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Titel: Unternehmen Universität – Wie die manageriale Revolution die akademische Forschung und Lehre verändert

Datum: 19. März 2013 um 9:26 Uhr
Rubrik: Chancengerechtigkeit, Hochschulen und Wissenschaft, Markt und Staat
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Die unternehmerische Universität entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst. Dieser grundlegende institutionelle Wandel bedroht die innere akademische Freiheit und unterwirft Bildung und Wissenstransfer äußeren Zwecken. Er bedeutet eine zunehmende Engführung der Wissensevolution und die Schrumpfung des aus dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt resultierenden Erneuerungspotentials der Gesellschaft. Die Gleichschaltung aller Funktionsbereiche der Gesellschaft im Zuge der globalen Hegemonie des Marktparadigmas und der Umwandlung von Organisationen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben in Unternehmen ist ein Beweis dafür, wie weit die Verarmung des Wissens in den Gesellschaftswissenschaften schon fortgeschritten ist.
Von Richard Münch[*]

Die Selbststeuerung der Forschung und Lehre durch die wissenschaftliche Gemeinschaft, deren disziplinäre Spezifizierung in der Treuhänderschaft der Fachgesellschaften und die akademische Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in der Universität bilden die institutionelle Grundlage für die funktionale Ausdifferenzierung der Wissenschaft in der Moderne. Diese funktionale Ausdifferenzierung der Wissenschaft hat einerseits das ungehinderte Vorantreiben des Erkenntnisfortschritts und andererseits die produktive Umsetzung von unverfälschtem wissenschaftlichem Wissen in der Gesellschaft ermöglicht. Es ist daran zu sehen, dass die funktionale Ausdifferenzierung der Wissenschaft und ihre Leistungsverflechtung mit der Gesellschaft auf höchst singulären institutionellen Bedingungen beruht, die sich keineswegs von selbst in einem evolutionären Prozess herausbilden. Sie sind in einem historischen Vorgang entstanden und können ebenso in einem historischen Prozess wieder verschwinden und einem anderen institutionellen Arrangement Platz machen.[1]

Wissenschaft als ökonomischer Prozess
Es gibt deutliche Zeichen dafür, dass sich in der Gegenwart ein historischer Wandel der Wissenschaft vollzieht. Im Zentrum dieses Prozesses steht die Ablösung der Treuhänderschaft der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der Fachgesellschaften für den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und dessen Verbreitung in der Gesellschaft durch einen Markt, auf dem unternehmerisch geführte Universitäten miteinander um Wettbewerbsvorteile in der Attraktion von Forschungsgeldern, Wissenschaftlern und Studierenden konkurrieren.[2] Dieser Wettbewerb ist so angelegt, dass es Sieger und Besiegte geben muss. Darin unterscheidet sich der neue Wettbewerb zwischen unternehmerisch geführten Universitäten grundsätzlich vom Wettbewerb der Forscher um Anerkennung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Die Forscher verstehen ihre Beiträge zur Forschung als Erwiderung des Geschenks der Mitgliedschaft in dieser mit höchster Ehre ausgestatteten Gemeinschaft. Sie forschen in kollektiver Anstrengung zwecks Erzeugung von neuem wissenschaftlichem Wissen als einem Kollektivgut.[3] In diesem Wettbewerb der Forscher um Anerkennung gibt es keine Gewinner und keine Verlierer, weil jeder Erkenntnisfortschritt und die damit verbundene Ehre letztlich der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft zugutekommt, an der jeder einzelne Forscher einen Anteil hat. Auch der am wenigsten erfolgreiche Forscher bekommt etwas von dem aus vielen Einzelleistungen zusammengesetzten Glanz einer ganzen Disziplin ab. Natürlich gibt es unterhalb dieser Illusio der wissenschaftlichen Praxis immer schon auch den Kampf um Prestige.[4] Er wurde jedoch von einer vitalen wissenschaftlichen Gemeinschaft in denjenigen Grenzen gehalten, die für eine kollegiale Zusammenarbeit noch zuträglich waren. Dieser Kollegialität setzt die unternehmerische Universität ein Ende.

