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Titel: Star-Wars-Feeling im „Balkon des Vogtlands“: Rüstungsfirma übernimmt ziviles Unternehmen – Bürgermeister: großer Schritt für die Region

Datum: 31. Oktober 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Was sind das nur für Zeiten! Mein guter alter Tucholsky würde sagen, die schreien nach Satire. Eigentlich ist meine heimatliche Region Vogtland – naiv betrachtet – eine beschauliche, schöne, idyllische, wo die Welt noch in Ordnung ist. Doch die große Welt und ihre gemachten Bedrohungen dringen bis hierher vor. Die Kriegsertüchtigungsmaschinerie läuft auf Hochtouren. Der Bürger stellt sich wenig entgegen, ohnmächtig ist er. Folglich freut man sich – so auch im Vogtland – fatalistischerweise lieber darüber, dass eine in Teilen rüstungsorientierte Firma, medial als Raumfahrtunternehmen vorgestellt, in einem der schönsten Orte die Übernahme einer zivilen Firma tätigt. Das wird gefeiert, und auch die Heimatpresse schwärmt. Einwände braucht es keine. Doch! Man sollte deutlich sagen, dass dieser Weg kein guter ist. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Idylle im Vorkrieg?

Schöneck ist ein schöner Ort. Das Städtchen wird gern Balkon des Vogtlands genannt; denn die Schönecker wie auch die vielen Besucher aus nah und fern haben auf einer Anhöhe – ein elegantes Plateau in Reichweite zum Ortskern – einen einmaligen Blick auf die Umgebung mit sanften Hügeln, Tälern, Feldern, Wäldern und auf das Städtchen selbst, als stünden sie auf einem Balkon. Schöneck ist aber auch ein Ort wie viele, um den die „Zeitenwende“ keinen Bogen macht. Doch keiner regt sich auf, scheint es. Eine in Schieflage geratene zivile Firma, mitten im Stadtzentrum gelegen, wird in diesen Ertüchtigungszeiten vom Bremer Raumfahrt-Unternehmen OHB übernommen. So wird die Zukunft von einigen Menschen dank einer Firma mit Rüstungssparte – Pardon, einer Raumfahrtfirma mit glänzenden Geschäftsaussichten – eine bessere werden. So wird ohne jeden Zweifel dagegen argumentiert. Was soll Schöneck auch dagegen haben? Statt Sorgenfalten auf der Stirn sind lächelnde Gesichter zu sehen und krasse Sprüche von Beteiligten, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Rettung dank vieler Akteure – sogar der Ministerpräsident kommt zur Feier

Es stimmt, die zivile Firma Technisat in Schöneck hätte am Ende des Jahres dichtgemacht – wie viele Firmen, die nicht im Rüstungsgeschäft Kasse machen. Nebenbei, die zivile Produktion Technisats wäre nicht eingestampft, nur weiter ostwärts ins „preiswertere“ Polen verlagert worden. Die Mitarbeiter, allesamt gefragte Fachkräfte, hätten dann ohne Job dagestanden. Jetzt sehen sie nach Monaten des Bangens endlich in eine rosige Zukunft, wird von der Politik und den Medien geschwärmt: dank der üppigen Milliarden-Investitionen in die Kriegsertüchtigung des Landes; dank der Forderungen des Landesvaters, Ministerpräsident Michael Kretschmer, den Osten daran teilhaben zu lassen; dank eines gewieften Professors der Universität der Bundeswehr München, aus dem Vogtland stammend gar, der die Übernahme miteingefädelt hat; dank der Weitsicht der OHB-Führung aus Bremen, die im Osten eine erweiterte Werkbank einrichtet, sich über qualifiziertes Personal freut und über die anstehende Expansion, Umsatzsteigerung, Gewinnmaximierung.

