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Titel: Die Euro-Krise, die EZB, die LINKE und das liebe Geld

Datum: 10. Oktober 2012 um 9:52 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, Euro und Eurokrise, Finanzpolitik
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Anmerkungen zu einem spannungsreichen Verhältnis
Lange waren die Fronten klar: hier die Linke mit einem fortschrittlichen, wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Profil und dort die Europäische Zentralbank als Ziehtochter der Deutschen Bundesbank und somit als die Hüterin der reinen monetaristischen Lehre von der Geldwertstabilität als höchstem Gut auf Erden. Dazwischen – zumeist nicht weit von der orthodoxen Position der Zentralbank entfernt – haben wir die Politik der deutschen Bundesregierung verortet. Diese Aufstellungsordnung von der guten Linken, der bösen Regierung und der ganz bösen Zentralbank ist inzwischen etwas durcheinander geraten, seit die Krise von allen Beteiligten konkrete politische Handlungen eingefordert hat. Von Axel Troost [1]

In der Linken und der LINKEN herrscht keineswegs Einigkeit darüber, wie weit sich die Aufstellung verändert hat und wie diese Veränderungen zu bewerten sind. Im Folgenden soll daher eine Lesart angeboten werden, die das Verhalten der EZB inzwischen für pragmatischer und lösungsorientierter hält als die unter der Dominanz der deutschen Bundesregierung handelnde europäische Regierungsebene. Zu beobachten ist eine Ent-Dogmatisierung der EZB bei gleichzeitig fortschreitender Verbohrtheit der europäischen und insbesondere deutschen Regierungspolitik. Da das Thema Geld von vielen (nicht nur) in der Linken stark mystifiziert und die Rolle der EZB dämonisiert wird, werden im Folgenden ein paar grundlegende Hintergründe zur Funktionsweise und den Folgen von Geldpolitik dargestellt.

Mysterium Geld und Geldpolitik

Den meisten Menschen fällt zur EZB das Bild vom „Anwerfen der Druckerpresse“ ein, mit der die Zentralbank zusätzliche Geldscheine druckt und diese in Umlauf bringt. Dieses Bild hinkt in vielerlei Hinsicht.

Gedrucktes Geld ist nur ein Teil des Zentralbankgeldes

Das physisch vorhandene, als Banknoten gedruckte oder als Münzen geprägte Geld ist nur ein Teil des Geldes, dass die Zentralbank schafft. Der größte Teil des Geldes, dass die Zentralbank zusätzlich „druckt“, wird als Kreditvergabe an die Banken („Geschäftsbanken“ im Gegensatz zur „Zentralbank“) geschaffen: Die Zentralbank bietet den Banken jede Woche aufs neue Kredite zum Leitzins von derzeit 0,75 Prozent an (sog. „Tender“), gleichzeitig laufen jede Woche frühere Kredite ab und müssen an die Zentralbank zurückgezahlt werden. Alle Geschäftsbanken führen ein Konto bei der Zentralbank.

Wenn eine Bank das Kreditangebot der Zentralbank annimmt, schreibt die Zentralbank einfach ein zusätzliches Guthaben auf dem Girokonto der Bank gut. Es wird also nicht physisch Bargeld geschaffen, sondern per Computer einfach ein Kontostand verändert. Durch das regelmäßige Auslaufen der Zentralbank-Kredite bleibt die Zentralbank- Geldmenge unter der Kontrolle der Zentralbank. Das in den Medien oft skizzierte Bild von der EZB, die „wieder Milliarden von Euro in den Markt pumpt“, unterschlägt daher regelmäßig, dass dieselben Milliarden Euro von allein nach Ablauf des Tenders wieder verschwinden.