Was bedeutet es aber, wenn die Wissenschaft in einen Markt umgestaltet wird, auf dem Universitäten um Markanteile konkurrieren? Das Neue ist zunächst, dass die Universität einen Akteursstatus erhält, den sie zuvor nicht hatte, und dass dieser Akteursstatus in Analogie zu Wirtschaftsunternehmen interpretiert wird.[5] Das Unternehmen Universität muss demgemäß mit analogen Mitteln des strategischen und operativen Managements geführt werden. Zu diesem Zweck muss die Universitätsleitung das Heft in die Hand bekommen und nach strategischen Entscheidungen Ressourcen in erfolgversprechende Forschungs- und Lehrfelder investieren sowie aus weniger erfolgversprechenden Feldern abziehen. Was den strategischen Zielen im Wege steht, muss abgestoßen werden. In operativer Hinsicht muss sich die universitäre Unternehmensführung von den Fesseln der akademischen Selbstverwaltung befreien und sich einen Durchgriff in alle Abteilungen hinein verschaffen. Über die Einstellung eines Mitarbeiters an einem Lehrstuhl entscheidet deshalb nicht mehr der Lehrstuhlinhaber, sondern die Universitätsleitung. Der in eigener Verantwortung handelnde Professor wird zum Angestellten des Universitätsunternehmens degradiert. In diesem anscheinend unbedeutenden Schritt zeigt sich die ganze Tragweite der sich vollziehenden Machtverschiebung. Sie impliziert, dass nun ein Universitätsmanagement weit ab vom realen Geschehen von Forschung und Lehre das Heft in die Hand nimmt, nach global verbreiteten Rationalitätsmodellen über das strategische Geschäft entscheidet und die Operationen kontrolliert. Der Professor muss sich nun sagen lassen, was zu tun ist, um zu punkten. Sein eigenes Wissen ist nur noch Rohmaterial, das es per Rückmeldung in das „moderne“ Wissensmanagement einzuspeisen gilt.

Per Gesetz wird den Universitäten eine Kosten- und Leistungsrechnung verordnet. Der ganze Betrieb wird einem von oben gesteuerten und überwachten „Prozess-Management“ unterworfen, bei dem das Endprodukt – der Student und der Wissensverwerter als zufriedener Kunde – vorgibt, was von der Universitätsleitung, über die Verwaltung bis zum einzelnen Lehrer/Forscher getan werden muss, um ans Ziel zu gelangen. Von dieser managerialen Umgestaltung der Wissenschaft verspricht man sich messbare Effizienzgewinne, das heißt mehr und tiefgreifendere wissenschaftliche Durchbrüche sowie reflektiertere und erfolgreichere Absolventen in kürzerer Zeit. Es wird auf diese Weise ein klassisches professionelles Tätigkeitsfeld einer externen Kontrolle unterworfen, das ein Höchstmaß an grundsätzlich nicht messbarer, auf Abweichung von Standards zielender und nicht voraussagbarer Kreativität verlangt und von einem kaum zu übertreffenden Maß an intrinsischer Motivation mit einem Arbeitseinsatz von gut 60 bis 80 Stunden in der Woche geprägt ist.

Um diese Transformation der akademischen Lehre und Forschung zu vollenden, muss ein wachsender Kontrollapparat mit neuen Verwaltungsstellen aufgebaut werden, der die Forscher und Lehrer mit laufender Berichterstattung über ihr Tun in Atem hält und für Forschung und Lehre keine Zeit lässt. Es wächst der Verwaltungsapparat und es schrumpfen Forschung und Lehre. Die versprochenen Effizienzgewinne können deshalb nicht als eine tragfähige soziologische Erklärung dafür dienen, dass sich die manageriale Umgestaltung von Forschung und Lehre so unaufhaltsam ausbreitet, wie es in der Gegenwart zu beobachten ist. Vielmehr bietet sich eine neoinstitutionalistische Erklärung an.[6] Nachdem die Protagonisten von New Public Management mit weltweitem Erfolg zuerst einmal erzählt haben, wie ineffizient öffentliche Einrichtungen arbeiten und die Erfahrung aus der Praxis dieser Einrichtungen nicht mehr zählt, herrscht totale Unsicherheit, die dadurch bewältigt wird, dass man den Propheten der Effizienzsteigerung und damit der Herde folgt. Wenn das alles auch noch so viel kostet und mehr Effizienzverluste als –gewinne bringt, ist man in der Herde gut aufgehoben.