Die freie Heimatpresse darf in dem Lehrstück der in Wahrheit unheimlichen Transformation der zivilisatorischen Gesellschaft in eine wehrhafte, in der Kohle gemacht wird, nicht fehlen. Sie formuliert knapp und knackig den Wandel von ziviler in Rüstungsproduktion: Satelliten statt Radios. Was für eine Entwicklung, rufen Befürworter freudig. Jetzt geht’s los! Statt Dichtmachen kommt eine neue Produktionslinie für eine Rüstungsfirma, statt Radios Satelliten bauen, statt Trauer eine Übernahmefeier! Auch das noch: Sogar Ministerpräsident Michael Kretschmer selbst kommt von Dresden ins schöne Vogtland.

Heimatzeitung „berichtet“ euphorisch

Ministerpräsident Kretschmer hat sicher die eigentümlich beeindruckenden wie auch nachvollziehbaren Worte des Schönecker Bürgermeisters Andy Anders im Ohr. Dieser Kommunalpolitiker hat sich seit dem Sommer für den Erhalt des Werks in seiner Heimat, für seine Leute eingesetzt. Nun wich nicht nur bei ihm der Schock. Er empfindet Freude. Die kommt über den Einzug der neuen Chefs auf, auch wenn die von einer Firma sind, die zunehmend im militärischen Business aktiv ist. Der Bürgermeister formuliert selig in der Zeitung Freie Presse, als stünden Jahre einer glanzvollen Star-Wars-Epoche ins Haus:

Ein kleiner Schritt für einen Bürgermeister, aber ein großer Schritt für Schöneck und das Vogtland.“
(Quelle: Freie Presse)

Der engagierte Professor der Universität der Bundeswehr München kommt im Heimatblatt auch zu Wort. Er rundet die Vermittlung der euphorischen Botschaft ab, die im Beitrag der Zeitung wie bei allen weiteren Pro-Sprüchen ohne kritisches Hinterfragen veröffentlicht wird. Professor Andreas Knopp aus Bad Elster, nicht weit von Schöneck gelegen, hat ein Herz für die Heimat. Dank Verbindungen in die Wirtschaft kam der Satelliten-Experte darauf, der Schönecker Firma zu helfen. Und wie! Hat Knopp doch mit OHB einen „zukunftsorientierten“ Partner gefunden. Ganz visionärer Experte, führt der Vogtländer aus:

„Wenn es uns nun gemeinsam gelingt, daraus den entscheidenden Schritt für Sachsen hin zu einer neuen Industrie zu gestalten, freue ich mich besonders, dass dieser Aufbruch in meiner Heimat beginnt.“

Der Bundeswehrprofessor sieht neue Perspektiven auf Sachsen kommen und die Rüstungsindustrie als „Alternative“, unter anderem für die schwächelnde Autoindustrie – oder das Schönecker Unternehmen, das bisher keine Satelliten baute. Auf dass Deutschland künftig unabhängig im All werde, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius eine eigenwillige Order ausgab und dafür schlappe 35 Milliarden Euro bereitstellt – sehr zur Freude der Auftragnehmer …

Wachstum, Arbeitsplatzsicherung, Perspektive, Aufbruch in eine neue Zeit – solche und andere unverdächtig klingenden Formulierungen werden zur Unterstützung von Pistorius‘ Kurs eingesetzt, dem Bürger die Zeitenwende einzubläuen: Aufrüstung, Umrüstung, Umerziehung, Ertüchtigung. Das zivilisatorische Leben geht derweil am Stock, egal. Frei werdende Kapazitäten übernehmen die im Aufwind befindlichen Wertschöpfer der Verteidigungswirtschaft; stilsicher begleitet von den davon begeisterten Verkündern in den führenden Medien, PR-Büros der Politiker, Denkfabriken und, und, und.

