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Titel: Knallfrösche und Wunderkerzen: Deutschland mit Böllerverbot, aber volles Rohr kriegstüchtig

Datum: 31. Dezember 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Viele Bürger wollen kein Feuerwerk mehr an Silvester. Sie machen Tier- und Umweltschutz geltend sowie Sorgen vor Unfällen und Gewalttätigkeiten. Das sind alles schöne Anliegen, die allerdings im Licht einer Welt unter Feuer und Regierender im Aufrüstungswahn ziemlich kleinteilig anmuten. Eine Ladung Zynismus zum Jahresausklang – und ein bisschen Hoffnung. Von Ralf Wurzbacher.

So besinnlich das Weihnachtsfest für gewöhnlich daherkommt, so roh, lärmend und nicht selten sinnfrei geht es an Silvester zu. Da knallt und ballert es, bis der Arzt kommt, manchmal auch der Bestatter. Bei den Feierlichkeiten vor einem Jahr bezahlten bundesweit fünf Menschen ihren Leichtsinn mit dem Leben. In der Regel passiert so etwas beim Zündeln mit illegalem Feuerwerk, im Volksmund Polen-Böller. Unsere Nachbarn im Osten halten nichts von Verkaufsbeschränkungen, dort geht das Krachzeug ganzjährig über den Ladentisch. Umso verblüffter titelte die BILD Anfang Januar: „Trotz Polen-Böller keine Böller-Toten in Polen“. Offenbar macht Übung wirklich den Meister, und dass sich Deutschland meisterlich auf den Tod versteht, wusste Paul Celan schon vor 80 Jahren.

Aber Zeiten ändern sich und mit ihnen die Bösewichte. In Hitlers Fußstapfen ist inzwischen Putin getreten, um demnächst ganz Europa zu unterjochen. Aber wann legt er damit los? Jedenfalls können Leute wie Boris Pistorius, Marie-Agnes Strack-Zimmermann oder Roderich Kiesewetter den Russlandfeldzug kaum erwarten. In zwei, vielleicht drei Jahren werde es so weit sein, wissen sie. Bis dahin muss Deutschland gerüstet sein, koste es, was es wolle, gerne auch eine Billion Euro. Aber was, wenn es der Kreml-Chef noch viel doller treibt und gleich zum Jahreswechsel zur Attacke bläst? Da macht es um Mitternacht Knall, Bumm, Bäng, keiner ahnt etwas Schlimmes, und prompt kommt der Russe um die Ecke und brüllt: Syurpriz, Überraschung! Dann wäre es das gewesen mit gutem Rutsch und Prosit Neujahr. Stattdessen hieße es für alle Ewigkeit „S Novim Godom“ beziehungsweise „С новым годом“, und zum Katerfrühstück gäb‘s Wodka.

Spenden für Rheinmetall

So betrachtet, könnte ein Böllerverbot für Deutschland, über das wie jedes Jahr auch dieses Jahr viel diskutiert wurde, durchaus Sinn ergeben. Bei Mucksmäuschenstille sind wir gefeiter gegen fiese Übergriffe hybrider Moskauer Machart, also resilienter und voll auf der Hut. Und wir könnten das Gesparte in noch mehr echtes Kriegswerkzeug investieren, zum Beispiel an Rheinmetall spenden, von wegen Bomben statt Böller und nicht länger nur Brot. Dazu kommen noch die vielen guten Argumente der Feuerwerksverächter: die Feinstaubbelastung, die Tierquälerei, der ganze Müll, nicht zuletzt das menschliche Leid durch die vielen Unfälle. Zumal auch hier ans Vaterland zu denken ist: Wer sich leichtfertig per Chinakracher auslöscht oder verstümmelt, fällt an der Front aus. Gerade jugendlichem Übermut sollten deshalb Grenzen gesetzt werden. Schließlich wird die Jugend noch gebraucht, als Kanonenfutter.

