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Titel: Fluchtpunkt „Chancengerechtigkeit“ – Oder: Wie die INSM über die Einkommens- und Verteilungsungerechtigkeit hinwegzutäuschen versucht

Datum: 18. Februar 2013 um 9:37 Uhr
Rubrik: INSM, Manipulation des Monats, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) macht sich Sorge, dass sich in der von 70 Prozent der Deutschen empfundenen Gerechtigkeitslücke politischer Sprengstoff ansammeln könnte. Um den wachsenden Unmut über die zunehmende Einkommens- und Verteilungsungerechtigkeit umzulenken, hat die neoliberale Propagandaagentur beim demoskopischen Hoflieferanten der CDU, dem Institut für Demoskopie Allensbach eine Umfrage bestellt, die natürlich vorab in der Bild-Zeitung veröffentlicht wurde. Mit dieser Untersuchung wird die Behauptung begründet, dass die Deutschen gar nicht so sehr die manifeste soziale Ungleichheit bekümmert, sondern dass sie eher auf mehr „Chancengerechtigkeit“ in der Zukunft hoffen.
Diese Behauptung ist eine doppelte Manipulation: einmal durch die Studie selbst, dann aber vor allem durch deren Interpretation durch die INSM. Es ist ein kläglicher, aber leider wohl wirkungsvoller Versuch die politische Debatte im Wahljahr zu beeinflussen. Von Wolfgang Lieb.

Die allein im Jahr 2012 mit knapp 7 Millionen durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie finanzierte, sich selbst als „neoliberalbezeichnende [PDF – 292 KB] Propagandaagentur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ist besorgt, dass die öffentliche Diskussion im Wahljahr die von ihr vertretene Ideologie in Frage stellen könnte. Die unerwartete Wahlniederlage der CDU in Niedersachsen hat gezeigt, dass das Thema „soziale Gerechtigkeit“ für die Wählerinnen und Wähler auch im Bundestagswahlkampf eine größere Bedeutung hat, als bisher üblicherweise angenommen wurde, weil 60 Prozent der Bevölkerung inzwischen spüren, dass die von der Bundesregierung und den Mainstreammedien gerühmten wirtschaftlichen „Erfolge“ nicht bei ihr ankommen sind.

Dass eine immer größer werdende Mehrheit der Meinung ist, dass es in Deutschland nicht gerecht zugeht und dass zwei Drittel der Menschen dafür die (derzeitige) Politik verantwortlich machen, muss natürlich bei dieser Arbeitgeber-Lobbyorganisation höchsten Alarm auslösen. Könnten doch bei einer solchen Stimmungslage im Lande die von der INSM propagandistisch unterstützte herrschende Politik und die „Agenda-Reformen“ an Zustimmung verlieren.

Um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die aufkommende Kritik an den bestehenden Verhältnissen umzulenken, hat die INSM den demoskopischen Hoflieferanten der CDU, das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD), mit einer Umfrage beauftragt. Mit der Untersuchung sollte der Frage nachgegangen werden, welche Vorstellungen die Bevölkerung von einer sozial gerechten Gesellschaft hat. (Vgl. Was ist gerecht? IfD Allensbach)

Nun kommt selbst dieses konservativ ausgerichtete Umfrage-Institut nicht daran vorbei, dass 69 Prozent der Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt sind, dass Einkommen und Vermögen nicht gerecht verteilt sind. Sogar 77 Prozent sind bei den benachteiligten sozialen Schichten dieser Überzeugung und selbst in der Oberschicht sind noch 58 Prozent dieser Auffassung. (Umfrage S. 2) Über alle Schichten hinweg hält es eine deutliche Mehrheit (insgesamt 57 Prozent) für ein großes Problem, wenn der Unterschicht zwischen Arm und Reich immer größer wird (Schaubild 16).

Noch schlimmer für die Vorkämpfer des herrschenden politischen Kurses ist aber: Knapp zwei Drittel der Bevölkerung sind davon überzeugt, dass soziale Gerechtigkeit eher auf dem Rückzug ist und in den letzten drei, vier Jahren abgenommen hat. Lediglich ein verschwindender Bruchteil von 7 Prozent sieht eine positive Entwicklung (Umfrage S. 3).