Zentralbankgeld ist nur ein kleiner Teil der umlaufenden Geldmenge

Es gibt sehr unterschiedliche Definitionen, wie man die Menge des umlaufenden Gelds in einer Ökonomie überhaupt bestimmt. Das Bargeld, also die Menge von Geldscheinen und Münzen, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Eine der wichtigsten Definitionen ist die Geldmenge „M3“. Diese setzt sich unter anderem aus dem Zentralbankgeld bzw. Basisgeld (gedruckte Geldscheine und Münzen und Guthaben der Banken auf ihren Konten bei der Zentralbank), aus den tagtäglich verfügbaren Kundeneinlagen bei den Banken (also den Guthaben auf Giro- und Tagesgeldkonten), aus Spar- und Termineinlagen bis zu 2 Jahren Laufzeit und aus diversen Wertpapieren des Geldmarktes zusammen. M3 gibt – so die Einschätzung vieler Ökonomen und Zentralbanker – einen recht guten Hinweis darauf, wie viel Geld für die kurz- und mittelfristige Nachfrage nach Gebrauchsgütern mobilisiert werden könnte und wie weit daher die Preise dieser Güter steigen könnten (quasi als Frühwarnsystem für die Inflation von Güterpreisen). Ohne alle Details zu durchleuchten, fällt sofort auf, dass das Zentralbankgeld nur ein relativ kleiner Teil der für die Inflation relevanten Geldmenge M3 ist – in der Regel um die 10 Prozent. Durch die expansive Geldpolitik der EZB hat sich die Zentralbankgeldmenge in den Jahren seit Beginn der Finanzkrise Mitte 2007 von ca. 800 Mrd. Euro auf 1.750 Mrd. Euro Mitte 2012 mehr als verdoppelt. Die Geldmenge M3 ist im selben Fünf-Jahres-Zeitraum nur um ca. 20 Prozent und damit sogar langsamer als vor der Krise gestiegen (siehe Abbildung).

Geldmenge M3

Gelddrucken bedeutet nicht automatisch Inflation

Auch wenn es für den Alltagsverstand nur schwer nachvollziehbar ist: eine drastische Ausweitung der Zentralbankgeldmenge bleibt aus Sicht der Inflation solange ein Sturm im Wasserglas, wie die Banken nicht mit einer gesteigerten Kreditvergabe an Kunden außerhalb des Bankensektors beginnen. Beim derzeitigen Rezessions-Ausblick in der Euro-Zone sind die Banken genau dabei sehr zurückhaltend, weil sie Kreditausfälle fürchten und viele Unternehmen in der Krise kaum investieren wollen. Da kann der Zentralbankzins noch so niedrig und die Zentralbankgeldmenge noch so groß sein: Ohne einen positiven Konjunkturausblick und aussichtsreiche Investitionsperspektiven wird die Kreditvergabe an die Realwirtschaft kaum anspringen und daher sind Inflationsängste derzeit unbegründet. Das mag in wenigen Jahren – sollte die Krise überwunden werden – hoffentlich wieder anders aussehen, aber bis dahin hat die EZB genug Zeit, sich genügend Spielraum zur Straffung der Geldpolitik zu verschaffen. Die weitgehend unbegründeten Inflationsängste haben aber in mindestens einer Hinsicht eine ironische Inflations-Wirkung: Aus Angst vor Entwertung von Finanzanlagen schichten viele Vermögensbesitzer derzeit ihre Ersparnisse in vermeintlich sichere Anlagen um, insbesondere in Gold und „Betongold“, d.h. Immobilien. Da die Immobilienpreise in vielen deutschen Städten im Vergleich zum europäischen Ausland bislang relativ niedrig waren, fließt viel Geld aus dem In- und Ausland in deutsche Wohn- und Gewerbeimmobilien. In attraktiven Innenstadtlagen wie in Berlin hat dies bereits zu erheblichen Preissteigerungen für Wohnungen und Häuser geführt, was häufig über höhere Mieten auch unmittelbar auf die Lebenshaltungskosten durchschlägt.

