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Titel: „Markus Lanz“ im ZDF: Mit emotionaler Propaganda gegen Sahra Wagenknecht

Datum: 4. November 2025 um 10:03 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Ein neuer Tiefpunkt im ZDF: Die letzte Ausgabe der Talkshow mit Markus Lanz folgte einer skandalösen Dramaturgie. Zum allzu bekannten Prinzip „drei angepasste Gäste und der Moderator gegen einen kritischen Gast“ kam bei dieser Talkshow noch die Arbeit mit emotionalen Tricks hinzu – mithilfe des Schicksals eines russischen „Pussy-Riot“-Mitglieds. Eine Talkshow als (vorläufiger) Gipfel der Heuchelei. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Markus-Lanz-Talkshow vom 30.10. im ZDF hat die bereits niedrigen Standards der Sendung nochmals unterschritten. Die Grundbedingungen entsprachen zunächst dem gewohnten Prozedere: Der Moderator und die anderen Gäste bildeten den üblichen Block, um die Abweichlerin Wagenknecht gemeinsam zurechtzuweisen: Kerstin Münstermann, Leiterin der Parlamentsredaktion der Rheinischen Post; Carlo Masala, Experte für Militärisches; und Maria Aljochina, Ex-Pussy-Riot-Aktivistin aus Russland. Wer starke Nerven hat, kann sich die ganze Talkshow unter diesem Link anschauen.

Die Sendung ging gleich gut los: Wenn Lanz die von Wagenknecht vorgetragenen Zahlen zur (Un-)Sichtbarkeit des BSW bei ARD und ZDF seit der Bundestagswahl als „Kulturkampf“ abtun will, ist das schon dreist. Und anschließend widerlegt er auch noch etwas, das gar nicht behauptet wurde, wenn er sich hochmotiviert auf die Zeit vor der Bundestagswahl bezieht.

Und so geht das weiter bei den Themen Russland, Meinungsfreiheit, Krieg, BSW-Interna etc.: Ein aufgestachelter und parteiischer Moderator sowie Münstermann und Masala, die die üblichen Stichworte aus der Welt der Mainstream-Meinungsmache liefern. Manchmal hat die Einigkeit der Drei etwas unfreiwillig Komisches, etwa wenn zur Frage, ob es vor dem Ukrainekrieg dort NATO-Soldaten gegeben habe, Münstermann, Masala und der Moderator fast im Chor „nein!“ rufen.

Alle gegen Eine

Alle gegen Eine – das Prinzip ist ja schon bekannt aus vielen öffentlich-rechtlichen Talkshows. Eine Steigerung ist es noch, wenn eine Person mit einer emotional bewegenden Geschichte dazu geladen wird. Angesichts eines rührenden Einzelschicksals erscheint dann jede rationale politische Betrachtung plötzlich „eiskalt“.

Diese Rolle übernimmt in der Sendung die in russischen Gefängnissen schwer drangsalierte Ex-Pussy-Riot-Aktivistin Maria Aljochina mit Leidenschaft. Dabei teilt sie hart gegen Wagenknecht aus. Dafür vermischt Aljochina emotional (und unseriös) die Ebenen der geopolitischen Vorgeschichte des Ukrainekriegs einerseits und die ihrer individuellen schlimmen Erfahrungen mit dem russischen Justizsystem andererseits. Ganz so, als wolle man Defizite im russischen Justizsystem verteidigen, wenn man auf die NATO-Osterweiterung als ein Kriegsgrund hinweist. Die zwei Sachen haben aber nichts miteinander zu tun: Man kann sehr wohl innenpolitische Tendenzen in Russland kritisieren und gleichzeitig einen Krieg zwischen Deutschland und Russland verhindern wollen.

Die unterdrückten Tränen des Moderators

Was Aljochina in ihren Monologen so alles durcheinanderwirft, wird dann aber vom Moderator nochmals übertroffen – ab Minute 46:00 ringt Lanz in einer befremdlichen Szene anscheinend mit den Tränen, gibt Aljochinas kruder Mixtur weitgehend recht und schwelgt dann in inner-russischer Protestromantik. Damit hatte die Sendung dann vollends den Boden der Seriosität verlassen.

Durch Aljochinas Anwesenheit konnte zusätzlich jede Kritik an Problemen mit der deutschen Debattenkultur als (im Vergleich mit „russischen Zuständen“) übertrieben dargestellt werden. Manchmal soll ja in der Ukrainedebatte gar der indirekte Eindruck erweckt werden, dass es bei dem geopolitischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine darum gehen würde, „russische Zustände“ in Deutschland zu verhindern, was als grober Fall von mutmaßlich vorgetäuschter Naivität einzuordnen ist. Der Schluss daraus kann dann trotzdem die wirkungsvolle Propaganda-Behauptung sein, dass sich Gegner der deutschen Ukrainepolitik eben „russische“ innenpolitische Zustände in Deutschland herbeiwünschen würden.

Wer die irrationalen Reaktionen der deutschen Politik auf den Ukrainekrieg kritisiert, der verteidigt aber nicht die konkreten russischen Kriegshandlungen. Und der verteidigt auch nicht die Haft von Pussy Riot oder andere innenpolitische Vorgänge in Russland – es wirft ein schräges Licht auf die deutsche Debattenkultur, dass man solche Selbstverständlichkeiten überhaupt erwähnen muss. Die russischen Kriegshandlungen sollen übrigens auch in diesem Artikel nicht verteidigt werden.

Eine schwere Form der Heuchelei

Es ist eine grobe Ungleichbehandlung: Selbst harte Verteidiger der teils verbrecherischen US-Außenpolitik werden in der Regel in deutschen Talkshows nicht mit anwesenden Folteropfern aus Abu Graib konfrontiert, Verteidiger der deutschen Staatsräson zu Israel müssen ihre Positionen normalerweise nicht unter Anwesenheit von verletzten Kindern aus dem Gazastreifen verteidigen. Diese emotionale Ebene wird überwiegend genutzt, wenn in Talkshows Regierungskritiker öffentlich geschwächt werden sollen. Das ist eine schwere Form der Heuchelei: Entweder sollte diese Masche konsequent alle treffen – oder (noch viel besser): Man sollte in politischen Debatten ganz auf den Einsatz emotionaler Einzelschicksale verzichten, weil es eine sachliche Diskussion erheblich behindert. Mit dieser Aussage wird die Dramatik der jeweiligen Schicksale nicht verniedlicht, aber auch schlimmste individuelle Erlebnisse tragen meistens nicht zur Klärung geopolitischer Fragen bei.

Dazu kommt, dass Wagenknecht ja gar nicht die russische Innenpolitik und auch nicht den Krieg verteidigt, sondern einen historischen und geopolitischen Rahmen erwähnt sowie die Selbstverständlichkeit, dass die deutschen Reaktionen wirkungslos bis brandgefährlich sind: Es geht dabei nicht zuerst um die moralische Beurteilung der akuten Kriegshandlungen, sondern um die deutschen Reaktionen darauf – und um die Vorgeschichte: nämlich die Tatsache, dass der Krieg mit einer Russland einschließenden europäischen Sicherheitsordnung leicht zu verhindern gewesen wäre.

Diese „einfachen“ Aussagen müssen wegen ihrem offensichtlichen Wahrheitsgehalt immer wieder mit großem Aufwand diskreditiert werden, wie in der hier besprochenen Talkshow. Warum tut Wagenknecht sich das immer wieder an? Weil ihre wichtigen Inhalte sonst gar nicht in solchen Sendungen auftauchen würden.

Titelbild: Screenshot/ZDF


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