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Titel: Zensur durch das Privatrecht – Wie das „Große Geld“ seine Kritiker vor Gericht zum Schweigen bringen will

Datum: 17. April 2014 um 9:36 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Lobbyismus und politische Korruption, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Im August 2013 schrieb Werner Rügemer einen Artikel unter dem Titel „Die unterwanderte Demokratie – Der Marsch der Lobbyisten durch die Institutionen“ in den „Blättern für Deutsche und internationale Politik“. Der Direktor des Instituts für Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, forderte über Anwälte den Verlag und den Autor zur Unterlassung mehrere Aussagen in dem Artikel über dieses Institut auf.
Der Verlag ist wohl mangels Finanzkraft einer gerichtlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen und hat die Unterlassungserklärung unterschrieben – der Autor nicht. Der Fall wird nun am 9. Mai 2014 vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg verhandelt. Werner Rügemer informiert über eine heute weit verbreitete, aber wenig bekannte Form der Zensur durch Private.

I.

Im September 2013 forderte Prof. Dr. Klaus Zimmermann, Direktor des Bonner Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA), die Redaktion der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ und mich auf, folgende Aussagen aus dem Artikel „Der unterwanderte Staat“ in der Ausgabe 8/2013 zu unterlassen:

  • „faktenwidrig bezeichnet sich das Institut als ‚unabhängig‘“
  • „Von ‚freier Wissenschaft‘ kann hier allerdings beim besten Willen nicht gesprochen werden“
  • das IZA betreibt Lobbying
  • (durch eine bestimmte Berichterstattung) den Eindruck zu erwecken, dass das IZA nicht über seine private Finanzierung informiere.

II.

Die Blätter-Redaktion hat die Unterlassungs-Verpflichtungs-Erklärung umgehend unterzeichnet und die inkriminierten Passagen aus der Internetversion des Artikels entfernt. Es findet sich kein Hinweis darauf, dass Abschnitt über das IZA fehlt.

Ich habe die Unterlassungs-Erklärung nicht unterzeichnet. Die neue rheinische zeitung hat den Artikel ebenfalls veröffentlicht. Prof. Zimmermann hat deshalb (nach einer zwischenzeitlich beim Hamburger Landgericht erwirkten einstweiligen Verfügung) am 13.1.2014 beim Landgericht Hamburg beantragt, uns die Wiederholung der Aussagen durch Urteil zu verbieten und im Falle jeder einzelnen Wiederholung uns zu einem Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder einer Ordnungshaft bis zu zwei Jahren zu verurteilen. Der Streitwert liegt bei 120.000 Euro.

Am 11.3. 2014 habe ich durch unseren Anwalt Eberhard Reinecke (Köln) beantragt, die Klage abzuweisen. Die öffentliche Verhandlung vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg ist für den 9.5.2014, 11.00 Uhr angesetzt. Dann geht es möglicherweise durch die höheren Instanzen.

Prof. Zimmermann wird durch die Bonner Kanzlei Redeker Sellner Dahs vertreten (Mandanten Kohl, Merkel gegen Thilo Bode…) und misst somit auch dadurch der Auseinandersetzung eine gewisse Bedeutung zu.

III.

Ich hatte in dem Artikel die Unabhängigkeit des IZA in Zweifel gezogen: Dauer-Finanzierung durch die Deutsche-Post-Stiftung, Festlegung auf die neoliberale Schule, kontinuierliche Übereinstimmung mit den Forderungen der Unternehmerlobby, vielfältige Vernetzung mit der Unternehmerlobby, entsprechende Aussagen aus IZA-Gutachten, Mithilfe und nachträgliche Verteidigung der Hartz-Gesetze bis heute.
Gegenstand des Artikels ist das bisher wissenschaftlich und publizistisch noch nicht erfasste „unsichtbare Lobbying“, bei dem die Lobbyisten nicht von außen an den Staat herantreten, sondern mehr oder weniger als Teil des Staates agieren und Lobby „hinter“ dem etablierten Lobbying betreiben.

  1. IZA argumentiert, es sei parteipolitisch unabhängig.

    Das war aber nicht Gegenstand des Artikels, vielmehr geht es um die wirtschaftliche Abhängigkeit.