Schön ist, dass ausgerechnet die deutsche Polizei beim Böllerverbietenwollen mit bestem Beispiel vorangeht – zwecks Gefahrenabwehr eben, wie es ihre Mission ist. Im Internet hat ihre Gewerkschaft dafür die „größte Petition Deutschlands“ auf die Beine gestellt. 2,34 Millionen Unterstützer haben sich davor noch für kein öffentliches Anliegen einspannen lassen. Zum Beispiel schaffte es das „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nicht einmal auf die Hälfte. Müssen die auch gleich so große Brötchen backen? Man kann doch auch im Kleinen wirken, vor der eigenen Haustür sozusagen, wo vielleicht ja schon 2027 keine zerfetzten Knallfrösche mehr wegzukehren sind. Das wäre eine saubere Sache und machte den Dreck und das Leid im Rest der Welt gleich viel ansehnlicher.

Das ganze reale Schlachtfeld

Freilich geht es der Polizei auch um Selbstschutz, was vollstes Verständnis verdient. An Silvester geraten immer wieder und immer mehr Beamte in Uniform unter Beschuss durch irgendwelche Durchgeknallten, die die Wirklichkeit mit Videospielen der Sorte Battlefield, Counterstrike oder Call of Duty verwechseln. Die verkaufen sich bombig, gerade in kriegerischen Zeiten wie diesen, in denen sich Deutschland gegen die Despoten der Welt wappnen, bis an die Zähne bewaffnen und den Sozialstaat rupfen muss. Auch das alles Ehrensache und ein Gebot von Pflichterfüllung. Nur Kleingeister könnten versucht sein, hier Zusammenhänge zu konstruieren – etwa derart, dass die Politik die Verrohung der menschlichen Umgangsformen irgendwie vorleben würde. Wer das glaubt, kennt den Wertewesten aber schlecht beziehungsweise wird ihn noch kennenlernen.

Jedenfalls darf es nicht länger angehen, dass ein paar wenige beim Böllern mit Gewalttätigkeiten, Leichtsinn und Unvernunft aus der Reihe tanzen und dabei anderen ein schlechtes Vorbild sind. Ergo muss es allen verboten werden. So, wie in der Pandemie auch alle zu Hause eingesperrt, später geimpft und alle, die nicht mitmachen wollten, gesellschaftlich geächtet werden mussten. Und wenn wir schon mal dabei sind: Der Umgang mit Kindern in Deutschland ist auch schlecht, total verantwortungslos. Millionen leben in Armut, haben keine Bildungs- und Aufstiegschancen. Also verbieten wir doch einfach Kinder und Schulen und Universitäten. Dann kann sich auch kein Regierender mehr die Finger dabei verbrennen, eine irgendwie rationale, gerechte und menschliche Gesellschaft aufzubauen. Ohne Nachwuchs erledigt sich die Menschheit nämlich von selbst.

Spalten und Spaßverderben?

Zum Schluss ganz ohne Sarkasmus: Ein Böllerverbot ist ein nachvollziehbares Anliegen. Es gibt allerhand, was dafür spricht, aber andererseits wahrscheinlich immer noch eine Mehrheit in der Bevölkerung, die den Jahreswechsel gerne mit Feuerwerk feiert. Ihnen kurzerhand den Spaß zu verderben, dürfte den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter schwächen, die Spaltung noch vertiefen. Mehr Sinn ergibt Handeln auf lokaler Ebene. Hier lassen sich das Für und Wider eines Verbots bürgernäher verhandeln und leichter taugliche Kompromisse finden. Für eine Reihe an Kommunen wurden bereits entsprechende Vereinbarungen getroffen. Per Bundesgesetz von oben herab zu dekretieren, ist dagegen das falsche Mittel der Wahl.

Zu fragen ist auch nach der Verhältnismäßigkeit. Es gibt so viele Probleme, die aktuell wichtiger erscheinen, gerade mit Blick auf die allgemeine Weltlage und die Rolle Deutschlands, das sich wie besessen der Mission „Kriegstüchtigkeit“ verschworen hat. Mithin begründet genau das die große Anziehungskraft der Bewegung für ein bundesweites Böllerverbot. Die Menschen sehnen sich nach Frieden und sind das alljährliche „Kriegsgedonner“ zu Silvester leid. In diesem Sinn wäre ihr Engagement sogar ein Zeichen der Hoffnung, des immerhin inneren Widerstands gegen die Mobilmachung der Gesellschaft, aus dem vielleicht alsbald aktiver Widerstand erwächst. Man stelle sich vor: Keiner lässt sich vor den Karren der Kriegstreiber spannen. Und an Neujahr brennt nichts außer Wunderkerzen.

Titelbild: Svetushkanchik/shutterstock.com


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