Das Anleiheprogramm der EZB ist kein „Gelddruckprogramm“

Viele Zeitgenossen – auch in der LINKEN – haben sich sehr ablehnend gegenüber der Ankündigung der EZB vom 6. September geäußert, in Zukunft noch stärker als bisher Staatsanleihen europäischer Krisenländer anzukaufen. Von einem Vollpumpen der Banken mit frischem Geld durch die EZB war dabei oft die Rede, mit dem die Banken nun umso mehr spekulieren würden. Dies ist falsch oder mindestens extrem verkürzt.
Die EZB hat in ihrer Entscheidung zu den EZB-Anleihekäufen wörtlich angekündigt: „Die Liquidität, die im Rahmen des Anleihe-Ankaufprogramms geschaffen wird, wird vollständig sterilisiert.“ [2] Dieses Notenbanker-Kauderwelsch („sterilisieren“) bedeutet auf Deutsch: Wo die EZB zum Ankauf von Anleihen zusätzliches Geld schafft, nimmt sie dieselbe Menge Geld an anderer Stelle wieder aus dem Markt. Ein einfaches Beispiel: Wenn die EZB eine italienische oder spanische Staatsanleihe für 100 Euro ankauft, verkauft sie kurzerhand einfach eine deutsche, österreichische oder niederländische Anleihe im gleichen Wert. Ein andere Möglichkeit zum „sterilisieren“, die die EZB derzeit für ihr Wertpapier-Ankaufprogramm („Securities Markets Programm“ –SMP) verwendet, sind Festgelder. Jede Woche versteigert die EZB im Umfange ihrer SMP-Wertpapierankäufe zusätzliche Festgeld-Anlagemöglichkeiten an Banken. Das auf diese Festgeld-Konten bei der EZB von den Banken eingezahlte Geld steht als Liquidität nicht mehr zur Verfügung, ist „sterilisiert“.

Im Ergebnis ändern die Anleihe-Käufe an der umlaufenden Geldmenge gar nichts. Ein unkontrolliertes Vollpumpen von Banken mit frischem Geld lässt sich in dem Ankauf-Programm nicht erkennen. Viele Banken werden im Ergebnis wahrscheinlich italienische oder spanische Staatsanleihen an die EZB verkaufen und dafür deutsche Staatsanleihen kaufen oder bei der EZB ein Festgeldkonto eröffnen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Anleihe-Ankaufprogramm der EZB ist zu begrüßen, weil es ein aktiver Eingriff in einen falsch bzw. unregulierten Finanzmarkt ist und sich im öffentlichen Interesse für bezahlbare Zinsen für Euro-Krisenländer (siehe nächsten Absatz) und gegen die privaten Kapitalanleger und Spekulanten richtet – völlig unabhängig davon, ob die EZB dieses Ziel um den Preis einer Geldmengenausweitung verfolgt oder nicht. Die oben stehende Argumentation gegen das Anleiheprogramm verkennt daher nicht nur das sinnvolle Ziel dieser Operation, sondern bemühat dazu auch eine falsche Information.

Natürlich wäre es uns als LINKE noch viel lieber, die EZB würde den Euro-Staaten direkt Kredit gewähren und so die privaten Kapitalmärkte komplett ins Leere laufen lassen. Aber auch Käufe von Sekundärmarkt-Anleihen durch die EZB können helfen, weil dadurch die Preise für die Anleihen auf dem Sekundärmarkt steigen. Wenn der Preis von festverzinslichen Wertpapieren (hier: Staatsanleihen) steigt, fallen im Gegenzug ihre Umlaufrendite und damit die künftigen Refinanzierungskosten. Das funktioniert so (Beispielrechnung): Italien hat 2006 eine Staatsanleihe über 100 Euro für 4 Prozent, d.h. 4 Euro Zinszahlung pro Jahr, herausgegeben. Wer diese Anleihe heute weiterverkaufen will, bekommt auf dem Sekundärmarkt nur noch 66 Euro dafür. Derjenige, der diese Anleihe für 66 Euro kauft, erhält weiterhin die 4 Euro Zinsen pro Jahr – für ihn ergibt sich daraus also eine Rendite von 6 Prozent („Umlaufrendite“ gemessen am aktuellen Wert auf dem Sekundärmarkt). Wenn wir heute in der Zeitung lesen, dass italienische Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt eine Umlaufrendite von 6 Prozent haben, dann findet Italien auch für neue Anleihen nur dann Käufer, wenn es ebenfalls mindestens 6 Prozent Zinsen bietet. Der Sinn von Sekundärmarkt-Ankäufen der EZB besteht daher darin, den Preis von italienischen Staatsanleihen durch Steigerung der Nachfrage auf dem Sekundärmarkt hochzuhalten, damit Italien am Primärmarkt zu niedrigeren Zinsen neue Anleihen ausgeben kann.