    Meine Argumentation: Gerade die Finanzierung durch den einzigen Sponsor Deutsche-Post-Stiftung schafft Abhängigkeit und gibt Kriterien der wissenschaftlichen Forschung vor. Zudem ist seit der Gründung 1998 Präsident der Stiftung Klaus Zumwinkel, Ex-Chef des Konzerns Dt. Post DHL – eine solche personelle Identität zwischen Konzern und Stiftung gibt es bei keiner anderen Konzernstiftung.

    Es stellte sich zudem heraus (nicht im Artikel enthalten, so argumentieren wir aber vor Gericht), dass es die Deutsche-Post-Stiftung als real agierende Stiftung gar nicht gibt: kein Personal, keine Tel- und Fax-nummer, keine Website und keine mailadresse. Die Adresse ist identisch mit der IZA-Adresse. Die Stiftung ist offensichtlich nur eine ungefilterte Durchlaufstation für das Geld des Konzerns.

    In der Klageschrift hat Prof. Zimmermann zum Beweis seiner Unabhängigkeit zudem angeführt: neben der 77%-Grundförderung durch die Post-Stiftung werde IZA durch Drittmittel finanziert: Weltbank, VW-Stiftung, Bertelsmann-Stiftung, Thyssen-Stiftung, Europäische Kommission… Wir sehen das als weitere Bestätigung der wirtschaftlichen Abhängigkeit und Einseitigkeit.

    Trotz der vollständigen privatwirtschaftlichen Finanzierung ist IZA praktisch Teil der Bonner Universität und zieht sich die staatliche Tarnkappe auf.

  2. gegen die wissenschaftliche Unabhängigkeit von Prof. Zimmermann/IZA sprechen weiter folgende Tatsachen:
    • IZA „vernetzt sich aktiv mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik, Medien und Gesellschaft“ (Selbstdarstellung).
    • IZA unterstützt und initiiert mit BDI-Vertretern, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Bertelsmann-Stiftung u.ä. Aufrufe an die Politik, z.B. für „eine politische Kurskorrektur in Deutschland“, 15-Punkte-Plan für die neue Bundesregierung (nach der Wahl 2013).
    • IZA-Chef Zimmermann polemisiert gegen Politiker, die nicht die ganz konsequente neoliberale Linie einhalten, z.B. Francois Hollande und Andrea Nahles.
    • IZA praktiziert „revolving door“ mit hochrangigen Mitarbeitern der Privatwirtschaft (Übernahme hauptamtlicher Unternehmensmitarbeiter als IZA-Direktoren).
  3. Prof. Zimmermann/IZA bringen vor, die wissenschaftliche Unabhängigkeit sei durch die „IZA Guiding Principles of Research Integrity“ gewährleistet.
    Dagegen argumentiere ich: In diesen Leitlinien fehlen u.a. 1. die für das Forschungsgebiet „Arbeit“ maßgeblichen Menschenrechtsnormen der International Labour Organisation (ILO) der UNO, 2. Die Beachtung des Prinzips Demokratie, 3. Der Ausschluß unethischen Verhaltens der Geldgeber – dazu führen wir nachhaltige Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten des Hauptsponsors Deutsche Post DHL in der Türkei an.
  4. meine Darstellung, das IZA betreibe Lobbying:
    Es geht in dem Artikel nicht um das, was bisher allgemein als Lobby bezeichnet wird, sondern als indirektes, der Öffentlichkeit nicht sichtbares Lobbying:

    • IZA hat einen Kreis von 67 „Policy Fellows“ berufen, der aus „einflussreichen Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Medien und Gesellschaft“ besteht: BDI, DIHK, INSM, einzelne Unternehmen, Unternehmensberater, Politik-Wirtschafts-Wechsler wie Dieter Althaus (CDU, Ministerpräsident, jetzt Magna). Bei der angegebenen Parteizugehörigkeit dominieren CDU und FDP. Von der SPD sind nur der neoliberale Unternehmensberater Florian Gerster vertreten und der am rechten Rand angesiedelte Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin.
    • institutionalisierte Kooperation mit INSM, Bertelsmann-Stiftung, BDA, von denen gleichzeitig Forschungsaufträge kommen.

