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Titel: Alle unterstützen die Privatisierung der Bahn – und keiner sagt warum.

Datum: 10. November 2006 um 17:36 Uhr
Rubrik: Privatisierung, Verkehrspolitik
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Haben Sie irgendwo schlüssig begründet bekommen, warum die Bahn privatisiert werden soll und was ein Börsengang bringen soll? Ich habe es bisher nicht verstanden. Ich höre nur hohle Worte wie in der unten wiedergegebenen Presseerklärung des Bundesministeriums für Verkehr, Wolfgang Tiefensee. Albrecht Müller.

Drei Anmerkungen will ich dazu machen:

  1. Der Börsengang wird als etwas Erstrebenswertes dargestellt. Wieso eigentlich? Das ist nichts weiter als eine eigene Art der Finanzierung. Die Bahn könnte sich auch weiterhin anders finanzieren, Kredite aufnehmen, Anleihen auflegen, und so weiter. Oder der Bund kann finanzieren und muss das wohl auch in Zukunft tun, auch bei einer teilprivatisierten Bahn – mit allen Problemen, die daraus folgen, das mit öffentlichen Geldern das Vermögen privater Eigentümer gefördert wird. Worin soll der Vorteil des Börsengangs liegen? Die Bahn gerät wie jetzt schon die Telekom in die Abhängigkeit von Großaktionären, die mit einer Minderheitsbeteiligung kräftig hineinregieren.
    Der Vorteil kann auch darin liegen, das die Finanzwirtschaft an einem solchen Börsengang zwei- bis dreistellige Millionen verdient. Wohl gemerkt, das ist kein Vorteil für uns, die bisherigen Eigner der Bahn. Dieser Vorteil fällt bei Dritten an. Und es kann durchaus sein, dass diese die Willensbildung zum Börsengang und zur Teilprivatisierung bestimmen. In vielen Fällen ist das so.
  2. Damit bin ich bei der Frage, was die Privatisierung beziehungsweise Teilprivatisierung bis maximal 49,9% bringen soll. Wird damit das Unternehmen mobiler? Wieso eigentlich? Wer hindert Herrn Mehdorn heute an den von ihm gewünschten Entscheidungen? Er hat falsche Entscheidungen getroffen, wie etwa die Einführung eines Preissystems, das am Luftverkehr orientiert war, und glatt gescheitert ist. Er hat Entscheidungen zur Ausdünnung des Personals getroffen, deren Folgen wir heute an den Schaltern sehen. Wartezeiten von einer halben Stunde und mehr ramponieren das Image der Bahn und sind auch unzumutbar. Die Führung der Bahn hat nicht begriffen, was ein wichtiger Vorteil dieses Verkehrsmittels ist: Dass man nicht vorher planen muss, wann man fahren will, zum Schalter geht, kauft und fährt. Diesen Imagevorteil macht die Bahnführung systematisch kaputt. Niemand von Seiten des Eigentümers Bund hat das Management von solchem Unsinn abgehalten. Die Bahnspitze kann auch heute schon operieren so, als wäre sie privatisiert.
    Die Privatisierung in schlechten ökonomischen Zeiten, bringt dem Eigentümer, dem Bund und damit auch uns allen nicht den entsprechenden Gegenwert in die Kasse. Der Bund wird einen schlechten Preis erzielen. Das wird nicht einmal verheimlicht. Und kaum kritisiert. So unkritisch sind viele unserer Medien.
    Was ist dann der Sinn der Privatisierung? Es ist ein Geschenk an künftige Eigentümer. Und wiederum ein Geschenk an jene, die beim Privatisierungsvorgang verdienen: als Berater, als Banken, als Börsen und einen ganzen Rattenschwanz von weiteren Profiteuren.
  3. Die freundliche Zurückhaltung der zuständigen Gewerkschaften kann ich nicht verstehen. Das Telegramm inform Nummer 24/10.11.2006 von TRANSNET beginnt wie folgt: „DB AG: Zukunft gesichert? Nach monatelangem Stillstand ist endlich wieder Bewegung in die Debatte um die Zukunft der DB AG und ihre Arbeitsplätze gekommen. Die Koalition hat sich grundsätzlich auf eine Variante der Privatisierung geeinigt. Und die Tarifverhandlungen zur Beschäftigungssicherung sind auf einem guten Weg.“
    Das klingt wie in der allgemeinen Reformdebatte. Man freut sich über Bewegung. Bewegung ist alles, ganz egal wohin?
    Das Beispiel der Privatisierung der Telekom, über deren Erfolg man endlich etwas nachdenklicher wird, sollte eigentlich Denkanstoß genug für die Kolleginnen und Kollegen der Bahn sein.

 

Anhang: Presseerklärung

09. November 2006, Nr.: 364/2006
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat die Koalitions-Entscheidung zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG begrüßt. “Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden. Damit ist die Modelldiskussion beendet. Im Vordergrund stehen jetzt die vereinbarten Grundzüge eines Börsenganges. Die Koalition hat ihre Handlungsfähigkeit bewiesen und den weiteren Fahrplan auf dem Weg zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG erstellt. Der Koalitionsausschuss hat das Ergebnis heute bestätigt und sich den Inhalten angeschlossen. Die Koalition unterstreicht damit ihren politischen Willen, die Teilprivatisierung der Bahn noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen”, so Tiefensee.
“Der gemeinsame Antrag ist nach Verabschiedung durch den Bundestag das Gerüst zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfes. Mein Haus wird möglichst bis zum 31. März 2007 einen Gesetzentwurf vorlegen, auf dessen Basis die Teilprivatisierung der Bahn beschlossen werden soll”, sagte der Minister. Die DB AG behält die Möglichkeit, Schienenverkehr und Infrastruktur in einer wirtschaftlichen Einheit zu betreiben und zu bilanzieren. Zusätzliche Schulden und Risiken für den Bundeshaushalt und damit finanziellen Belastungen für den Steuerzahler sind ausgeschlossen. Der Wettbewerb auf der Schiene wird noch stärker gefördert. Die Weichen sind gestellt, die DB AG in ihrer positiven wirtschaftlichen Entwicklung weiter zu unterstützen”, so Tiefensee.
“Darüber hinaus sieht der Antrag eine Fortführung des Beschäftigungsbündnisses und des konzerneigenen Arbeitsmarktes vor. Zur Sicherung des diskriminierungsfreien Netzzugangs und eines fairen Wettbewerbs auf der Schiene werden die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur entsprechend den vorliegenden Erfahrungen fortentwickelt.”


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