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Titel: Von Kohle ist nicht die Rede oder ‚der Elefant im Zimmer‘

Datum: 16. Dezember 2013 um 9:30 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, Umweltpolitik, Wahlen
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Wenn etwas unübersehbar Wichtiges nicht angesprochen wird, sagen die Anglophonen „There is an elephant in the room”. Diese Metapher drängt sich auf, wenn man den Energieteil der Koalitionsvereinbarungen (Kapitel 1.4, S. 49 ff.) [PDF – 1.2 MB] liest. Da wird detailliert die geplante Politik zu erneuerbaren Energien und zur Energieeffizienz beschrieben, neben Ideen zum Strommarktdesign, Maßnahmen in Bezug auf Kernenergie und Leitlinien zum Erdgas-Fracking.
Braunkohle und Steinkohle werden hingegen nur ein einziges Mal im Energiekapitel genannt und das sogar nur in Klammern zur Erläuterung der Begriffs konventionelle Kraftwerke. Von Ernst E. Neuer

Erdgas wird dabei zusätzlich zur Sektion über Fracking auch genannt. Das Wort Braunkohle kommt noch einmal in dem Kapitel über regionale Strukturpolitik vor. Und da heißt es pauschal: „Auch die Braunkohle spielt nach wie vor eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsstruktur.“

Dabei ist die Rolle der Kohle und der Kohlekraftwerke bei der Verwirklichung der selbstgesetzten Ziele bei der Energiewende und vor allem beim Klimaschutz doch zentral. Nicht nur wie viel sondern auch was für eine konventionelle Kraftwerks-Kapazität vorgehalten und betrieben wird, wird die Treibhausgasemissionen und auch den Strommarkt und das Zusammenspiel in Europa stark beeinflussen, alles Themen die mit den Zielen und Instrumenten der Energiewende in Zusammenhang stehen.

Wenn man nur diesen Text kennt, könnte man meinen, dass es sich bei den konventionellen Kraftwerke um eine weitgehend homogene Gruppe handelt, die verschiedene komplementäre Funktionen in der Stromerzeugung in der Phase bis 2022 übernehmen, in der Kernkraftwerke abgeschaltet werden und durch Technologien der Erneuerbaren Energien ersetzt werden. Dass innerhalb der Gruppe der konventionellen Kraftwerke beträchtliche Wahlmöglichkeiten bestehen, die Ziele Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und auch Bezahlbarkeit gerade in dieser mittleren Frist besser zu erreichen, wird in dem Papier nicht einmal angedeutet. Dabei sind die Treibhausgas- Emissionen des Kraftwerkssektors mit ungefähr 370 Mio. tCO2equivalent der größte Block der ca. 930 Mio. tCO2e Gesamtemissionen in Deutschland, die bis 2020 auf 750 Mio. tCO2e sinken sollen. Deutlich über 300 Mio. tCO2e kommen aus Kohlekraftwerken

Die Nichterwähnung kann man so interpretieren, dass die Koalition nicht plant, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, ob Braun- und Steinkohle oder Gaskraftwerke, Dampf- , Gasturbinen oder Kombikraftwerke zum Einsatz kommen, welche Anlagen eingemottet, stillgelegt oder neugebaut werden.

Das anzunehmen wäre jedoch naiv. Einen indirekten Einfluss nimmt sie in jedem Fall durch die geplante Reform des EEG, durch die eventuelle Reform des Strommarktdesign und die Ausgestaltung des Europäischen Emissionshandels. Beim EU-Emissionshandel signalisiert sie Zustimmung zum lange vorgesehenen backloading, allerdings unter Bedingungen (einmaliger Eingriff, Zertifikate nicht stilllegen!); beim Strommarkt wird die Prüfung neuer Elemente vorgesehen (Kapazitäts-Märkte, Preisbildung bei Eigenerzeugern etc.) und die Veränderungen bei der Förderungen erneuerbarer Energien werden ausführlich beschrieben.