Der Ökonom Peter Bofinger hat zuletzt vorgeschlagen, die EZB solle eine klare Ansage machen, dass sie Renditen spanischer oder italienischer Staatsanleihen von vier Prozent für akzeptabel hält und entsprechend durch Sekundärmarktkäufe diese Obergrenze durchsetzen will [3]. Dieser Vorschlag klingt vernünftig, auch wenn es natürlich noch viel sinnvoller wäre, wenn die EZB Italien direkt Staatsanleihe zu 0,75 oder 1 Prozent abkaufen würde. Da der EZB aber Primärmarktankäufe durch die Europäischen Verträge verboten sind, sind Sekundärmarktinterventionen eine, wenn auch bescheidene, dritt- oder viertbeste Lösung, die wir nicht verteufeln sollten. Bei aller Anerkennung der pragmatischen Politik der EZB, die sich damit in der Krise scharf vom Dogmatismus der Deutschen Bundesbank abgesetzt hat, darf natürlich der
Hinweis nicht fehlen, dass auch die EZB ihre Anleihekäufe an die Erfüllung der Spardiktate des Europäischen Stabilitätsmechanismus als Vorbedingung knüpft und dass sie als Teil der Troika zusammen mit der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds treibende Kraft einer unsozialen und krisenverschärfenden Wirtschaftspolitik in den Krisenländern ist. Entsprechend berechtigt ist die Befürchtung, dass diese Spardiktate der wirtschaftlichen Entwicklung der Krisenstaaten viel mehr schaden, als die Anleihekäufe nützen können. Aber: die Spardiktate greifen sowieso, dafür sorgen inzwischen zahlreiche sanktionsbewehrte Vereinbarungen auf EU-Ebene (u.a. Fiskalvertrag, Euro-Plus-Pakt), für welche nicht die EZB die Verantwortung trägt, sondern die europäischen Regierungen und Parlamente. Wenn der Druck der Finanzmärkte auf Italien und Spanien nicht nachlässt, müssen beide Länder früher oder später ohnehin beim ESM „Hilfen“ beantragen.

Die EZB-Entscheidung nimmt also nichts vom Schrecken der Merkelschen „Euro Rettungsstrategie“. Sie bietet aber ein wenig Balsam, um mit dem Schrecken etwas besser umgehen zu können. Allein die Ankündigung, dass die EZB notfalls unbegrenzt Anleihen aufkaufen wird, hat auf den Finanzmärkten Druck vom Kessel genommen. Demnach sollte nicht der EZB-Balsam in der Kritik stehen, sondern die Hauptverantwortliche für den ESM, Angela Merkel.

Es bleibt dabei: Für die Krise der Währungsunion und die Zockerei der Banken ist die Politik mit ihrer falsch verstandenen EU-Integration, ihrer mangelhaften Finanzmarktregulierung und ihrer falschen Verteilungspolitik verantwortlich – nicht die Geldpolitik der Zentralbank.

Kritik der Euro-Krise von links oder rechts?

Mit ihrer grundlegenden Kritik an den „Rettungsschirmen“ EFSF und ESM war DIE LINKE die einzige Fraktion im Bundestag, die sich geschlossen dem Krisenmanagement der europäischen Regierungen unter der Leitung der deutschen Bundesregierung entgegengestellt hat. Da DIE LINKE damit auch die deutschen Finanzbeiträge zum Krisenmanagement abgelehnt hat, erhielt die Fraktion eine ganze Menge ungewollten Beifall auch von rechts-konservativer und nationaler Seite.

