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Titel: Den Osten mit Rüstungsaufträgen „stärken“?
Datum: 30. September 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Aufrüstung, Medienkritik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Auf einem Schloss treffen sich Ost-Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung – der Osten solle mitprofitieren – vom Höhenflug der Aufrüstung und der Aufträge. Davon blieb der Osten ja bisher ausgeschlossen, so die Kritik. Von Rüstungsaufträgen zu lassen, von dem Wahnsinn der Aufrüstung, davon spricht keiner. Was wäre das für ein Signal, sperrten sich Ost-Ministerpräsidenten, Ostbeauftragte und Ostbürger massiv gegen den Irrsinn. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Soso, es geht darum, etwas vom Kuchen der Aufrüstung für den benachteiligten, teils vergessenen Osten abzubekommen. Dafür spucken Politiker im Osten in die Hände. Zwei Ministerpräsidenten laden den Kanzler und den Verteidigungsminister nach Weimar ein. Etwas Charme des Ostens darf auch sein – die Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser gehört der Delegation von Friedrich Merz an. Ostmedien berichten, ohne zu mucken. Auf der Internetseite der Ostbeauftragten ist alles klasse. So müssen nur noch Merz und Boris Pistorius (schließlich beliebtester Politiker der Republik) den Daumen in die Höhe halten, auf dass ein paar Aufträge (in Funktion vielleicht der allseits beliebten verlängerten Ost-Werkbank) ausgereicht werden. Ach ja, ein bisschen Gegenwind durch die Bürger darf sein, stellt der thüringische Ministerpräsident im MDR in Aussicht. Der in vollem Gang befindliche Rüstungswahn wird jedoch nicht infrage gestellt. So eine öde Show.
Auf Schloss Ettersburg trifft sich Ost-Politelite mit Bundeselite zum Kuchenaufteilen
Bei Weimar in Thüringen liegt ein schönes Anwesen – das Schloss Ettersburg. Dort finden sich hochrangige Persönlichkeiten wie unsere Politiker, im aktuellen Fall zwei Ministerpräsidenten, die Ostbeauftragte, der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister, gern zusammen, um wichtige Entscheidungen für unser Land, also für die Konzerne zu besprechen. Die Liste der Konferenz ist lang, so der MDR, 20 Punkte stehen an. Eine Position überragt alle: die Beteiligung Ostdeutschlands an der Aufrüstung Deutschlands. Aufträge, Arbeitsplätze, Stärkung der Verteidigungsfähigkeit – was soll man dagegen haben? Der Osten liege strategisch gut, ist zu hören: Richtung Ostflanke und als Korridor usw. Auf Schloss Ettersburg erfahren Merz, Pistorius und Kaiser, dass man im Osten nicht erfreut ist, dass die meisten Aufträge der Aufrüstung in den Westen gehen – dort, wo halt die Waffenschmieden, Konzerne plus Schaltzentralen ihren Sitz haben. Nur gut, dass ein CDU-Politiker aus dem Osten sich bemerkbar gemacht hat. Das „MDR-AKTUELL-Nachrichtenradio“ meldet entsprechend folgsam:
Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt mahnte an, dass die ostdeutschen Länder stärker vom Ausbau der Verteidigungsfähigkeit profitieren sollten. Der CDU-Politiker sagte MDR AKTUELL, man habe innovative Firmen im Bereich Robotik, Cybersicherheit und Maschinenbau. Diese sollten bei der Auftragsvergabe mehr berücksichtigt werden.
(Quelle: MDR)
Dem Thüringer springt der Sachse bei, Ministerpräsident Michael Kretschmer schlägt einen Ton an, der kritisch klingt. Durch die Blume sagt er, dass zwar viel Geld (Schulden) bereitsteht, eingesetzt wird das jedoch im Westen und Kasse wird auch dort gemacht, während dem Osten nur das Mitabbezahlen (der Schulden) bleibt:
Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer schlug eine Ostdeutschland-Komponente bei der Vergabe von Aufträgen vor. Er sagte MDR AKTUELL, Deutschland nehme Milliarden-Schulden für die Verteidigung auf. Es könne nicht sein, dass die Aufträge im Westen abgearbeitet würden. Auch sächsische Unternehmen sollten vom höheren Wehretat profitieren können.
(Quelle: MDR)
Ein bisschen Widerstand, eine Prise Bürgerbeteiligung
Während die eloquenten Zitate aus dem Schloss via ÖRR des Volkes Ohren erreichen, vergisst der ÖRR nicht, ganz „ausgewogen“ halt, dass man auch ein wenig Gegenwind versus Rüstungsaufträge, Rüstung und Kriegsertüchtigung im Blick habe, also der thüringische Ministerpräsident zumindest:
Protesten gegen einen Ausbau der Rüstungsindustrie will der Thüringer Ministerpräsident indes aktiv begegnen, indem die Frage unter anderem in einem Bürgerrat diskutiert werde.