Aufwändige Verfahren des Qualitätsmanagements müssen jetzt die „Qualität“ von Forschung und Lehre sichern.[7] Die Verwaltung ist nicht länger Diener der Professoren, sondern operatives Kontrollorgan der Universitätsleitung. Sie betreibt nicht mehr „altmodische“ Kameralistik und bürokratische Aktenführung nach Sachgebieten, sondern „modernstes“ Prozessmanagement, gleichwohl in der Übergangszeit noch mit altgedientem Personal, das mit seiner neuen Rolle noch nicht richtig zurechtkommt, in der Regel schlicht überfordert ist. Weil die Umstellung von Bürokratie auf Prozessmanagement zunächst noch als Fassadenbau betrieben wird, gibt es für das wissenschaftliche Personal noch eine Atempause. Richtig treffen wird das neue Universitätsmanagement erst die nächste Generation von Wissenschaftlern.

Jetzt schon sichtbar wird aber die zunehmende Aufblähung der Management- und Kontrollakte. Dazu kommt noch, dass alte Verwaltungstätigkeiten wie die Führung von Prüfungsakten und die Buchführung über eingenommene und ausgegebene Drittmittel und neue Aufgaben der Administration – wie die Dokumentation von Forschungs- und Lehrtätigkeit zwecks Kontrolle durch das Universitätsmanagement – den Lehrstühlen aufgebürdet werden. Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Sekretariate müssen einen zunehmenden Teil ihres Zeitbudgets für diese „fortschrittliche“ Art der Administration verwenden. Für Forschung und Lehre selbst bleibt immer weniger Zeit. Im Interesse der strategischen Positionierung ihrer Universitätsunternehmen müssen sie außerdem einen wachsenden Aufwand der Initiierung, Beantragung, Koordination, Dokumentation, Vor-, Begleit- und Nachevaluation von Forschungsverbünden betreiben und selbst regelmäßig als Gutachter an der Evaluation anderer Forschungsverbünde teilnehmen.[8] Damit kann ein Professor mit Mitarbeitern Woche für Woche, Jahr für Jahr sein gesamtes Zeitbudget aufbrauchen. Umso mehr Mitarbeiter werden deshalb benötigt, damit überhaupt noch geforscht, publiziert und gelehrt werden kann. Typischerweise will das neueste Programm der Forschungsförderung, die selbst diese totale Fesselung von Forschung und Lehre verursacht hat, einzelnen glücklichen Forschern eine Auszeit gewähren, z.B. an einem der neu geschaffenen Centres for Advanced Studies der neuen „Exzellenz-Universitäten“. Oder sie dürfen sich in ein neu geschaffenes geisteswissenschaftliches Forschungszentrum zurückziehen. Gleichzeitig wird zur Kompensation dieses neuen akademischen Luxus eine wachsende Schar von habilitierten Ersatzlehrkräften benötigt. Man forciert auf diese Weise die Trennung von Forschung und Lehre und entzieht der Wissenschaft eine wesentliche Ressource ihrer ständigen Erneuerung. Die Geisteswissenschaften verlieren die Bodenhaftung in der akademischen Lehre und verirren sich in Höhen, zu denen die Studierenden keinen Zugang mehr finden. Letztere wandern deshalb gleich in die praxisorientierten Studiengänge ab. Die Geisteswissenschaften machen sich so für das normale Studium überflüssig.[9]

