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Titel: Der Bauer als Energielieferant – Eine intensivere Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist nur dann zu befürworten, wenn strenge umweltpolitische Auflagen die Nachhaltigkeit des Anbaus von Energiepflanzen sicherstellen.

Datum: 19. September 2006 um 12:45 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, Ressourcen, Wertedebatte
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In den letzten Jahren wird von Bauernverbänden und der EU z.B. der Anbau von Getreide zur Energieerzeugung vorangetrieben. Energiepflanzen sollen zu einer größeren Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen beitragen. Europäische Landwirte stehen einer solchen neuen Energiepolitik offen gegenüber, weil ihnen – über die herkömmliche Agrarproduktion hinaus – neue, Gewinn bringende Erwerbsmöglichkeiten eröffnet werden.
Durch den großflächigen Anbau von Energiepflanzen auf konventionelle Weise entstehen jedoch Schäden an Boden und Umwelt, die unter ökologischen Gesichtspunkten nicht vertretbar sind, weil das Prinzip der Nachhaltigkeit verletzt wird. Das ist das Fazit eines Beitrags von Christine Wicht und Carsten Lenz über den Bauer als Energielieferanten.

Der Bauer als Energielieferant – energiepolitische Überlegungen bestimmen zunehmend die Landwirtschaftspolitik

von Christine Wicht und Carsten Lenz

Auch wenn die Auseinandersetzung über die richtige Energiepolitik nicht mehr so heftig zu sein scheint wie beim Kampf um die Atomenergie, wird die Debatte heute nicht weniger kontrovers geführt. Weltweit sind Klimaveränderungen spürbar, kaum ein seriöser Wissenschaftler zweifelt noch daran, dass sie im Wesentlichen von Menschen verursacht sind. Da beim Einsatz der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas das Treibhausgas Kohlendioxid ausgestoßen wird, sind Alternativen gefordert. Hinzu kommen die stetig steigenden Preise insbesondere für Erdöl – aufgrund der fatalen politischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten sowie der steigenden Nachfrage durch China und Indien.

Vor diesem Hintergrund werden nicht nur hierzulande die Forderungen nach neuen Atomkraftwerken immer lauter, zumindest aber nach einem Verzicht auf den Ausstieg aus der Atomenergie. Die Argumente für diesen schrittweisen Abschied von der Kernkraft bleiben jedoch gültig: Der jüngste Unfall im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark hat die Risiken wieder einmal vor Augen geführt, hinzu kommt das nach wie vor weltweit ungeklärte Problem der sicheren Endlagerung nuklearer Abfälle. Doch wer neue energiepolitische Wege fordert, sieht sich vielfach neuen Einwänden gegen alternative Energien gegenüber. Alternative Energien sind wie die Sonnenenergie derzeit noch verhältnismäßig teuer, andere regenerative Energien bringen ihre eigenen Probleme mit sich: Landschaftsverbrauch und Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch Windenergieanlagen, Zerstörung von Flusslandschaften durch Wasserkraftwerke.

In den letzten Jahren wird zunehmend eine weitere Form regenerativer Energie diskutiert und propagiert: Energiegewinnung aus Pflanzen. Heute werden bereits auf knapp 12 % aller deutschen Äcker Energiepflanzen angebaut, vor allem Raps und Getreide (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft) Als nachwachsender Rohstoff sind Energiepflanzen zum einen weniger schädlich für das Klima; bei der Verbrennung wird nur die Menge Kohlendioxid freigesetzt, welche die Pflanzen zuvor der Luft entzogen haben. Allerdings muss in die ökologische Bilanz zusätzlich der Energieaufwand einbezogen werden, der zur Erzeugung der Pflanzen nötig ist (Düngemittel, Maschinen etc.). Zum zweiten wächst diese Energiequelle immer wieder nach, ist also unerschöpflich, wenn man in menschlichen Zeiträumen rechnet. Doch der verstärkte Anbau von Energiepflanzen scheint noch aus einem ganz anderen Grund attraktiv, denn er bietet eine neue Einnahmequelle für die Landwirtschaft und eröffnet so den Bauern neue Geschäftsfelder neben der traditionellen und immer weniger lukrativen Erzeugung von Nahrungsmitteln. Hier jedoch zeigen sich deutlich die Probleme, mit denen auch diese Form “alternativer” und regenerativer Energieerzeugung verbunden ist.