Wie unter Verzicht auf jeden Einfluss auf den konventionellen Kraftwerkssektor will man die Zielmarke 750 Mio. tCO2e ansteuern? Erwartet man noch 180 Mio. tCO2e bei Verkehr, Haushalten und den anderen Sektoren senken zu können? Erwartet man, dass der Stromverbrauch sinkt, obwohl eine Mio. Elektroautos auf die Straßen sollen? Erwartet man dass der Zubau an Erneuerbaren die abgeschalteten Kernkraftwerke mehr als wettmachen? Es ist ja wohl nicht anzunehmen, dass man die Zielmarke 2020 mithilfe der dann noch laufenden Kernkraftwerke erreichen will, und die Treibhausgas-Emissionen ab 2023 dann wieder steigen dürfen. Zieht man gar nicht in Erwägung, die Bedingungen für den Erdgaseinsatz in Kraftwerken zu verbessern?

Es gibt gewiss strommarktkonforme Optionen zur Beeinflussung der Kraftwerkseinsatzstruktur und damit der Emissions-Senkung bei hoher Verfügbarkeit. Für den Außenstehenden ist es paradox, dass statt der Kohleanlagen flexiblere und deutlich emissionsärmere Erdgaskraftwerke in Deutschland nicht zum Zuge kommen sollen, wenn das weltweite Erdgasangebot steigt und zusätzliche Lieferkapazitäten für Europa in Form von Erdgasleitungen und LNG-Anlagen (liquefied natural gas = Flüssigerdgas) gebaut werden.

Noch etwas wird vermisst: Wo ist eigentlich das Carbon Capture and Storage (CO2-Abscheidung und Speicherung) geblieben? Mit dem CCS sollte doch die Kohle zukunftsfähig gemacht werden! Noch in der Ethik-Kommission zur Energiewende waren große Erwartungen an CCS geknüpft. Glauben die Koalitionäre nicht mehr daran? Was ist mit der CCS-Fähigkeit von Kohlekraftwerken?

Die Tatsachen, dass Frau Kraft eine der beiden Vorsitzenden der Energiearbeitsgruppe gehört und dass ihr Wirtschaftsminister gleichzeitig so massiv für die Braunkohle eingetreten ist, darf man getrost so interpretieren, dass diese Arbeitsgruppe sich sehr intensiv Gedanken gemacht hat, welche Rolle die Kohle künftig spielen soll, und dass dabei nicht nur RWE, EON, EVONIK und Vattenfall, ThyssenKrupp, Bayer etc. sondern auch die IG Bergbau, Chemie und Energie und andere Gewerkschaften konsultiert wurden. Statt aber diese Gedanken explizit zu machen macht die Arbeitsgruppe den Versuch, die Existenz des Elefanten im Zimmer zu verschleiern. Damit ist es dann auch unmöglich zu überprüfen, ob die selbstgesetzten Emissionsziele erreichbar sind, da eine zentrale Komponente der Politik nicht beschrieben ist.

Weiter- oder Fortentwicklung der Rahmenbedingungen: die zunehmende aber selektive Mengensteuerung im EEG

Bei all dem Klein-Klein in den Vereinbarungen speziell zu Erneuerbaren Energien zeichnet sich als Kernphilosophie ab: nicht ein einfaches Weiter-So aber auch keine Abkehr, also eine Fortentwicklung des Bestehenden

Das Erneuerbare Energie Gesetz (EEG) wird zunächst weiter differenziert in Richtung Mengensteuerung. Nicht nur werden die Einspeisepreise automatisch nach Mengenentwicklungen angepasst, sondern es werden mengenmäßige Ausbauziele für einzelne Technologien und –Zielkorridore vorgegeben. Darüber hinaus sollen Betreiber von neuen EE Stromerzeugungsanlagen bereits kurzfristig stärker am Risiko beteiligt werden, da sie einen Teil der Erlöse nicht mehr über eine Festpreise absichern, sondern mehr direkt vermarkten soll, was schon jetzt schon freiwillig möglich ist. Mittel- bis langfristig scheint so ein allmählicher Systemwechsel beim Förder-Mechanismus weg von einem Einspeiserecht mit fester Vergütung vorgesehen zu sein. 2018 würde der Übergang zur Mengensteuerung vollzogen sein, allerdings nicht hin zu dem häufig geforderten Quotensystem sondern zu einem noch auszugestaltenden Ausschreibungsverfahren.