Akkumulation von Kapital

Im strengen Sinn muss es unternehmerischen Universitäten in erster Linie um die Akkumulation von Kapital gehen. Sie investieren in Bildung und Forschung, um daraus Renditen zu erzielen, die wiederum in Bildung und Forschung fließen können.[10] Erfolgreiche Unternehmen, wie die amerikanischen Privatuniversitäten, sind in der Lage, größere Teile ihres Kapitals in anderen Geschäften z.B. in Finanzgeschäften, anzulegen, die höhere Renditen versprechen. Dass damit auch größere Risiken einhergehen, mussten sie im Gefolge der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 erfahren. Sie haben schwere Verluste hinnehmen müssen. Das Geschäft mit der Bildung und Forschung trägt sich nicht direkt durch Studiengebühren und Patenteinkünfte, sondern indirekt durch die Steigerung des Prestigewertes der Universität als Marke, der Staat, Stiftungen, Privatunternehmen und individuelle Sponsoren veranlasst, Geld zu geben. Dazu gehören umfangreiche Fundraising-Aktionen, um den Kapitalstock zu erhöhen. Es gilt, materielles Kapital (Geld) und symbolisches Kapital (Prestige) in einem zirkulären Prozess zu akkumulieren.[11] Neu mit einem Globalhaushalt in die Autonomie entlassene universitäre Unternehmen verstehen das ihnen zur Verfügung stehende Budget nicht mehr kameralistisch als einen Betrag, den man bis Jahresende zu verausgaben hat, um im folgenden Jahr vom Wissenschaftsministerium erneut mit einem Budget ausgestattet zu werden. Das Budget ist nun ihr Kapital bzw. ihr Kapitalstock, den es strategisch zum Zweck der Vermehrung des Kapitals zu investieren gilt. Unternehmerisch geführte Universitäten müssen deshalb in erster Linie an Tätigkeiten interessiert sein, die Geld einbringen, und zwar mehr als vorher verausgabt wurde. Die ständige Erhöhung des verfügbaren Kapitals muss Ziel jeder einzelnen Entscheidung sein. Um das zu erreichen, wirbt man um Sponsoren, die damit geehrt werden, dass die gestifteten Einrichtungen – Professuren, Bibliotheken, Gebäude, Forschungszentren – ihren Namen tragen. Man bemüht sich um reputierte Forscher, die Drittmittel einwerben oder den Namen der Universität durch viel beachtete Publikationen in die Öffentlichkeit tragen, und man sucht Studierende, die selbst schon viel kulturelles Kapital mitbringen, um als erfolgreiche Absolventen die Universität in den höheren Rängen von Wissenschaft, Wirtschaft, Medien, Politik und Verwaltung zu repräsentieren.[12] All das ist nur für solche Universitäten möglich, die schon über die nötige kritische Masse an materiellem (Geld, attraktive Lage) und symbolischem (Tradition, Reputation) Kapital verfügen. Wer das nicht hat, kann an diesem Wettbewerb überhaupt nicht teilnehmen.

Wird ein Studiengang als ein auf einem Markt zu veräußerndes Produkt begriffen und werden Studierende nicht mehr als Teil einer akademischen Gemeinschaft betrachtet, in der sie in ihrer Rolle eine Mitverantwortung an der Gestaltung des Studiums tragen, sondern als Kunden, die es zu bedienen gilt, dann müssen Studiengänge durch Programme angereichert werden, die weit über die rein akademisch Lehre hinausgehen, z.B. durch ein umfangreiches Angebot an Sprach-, Kommunikations- und Trainingskursen zur Selbstvermarktung und durch einen attraktiven Service der Jobvermittlung an renommierte Arbeitgeber. All das verlangt Investitionen in Begleitprogramme, die der akademischen Lehre selbst entzogen werden müssen, wenn das Unternehmen nicht in Geld schwimmt.[13] Die Erhöhung der Attraktivität von Studiengängen geht deshalb unter Bedingungen der Finanzknappheit – das heißt im mittleren und unteren Preissegment – mit der Senkung ihrer wissenschaftlichen Qualität einher. Der Wettbewerb um Studierende ist demnach ein Überbietungswettbewerb, der das Studieren immer teurer macht. Das ist ganz nahe liegend, wenn Universitäten in Unternehmen umgewandelt werden. Unternehmen wollen Geld verdienen und erreichen das in der Regel dadurch, dass sie mit hohem Marketingaufwand die Bereitschaft von Ministerien, Sponsoren und Studierenden erzeugen, Geld in das Produkt zu investieren, weil sie sich davon selbst materielle (bessere Verdienstchancen) oder symbolische (höhere Reputation) Gewinne versprechen.

Daran ist zu erkennen, dass sich auf dem universitären Bildungsmarkt – wie in den USA zu beobachten – eine Stratifikation in ein Premiumsegment der teuren Elitebildung, eine kostengünstigere standardisierte Ausbildung für die Mittelschichten und eine billige Notbildung für die neue Unterschicht herausbildet. Dabei wird der Markt für das Premiumsegment in den USA von den privaten Universitätsunternehmen mit exorbitant hohen Studiengebühren und nur noch wenigen konkurrenzfähigen staatlichen Universitäten beherrscht, während sich die große Mehrheit der Staatsuniversitäten mit ihren lokalen Dependancen das Geschäft mit der regionalen Mittelklasse teilt und die Communnity Colleges die unterste Bildungsschicht versorgen.