Um von dieser Seite nicht vereinnahmt zu werden, muss die LINKE immer wieder klarmachen, dass ihr Nein zu EFSF und ESM kein grundsätzliches Nein zu Finanzhilfen für anderen europäische Staaten ist. Ganz im Gegenteil muss die LINKE deutlich machen, dass sie die Partei der Solidarität mit den unter der Krise besonders leidenden Bevölkerungsmehrheiten in Südeuropa ist.

Anleihen von Krisenländern bergen weniger Gefahren für die SteuerzahlerInnen als oft Behauptet

Es ist daher schade, dass auch von LINKER Seite gegen das Anleiheprogramm der EZB das Argument zu hören war, der Aufkauf berge unkalkulierbaren Risiken für die deutschen SteuerzahlerInnen, denn sie müssten entsprechend ihrem Kapitalanteil an der EZB mit 27 Prozent für mehr als ein Viertel sämtlicher Verluste aus diesen Anleihen aufkommen.

Natürlich beinhalten die von der EZB geplanten Anleihe-Käufe ein Ausfallrisiko. Es ist aber irreführend, wenn diese Papiere – auch von einzelnen Protagonisten der LINKEN – als „Giftmüll“ bzw. als quasi wertlos dargestellt werden. Italien und Spanien sind keine bankrotten Volkswirtschaften und mit einer umsichtigen und sozial ausgewogenen Rettungsstrategie – verbunden mit einer Abschirmung der Staatsfinanzierung von der Willkür der Märkte durch EZB-Kredite und Eurobonds – würden beide Länder ihre Schulden zurückzahlen können. Zwar wissen alle, dass derzeit keine vernünftige Rettungsstrategie angewandt wird, aber man kann einen Patienten mit einem Schnupfen auch nicht gleich für Tod erklären, nur weil man weiß, dass dessen unfähiger Arzt bislang die meisten seiner Schnupfen-Patienten zu Tode kuriert hat. Nicht die Patienten sind dann totkrank, sondern der Arzt ist ein Kurpfuscher.

Das Ausfallrisiko von italienischen und spanischen Anleihen hängt im Wesentlichen also davon ab, wie lange die beiden Länder durch die Troika, die deutsche Bundesregierung und ihre eigenen Regierungen weiter heruntergewirtschaftet werden. Man darf das zerstörerische Potential dieser Politik nicht verharmlosen. Sollte es aufgrund der Verschlimmerung durch die falsche Politik zu teilweisen Ausfällen auf Staatsanleihen kommen, die die EZB bis dahin erworben hat, so muss aber auch dies nicht automatisch und sofort zu einer Belastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler führen.

Denn die EZB hat erhebliche Reserven, so u.a. Goldreserven von 434 Mrd. Euro und Devisenreserven von über 230 Mrd. Euro. Ausfälle im niedrigen dreistelligen Milliardenbereich könnte die EZB daher aus eigenen Mitteln bewältigen. Sollte aber tatsächlich im weiteren Verlauf der Euro-Krise ein Ausfall Spaniens oder Italiens ins Haus stehen, dann sind die damit verbundenen Verluste für die EZB eines der geringeren Probleme der SteuerzahlerInnen. Ein solches Szenario ist nämlich nicht ohne den Zusammenbruch der Währungsunion, einen Serienbankrott vieler Großbanken und dramatische Produktionseinbrüche gerade der deutschen Exportindustrie zu denken. Die daraus folgenden Schäden wären unermesslich und in ganz Europa stünden zusätzlich viele Millionen von ArbeitnehmerInnen innerhalb kürzester Zeit ohne Job da.

Warum gegen die „Rettungsschirme“?