Die Mengensteuerung wird zunehmend kleinteilig, Damit folgt man nicht den Vorschlägen zu einer Vereinfachung des Systems, wie sie vor kurzem u.a. von der Agora Energiewende gemacht wurden. Eher geht man in die entgegengesetzte Richtung. Die Mengensteuerung soll für jede einzelne Technologie gelten. Hier ist der Versuch zu beobachten, die jeweiligen finanziellen Kosten der verschiedenen Technologien zu senken und die Umweltverträglichkeit zu verbessern.

Dabei werden allerdings unterschiedliche Maßstäbe angelegt, was besonders bei der Windenergie zu beobachten ist, hier zwischen der off-shore und der on-shore Förderung. Zwar wird die Förderung beider Windtechnologien eingeschränkt aber auf sehr unterschiedlichem Kostenniveau. Man will die einmal begonnene off-shore Entwicklung trotz deutlich höherer Kosten und Vergütungen offenbar jetzt nicht abbrechen.

Auch ist die Mengensteuerung, die ja die Planungssicherheit erhöhen soll, nicht in jedem Fall mit Zahlen belegt. Zahlen werden tatsächlich nur für offshore-Wind (langfristig 6,5 GW 2020; 15 GW 2030) genannt und bei und Photovoltaik wird auf den schon bestehenden Deckel von 52 GW verwiesen, während für on-shore Wind, Biomasse und Wasserkraft eher qualitative Prinzipien, Steuerungszahlen und Landnutzungsregelungen angesprochen werden.

Schließlich bleibt auch unklar, wie mittelfristig kleinere Anlagen gefördert werden sollen, wenn für größere Lose (von 400 MW ist mehrfach die Rede) Ausschreibungen geplant sind, wobei anzunehmen ist, dass die erfolgreichen Anbieter ein langfristiges Stromlieferabkommen zu einem definierten Preis erhalten. Werden dann die jetzigen Einspeiseregelungen ganz abgeschafft? Sollen künftige kleine Anlagen nur der Eigenerzeugung dienen, und sollen diese kleinen Eigenerzeuger wie die größeren dann einen Beitrag zur Deckung der Netzkosten leisten, anhand der Wiedereinführung eines Grundpreises?

So wird das selbstgesetzte Prinzip, hohe Planungssicherheit zu schaffen, nur ansatzweise eingehalten. Hier ist schleunigst Klärung erforderlich, da der Ausbau der Erneuerbaren nicht in Teilbereichen zum Erliegen kommen, was ja direkt gegen die deklarierte Zielsetzung der Politik wirken würde.

Anstiegsbremsen, aber keine Senkung der Strompreise

Auf der Seite der Deckung der Vergütungen bleibt es beim gegenwärtigen System der Umlage auf die Stromverbraucher, wobei die sogenannte besondere Ausgleichsregelung, also der Rabatt für die dazu als berechtigt anerkannten Großabnehmer neu gestaltet wird. Wenn man die vagen (europapolitisch bedeckt gehaltenen) Aussagen hierzu deutet, sollen alle Großkunden etwas mehr bezahlen, und der Kreis der Berechtigten etwas verringert werden. Außerdem sollen Strom-Eigenerzeuger mit herangezogen werden. Wie viel Deckungsbeitrag das im Ergebnis bringen wird, ist unsicher, würde aber selbst bei der hohen Summe von 1 Mrd. Euro weniger als 5% der Vergütungssumme decken.