Das idyllische Schöneck – Teil eines aufstrebenden Rüstungskonzerns, neue Industrie genannt

Was brauchen wir eigentlich Eisenbahnwaggons, Autos, Radios? Gebraucht wird Rüstzeug in allen Varianten, würde Tucholsky vielleicht angesichts des traurigen Schauspiels schreiben. Was auf Schöneck als Freude verkauft zukommt, ist im Heimatblatt in einem Absatz zu erfahren. Leser sollten sich dazu Gedanken über Ausdrücke wie „neue Industrie“ oder „großer Schritt für Schöneck und das Vogtland“ machen, meine ich. So ist der deutsch-US-amerikanische Raumfahrt- und Technologiekonzern OHB SE mit Sitz in Bremen schon jetzt gut im Geschäft, 3.000 Mitarbeiter in zehn Ländern, Entwicklung und Bau von Raumfahrtsystemen, von Komponenten für Trägerraketenprogramme und für den Betrieb von Satellitensystemen, ist zu lesen.

Ja, ein paar Schönecker werden nun wohl auch eingebunden in das erfolgreiche Spiel. Das also soll ein großer Schritt für die Stadt und/oder gar für das Vogtland sein. Es wird keiner werden. Ein Schritt hin zu mehr Rüstung, zu einer Umstellung einer zivilen Industrie in eine „neue“ kann nicht groß genannt werden. Reicht es nicht, in Bremen zu produzieren?

Kritiker kommen bei all der Euphorie im Heimatblatt nicht zu Wort

Solch Zweifel an großen Schritten, die keine sind, stört aber nur den Jubel der Medien, der Arbeitsplatzsicherer und der bellizistischen Visionäre. Die Zeitung Freie Presse aus Chemnitz feiert OHB mit ihrer Art der „Berichterstattung“, lässt den Bürgermeister abschließend meinungsbildend zu Wort kommen über die Wende von drohender Schließung zur Übernahme eines Giganten:

(…) Wer bei einer Hiobsbotschaft den Kopf in den Sand steckt, verliert. Wer kämpft, Verantwortung übernimmt und Menschen zusammenbringt, der kann etwas bewegen.“

Die Frage muss jedoch erlaubt sein: Was bewegen? Antwort: In eine bedrohliche Richtung bewegt sich OHB, ein Konzern, der ein dickes Stück Kuchen abhaben will von den zig Milliarden, die die Politik lockermacht, während für die Zivilgesellschaft die Zeitenwende Kürzung bedeutet:

Das Unternehmen baut Satelliten für das Navigationssystem Galileo sowie ein Satelliten-gestütztes [sic] Aufklärungssystem, welches von der Bundeswehr genutzt wird. Den Anteil der militärischen Auftraggeber gibt das Unternehmen mit „unter zehn Prozent“ an.

Des Weiteren arbeitet der Konzern aktuell auch an Plänen für eine mobile Plattform für Raketenstarts beispielsweise in der Nordsee.

(Quelle: Radio Bremen „buten un binnen“)

Nachtrag

Anfangs schrieb ich: Eigentlich ist meine heimatliche Region Vogtland – naiv betrachtet – eine beschauliche, schöne, idyllische, wo die Welt noch in Ordnung ist. Doch die große Welt und ihre gemachten Bedrohungen dringen bis hierher vor. Die Kriegsertüchtigungsmaschinerie läuft auf Hochtouren. Der Bürger stellt sich wenig entgegen, ohnmächtig ist er.

Während also die Zeiten in einem kleinen Ort des Vogtlands auf „große“ Schritte hindeuten, erleben die Bürger der Region Vogtland Tag für Tag, wo Schritte „kleiner“ werden und/oder das Licht bald oder sogar schon jetzt ausgeht. Theater, Straßenbahngesellschaften, Kultureinrichtungen, Galerien, Gaststätten, Jugendtreffs stehen zur Disposition. Institutionen unserer Zivilgesellschaft. In einer vogtländischen Stadt wird zum Jahresende ein Kulturhaus schließen. Ich denke an Tucholsky, der würde raten: Dieser Ort wäre statt als Kulturtreff als Wehrersatzamt recht gut geeignet.

Titelbild: A.N.Foto/shutterstock.com


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