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Titel: WPP – Die im Dunkeln sieht man nicht

Datum: 11. Juli 2014 um 9:50 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, Strategien der Meinungsmache
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Manch kritischem Beobachter fällt auf, dass sich die Meldungen der auflagenstärksten Medien kaum noch voneinander unterscheiden. Rein theoretisch könnten das lauter ungeplante Zufälle sein. Wer jedoch die Chance hat, ein wenig hinter die Kulissen zu schauen, erkennt da durchaus System und nicht nur Copy/Paste. Von Christoph Jehle [*]

Man sollte jedoch nicht hinter jeder Straßenecke eine Verschwörung vermuten, nur weil man um die Zusammenhänge nicht hinreichend kennt. Und die verbergen sich manches Mal wie bei WPP auch hinter solch banalen Dingen wie aus Draht gefertigten Einkaufskörben. Der Namensgeber des heute als WPP plc firmierenden Unternehmens wurde 1971 unter dem Namen Wire and Plastic Products plc als Hersteller von Einkaufskörben gegründet und ist heute einer der weltweit führenden Meinungsmacher. Der profane Unternehmenszweck der Fertigung von Draht- und Kunststoffprodukten wird übrigens in Großbritannien heute noch unter dem Namen Delfinware Household Products über die 1969 gegründete Delfinware Domestic Wireware als lokale Marke weitergeführt.

WPP hat heute seinen Sitz in Saint Helier auf der britischen Kanalinsel Jersey. Solange es steuerlich vorteilhaft war (2008-2012), gab es einen registrierten Firmensitz in Dublin, Irland. WPP versteht sich als die größte Kommunikations-Dienstleistungs-Gruppe der Welt und beschäftigt 170.000 Mitarbeiter an 3.000 Standorten in 110 Ländern. Nummer zwei auf dem Weltmarkt ist die US-amerikanische Omnicom Group, Nummer drei die französische Publicis. Den aktuellen Überblick über die WPP-Konzern-Gesellschaften findet man hier. Da die geplante Fusion von Omnicom und Publicis im Mai 2014 abgesagt wurde, konnte WPP seine Position als weltweiter Marktführer halten.

Die Wandlung der WPP begann im Jahre 1985, als Martin Sorell, der seit 1977 bei Saatchi & Saatchi tätig war, mit der Kampage „Labour isn’t working“ massiv zum Erfolg des Wahlkampfs von Margarete Thatcher beigetragen hatten. Unter Sorell wurde 1987 die J. Walter Thompson Group (JWT), 1989 die Ogilvy Group, 2000 Young & Rubicam (Y&R) und 2005 die Grey Group übernommen, die seit 1956 für Procter & Gamble arbeitet und in Deutschland spätestens mit Boris Beckers Frage „Bin ich schon drin“ oder Visas „Die Freiheit nehm ich mir“ bekannt wurde. Zahlreiche weitere Übernahmen fanden in den folgenden Jahren statt. Ein Ende der Übernahmen scheint nicht abzusehen. Nach Fernost und Lateinamerika rückte inzwischen auch das südliche Afrika in den Fokus. Auch wenn die Unternehmen unter eigenständigen Namen weitergeführt werden, können sie auf zahlreiche Dienstleistungen innerhalb der Gruppe zurückgreifen.

Die Übernahme von JWT brachte auch die PR-Agentur Hill & Knowlton unter das Dach der WPP-Gruppe. Hill & Knowlton wurde einer interessierten Öffentlichkeit im ersten Irak-Krieg bekannt als Entwickler der Horrorgeschichte, die davon berichtete, dass irakische Soldaten in kuwaitischen Kliniken Neugeborene aus den Brutkästen gerissen und an die Wand geworfen hätten. Mit Ogilvy wurde auch deren Tochter Ogilvy Public Relations Worldwide (OPR) übernommen. 2005 soll wiederum deren Tochter Ogilvy Government Relations maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, dass die China National Offshore Oil Corporation mit ihrem Gebot für die Union Oil Company of California (Unocal) (http://en.wikipedia.org/wiki/Unocal_Corporation) nicht zum Zuge kam und Unocal vom Ogilvy-Kunden Chevron übernommen wurde.

Y&R wurde in Deutschland bekannt mit Werbeaussagen wie „ Actimel aktiviert Abwehrkräfte“, „Fruchtzwerge: So wertvoll wie ein kleines Steak“ oder „Mit ARD und ZDF sitzen Sie in der ersten Reihe“. Mit Y&R wurde auch die PR-Agentur Burson-Marsteller übernommen, die für Augusto Pinochet, Nicolae Ceaușescu oder in jüngster Zeit in der Ukraine für die damalige Regierungspartei Partei der Regionen (PRU) von Präsident Janukowitsch tätig war. Für diese sollte man 2012 die vorwiegend aus dem Westen kommende ausländische Kritik an der Inhaftierung Julia Timoschenkos kontern und die Position der ukrainischen Regierung in ein besseres Licht rücken.