Erstens bietet der Einsatz von Pflanzen zur Energieerzeugung einen starken Anreiz, die bisher vorherrschende intensive Landwirtschaft weiterzuführen und noch auszubauen, zumal dies staatlich gefördert wird. Das im August 2004 in Kraft getretene novellierte Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) hat zum Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien an der deutschen Stromerzeugung bis 2010 auf 12,5 Prozent anzuheben, bis 2020 auf 20 Prozent. Es schließt dazu auch Solar-, Windenergie, Wasserkraft und Biogas ein. Unter anderem werden durch das Gesetz Netzbetreiber verpflichtet, den angebotenen Ökostrom zu bestimmten Konditionen abzunehmen und zu vergüten. Durch die dort festgelegten Vergütungssätze für Strom aus Biomasseanlagen, wird der Anbau von Pflanzen zur Energieerzeugung für Landwirte attraktiv. Nach Angaben des Bundes Naturschutz hat dies bereits zu einer Intensivierung beim Maisanbau geführt, da Mais , vergoren zu Silage, die größte Ausbeute an Biogas pro Hektar erzeuge („Dem Biogasboom Grenzen setzen.“ Interview mit Hubert Weiger, in: Bauernstimme 3/2005). Kritisiert wird in diesem Zusammenhang vor allem, dass Kriterien der nachhaltigen Landwirtschaft bei der Förderung keine Rolle spielen. Der ökologische Gewinn bei der Energieerzeugung droht also auf der Seite der landwirtschaftlichen Erzeugung wieder verloren zu gehen.

Die Energiepflanzen werden zum größten Teil auf konventionelle Weise angebaut, gespritzt und gedüngt. Chemischen Mittel gelangen in das Grundwasser und verseuchen das Trinkwasser. Spritzmittel haben zudem Auswirkungen auf die Artenvielfalt, wodurch das ökologische Gleichgewicht gestört wird. Kurt-Jürgen Hülsbergen vom Lehrstuhl für Ökologischen Landbau am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München führt als Risiko auf, dass beim Düngen der Felder mit Stickstoff unter anderem Lachgas frei wird, was in früheren Untersuchungen zu Energiepflanzen nicht berücksichtigt wurde. Lachgas ist ein stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid.

Mit dem Verweis auf umweltfreundliche Energiegewinnung wird auch ein verstärkter Einsatz der umstrittenen Gentechnik in der Landwirtschaft verlangt. So forderte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, den Fachverband Biogas auf, die Option Gentechnik nicht völlig auszuschließen, da diese große Chancen zur Energiegewinnung auf dem Acker böte (Ernährungsdienst vom 1. Februar 2006).

Noch gravierender sind die Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen in den Ländern des Südens, beispielsweise in Brasilien. Zur Ethanolgewinnung wird in Brasilien in großem Stil Zuckerrohr angebaut. Im Jahr 2004 zählte Brasilien mit einem Marktanteil von 37 Prozent (das entspricht einer Ausbeute von 15 Milliarden Litern Ethanol) zu den weltweit größten Ethanolproduzenten (USA 31%). Das ökologische Gleichgewicht in Brasilien ist nachhaltig gestört, da für den Zuckerrohranbau weite Teile des Urwaldes abgeholzt werden. Der Regenwald als wichtiger Faktor des Klimaschutzes wird so zerstört – im Namen einer vermeintlich ökologischen Energiepolitik.

In Indonesien werden für den Anbau von Palmölpflanzen Urwälder abgeholzt. Die Frucht der Ölpalme ist sehr effektiv, keine andere Wirtschaftspflanze produziert in dem Maße Pflanzenöl, da Fruchtfleisch und Samen genutzt werden können. Momentan produzieren Indonesien und Malaysia weltweit den größten Anteil des Palmöls, jährlich verschwinden dafür allein in Indonesien rund 2 Millionen Hektar Urwaldfläche, das entspricht etwa der Hälfte der Fläche der Niederlande. Der japanische Autohersteller Toyota erforscht derzeit die Gewinnung von “Biodiesel” aus Palmöl (Quelle: Bundesagentur für Außenwirtschaft). Wenn die Industrieländer diese Möglichkeit künftig in größerem Umfang nutzen, schreitet die Rodung des tropischen Regenwalds weiter voran. Auf Borneo sind mittlerweile kaum noch Regenwälder zu retten, ein Großteil ist bereits in Plantagen umgewandelt. Die Palmölindustrie in Indonesien wird durch die Deutsche Bank und die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) mit Krediten unterstützt. Die DEG ist ein Unternehmen der von der Bundesrepublik und den Bundesländern gehaltenen Kreditanstalt für Wiederaufbau Bankengruppe und finanziert seit mehr als 40 Jahren Investitionen privater Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Sie ist eines der größten Entwicklungsfinanzierungsinstitute für die Förderung der Privatwirtschaft (Quelle: WWF Deutschland [PDF – 2.1 MB]).