Auf diesem Bildungsmarkt entscheidet das verfügbare materielle und symbolische Kapital darüber, in welchem Segment eine Universität tätig ist. Von einem offenen Wettbewerb kann hier nicht wirklich die Rede sein. Lediglich die Privatuniversitäten und einige wenige staatliche Universitäten einzelner Bundesstaaten liefern sich einen harten Überbietungswettbewerb durch luxuriöse Studienbedingungen und den Prestigewert ihrer Abschlüsse. Die lokalen Campuse der State Universities haben lange Zeit in der Regel als einzige Anbieter den regionalen Markt in ihrer unmittelbaren Umgebung, die Community Colleges einen lokalen Markt bedient. Dabei ergibt sich eine starke Ähnlichkeit des Angebots im jeweiligen Segment. Profilbildung durch Spezialisierung findet infolge der segmentären und regionalen Aufteilung der Klientel nur sehr begrenzt statt. Von einer Differenzierung durch Wettbewerb kann deshalb nicht gesprochen werden. Die tatsächliche Differenzierung bedeutet vielmehr eine segmentäre, regionale und lokale Beschränkung des Wettbewerbs.

Seit den 1980er Jahren haben sich im mittleren Segment private Anbieter von berufsqualifizierenden Abschlüssen deutlich vermehrt, die Bildung explizit als ein Geschäft zwecks Erzielung von Renditen für beide Seiten – Anbieter wie Abnehmer – betreiben.[14] Die Staatsuniversitäten sehen sich zum Mithalten gezwungen. Infolgedessen sind die eher allgemeinbildenden Programme der Humanities im Sinne eines Liberal Arts College und mit ihnen die Professoren der Humanities in den Staatsuniversitäten vom Aussterben bedroht, wie eine aktuelle Studie feststellt. Sie überleben nur noch unter dem Schutzschild der mit
besonderem Prestige versehenen Bachelorabschlüsse der reicheren Spitzenuniversitäten, das heißt als Statusgut, aber nicht als Bildung für gute Staatsbürger.[15]

Profilbildung soll aber auch durch die Konzentration auf besonders starke – in der Regel schon besser ausgestatte – Fächer geschehen. Zu diesem Zweck soll das Universitätsmanagement schwach „aufgestellte“ Fächer schließen und schon starke Fächer bzw. Teilgebiete in diesen Fächern ausbauen, vor allem, wenn damit eine „Alleinstellung“ erreicht wird. Dabei ist „internationale Sichtbarkeit“ zum Maß der Dinge geworden. Das lässt sich nur mit Fächern erreichen, die schon weitgehend internationalisiert sind, so dass Fachkulturen und ihre Verwurzelung in nationalen Traditionen gar keine Rolle mehr spielen. Im Sog von Sonderforschungsbereichen und Exzellenzclustern erfolgt dann ein Maß der Konzentration von Forschungsgebieten auf wenige Standorte, das den Wettbewerb ganz gegen die Begleitrhetorik gerade nicht befördert, sondern beseitigt. An den dominanten Standorten wird mit sinkendem Grenznutzen immer mehr Forschungskapital angehäuft, während der Rest der Standorte an Unterinvestition leidet und im Kampf um Sichtbarkeit untergeht.[16] In den wenig internationalisierten Disziplinen – wie den Geisteswissenschaften – hat diese Strategie noch nicht einmal den Effekt, international einflussreicher zu werden. Für das Studienangebot bedeutet diese Profilbildungsstrategie ein Überangebot des Gleichen und einen Mangel an Vielfalt am Studienort. Als Unternehmen können Universitäten gar nicht mehr Universitäten im ursprünglichen Wortsinn bleiben, vielmehr mutieren sie zu Spezialhochschulen mit eingeschränktem Lehrangebot und Forschungsprofil. Nur die reichsten Universitäten sind kapitalkräftig genug, um im symbolischen Kampf um Sichtbarkeit noch ein breiteres Spektrum an Studiengängen und Forschungsprogrammen finanzieren zu können.

