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Titel: Und dann?

Datum: 5. Dezember 2025 um 11:30 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Hier macht sich ein Mann der jüngeren Generation Gedanken zu Wehrpflicht und Kriegsertüchtigung. Denn im Fall der „heraufbeschworenen“ Fälle – sprich Krieg – könnte wohl auch er gegen seinen Willen eingezogen werden. Da ist es nur konsequent, sich vor Augen zu halten, wie das genau aussieht: Musterung, Wehrdienst, Krieg. Und für wen eigentlich das Ganze „erkämpft“ werden soll. Von Nicolas Riedl.

Und dann? Was kommt danach? Danach, nachdem alle ab 18-Jährigen bei der Musterung waren? Nachdem man die ‚Human Resources‘ nach Kampfkraft-Kriterien ausgemustert oder für tauglich befunden hat? Dann … sind wir wohl in zwei bis drei Jahren kriegstüchtig.

Und dann? Was kommt danach? Eine aktuelle Plakat-Kampagne der Bundeswehr, die sich ausnimmt, als hätte Orwell sie persönlich verfasst, listet anlässlich des 70. Geburtstages der Bundeswehr 70 Gründe für selbige auf. Mehrere Male wird hier der wie auch immer geartete Frieden als Sales-Pitch für den Krieg verwendet. Man solle sich also schwer bewaffnet der größten Friedensbewegung – so die neuste Selbstbeschreibung der Bundeswehr – anschließen und … ja … und dann?

Was käme bei einem sogenannten Spannungsfall? Der vielleicht dann ausgerufen wird, wenn sich wieder eine Media-Markt-Drohne in das Umfeld eines Flughafens verirrt. Und dann? Dürfte man dann in der Öffentlichkeit noch Kritik an der Armee äußern? Oder fiele das schon unter Paragraf 89 Strafgesetzbuch? Kämpft dann die Bundeswehr immer noch dafür, dass ich gegen sie sein darf? So, wie es eines der 70 Plakate verspricht. Ich frage natürlich für einen Freund.

Nun angenommen, wir hätten dann diesen Spannungsfall und das ganze Land schaltet auf Krieg um … ja … und dann?

Kommt dann der Frieden? Irgendwann? Ist das dann die dunkelste Stunde, bevor es heller wird? Aber wann genau soll dann dieser Frieden kommen? Und vor allen Dingen – wie? Indem junge Männer … und auch Frauen … die jungen Männer und jungen Frauen einer anderen Nation erschießen, wegbomben und wegsnipen? Genauer gesagt, junge Russinnen und junge Russen. Mal angenommen, unsere uniformierten und bewaffneten Friedensbewegten täten dies. Mal angenommen, sie würden die Visionen Wirklichkeit werden lassen, Russland niederzuringen. Dann frage ich noch einmal: und dann?

Was kommt danach? Was käme danach? Ich spreche mal lieber im Konjunktiv. Hätten wir dann Frieden? Liegt der Schlüssel zum Frieden in einem zerbombten Russland? In einem Russland, in welchem zum wiederholten Male jede Familie mindestens einen Toten zu beklagen hätte? Mal angenommen, dies wäre das vollbrachte Werk der Bundesfriedensbewegung, ein niedergerungenes Russland, in welchem Putin entmachtet oder gar direkt getötet wurde – dann stellt sich wieder die Frage: und dann?

Leben wir dann in Frieden? Leben wir dann in guter Nachbarschaft mit diesem riesigen Land, welches um seinen teuflischen Anführer erleichtert wurde? Werden wir die Gewissheit haben, dass die Hinterbliebenen der getöteten Russen nicht nach Rache sinnen werden, dass sie keinen Hass auf Deutsche, auf den Westen allgemein haben werden? Werden wir die Gewissheit haben, dass sich in diesem Falle kein Machtvakuum in Russland bildet und das Land nicht in den chaotischen Zustand der 90er-Jahre zurückfällt?