Das wird aber nicht ausreichen um die künftige Umlage für die Haushalte und die nicht in den Genuss der Ausgleichsregelung kommenden gewerblichen und öffentlichen Stromverbraucher nachhaltig zu senken. Vieles spricht dafür, dass die Gesamtvergütung nach EEG um mehr als eine Mrd. im Jahr steigt, angesichts der unter Vertrauensschutz gestellten Vergütungen für die Bestandsanlagen, der vorgesehenen Fördermaßnahmen für den weiteren EE-Ausbau und der kaum zu erwartenden Erlössteigerungen aus der EE-Vermarktung an der Börse. In den Vereinbarungen sind auch keine anderen substantiellen Deckungsbeiträge vorgesehen, abgesehen von den eventuellen Emissionsrechte- Versteigerungserlösen. Ein Beitrag zur Kompensation von Seiten der Nutznießer der verschiedenen Preissenkungseffekte, die vom EEG auf den Stromspotmarkt ausgehen oder ein kompensierender Zuschuss aus dem Bundeshaushalt (wie in NDS vorgeschlagen) ist nicht in Erwägung gezogen, schon gar nicht der noch radikalere Lösungsvorschlag eines Kostenschnitts und „Altlastenfonds“ von Toepfer und Bachmann (siehe hier). Es sind auch keine kompensatorischen Maßnahmen bei den anderen Elementen des Strompreises vorgesehen wie z.B. bei der Stromsteuer, was von der SPD gefordert worden

Wegen der „Altlasten“ (Toepfer/Bachmann) und der hinzukommenden Vergütungen wird das Ziel der Bezahlbarkeit künftig nicht besser erreicht als jetzt. Jetzt scheint es aus Sicht der Koalitionäre, wenn man den Text wörtlich nimmt, noch kein Problem zu sein, da es „für private Haushalte und weite Teile der Wirtschaft, insbesondere auch mittelständische Unternehmen, zum Problem wird, wenn es nicht gelingt, die Kostendynamik zu entschärfen“.

Nach Einschätzung der Sozial- und Mieter-Verbände ist das aber schon jetzt ein Problem, und wenn die Umlage nicht sinken wird, bleiben die Strompreise ein sozialpolitisches Thema. Selbst wenn erhöhte Stromausgaben der Haushalte bei den Hartz IV Sätzen berücksichtigt würden, werden die Mehrpersonenhaushalte der mittleren Gehaltsgruppen nicht entlastet.

Wenn bei der Umlage nichts gezielt und substantiell unternommen wird, werden Umlage, Strompreise und damit auch der Ausbau der Erneuerbaren, der für die hohen Strompreise verantwortlich gemacht wird, in den nächsten Jahren weiter am Pranger stehen und damit weiterhin das Image der Energiewende beschädigen. Mit anderen Worten: man mag zwar die bescheidenen Bezahlbarkeitsziele (Bremsen der Dynamik) beim Strom erreichen, wird aber weiterhin mit der unseligen Konfrontation von Energiewende und hohen Strompreisen leben. Die ebenso wichtige Bezahlbarkeit von Wärme und Mobilität angesichts der Preise der Brenn- und Treibstoffe wird überhaupt nicht thematisiert.

Fazit:

Allein angesichts der drei hier aufgeführten Beobachtungen ist es kein Wunder, dass bei vielen kritischen Beobachtern der Eindruck entsteht, dass dieses Energiekapitel ungleichgewichtig ist und bei allem Detail wichtige Themen nicht anspricht. Was nicht angesprochen ist, kann ja noch gestaltet werden. Wenn diese Vereinbarungen jedoch erschöpfend sind, nicht korrigierbar alles beschreiben, was die künftige Regierung in vier Jahren energiepolitisch unternehmen will, wird sie angesichts einer weiter steigenden Umlage bei verlangsamtem Ausbau der Erneuerbaren und nicht sinkenden HG Emissionen noch in dieser Legislaturperiode zu neuen nicht beschriebenen Maßnahmen gezwungen sein.


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