch Forscher, die sich ethisch dem Wissen verpflichtet fühlen. Und wenn sie ihre Arbeit machen, geben sie uns Recht und unterstützen uns letztendlich.”

Die Unternehmen, mit denen Andalgalá und andere Dörfer konfrontiert sind, haben auch auf lokaler und zwischenmenschlicher Ebene gravierende Auswirkungen. Man spricht von „sozialer Kontamination”. Wenn eine Mine in ein Dorf kommt, zerbrechen Freundschaften und familiäre Bindungen: Die einen arbeiten für das Bergbauunternehmen, die anderen kämpfen für dessen Verschwinden. Spalten, um besser herrschen zu können.

Doch Andalgalá lässt sich nicht unterkriegen, so ein Demospruch. In Regionen wie Catamarca, eine der ärmsten Provinzen Argentiniens, ist die Mittellosigkeit der Bevölkerung ein großer Vorteil für die Konzerne. Ist eine Familie für ihren Widerstand bekannt, wird gezielt einem ihrer Mitglieder ein Arbeitsplatz in der Mine oder direkt Bargeld angeboten, um sie zu ködern, auf die Seite des Unternehmens zu ziehen und so die Familie zu spalten.

So funktioniert schließlich die Bergbau-Diktatur: Proteste auszuschalten, sie unsichtbar zu machen, die Protestierenden zu kriminalisieren und Klagen der Bevölkerung gegen die Unternehmen so lange hinauszuzögern, dass die Extraktion abgeschlossen ist, bevor die Justiz ein Urteil fällen kann. „Justicia lenta no es justicia” (Langsame Gerechtigkeit ist keine Gerechtigkeit), so ein populäres Sprichwort. Und in der Zwischenzeit wird weiter Profit gemacht. „Der Kampf ist sehr ungleich, und manchmal fühlt man sich sehr allein gegen diesen Monsterkapitalismus”, fasst Chayle zusammen.

Ein erfolgreicher Widerstand in Famatina

Allein ist die Bevölkerung von Andalgalá jedoch nicht. Der Kampf gegen Bergbauunternehmen und ihre zerstörerischen Projekte wird in ganz Argentinien – ja, in ganz Lateinamerika – geführt. Ein Beispiel ist Famatina: ein kleines Dorf am Fuße der Anden, das bereits fünf der größten Bergbaukonzerne der Welt vertrieben hat. Heute gilt es als Symbol dafür, dass Proteste gegen Mega-Minen in Argentinien erfolgreich sein können.

Die damaligen Demonstrationen in Andalgalá waren der Auslöser für Famatina: Vier Frauen hörten davon und gründeten daraufhin eine Asamblea. Kurz darauf, im Jahr 2005, klopfte das erste Unternehmen an die Tür des Dorfes: Barrick Gold, ein kanadischer Konzern, der weltweit nach Gold schürft und für 2024 einen Umsatz von fast 13 Milliarden US-Dollar angekündigt hat. Die damalige peronistische Regierung hatte ihm bereits eine Konzession erteilt. Doch die Asamblea rechnete damit, dass das wasserintensive Projekt von Barrick Gold das Todesurteil für das Dorf bedeuten würde.

Im März 2006 organisierte die Asamblea eine Blockade des Bergweges, bis sich das Unternehmen, nicht ohne Polizeigewalt, Repression und Verletzte, zurückzog. So wurden auch die vier weiteren Unternehmen vertrieben, darunter das chinesische Shandong Gold im Jahr 2008 und das kanadische Osisko Mining 2011.

Mindestens zwei Vorteile[6] hat Famatina in diesem Kampf. Zum einen wurde frühzeitig ein ganz klares Problem erkannt: Mit der Mine – kein Wasser mehr. Zum anderen führt bis heute nur ein einziger Weg zum Berg, was es einfacher macht, den Zugang zur Wasserquelle zu verteidigen. Und auch nach fast 20 Jahren Bestehen sorgt die Asamblea weiterhin dafür, dass dieser Zugang täglich überwacht wird. Damit macht das Dorf unmissverständlich klar: „Wasser ist wertvoller als Gold. Famatina wird nicht angerührt.”

Diese Selbstorganisation ist überlebenswichtig. Denn, wie eine der vier Gründerinnen der Asamblea de Famatina gegenüber amerika21 erklärt: „Von der Politik kann man nichts erwarten. Wir sind das, was sie als ‚Opferzone‘ bezeichnen. Das heißt, eine Zone, in der die Ressourcen wichtiger sind als die Menschen und Kulturen, die dort seit Jahrhunderten leben.”

Denn das – die Verbindung mit ihrer Erde, ihren Wurzeln, ihrer Kultur – ist schließlich das, was den Menschen in den vom Bergbau bedrohten Regionen Kraft und Ausdauer gibt. Ana Chayle fragt: „Wie kann man sonst erklären, dass Menschen hier in Andalgalá jeden Samstag, ununterbrochen, auf die Straße gehen? Ich kann es mir nicht anders erklären als mit der Liebe zur eigenen Erde.”

Und genau das haben die Kapitalisten des Bergbaus richtig erkannt. Der Zugang zu bestimmten Orten wird durch Mauern, Barrieren und Sperrgebiete verweigert. Sie versuchen, die Vorstellung der herrschenden Klasse von der Natur als bloßer Ressource weiter durchzusetzen. Denn wer den Bezug zu seinem Lebensraum verliert, verliert auch einen wichtigen Antrieb, weiterzukämpfen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.

Titelbild: Amerika21 – Schild oben links: „Schluss mit der Bergbau-Diktatur.” Transparent: „Weder Tod noch Gefängnis werden den Kampf des Volkes aufhalten. Andalgalá leistet Widerstand”


[«1 repositorio.cepal.org/server/api/core/bitstreams/a450f098-bbcb-41d2-88fd-b8e426c92677/content (S. 38)

[«2 repositorio.cepal.org/server/api/core/bitstreams/a450f098-bbcb-41d2-88fd-b8e426c92677/content (S. 26)

[«3 repositorio.cepal.org/server/api/core/bitstreams/a450f098-bbcb-41d2-88fd-b8e426c92677/content (S. 35)

[«4 repositorio.cepal.org/server/api/core/bitstreams/a450f098-bbcb-41d2-88fd-b8e426c92677/content (S. 39)

[«5 Chayle, A. (2023). Asamblea El Algarrobo. (En)clave Comahue. Revista Patagónica De Estudios Sociales, 29 (28 Dossier)

[«6 Bartelt, D. D. (2017). Konflikt Natur: Ressourcenausbeutung in Lateinamerika (Schriftenreihe Bd. 10103). Bundeszentrale für politische Bildung.


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