2008 erfolgte nach einem längeren Kampf mit der Nürnberger GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) die feindliche Übernahme von TNS (Taylor Nelson Sofres plc.), die 2009 in die 1995 etablierte Zwischenholding Kantar-Group, die Marktforschungssparte von WPP eingegliedert wurde. Zu TNS gehören in Deutschland die TNS Emnid mit den Bereichen Medien-, Politik- und Sozialforschung sowie die TNS Infratest mit den Geschäftsfeldern strategische und operative Marketingforschung in den Bereichen Automobil, Tourismus, Verkehr, Energie, Finanzen, IT, Pharma sowie Investitions- und Konsumgüterindustrie. TNS Infratest hält zudem einen Anteil von 51 Prozent an der Infratest dimap, die beispielsweise den ARD-Deutschlandtrend erheben und von der ARD mit der Wahlberichterstattung beauftragt wurden. Kantar gilt heute im Bereich der Marktforschung nach der Nielsen Holdings N.V. mit Sitz in den Niederlanden weltweit die Nummer zwei [PDF]. 2004 gründete Kantar unter dem Namen AGB Nielsen ein 50:50-Joint-Venture mit dem Größten der Befragungsbranche, das inzwischen jedoch wieder aufgelöst wurde.

Die Tatsache, dass sich im Bereich von Werbung, PR und Umfrage immer größere, weltumspannende Unternehmen entwickeln, ist für den einzelnen Bürger nicht unbedingt erfreulich. Geradezu bedenklich ist im Falle der Befragungen jedoch die immer kleiner werdende Auswahl der Stichproben. Für eine repräsentative Befragung wird üblicherweise eine Stichprobe von 1000+ herangezogen, meist zwischen 1001 und 1010. Die klassische Befragung per Telefon konzentriert sich auf Festnetzanschlüsse. Man wählt dabei aus einem öffentlichen Telefonverzeichnis nach einer eigenen Systematik die Nummern von bestehenden Anschlüssen aus und modifiziert diese Nummern nach einem starren System, bei welchem beispielsweise immer die gleiche Zahl zur Ausgangsnummer addiert wird. Damit will man sicherstellen, dass auch Anschlüsse erreicht werden können, die in keinem Telefonbuch stehen. Anschlüsse im Mobilnetz erreicht man so jedoch nicht. Und da die Befragungen meist zu Bürozeiten durchgeführt werden, erreicht man Selbständige ohne Telefonanlage, Arbeitslose und Rentner.

Das Fachmagazin AdvertisingAge veröffentliche schon 2006 einen Beitrag, der klar zum Ausdruck brachte, dass Befragungen meist wiederholt die Gleichen befragen. So sollen in Großbritannien schon damals 50 % aller Antworten von weniger als 5 % der Bevölkerung gekommen sein. Wechselt man von den Telefonbefragungen auf ein Online-Befragungstool, wird das Ergebnis mitnichten besser. Bei Online-Befragungen lieferten 0,25 % der Bevölkerung 32 % der Antworten. Da wundert es nicht wirklich, wenn die Ergebnisse solcher Befragungen beispielsweise im Zusammenhang mit Produkteinführungen zwar schönes Zahlenmaterial bereitstellen, an der Ladenkasse jedoch häufig nicht bestätigt werden. Dies mag ärgerlich sein, fällt jedoch in den Bereich unternehmerisches Risiko. Werden jedoch derartige Befragungen als Grundlage für politische Entscheidungen herangezogen, sind verfälschte Ergebnisse nicht nur ärgerlich. In Kombination mit der konzertierten PR und Werbepower eines Kommunikations-Dienstleisters mit insgesamt 170.000 Mitarbeitern steht hier ein Beeinflussungspotential bereit, das in der Praxis letztlich nur limitiert wird durch das Kapital, das zur Finanzierung der Beeinflussung aufgebracht wird.

Das Trommelfeuer kommt aus unterschiedlichen Richtungen und es lässt sich für den einzelnen Bürger kaum nachvollziehen, was glaubhaft und was letztlich nur reine Propaganda ist. Und dahinter muss überhaupt keine Verschwörung stecken. Man muss den Akteuren nicht einmal Dummheit unterstellen. Meist wird eher eine Art Herdentrieb zugrunde liegen, der sich ja nicht immer als Schwarmintelligenz herausstellt. Nur wenige machen sich Freunde mit einer Minderheitenmeinung. Da ist es zumindest ein wenig erheiternd, dass sich die Lemminge in der Realität nicht kollektiv in den Abgrund stürzen, sondern nur bei Disney. Die Tatsache, dass sich die Geschichte mit den Lemmingen schon so lange hält, ist wiederum eher frustrierend.


[«*] Dr. Christoph Jehle arbeitet in der Recherche zu historischen und aktuellen, meist technischen Entwicklungen und schreibt als freier Autor für Online- und Printmedien in Europa, darunter Telepolis.


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