Über diesen für die Verteidiger der Umverteilungspolitik von unten nach oben schockierenden Befund kann auch der (zur heute üblichen politischen Schönfärberei gehörende) relativierende Vergleich mit dem Ausland nicht hinweg täuschen. Auch diese Verteidigungsstrategie wird selbstverständlich in der Allensbach-Untersuchung getestet. Es wird danach gefragt, in welchen Ländern nach Meinung der Befragten es mehr oder weniger soziale Gerechtigkeit gebe (Umfrage S. 3f.). Doch aus der Tatsache, dass die Menschen meinen, dass es in China oder in den USA sozial ungerechter zugeht als bei uns, lässt sich halt noch lange keine Zufriedenheit oder gar Zustimmung zu den bei uns bestehenden Verhältnissen und schon gar nicht zur hier herrschenden Politik ableiten. Denn wiederum knapp zwei Drittel (65 Prozent) machen gerade die Politik der letzten Jahre für die zunehmende Ungerechtigkeit verantwortlich.

Wie kann man als Verteidiger der derzeitigen Politik diesem Dilemma entkommen?

Um über die von der weitüberwiegenden Mehrheit empfundenen Ungerechtigkeit bei Besitz und Verdienst (so die Ausgangsfrage nach der Gerechtigkeitslücke) hinwegzutäuschen bedient sich das Allensbach-Institut eines Kniffs: man führt einen „mehrdimensionalen Gerechtigkeitsbegriff“ ein, d.h. man spaltet die Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit in ein paar (mehr oder weniger beliebige) Beispiele auf.

Zwar halten 60 Prozent die bestehende Vermögensverteilung für ungerecht und 70 Prozent halten es für ungerecht, wenn Manager ein Vielfaches verdienen, was einfache Arbeiter verdienen, aber bei den vorgegebenen Antwortangeboten in der Umfrage, was denn „soziale Gerechtigkeit“ nach den Vorstellungen der Befragten bedeutet, taucht die gerechte oder faire Verteilung der Einkommen und Vermögen erst gar nicht auf (Siehe Schaubild 4).

Mit diesem umfragetechnischen Trick – man könnte auch von einer glatten Manipulation sprechen – hat man auf geradezu zauberhafte Weise die von einer großen Mehrheit empfundene manifeste Gerechtigkeitslücke bei den Einkommen und bei der Einkommens- und Vermögensverteilung einfach verschwinden lassen.

Da wird also auf die Frage, was soziale Gerechtigkeit ist, etwa das unsinnige Antwortangebot gemacht, dass sich Löhne „nur nach der gearbeiteten Zeit, nicht nach der Qualifikation oder beruflichen Stellung“ richten sollen. Kaum ein vernünftiger Mensch fordert aber eine Bezahlung ausschließlich nach der gearbeiteten Zeit. Die Forderung, dass wer mehr leistet, auch mehr verdienen soll, als derjenige der weniger leistet, bestreiten selbstverständlich auch nur Wenige. Als absurdestes Beispiel für soziale Gerechtigkeit wird dann auch noch die Antwort angeboten, dass Vermögen „ohne Erbschaftssteuer an die Nachkommen weitergegeben werden können“. (Das war ja wohl eher eine Testfrage für eine politische Kampagne für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer.)

Über dieses Ablenkungsmanöver von der Verteilungsfrage hinaus, baute das Umfrage-Institut noch ein weiteres Schlupfloch im Fragebogen ein. Man spaltete den Gerechtigkeitsbegriff auf und fragte nach einer Rangfolge verschiedener Facetten von Gerechtigkeit. (Schaubild 8)

Vorrang vor der Verteilungsgerechtigkeit (21 Prozent) habe die „Chancengerechtigkeit“ (57 Prozent). Damit werden die eindeutigen Meinungen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf Besitz und Verdienst nicht gerecht sind und die Kritik vor allem an der „in den letzten drei, vier Jahren“ abnehmenden sozialen Gerechtigkeit beiseitegeschoben.

„Chancen entscheidender Faktor für Gerechtigkeit“ macht die INSM zur Hauptbotschaft. Hinter der „Chancengerechtigkeit“ „treten Aspekte wie die Verteilung von Einkommen und Vermögen in den Hintergrund“ verkündet der Geschäftsführer der INSM, Hubertus Pellengahr, als wichtigstes Ergebnis der Untersuchung.