Gewiss benötigt ein Fach oder ein Fachgebiet die jeweilige kritische Masse, um in Forschung und Lehre mithalten zu können. Bei welcher Ausstattung dieser Punkt erreicht ist, jenseits dessen jede weitere Investition mit einem sinkenden Grenznutzen verbunden ist, ergibt sich keineswegs von selbst aus dem Profilierungswettbewerb zwischen den Universitäten. Vielmehr tendiert dieser Wettbewerb unreguliert zur Konzentration von Forschungsmitteln auf wenige Zentren, gegebenenfalls nur auf ein Zentrum, weil sich der Wettbewerb als Überbietungswettbewerb vollzieht, der nicht auf Effizienz, sondern auf Effektivität im Aufbau symbolischer Macht in einem Feld zielt. Es obsiegt nicht die effizientere, sondern die durch Größe und reichhaltigeres Kapital sichtbarere Institution. Es entwickelt sich eine Art von akademischem Kannibalismus, der vom alten Modell der Forschung und Lehre als Gabe für die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft weit entfernt ist. Die reicheren Universitäten werben den ärmeren die besten Forscher ab. Wer nicht reich ist, kann in dieser Ordnung des Kannibalismus nur durch extreme Spezialisierung auf ganz wenige Fächer überleben.

Verlust der akademischen Freiheit, externe Instrumentalisierung der Wissenschaft

Wie man sieht, ist das ein ganz anderer Wettbewerb, der zwischen universitären Unternehmen ausgetragen wird, als es dem Wettbewerb der Forscher und Lehrer um Anerkennung durch die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft entsprechen würde. Die Forscher und Lehrer sind nicht mehr selbständige Akteure in diesem Wettbewerb, sondern Humankapital, das von einem starken Universitätsmanagement investiert wird, um Rendite zu erzielen. Über das, was geforscht und gelehrt wird, muss deshalb das Universitätsmanagement entscheiden. Das kann nicht mehr den Forschern und Lehrern allein überlassen bleiben, schon gar nicht der korporativen Selbstverwaltung der Universität durch die Professoren. Die Folge davon ist, dass Studiengänge nicht nach ihrer von Fachgesellschaften treuhänderisch bestimmten sachlichen Notwendigkeit, sondern nach Marktgängigkeit angeboten und deshalb von wissenschaftlichem Ballast befreit und um allerlei Begleitprogramme angereichert werden. Forschung findet in Forschungsverbünden statt, die das Potential zur Akkumulation von umfangreichen Drittmitteln haben. Das hat zur Folge, dass trotz Profilbildungsrhetorik je nach öffentlichem Interesse vielerorts versucht wird, gleichartige Zentren aufzubauen, die für öffentliche und private Drittmittelgeber attraktiv erscheinen. Unter dem OECD-Regime der Mobilisierung von Bildung als Humankapital für zukünftiges Wirtschaftswachstum ist z.B. die Bildungsforschung zu einem solchen Renner geworden.[17] Auf der Suche nach Kapitalgebern verfallen deshalb gleich alle Universitäten auf die Strategie, ihre alte Erziehungswissenschaft in empirische Bildungsforschung umzuwandeln. Es gibt dann von anderen Teilgebieten des Faches zu wenig und von einem Teilgebiet zu viel. Wenn man das Angebot an Studiengängen ganz dem strategischen Management überlässt und keine Fachgesellschaft darüber wacht, kann offensichtlich die Vielfalt des Angebots leicht dem Einheitsbrei modischer Strömungen weichen.

Der Höhepunkt dieser Ökonomisierung der Wissenschaft findet sich in der strategischen Verwertung von Forschungsergebnissen für Patente, deren Erlöse von den Universitäten zur Kapitalbildung genutzt werden. Das Tor zu dieser lukrativen Welt eines akademischen Kapitalismus hat in den USA 1980 der Bayh-Dole-Act geöffnet. Seitdem können Universitäten Patente verwerten, die aus Forschung resultieren, zu der vom Bund Zuschüsse beigesteuert wurden. Anschließend ist die Zahl der von Universitäten angemeldeten Patente sprunghaft angestiegen.[18] Der deutsche Gesetzgeber hat gut ein Vierteljahrhundert später nachgezogen und verspricht sich ein ähnlich florierendes Geschäft für die Universitäten. Das Neue daran ist die tendenzielle Umwandlung von wissenschaftlichem Wissen als Kollektivgut in ein privates Gut, dessen Erträge von dem universitären Unternehmen, an dem es generiert wurde, exklusiv verwertet werden. Die Forscher müssen deshalb dem Verwertungsinteresse der Universität den Vortritt vor der Erstveröffentlichung ihrer Ergebnisse überlassen. Sie selbst werden nur marginal an den Erträgen beteiligt. Vor allem werden sie vom Status des Mitglieds der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf den Status eines Unternehmensmitarbeiters reduziert, der/die das Unternehmensinteresse über das Wohl der wissenschaftlichen Gemeinschaft stellen muss.