Es hat einen unschönen Beigeschmack, wenn sich linke Kritiker an der verfehlten Euro-Krisenpolitik für die vermeintlichen Interessen der „deutschen SteuerzahlerInnen“ stark machen. Erstens schwingt dabei der dumpfe Unterton mit, der „deutsche Steuerzahler“ sei wichtiger als die SteuerzahlerInnen in anderen Ländern. Zum zweiten gibt es „den deutschen Steuerzahler“ nicht. Der Begriff verschleiert den Umstand, dass in Deutschland die Durchschnittsverdiener relativ hohe Steuern zahlen, während viele sehr Wohlhabende zum Gemeinwesen nur mit wenig Steuern beitragen. Wenn wir als LINKE die europafeindliche Politik der Bundesregierung überzeugend anprangern wollen, dann dürfen wir uns nicht an die Seite der „deutschen SteuerzahlerInnen“ stellen, denn damit sind wir von der rechts-populistischen Argumentation der Gauweilers, Schäfflers und Dobrints kaum mehr unterscheidbar und tun nichts dagegen, dass die Bild-Zeitung („Pleite-Griechen“) ihre dumpfen Ressentiments weiter schüren und bedienen kann.

Damit ginge zwar öffentliches Vermögen verloren, aber dieses Vermögen war für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bislang leider von wenig Nutzen, da die EZB und die nationalen Zentralbanken sich bislang immer beharrlich geweigert haben, ihre Reserven in nutzbringender Weise für das Gemeinwesen einzusetzen. Wenn aus der LINKEN die Staatsanleihen der Krisenstaaten als wertloser Schrott bezeichnet werden, dann klatscht der rechts-nationale Stammtisch Beifall.

DIE LINKE hat die vermeintlichen „Rettungspakete“ bislang zwar stets abgelehnt, diese Ablehnung war aber nie damit begründet, wir würden für „die Griechen“ und die anderen Bevölkerungen in den betroffenen Krisenländern das entsprechende Geld nicht bereitstellen wollen.

Der gemeinsame Nenner, warum die LINKE im Bundestag die Rettungsschirme abgelehnt hat, ist vielmehr die Knüpfung der „Hilfskredite“ an die ökonomisch kontraproduktive und asoziale Sparprogramme. Einigkeit bestand auch darin, dass die Auflagenprogramme darüber hinaus anti-demokratisch sind, weil sie die demokratischen Institutionen der Krisenländer entmachten. Weniger Konsens bestand bei der Frage, wieweit wir die Entdemokratisierung im Inland, d.h. insbesondere eine Entmachtung des Bundestages, in den Vordergrund rücken sollten. Für die Klagen gegen ESM und Fiskalpakt in Karlsruhe waren das zwar wichtige, weil juristisch einschlägige Argumente. Nichtsdestotrotz muss das Gesamtbild stimmen: EFSF und ESM höhlen die Demokratie in Griechenland, Portugal und Italien um ein vielfaches stärker aus, als dies in Deutschland passiert. Denn: den Parlamenten der Krisenländer blieben als Alternativen nur, den Sparprogrammen und damit der haushaltspolitischen Selbstentmachtung zuzustimmen oder ihren Staat in die Insolvenz zu schicken. Anders in Deutschland: Die schwarz-gelbrot-grünen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat waren willig bereit, das deutsche Parlament durch die Ewigkeitsklauseln des Fiskalvertrags zu entmachten, denn diese Klauseln wurden auf Druck der deutschen, also „ihrer“ Bundesregierung überhaupt erst in den Fiskalvertrag aufgenommen.