Damit stellt die INSM die – ohnehin aus konservativem Erkenntnisinteresse angelegte – Umfrage auf den Kopf. Dem Allensbach-Institut muss man nämlich fairerweise anerkennen, dass es zu einer ganz anderen Interpretation seiner Ergebnisse gelangte.

Schon im Inhaltsverzeichnis heißt es:

„Kritik vor allem an der Verteilungsgerechtigkeit, aber auch an der Chancen- und Generationengerechtigkeit“. Und im Text der Auswertung heißt es weiter: Die große Mehrheit ist seit Jahren überzeugt, dass die sozialen Unterschiede kontinuierlich wachsen und ein ungesundes Maß erreicht haben. Für die Zukunft geht die überwältigende Mehrheit davon aus, dass die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten größer werden und befürchtet auch, dass ein Teil der Bevölkerung zurückbleibt und wirtschaftlich und sozial nicht mehr mithalten kann. Entsprechend wird die Spreizung der Einkommens- und Vermögensverteilung von der großen Mehrheit als ungerecht empfunden. 70 Prozent empfinden es beispielsweise als ungerecht, wenn Manager ein Vielfaches von dem verdienen, was einfache Arbeiter an Entlohnung erhalten. An der derzeitigen Vermögensverteilung nehmen 60 Prozent Anstoß.“

(Umfrage S. 8) Und 56 Prozent halten es für besonders wichtig, dass Einkommen und Vermögen in Deutschland möglichst gerecht verteilt sein sollten (Schaubild 9).

Dass die INSM die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen beim Verständnis von sozialer Gerechtigkeit als nachrangiges Problem abtun will, hat Methode. „Chancengerechtigkeit“ das ist eines der wichtigsten Tarnwörter der Neoliberalen. Dieser Begriff mit seiner sympathischen Anmutung für jedermann, verbirgt nämlich mehr, als dass er aufklärt.

Zum Ersten lenkt dieser Begriff von den bestehenden Verhältnissen ab und verweist in die Zukunft, nämlich vor allem auf (formal) gleiche Bildungschancen. Die Konservativen haben erkannt, dass Bildung den Fluchtweg aus allen gegenwärtigen Problemen bietet. Bildung wird als „Königsweg“ aus der Spaltung der Gesellschaft in oben und unten, aus der Arbeitslosigkeit, aus prekärer Beschäftigung, aus Altersarmut und schon gar aus der bestehenden Gerechtigkeitslücke angepriesen. Das erklärt auch warum sich gerade auch die INSM in letzter Zeit das Bildungsthema auf ihre Fahnen geschrieben hat. (Deshalb ist – nebenbei bemerkt – Bildung auch für die Bertelsmann Stiftung zum wichtigsten Thema geworden.) Mit der Forderung nach mehr Chancengerechtigkeit im Bereich der Bildung versuchen konservative Kreise ihre Fortschrittlichkeit vorzutäuschen. Wer hätte schon etwas gegen Vorrang für die Bildung?

Doch Bildung ist ein langandauernder Prozess von der Kindertagesstätte, über die Schule, bis zur Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, ja bis hin zur beruflichen Weiterbildung. Und weil die Früchte von Bildung vom Einzelnen, wie von der Gesellschaft erst nach vielen Jahren geerntet werden können, sind bildungspolitische Appelle zumal vom konservativen Lager oftmals nur politische Ablenkungsmanöver von wirtschafts- und sozialpolitischem Versagen gegenüber den Problemen der Gegenwart und von einer gescheiterten „Reform“-Politik.

Zum Zweiten ist „Chancengerechtigkeit“ etwas völlig anderes als die Schaffung der (tatsächlichen) Voraussetzungen für mehr „Chancengleichheit“. Wenn Konservative Begriffe wie „Chancengerechtigkeit“ oder „gleiche Zugangschancen“ im Munde führen, dann handelt es sich um nichts anderes als die bildungspolitische unterfütterte Variante der neoliberalen Parole „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Denn wenn jeder (formal) gleiche Chancen auf Bildung und Qualifikation hat, dann ist eben ein ausbleibender beruflicher oder sozialer Aufstieg oder auch Arbeitslosigkeit und Armut den „eigenen Fähigkeiten und Leistungen“ (so Pellengahr in seinem Pressestatement) zuzurechnen, dann reichen eben seine „Talente und Fähigkeiten nicht dazu aus…, um am Arbeitsmarkt ein ausreichend hohes Einkommen zu erzielen“ (Pellengahr a.a.O. und INSM- Position Gerechtigkeit).
„Chancengerechtigkeit“ heißt also nicht mehr und nicht weniger als die Verteidigung bestehender gesellschaftlicher Rollen und Verteilungsverhältnisse.

