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Titel: Auszug aus „Machtwahn“ Seite 23-24 zum Versagen in der makroökonomischen Politik

Datum: 26. Januar 2007 um 8:27 Uhr
Rubrik: Ungleichheit, Armut, Reichtum, Veröffentlichungen der Herausgeber, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Eines lässt sich mit diesen Zahlen zweifelsfrei feststellen: Unsere Leistungs- und Zahlungsbilanz und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten begrenzte unseren Handlungsspielraum für eine bessere Konjunktur sicher nicht.
Auch die Entwicklung der Löhne und der sogenannten Lohnstückkosten behinderte uns nicht. Eher im Gegenteil: Die Reallöhne und Lohnstückkosten sind in Deutschland, anders als in vergleichbaren Ländern, gefallen – mit ein Grund dafür, dass der private Verbrauch und damit auch die Binnennachfrage so schwach ausgefallen sind. Wer jahrelang Lohnzurückhaltung üben musste und inflationsbereinigt weniger Geld im Portemonnaie hat, der gibt auch weniger aus.
Die Zahlen der OECD zeigen: Gerade in der Phase, als Bundeskanzler Schröder und die rot-grüne Regierung in besonderer Weise auf die Reformpolitik setzten und stolz waren auf die Überwindung des angeblichen Reformstaus, fiel die Bilanz der Reformpolitik besonders trübe aus.
In derselben Zeit haben unsere Partner in der Welt und in ­Europa eine andere Politik verfolgt. Keines der erfolgreicheren Länder, weder die USA noch Großbritannien noch Schweden, ­haben es bei Reformen belassen. Jedes dieser Länder hat noch in den neunziger Jahren und bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hinein die wirtschaftliche Stagnation immer nur mit einer Kombination von sogenannten angebotsökonomischen Maßnahmen einerseits und einer expansiven Nachfragebeschleunigung andererseits überwunden. Diese Länder haben auch zunächst jeweils eine sehr viel höhere Neuverschuldung hingenommen, als bei uns üblich: In Großbritannien wurde 1992 und 1993 eine Neuverschuldung von 6,5 Prozent (1992) beziehungsweise fast 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geplant hingenommen, in Schweden betrug sie 1993 11,4 Prozent und 1994 9,3 Prozent, in den USA 1992 5,8 Prozent und 1993 5,0 Prozent. Kein Land hat eine tiefe Rezession überwunden, ohne vorübergehend kreditfinanzierte Wachstumsprogramme aufzulegen. Kein Land hat seine Schulden ohne Wachstum abgebaut.
Der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Robert ­Solow, hat sich in einem Interview mit der Wirtschaftswoche vom 9. September 2004 vornehm zurückhaltend über die deutschen Ökonomen und Politiker geäußert, auch dazu, worauf es in unserem Land heute ankomme:

Die deutsche Wirtschaft schwächelt nun schon seit einer Dekade. Wenn ich ein Manager wäre, würde ich meine Produktion auch nicht ausweiten, solange die Märkte nicht erkennbar expandieren.

An dieser klaren Erkenntnis gehe man in Deutschland jedoch ständig vorbei, und zwar parteiübergreifend und angefeuert von einer ökonomischen Wissenschaft und Publizistik, über die Solow sagte: »Klar, Makropolitik« – also die Politik zur Ankurbelung oder Dämpfung einer Konjunktur – »beherrscht vermutlich niemand perfekt. Aber mir scheint offensichtlich: In Deutschland könnte man sie wesentlich besser machen«.
Und Jim O’Neill, der Chefökonom der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, riet in einem Interview mit der Zeit vom August 2004 dazu, die Binnenkonjunktur in Deutschland massiv anzuschieben und nichts zu tun, was diese Eigendynamik behindern könnte. Das sei schon wegen der immer gegebenen Gefahr eines Dollar-Einbruchs, die aufgrund des extrem hohen und weiter steigenden Leistungsbilanzdefizits der USA noch zunehme, und wegen des daraus dann vermutlich folgenden Exporteinbruchs dringend geboten. Der Nationalökonom berichtete, dass seine deutschen Fachkollegen bei Konferenzen darüber diskutierten, es müssten in Deutschland die Steuern gesenkt werden, womit er grundsätzlich keine Probleme habe; aber dann stellte sich heraus, dass sie die Unternehmenssteuern senken und die Mehrwertsteuer erhöhen wollten. Das fand er absurd und sagte deshalb in dem Interview deutlich:

Weil die Reichen von ihren Einkommen relativ weniger für Konsum ausgeben als die Armen, muss die Fiskalpolitik bei den unteren Einkommensgruppen ansetzen. Dieser Aspekt wird von vielen deutschen Ökonomen und Politikern vernachlässigt.

In Deutschland jedoch verhallte der Rat dieser Experten ungehört, und auch die OECD-Daten schien niemand zur Kenntnis zu nehmen.
Wo waren da eigentlich die Spitzen der Ministerialbürokratie? So könnte man als Bürger mit Recht fragen. Wir bezahlen Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter, Referatsleiter, Pressereferenten und Ghostwriter – wozu haben sie geraten, als das Scheitern der Reformen offenbar wurde? Wo waren sie in all den Jahren des Niedergangs unserer Ökonomie? Die Fragen sind berechtigt. Die Eliten in den einschlägigen Ministerien müssten den politisch Verantwortlichen zumindest vernünftige Ratschläge geben.


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