Hier sieht man den entscheidenden Punkt des sich vollziehenden Wandels. Die wissenschaftliche Gemeinschaft und ihre Fachgesellschaften und die akademische Gemeinschaft werden entmachtet. An ihre Stelle tritt das universitäre Unternehmen, das wissenschaftliches Wissen und akademische Bildung allein unter dem Gesichtspunkt betrachtet, welche Kapitalerträge sich damit erwirtschaften lassen, einschließlich der Attrahierung von Sponsorengeldern, was durchaus auch geisteswissenschaftlichen Zentren zugutekommen kann. Die Voraussetzung dafür sind Sponsoren, die daran ein ausdrückliches Interesse haben. Davon kann am ehesten die Pflege klassischer Disziplinen wie Archäologie, Früh- und Kunstgeschichte profitieren. Die generelle Folge aber ist die Einschränkung der akademischen Freiheit im Interesse der unternehmerischen Kapitalakkumulation im Innenverhältnis der Wissenschaft und die Instrumentalisierung für externe Zwecke im Außenverhältnis. Die Universität verliert die innere Freiheit und die äußere Balance, die Talcott Parsons und Gerald M. Platt als eine Errungenschaft der amerikanischen Universität im 20. Jahrhundert beschrieben haben.[19] Die Forscher im inneren Kern sind nicht mehr Herr des Verfahrens, sondern verwertbares Humankapital. Die Professoren und Studierenden sind nicht mehr Teil einer akademischen Gemeinschaft, die autonom bestimmt, was es zu wissen gilt. Die einen werden zu Verkäufern, die anderen zu Käufern eines Bildungszertifikats, über dessen Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr der Sachwert, sondern der Prestigewert entscheidet. Die akademische Bildung in der Hand der akademischen Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden weicht einem segmentär, regional und lokal differenzierten Bildungsmarkt.

Der Transfer des wissenschaftlichen Wissens in die Praxis verliert die Anbindung an die Grundlagenforschung, verselbständigt sich und gerät unter das Diktat der externen Verwertungsinteressen. Die Protagonisten dieses Wandels beschwichtigen Kritiker mit dem Hinweis, dass heute gar nicht mehr eindeutig zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung unterschieden werden könne, vielmehr beides in eins falle. Die Wissenschaftsforschung beschreibt diese Entwicklung als anscheinend zwangsläufigen Prozess hin zum „mode 2“ der Wissensproduktion.

Auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit macht sich eine Instrumentalisierung der Wissenschaft für externe Zwecke bemerkbar.[20] Auf der Suche nach Kapital und Leistungspunkten reißen Wissenschaftler in der politischen Beratung die Trennzäune zwischen Wissenschaft und Politik ein, indem sie im Interesse des politischen Erfolgs die Augen vor nichtintendierten Folgen ihrer Vorschläge schließen. Zu beobachten ist das z.B., wenn Ökonomen in Regierungskommissionen bei der Frage der Rentenreform nicht mehr nur beraten, sondern gezielt eine Strategie wie z.B. die hoch riskante Privatisierung der Altersvorsorge durchzusetzen versuchen und in der Öffentlichkeit dafür werben. Die dadurch erfolgende Korrumpierung des wissenschaftlichen Wissens findet ihren Höhepunkt darin, dass dieselben Ökonomen Gutachten für die profitierenden Versicherungskonzerne verfassen und gegen Bezahlung Vorträge vor deren Mitarbeitern halten. Auf derselben Linie liegt der Wechsel eines Wissenschaftlers in die Vorstandsränge eines Finanzdienstleisters, nachdem er als Leiter einer Regierungskommission eine Rentenreform eingeleitet hat, von dem Finanzdienstleister erheblich profitieren, weil nun viele Millionen verunsicherte Bürger Beratung benötigen, wie sie ihr Geld in einer privaten Rentenversicherung anlegen sollen. Auch das ist „mode 2“ der Wissensproduktion.

