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Titel: „Wir werden Euch nicht helfen können” – Die betrügerische Militarisierung des Gesundheitssystems

Datum: 28. November 2025 um 15:00 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik
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Die Militarisierung des Gesundheitssystems schreitet voran – und sie ist abzulehnen: Unter anderem wird damit die Illusion erzeugt, die Folgen eines großen Krieges seien beherrschbar. Von Bernhard Trautvetter.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz beteiligt sich an der brandgefährlichen Militarisierung des Gesundheitssystems. Grundlage dafür ist das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz ZSKG von 1997. Demnach ist die Aufgabe des Zivilschutzes, „die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, […], Betriebe, Einrichtungen … sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu schützen“.

Dazu fand Mitte Oktober dieses Jahres ein Symposium unter dem Titel „Medizinische CBRN-Gefahrenabwehr als Teil der Gesamtverteidigung“ in Erfurt statt. CBRN bezieht sich auf Kriegswaffen: Chemische, biologische, radiologische oder nukleare Arsenale, deren Kriegseinsatz zusätzlich zu explosiven Sprengwaffen Schädigung und Tod bewirken können.

Generalarzt Dr. Bruno Most diskutierte mit sogenannten Experten der Bundeswehr und weiterer Behörden aus der Forschung, der Industrie und von Hilfsorganisationen über medizinische Konsequenzen dieser Waffen für Menschen als Opfer sowie für Ärzte und Krankenpflege-Experten. Sie gingen und gehen davon aus, dass Bevölkerungsschutz auch unter CBRN-Bedingungen möglich ist.

Nils Machinia (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) strich die Bedeutung des medizinischen CBRN-Schutzes für die Gesamtverteidigung heraus. Dr. Christian Herzog vom Robert Koch-Institut (RKI) ergänzte das Konzept mit medizinischer Hilfe angesichts biologischer Bedrohungen. Staatssekretär Andreas Bausewein und Prof. Dr. Simon Little, Vizepräsident der Johanniter-Unfall-Hilfe, forderten eine rechtliche Aufwertung ehrenamtlicher Helfer.

Diese unverantwortliche Verharmlosung soll Kriegsvorbereitung mit der Illusion verbinden, im nächsten großen Krieg in Europa gäbe es noch Möglichkeiten der Hilfe.

Oberst Klaus Glaab, Kommandeur des Landeskommandos Thüringen, erläuterte den Operationsplan. Worauf das hinausläuft, machte das Medium TAG24 am 24. August dieses Jahres deutlich:

Seit Wochen klappern hochrangige Militärs Städte und Kreise in ganz Deutschland ab, um sie auf einen Krieg mit Russland vorzubereiten. In diesem Fall wird Deutschland zur Drehscheibe für die NATO – und unsere Kommunen sollen Soldaten wie Panzer, Geflüchtete und Opfer versorgen.

Dr. Florian Gering (Bundesamt für Strahlenschutz) forderte die Sicherstellung einer psychologischen Betreuung in der Notfallmedizin und Oberst Stephan Saalow (Kommandeur ABC-Abwehrkommandos in der Bundeswehr) wies darauf hin, „dass die NATO gegenwärtig mehr Fähigkeiten fordere, als derzeit verfügbar“.

Dass es hier um Kriegsplanung geht, machen seine Hinweise deutlich, dass Gefechte unter ABC-Bedingungen möglich seien. Deshalb müsse die Aufgabenerfüllung prioritär in die Ausbildung und auch in die Ausrüstung eingeplant werden.

Prof. Dr. Dirk Steinritz brachte neue Erkenntnisse über biologische und chemische Kriegswaffen, darunter Nowitschok.

Generalarzt Dr. Bruno Most schloss das Symposium mit den Worten von Sönke Neitzel: „Mehr Scharnhorst wagen“ – damit meinte er einen Appell, im Sinne des Operationsplanes Deutschland mutig zu denken und danach zu handeln.

Es ist allerdings mehr als fraglich, ob die Gesundheits- und Sterberisiken, um die es in einem mit solchen Arsenalen ausgetragenen großen Krieg in Europa geht, überhaupt noch medizinisch behandelbar sind. Zumal auch das medizinische Personal selbst in der Gefahr ist, Kriegsopfer zu werden.

Bei massiver atomarer Verletzung gibt es keine ärztlichen Hilfen, geschweige denn Maßnahmen zur Gesundung oder wenigstens zur Linderung. Die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) lehnen deshalb Kriegsvorbereitung im Gesundheitswesen ab. Ärztliche Verantwortung könne hier nur die Prävention im Sinne der Kriegsverhütung sein: Das IPPNW-Gründungsmitglied Horst Eberhard Richter erklärte, dass schon der Begriff ‚Krieg‘ verharmlost, eher sei von Massenvernichtung und Völkermord zu sprechen.

In der Prävention des Verbrechens, das hier gemeint ist, hilft es, die Menschen insgesamt nicht als Glieder rivalisierender Systeme zu betrachten, sondern das Überleben der Menschheit zum obersten Grundsatz allen gesellschaftspolitischen Denkens und Handelns zu erheben. In der „Frankfurter Erklärung” formulierten 1982 die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs entsprechend:

Da ein Krieg in Europa nach überwiegender Experten-Meinung unter Benutzung der modernen Massenvernichtungswaffen geführt werden würde, muss er absolut unmöglich gemacht werden. Jede Vorbereitungsmaßnahme indessen, die von seiner Möglichkeit ausgeht, fördert indirekt die Bereitschaft, sich auf etwas einzustellen, was um jeden Preis verhindert werden muss. … Wir werden Euch nicht helfen können.

Passend dazu erklärten Bertrand Russel, Linus Pauling, Albert Einstein und andere Wissenschaftler 1955 im Russel-Einstein-Manifest:

Die Menschen stellen sich kaum vor, dass die Gefahr ihnen selbst, ihren Kindern und Großkindern und nicht bloß einer dunkel empfundenen Menschheit droht. Sie können es kaum begreifen, dass sie, jeder einzelne und all jene, die sie lieben, in der ungeheuren Gefahr schweben, auf qualvolle Weise umzukommen. Und so wiegen sie sich in der Hoffnung, dass es vielleicht doch zulässig sei, mit Kriegen fortzufahren, wenn die modernen Waffen verboten werden würden. Diese Hoffnung aber ist eine Illusion.“

Titelbild: cunaplus / shutterstock.com


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