Gerade umgekehrt wird aber ein Schuh draus: Wenn nichts dagegen unternommen wird, dass der Fahrstuhl für eine immer größere Zahl von Menschen nach unten geht, führt das nur dazu, dass auch die Gleichheit der Bildungschancen weiter abnimmt, weil je größer die soziale Ungleichheit, desto größer der Aufwand für die Herstellung gleicher Bildungschancen (Friedhelm Hengsbach).

Um über dieses Ursache-Wirkungsverhältnis zwischen Verteilungsungerechtigkeit und Chancenungleichheit beim Bildungsaufstieg hinwegzutäuschen, ist es für Konservative wie den Sprecher der INSM so wichtig, zu behaupten, dass „Chancengerechtigkeit“ Vorrang vor der Verteilungsgerechtigkeit genieße.

Wenn aber – wie die Umfrage ergibt – 90 Prozent es für „sozial gerecht“ halten, dass „alle Kinder…die gleichen Chancen auf eine gute Schulbildung“ haben sollen, so kommt damit doch gerade zum Ausdruck, dass aus Sicht der Befragten diese gleichen Chancen eben nicht bestehen bzw. mehr Chancengleichheit gefordert wird. Bei den Facharbeitern sind 58 Prozent davon überzeugt, dass es um die Aufstiegschancen eines Arbeiterkindes nicht gut steht. (Schaubild 10)

Und mit dieser Meinung treffen sie auch den vielfach empirisch bestätigten Sachverhalt, dass in kaum einem anderen vergleichbaren Land die Bildungschancen der Kinder so sehr vom Geldbeutel ihrer Eltern abhängen wie bei uns.

P.S.: Einzelne Befunde

Im Übrigen finden sich in der Allensbach-Umfrage viele Ergebnisse, die so gar nicht ins politische Konzept der INSM passen und deswegen entweder verschwiegen oder uminterpretiert werden.

Für die Chefin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, ist die Meinung, dass es in Deutschland sozial nicht gerecht zugehe, eher herbeigeredet als real begründet. Als Grund für dieses Meinungsbild sieht sie die „intensive Diskussion über Themen wie Armut in der Gesellschaft.“

Bei den „politischen Prioritäten“ liegen etwa die Rentensicherung, die Reduzierung der Arbeitslosigkeit oder die Sicherung bezahlbarer Energie mit 70 bis 80 Prozent in der Wichtigkeit deutlich vor der „Chancengerechtigkeit“.

Im oben erwähnten Antwortkatalog, auf die Frage, was sozial gerecht ist, erfährt mit 91 Prozent die höchste Zustimmung, dass man von dem Lohn für seine Arbeit auch leben kann. Man hätte also auch die Überschrift wählen können: Nahezu alle Deutsche sind für einen auskömmlichen Mindestlohn. Aber das hätte ja nicht zum Kampf der Arbeitgeber-Lobby gegen einen flächendeckenden Mindestlohn gepasst, für den sich 72 Prozent aussprechen (Schaubild 21).

Dafür betont die INSM umso mehr das „Lohnabstandsgebot“ zwischen den Sozialleistungen für Arbeitslose und dem Einkommen von Erwerbstätigen. Verständlicherweise sind 76 Prozent der Meinung, dass Arbeitslose deutlich weniger bekommen sollten als Erwerbstätige. Diese Aussage lässt sich aber angesichts des höchsten Zustimmungswertes für einen auskömmlichen Lohn nicht gegen die staatliche Unterstützung Arbeitsloser wenden, sondern eher umgekehrt als Votum für einen Lohn interpretieren, der deutlich über den Sozialleistungen liegt.

75 Prozent der Bevölkerung nehmen Anstoß, wenn Unternehmen Gewinne machen und
gleichzeitig Mitarbeiter entlassen. Auch befristete Arbeitsverträge widersprechen
dem Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit (57 Prozent).