Und dann? … Dann stelle ich mir die Frage, wie es dann vor unserer eigenen Haustüre aussehen würde. Hätten wir dann die Freiheit wieder, die es laut der Bundeswehr nicht zum Nulltarif gäbe? Und welche Freiheit genau? Die Freiheit, die wir alle zwischen 2020 und 2022 genießen durften? Als es einem nicht einmal gestattet war, allein auf einer Parkbank sitzend ein Buch zu lesen? Ist es diese Freiheit, die es zu verteidigen gilt? Dann bin ich ehrlich gesagt lieber ein echter Held – so ein echter Held, wie ihn die Bundesregierung 2020 skizziert hat: ein echter Held, der zu Hause bleibt. Auf dem Sofa. Von dort aus kann ich, nach dem erfolgten Krieg, aus dem Fenster sehen, wenn unsere Soldatinnen und Soldaten zurückkehren, unsere Friedensbewegten. Die Friedensbewegten, die nach ihrer Friedensbewegung, ihrer Friedensmarschbewegung nicht mehr ganz so beweglich sein dürften – ich meine … ohne Beine und so. Da ist das mit der Bewegung, der Beweglichkeit im Allgemeinen eher schwierig. Die Älteren kennen das noch – den Anblick von versehrten und verkrüppelten Menschen aus dem Krieg, die sich in den Straßen mit abgetrennten Gliedmaßen entlang bewegen. Wenn wir diesen Anblick wieder allgegenwärtig haben, dann können wir noch einmal darüber sprechen … über Hashtag Stadtbild. Vorausgesetzt natürlich, dass es dann noch so etwas wie eine Stadt gibt, denn – kurzer Reminder – Russland ist eine Atommacht. Und bräche ein Atomkrieg aus, dann … nun ja … dann gibt es kein „dann“ mehr, nach dem ich hier fragen könnte.

Aber selbst wenn keine einzige Atombombe ihren Hangar verlassen und der Krieg rein konventionell geführt werden würde … ja … und dann? Wie soll es dann einen Frieden geben, wenn die Generation Z körperlich und seelisch in einen Zustand versetzt wird, der dem der Kriegsgeneration ähnlich ist? Wie soll dann Frieden entstehen, wenn dieser Teufelskreis von vorne beginnt? Der Teufelskreis, an dessen Anfang kriegstraumatisierte Mütter und Väter stehen, die abermals für ihre Kinder emotional abwesend sind und ihnen gegenüber sogar gewalttätig werden? Die Generation der Baby-Boomer kann davon ein trauriges Lied singen, das Klatschen der Ohrfeige ist dabei die Snare Drum.

Welche Zukunftsvision schwebt also all jenen vor, die gerade so inbrünstig nach Kriegstüchtigkeit schreien?

Die Antwort auf diese Frage ist ganz schlicht. Diese Menschen haben keine Visionen, keine Antwort auf die Frage, die da lautet: und dann? Sie haben keine Ideen, keine Entwürfe, nicht einmal Skizzen für eine lebenswerte Welt. Es ist diese Kriegsbesoffenheit, die keinen Gedanken an den Morgen danach zulässt. Der Fokus zielt darauf, einen Geist aus der Flasche zu lassen, der sich schwerstmöglich und erst nach vielen Jahren wieder einfangen lässt.

All das, wofür Menschen ihr Leben riskieren sollen, ist eine einzige Farce. Vorgeblich ist es nämlich der Kampf für ein vermeintlich wohlhabendes und freies Land, in dem jedoch Brücken einstürzen, Rentner Pfandflaschen sammeln und Kritiker Bademäntel brauchen. 1999 sinnierte der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark in einem Interview mit der Washington Post: „Ich meine, was, wenn wir eines Tages feststellen, dass Amerika nur noch ein Land voller Imbissbuden ist? Was haben wir dann zu verteidigen?“ Dieser Gedanke lässt sich mittelfristig oder sogar schon heute auf Deutschland übertragen.

Die Verquickung zwischen Hochfinanz und politischen Ämtern ist so offenkundig wie noch nie und der Ausverkauf in vollem Gange. Wer sich vor diesem Hintergrund immer noch bemüßigt fühlt, das zu tun, was wirklich zählt – bitte schön! Man solle sich dabei nur über eine Sache im Klaren sein: Man kämpft hier nicht für die BRD, für die Bundesrepublik Deutschland. Nein. Man kämpft allenfalls für das BRD – für das Black Rock Deutschland.

Und dann?

Titelbild: Arnoldas Vitkus/shutterstock.com

Dieser Text ist zuerst erschienen auf Radio München.


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