(Nachrichten 25. September 2025, 12:15 Uhr)
(Quelle: MDR)
Ein Ostminister räumt (wie großzügig) ein, dass ein bisschen Widerstand durchaus in Ordnung sei. Dem Bürger wird eine Prise Bürgerbeteiligung in Form eines Bürgerrates zugestanden. So kann Bürger mit den Politikern diskutieren, man kann sich ein wenig Protest anhören. Was passiert aber danach? Und das ist der Skandal: Weder Voigt noch Kretschmer noch die Ostbeauftragte Kaiser werden Merz, Pistorius und den Rüstungsindustrie-Bossen entgegentreten und etwa Folgendes sagen: Wir müssen abrüsten. Wir müssen der Diplomatie Vorrang geben. Wir müssen deeskalieren. Wir sind die gewählten Vertreter der Ostbevölkerung, die den ganzen Mist nicht mitmachen will, Arbeitsplätze und Aufträge hin oder her. Das haben wir im Bürgerrat gehört und verstanden.
Was wäre daran aber schlecht, würde wie im Jahr 1989 eine neuerliche Wende wieder im und vom Osten ausgehen und die Brüder und Schwestern im Westen (die angeblich nach Umfragen mehr für Rüstung und Konfrontation gegen Russland sein sollen) miterfassen? Voigt, Kretschmer und all die sich um das Volk kümmernden Politiker würden in die Geschichte eingehen.
Fade, beschämende Berichterstattung beim MDR
Angesichts der Schäden, die die gegenwärtige Politik anrichtet, angesichts der Stimmung, die permanent gemacht wird, ist das Lesen dieser schwülstig, „sachlich“ formulierten Texte kaum auszuhalten. Man schreibt von „Wahrnehmung“, von „Bedrohungsgefühl“, von „gesellschaftlicher Akzeptanz“ und was Wissenschaftler sonst so vom Stapel lassen. Ich finde, der Soziologe Tobias Jaeck hätte sich nicht „auseinandersetzen“ müssen. Etwas Bauchgefühl hätte gereicht. Dass die Akzeptanz für diese schlimme Aufrüstungsorgie nun bei 75 Prozent liegen soll, lässt mich fragen, wer hier wen befragt hat …:
Der Hallenser Soziologe Tobias Jaeck hat sich damit auseinandergesetzt, warum Rüstungsindustrie im Osten anders wahrgenommen wird als im Westen, obwohl die gesellschaftliche Akzeptanz zu höheren Rüstungsausgaben im Westen wie im Osten gleich zugenommen hat und nun bei 75 Prozent liegt. „Interessant finden wir, dass das Bedrohungsgefühl im Osten gegenüber Russland deutlich weniger verbreitet ist als im Westen. Es gibt Differenzen von bis zu 20 Prozent. Und da ist man auch der Ansicht, was die Sicherheitspolitik angeht, dass man genauso mit Russland zusammenarbeiten muss, wie man mit den USA zusammenarbeiten muss. Wenn Sie sich jetzt so eine Art sicherheitspolitische Grundorientierung anschauen, sind zum Beispiel die Menschen im Osten viel weniger der Ansicht, dass man Konflikte überhaupt militärisch lösen kann“, erklärt er gegenüber dem MDR-Magazin „Umschau“.
Tobias Jaeck forscht am Zentrum für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle. Er untersucht seit vielen Jahren den Wandel der politischen Einstellungen und gesellschaftlichen Stimmungen im Osten. „Die Bedrohung wird zum Beispiel durch die Aufrüstung gesehen, vielleicht auch aus der Erinnerung an die 1980er-Jahre – eine Zeit, als der Kalte Krieg so seinen Höhepunkt erreicht hatte“, sagt er.
(Quelle: MDR)
Zuletzt noch dies: Leipzig liegt nicht weit von Weimar
So sind also Ostdeutsche viel weniger der Ansicht (als Westdeutsche?), dass man Konflikte überhaupt militärisch lösen kann, ist zu lesen. Gedanke: Wenn Konflikte friedlich und diplomatisch gelöst würden, wenn Konflikte vielleicht gar nicht erst entstehen und sich aufschaukeln, weil Drohszenarien nicht aufgebaut werden, steht viel mehr für das friedliche, nicht aufgerüstete zivilisatorische Leben zur Verfügung: mehr Mittel, Zeit, Energie. Es würde sicher mehr Freude machen, als Politiker auf einem Schloss nahe Weimar zum Wohl des Volkes zu verhandeln, oder?
Die Realität ist aber eine andere, bittere: Die Mainstream-Medien melden unbeirrt und alternativlos, dass Merz und Co. aufrüsten und der Osten etwas vom Kuchen abbekommen will. Die nächste Nachricht (als Beispiel) zeigt dann aber, was daraus wird, wenn Prioritäten so wie in diesen irren Zeiten gesetzt werden:
Angespannte Finanzlage
Was die Haushaltssperre für Leipzig bedeutet
Leipzig steht seit Dienstag unter Haushaltssperre: Investitionen gestoppt, Projekte eingefroren. Was das für Kultur, Umwelt und Stadtentwicklung bedeutet – ein Überblick über die Folgen und Perspektiven.
(Quelle: MDR)
Was das für Leipzig, für andere Städte im Osten des besten Deutschlands aller Zeiten bedeutet, weiß vielleicht die Ostbeauftragte Kaiser nicht. Das wäre an sich mehr als ein Grund, herumzureisen. Allein, ich finde, sie kann sich das sparen, so wie sich ihr Politikerkollege in Berlin, zum Beispiel der Bundespräsident, das Reisen sparen kann – denn: ihre Reisen ändern nichts.
Titelbild: e-crow/shutterstock.com
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