Neben den ökologischen Schäden durch großflächigen Anbau von Energiepflanzen stößt aber noch ein weiterer Aspekt dieser Form von Energiegewinnung auf Kritik. Während Menschen verhungern, werden Anbauflächen zur Produktion zur Energiegewinnung genutzt und gehen so für die Produktion von Nahrungsmitteln verloren. Die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens findet ihren drastischen Ausdruck in der Tatsache, dass in Europa “überschüssiges” Getreide verheizt wird, obwohl in anderen Teilen der Welt Hunger herrscht. Auch wenn man die europäischen Agrarüberschüsse nicht direkt den Bedürftigen zukommen lassen kann, stellt sich doch die Frage, ob die Bekämpfung des Hungers der Energieversorgung der Reichen geopfert wird. Nach einer Modellrechnung von Greenpeace lassen sich auf einem Hektar Ackerland das Äquivalent von 1150 Liter Diesel produzieren, mit denen ein PKW 14.250 Kilometer fahren kann, oder es können Nahrungsmittel für 28 Menschen erzeugt werden. Diese Zahlen können allerdings nur eine ungefähre Schätzung sein, da der genaue Wert unter anderem von der angebauten Pflanzensorte und der Berechnung des tatsächlichen Kalorienbedarfs der Menschen abhängt (Quelle: Greenpeace).

In den reichen Industriestaaten hat sich die Preisrelation zwischen einem Liter Milch, einem Kilo Mehl und einem Liter Benzin deutlich verschoben. Der Verbraucher ist heute bereit, für Benzin weitaus mehr zu zahlen als für Grundnahrungsmittel, womit den Grundnahrungsmitteln in unserer Gesellschaft ein anderer Stellenwert zukommt als in den ärmeren Ländern der Welt. Der Preis für 100 Kilo Getreide beträgt derzeit ca. 10 Euro. Der Brennwert von 100 kg Getreide entspricht dem von 40 Litern Heizöl. Würde man einen Preis von 0,60 Euro pro Liter ansetzen, entspräche das einem Wert von rund 24 Euro. Setzt man den Preis von Getreide für Brot in Relation zu Getreide als Brennstoff, dann wäre der Brennstoff teurer, würde mehr bringen als Getreide für Brot. Würden Bauern Getreide als Brennstoff anbauen und nicht zum Verzehr, dann wäre das ein lukratives Geschäft (Quelle: STERN).

Unter der Argumentation, eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu erlangen, wird der Anbau von Getreide zur Energiegewinnung zunehmend von Verbänden und der EU vorangetrieben. Europäische Landwirte stehen der neuen Energiepolitik offen gegenüber, weil ihnen neue, Gewinn bringende Einkommens- und Erwerbsmöglichkeiten geboten werden. Der deutsche Bauernverband sieht in erster Linie die Schaffung neuer Arbeitsplätze in ländlichen Regionen und die damit verbundenen Investitionen, von welchen auch andere Branchen profitieren könnten. Ethische Bedenken werden in der öffentlichen Debatte einer gut situierten Gesellschaft, in der Weizen als Überschussprodukt gilt, weitgehend verdrängt, und die ökologischen Auswirkungen in den Ländern, die sogenannte Biokraftstoffe einsetzen, werden unter der Prämisse, neue Geschäftsfelder abzusichern und eine “verträgliche” Umweltpolitik zu betreiben, von den Befürwortern verschwiegen. Die Vorsilbe “Bio”ist bei genauerer Betrachtung nicht immer gerechtfertigt, auch wenn Getreide ein schnell nachwachsender Rohstoff ist – im Gegensatz zu Mineralöl, das sich in einem 50 Millionen Jahre dauernden Prozess bildet. Durch den großflächigen Anbau von Energiepflanzen auf konventionelle Weise entstehen Schäden an Boden und Umwelt, die unter ökologischen Gesichtspunkten nicht vertretbar sind, weil das Prinzip der Nachhaltigkeit verletzt wird. Um das ökologische Gleichgewicht nicht noch weiter zu gefährden, ist eine erweiterte Nutzung nachwachsender Rohstoffe nur dann zu befürworten, wenn Gesetze und strenge umweltpolitische Richtlinien einen nachhaltigen Anbau von Energiepflanzen sicherstellen. Die Umstellung auf Energiepflanzen allein wird den Energiebedarf nicht decken können, deshalb ist eine ausgewogene Mischung diverser alternativer Energiequellen in Betracht zu ziehen. Letztlich müssen die Industrieländer die Energiebilanz ihrer Lebensweise daraufhin überprüfen, ob sie in der Zukunft sozialen und ökologischen Anforderungen gerecht wird.


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