Ein entschlossenes und ökonomisch kluges Krisenmanagement kann – verbunden mit einer Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten – die Krise stoppen und Europa eine positive, solidarische Perspektive geben. [4] Es ist unstrittig, dass eine solche Strategie unter der Vorherrschaft der derzeitigen deutschen Bundesregierung leider kaum zu erwarten ist und sich Deutschland damit an Europa versündigt. DIE LINKE macht keine Politik für „deutsche SteuerzahlerInnen“, sondern für die sozial ausgegrenzten und durch die Krise geschädigten Menschen in Europa, egal in welchem Land sie leben. Und die beste Strategie, diese Zielrichtung gerade auch in einem bevorstehenden Bundestagswahlkampf zu verfolgen, kann nur sein: was gut ist für die Erwerbslosen, Unterbeschäftigten und von Sozialtransfers Abhängigen in Deutschland, ist auch gut für die Mehrzahl der Menschen im Rest Europas, denn es stoppt den ruinösen Unterbietungswettlauf. Mit Verweis auf die rot-grüne Agenda 2010 erklärt die Bundesregierung dem Rest Europas, welche Hausaufgaben in Griechenland, Portugal und Spanien nun nachzuholen sind. Wenn es der politischen Linken in Deutschland aber gelänge, endlich anständige Löhne einzufordern und durchzusetzen, dann wäre dies die beste Voraussetzung dafür, dass auch die europäischen Partner ihr Lohnniveau halten können. In Deutschland gegen die Rente erst ab 67 zu kämpfen ist eine weitere wichtige Unterstützung, die wir unseren KollegInnen und FreundInnen in den europäischen Krisenstaaten anbieten können. Europa wird in den kommenden Jahren soviel neoliberale Agendapolitik erdulden müssen, wie es uns in Deutschland nicht gelingt, die Fehler der Agenda 2010 hierzulande rückgängig zu machen und den sozialen Wohlfahrtsstaat wieder herzustellen.

Resümee: Der Gegner sitzt in Berlin, nicht in Frankfurt

Auch wenn es aus linker Sicht ungewohnt klingt: Wir sollten aufhören, die Krisenpolitik der EZB anzugreifen, sondern vielmehr ihren Pragmatismus und Undogmatismus betonen. Genau damit gelingt die Abgrenzung von unserem eigentlichen Gegner, der Regierung Merkel: offensichtlich sehen selbst stock-konservative Zentralbanker der EZB in Frankfurt notgedrungen ein, dass mit der reinen Lehre der Neoklassik die Euro-Krise nicht zu überwinden ist. Wenn eine Bundesregierung dagegen verbrettert an dem Standpunkt festhält, Europa könne sich aus seiner Schuldenkrise heraus sparen, dann erinnert dies fatal an die historisch-traurige Figur des Sparkanzlers Heinrich Brüning in den 1930er Jahren.

Wenn auch die Ausmaße hoffentlich nicht vergleichbar sein werden: wie am Ende der Weimarer Republik so geht auch heute vom politischen Versagen einer deutschen Regierung eine große Gefahr für Europa aus. Die Kollateralschäden des deutschen Regierungsstarrsinns sind schon heute in vielen Teilen (v.a. Süd-)Europas zu besichtigen. Hoffen wir, dass diese Schäden irgendwann wieder gut zu machen sind.

Anmerkung JB: Ergänzend sei angemerkt, dass es keineswegs unumstritten ist, dass die Zentralbanken Buchverluste, die durch Abschreibungen auf Staatsanleihen in ihren Bilanzen entstehen könnten, auch als Verlust ausweisen müssen. Und selbst wenn Verluste ausgewiesen werden, muss sich die EZB diese Verluste nicht durch „den Steuerzahler“ ausgleichen lassen. Artikel 33 der EZB-Satzung [PDF – 260 KB] sieht eine Verlustübernahme explizit nicht vor. Dort heißt es in Absatz 2:

Falls die EZB einen Verlust erwirtschaftet, kann der Fehlbetrag aus dem allgemeinen Reservefonds der EZB und erforderlichenfalls nach einem entsprechenden Beschluss des EZB-Rates aus den monetären Einkünften des betreffenden Geschäftsjahres im Verhältnis und bis in Höhe der Beträge gezahlt werden, die nach Artikel 32.5 an die nationalen Zentralbanken verteilt werden.


[«1] Axel Troost ist finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE

[«2] „The liquidity created through Outright Monetary Transactions will be fully sterilised.“

[«3] Peter Bofinger: Das infernalische Dreieck, in: Blätter für deutsche und internationale Politik – Heft 10/2012.

[«4] Vgl. Rudolf Hickel und Axel Troost, Euro-Zone vor dem Ende? Rettung durch kurzfristig entschiedenes Handeln mit einer Vision für Europa


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