Fazit

Die unternehmerische Universität entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst. Dieser grundlegende institutionelle Wandel bedroht die innere akademische Freiheit und unterwirft Bildung und Wissenstransfer äußeren Zwecken. Er bedeutet eine zunehmende Engführung der Wissensevolution und die Schrumpfung des aus dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt resultierenden Erneuerungspotentials der Gesellschaft. Die Gleichschaltung aller Funktionsbereiche der Gesellschaft im Zuge der globalen Hegemonie des Marktparadigmas und der Umwandlung von Organisationen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben in Unternehmen ist ein Beweis dafür, wie weit die Verarmung des Wissens in den Gesellschaftswissenschaften schon fortgeschritten ist.


[«*] Richard Münch, Professor für Soziologie an der Universität Bamberg, hat uns diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.
Er ist erstmals erschienen in: Aus Politik und Zeitgeschichte 45/209, 2. November 2009, S. 10-16.
Siehe auch Kapitel 2 des Buches „Akademischer Kapitalismus – Über die politische Ökonomie der Hochschulreform“, 2011, edition suhrkamp 2633,
ISBN: 978-3-518-12633-2
459 Seiten, 18,00 Euro

[«1] Vgl. J. Ben-David, The Scientist’s Role in Society, Englewood Cliffs, N.J. 1971; R. Münch, Die Struktur der Moderne, Frankfurt a.M.: 1984/1992, S. 200-260; N. Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1991; R. Stichweh, Der frühmoderne Staat und die europäische Universität, Frankfurt a.M. 1991.

[«2] Vgl. B. Clark, Creating Entrepreneurial Universities. Organizational Pathways of Transformation, Oxford und New York 1998.

[«3] Vgl. M. Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1968; R.K. Merton, The Normative Structure of Science, in: R.K. Merton, The Sociology of Science, Chicago 1973, S. 267-278.

[«4] Vgl. P. Bourdieu, Homo academicus, Frankfurt a.M. 1992.

[«5] Vgl. F. Meier, Die Universität als Akteur, Wiesbaden 2009.

[«6] Vgl. J.W. Meyer und B. Rowan, Institutionalized Organizations. Formal Structure as Myth and Ceremony, in: American Journal of Sociology 83 (2), 1977, S. 55-77.

[«7] Vgl. M. Power, The Audit Society, Oxford 1997.

[«8] Vgl. K.P. Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, München, Zürich 2008, S. 88-103.

[«9] Vgl. F. Donoghue, The Last Professors. The Corporate University and the Fate of the Humanities, New York 2008.

[«10] Vgl. D. Bok, Universities in the Marketplace: The Commercialization of Higher Education. Princeton, N.J. 2003.

[«11] Vgl. R. Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co., Frankfurt a.M. 2009, S. 148-164.

[«12] Vgl. J. Karabel, The Chosen. The Hidden History of Admission and Exclusion at Harvard, Yale, and Princeton. Boston 2005.

[«13] Vgl. W.N. Espeland und M. Sauder, Rankings and Reactivity. How Public Measures Recreate Social Worlds, in: American Journal of Sociology 113(1), S. 1-40.

[«14] Vgl. G.A. Berg, Lessons from the Edge: For-Profit and Nontraditional Higher Education in America. Westport, CT 2005.

[«15] Vgl. F. Donoghue, The Last Professors.

[«16] Vgl. R. Münch, Die akademische Elite, Frankfurt a.M., S. 205-296.

[«17] Vgl. G.S. Becker, Human Capital, Chicago 1993.

[«18] Vgl. S. Slaughter und G. Leslie, Academic Capitalism: Politics, Policies and the Entrepreneurial University, Baltimore und London 1997; S. Slaughter und G. Rhoades, Academic Capitalism and the New Economy. Markets, State, and Higher Education, Baltimore und London 2004; J. Washburn, University Inc. The Corporate Corruption of Higher Education, New York 2005.

[«19] Vgl. T. Parsons und G.M. Platt, Die amerikanische Universität, Frankfurt a.M. 1990.

[«20] Vgl. P. Weingart, Die Stunde der Wahrheit. Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft, Weilerswist 2001.


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