Interessant auch, dass über die Hälfte der Meinung ist, dass der Staat durch Steuern dafür sorgen müsse, dass die Einkommensunterschiede nicht größer werden. Deshalb halten wohl auch – wie an anderer Stelle gefragt (Schaubild 5) – 73 Prozent progressive Steuersätze für gerecht und mehrheitlich (58 Prozent) sprechen sich die Befragten dafür aus, dass die Steuern, die vom Verdienst/Vermögen abhängen erhöht werden, statt dass die Mehrwertsteuer angehoben wird. 73 Prozent meinen, dass das gegenwärtige Steuersystem die sozialen Unterschiede vergrößert. Man könnte, ohne interpretatorische Klimmzüge, dieses Meinungsbild auch als ein politisches Votum für die (Wieder-)Einführung einer Vermögenssteuer oder einer Erhöhung der Spitzensteuer betrachten. Immerhin hält die Hälfte der Befragten das Steuersystem für Ungerecht und ist für eine Erhöhung dieser Steuern. 52 Prozent halten eine stärkere Besteuerung von Unternehmensgewinnen für eine wichtige Maßnahme, jeder Zweite auch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Doch die INSM sieht in diesen Befunden eine Absage an „rückwärtsgewandte Steuerdiskussionen oder populistische Umverteilungsforderungen“ (Pellengahr, Pressemitteilung).

76 Prozent sind dafür Steuerschlupflöcher abzuschaffen.

54 Prozent sind für eine Abschaffung der Studiengebühren und 56 Prozent sind dafür, dass Kinder schon im Vorschulalter besser gefördert werden sollen. Und eine ganz große Mehrheit von 71 Prozent ist für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Nur 21 Prozent halten das Betreuungsgeld für eine Maßnahme, die die Familiengerechtigkeit verbessert.

Nur 6 Prozent der Bevölkerung und 3 Prozent der Unter-30-Jährigen votieren dafür, im
Interesse der Generationengerechtigkeit das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Und nur 4 Prozent sprechen sich dafür aus, den jetzigen Rentnern weniger Rente zu bezahlen (Schaubild 23).

Geradezu entsetzt hat den Sprecher der INSM offenbar das Umfrageergebnis, wonach 58 Prozent die Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt „weniger gut“ und weitere 10 Prozent sogar als „gar nicht gut“ einschätzen. Über ein Drittel (36 Prozent) der Befragten meint darüber hinaus, dass die Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt abgenommen habe (Schaubild 11).

Voller Entsetzen meint Pellengahr bei der Vorstellung der Untersuchung dazu:

„Die Bewertung ist bemerkenswert, berücksichtigt man, dass sich die Beschäftigungschancen vieler durch die stabile deutsche Konjunktur verbessert haben. Mehr Menschen denn je gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Wir sind der Überzeugung, dass die Agenda-Reformen fair und gerecht sind. Ihnen verdanken wir zu einem wesentlichen Teil unsere derzeitige Stabilität – ohne die all die soziale Leistungen gar nicht finanzierbar wären“.

Mit diesem Urteil belegt Pellengahr dankenswerterweise ganz offen die Ideologie seiner Propaganda-Agentur.

Auch die Allensbach-Forscherin gibt an dieser Stelle ihr politisches Bekenntnis preis:

„Die Bewertung der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ist bemerkenswert, berücksichtigt man, dass sich die Beschäftigungschancen vieler durch die stabile deutsche Konjunktur der letzten Jahre signifikant verbessert haben. Die öffentliche Diskussion war jedoch in den letzten Jahren in hohem Maße von Themen wie Zeitarbeit, Mindestlöhnen, Geringverdienern und der Debatte über Minijobs geprägt, wodurch sich in der Bevölkerung der Eindruck verfestigt hat, dass auf dem Arbeitsmarkt vieles im Argen liegt, obwohl dort große Erfolge erzielt wurden.“

Frau Kröcher hat wohl in ihrem Institut am schönen Bodensee offenbar nicht viel über die Realität der Ausweitung prekärer Beschäftigung mitbekommen. Wohlgemerkt, diese Aussage findet sich in einer angeblich wissenschaftlichen Untersuchung.

Über die Meinung von 43 Prozent, dass Marktwirtschaft zu „weniger sozialer Gerechtigkeit“ führt, redet die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am liebsten erst gar nicht.


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