    Das IZA macht also kein traditionelles Lobbying, sondern hängt sich an etablierte Lobbyisten einer bestimmten politischen und wirtschaftlichen Richtung dran und macht das im Artikel beschriebene „unsichtbare Lobbying“. Dazu erhält es Forschungsaufträge von diesen Lobbyisten.

  5. der Artikel erwecke den Eindruck, IZA würde nicht über seine Finanzierung berichten.
    Im gedruckten Artikel steht aber im ersten Satz des Abschnitts über das IZA, dass das IZA von der Dt. Post-Stiftung finanziert wird. Diese Aussage ist identisch mit dem, was das IZA auf der eigenen Website selbst darstellt. Es wird also kein falscher Eindruck erweckt. Im Artikel heißt es vielmehr, dass „der breiten Öffentlichkeit die private Finanzierung völlig unbekannt“ ist. Dass die aus einem Satz bestehende Information auf der IZA-Website, die hunderttausende Sätze abrufbar hält, nicht identisch damit ist, dass dies dann auch der „breiten Öffentlichkeit“ bekannt ist, liegt auf der Hand.
    Zudem haben wir darauf hingewiesen, dass die in der Klageschrift angeführten weiteren Sponsoren wie Weltbank, Europäische Kommission, Bertelsmann-, VW- und Thyssenstiftung auf der IZA-website nicht genannt werden; somit ist die Information des IZA für die Öffentlichkeit nicht vollständig und wahrheitsgemäß.

IV.

Viele Journalisten, Redakteure und vor allem große Medien wie ARD, WDR, RTL machen vergleichbare Einstweilige Verfügungen und Unterlassungs-Verpflichtungs-Erklärungen, die sich heute zahlreich gegen Medien richten, nicht öffentlich, sondern geben meistens in aller Stille eine Unterlassungserklärung ab („wir wollen diesen Ärger nicht“), und die inkriminierte Veröffentlichung verschwindet aus der Öffentlichkeit, wird um bestimmte Stellen gekürzt, wird nicht wiederholt u.ä.
Die wenigen, die keine der zunächst geforderten Unterlassungs- Erklärungen abgeben und in Widerspruch gehen, müssen sich heute auf lange und teure Verfahren einlassen.
Die gut 20 juristischen Verfahren, die etwa die Privatbank Sal. Oppenheim wegen meines Buches „Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim“ 2006 bis 2009 gegen mich, die neue rheinische zeitung und Berichterstatter angestrengt hat, dauerten insgesamt 5 Jahre bis zur Beendigung, in einem Falle für mich erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht. Darüber informieren aber die großen Medien nicht. Meine Kosten von etwa 50.000 Euro wurden durch die teilweise Rechtshilfe meiner Gewerkschaft und durch eine Geldsammlung aufgebracht. Wegen einiger gerichtlicher Erfolge bekam ich einen Teil der Gerichtsgebühren und Anwaltskosten anteilig rückerstattet.

V.
Die Unterwerfung von Wissenschaft und Publizistik (von Politik sowieso) unter privatwirtschaftlich-asoziale Interessen wird, wie auch im Falle des Artikels „Die unterwanderte Demokratie“, begleitet von flankierenden Maßnahmen: Privates Interesse soll nicht mehr als privat bezeichnet werden dürfen, sondern soll mit dem Glanz des Allgemeininteresses, der Wissenschaftlichkeit und der unbestreitbaren, einzig richtigen Meinung umglänzt werden. Die öffentliche Sprache wird durch eine sich neutralistisch präsentierende Sprache enteignet. Dagegen ist Widerstand nötiger denn je – auch, wenn aufgezwungen, mit juristischen Mitteln.

Werner Rügemer
www.werner-ruegemer.de, [email protected]

Anmerkung WL: Die NachDenkSeiten können ein Lied davon singen. „Eine Zensur findet nicht statt“ heißt es lakonisch in Art. 5 des Grundgesetzes. Das Zensurverbot ist gegen den Staat gerichtet, Zensur durch das „Große Geld“ wird dadurch nicht verhindert.


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