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Titel: Oettinger hat die Opfer der Nazis in den Schmutz gezogen. Vermutlich mit Absicht.

Datum: 16. April 2007 um 14:21 Uhr
Rubrik: Rechte Gefahr, Wertedebatte
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Ich habe den Autor und Journalisten Gunter Haug aus Baden-Württemberg um eine Bewertung des Falls Oettinger gebeten. Haug kennt den Umgang mit den Opfern aus eigenem Erleben; er ist mit der Enkelin eines von den Nazis Ermordeten aus Oettingers und Filbingers Heimat verheiratet. Um die Opfer aus dem Volk haben sich diese Politiker nie gekümmert. Und treten jetzt wieder nach. – Zur ideologischen Nähe siehe auch unsere gemeinsamen Veranstaltungen zum Thema am 16.4., am 22.4. und 10.5. und als lesenswerter Text auch Frank Schirrmacher. Albrecht Müller.

Gunter Haug
Schwaigern

Wie sich die Reden gleichen: Filbinger, Oettinger und Co

Es ist eine skandalöse Verhöhnung der Opfer des NS Regimes, zu der sich der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger in seiner Rede anlässlich des Filbinger-Traueraktes im Freiburger Münster verstiegen hat. Ausgerechnet Filbinger nicht nur von aller (längst bewiesenen) Schuld einfach in zwei raschen Sätzen reinzuwaschen und den ehemaligen NS-Marinerichter dann auch noch als Gegner des NS-Regimes zu bezeichnen, ist dreist und eines Ministerpräsidenten in keiner Weise würdig.

Niemand braucht sich nun darüber zu wundern, dass damit die ewig Gestrigen wieder Morgenluft wittern und aus den Löchern kriechen. So wie es der langjährige Landesminister Gerhard Mayer-Vorfelder vormacht, der Oettingers Rede logischerweise eine „mutige Rede“ genannt hat. Von einer rechtsnationalen Position aus betrachtet, trifft diese Einschätzung genau den Punkt.

Oettinger reiht sich mit seiner unsäglichen Rede ein in eine traurige Tradition des Verdrängens und der Geschichtsklitterung.

Anstatt die zahlreichen meist namenlosen Opfer zu würdigen, die unter dem Gewaltregime der Hitler-Diktatur ihr Leben lassen mussten, zieht er deren Andenken mit einer Gleichstellung des Täters Filbinger als Opfer des Regimes in den Schmutz.

Immer nachdrücklicher stellt sich damit auch die Frage, weshalb focusiert sich die Landespolitik seit Jahren so stark auf reine Schaueffekte, in dem man nur extrem wenige Widerstandskämpfer als solche herausstellt, in erster Linie auf Graf Stauffenberg? Wo aber war Stauffenberg zu Beginn der Hitlerdiktatur?

Widerstandskämpfer, die diese Bezeichnung wirklich verdienen, waren Menschen wie Georg Elser und die Geschwister Scholl. Dazu die vielen Unbekannten, die man von offizieller Seite viel lieber vergessen will: Leute wie August Voll aus Kirchardt, die von Anfang an widerstanden haben und die deshalb in der Nazidiktatur umgebracht wurden. Ihnen bleibt noch heute die Anerkennung für ihr mutiges Handeln versagt. Schlimmer sogar: In der Gemeindeverwaltung Kirchardt untersagt man ein Referat über Volls Leben in gemeindlichen Räumen. In Heidelberg dagegen wird dem Arzt noch immer ein ehrendes Andenken bewahrt, in dessen „Obhut“ August Voll gestorben ist. Ein Mann, der am „Heldengedenktag“ flammende Reden gehalten hat – er bezeichnete sich nach Kriegsende als Verfolgter des Naziregimes, wie dies jetzt auch Oettinger für Filbinger reklamiert hat.

Das ist der rechte Nährboden für die ewigen Verdränger und Vertuscher, die vom aktuellen baden-württembergischen Ministerpräsidenten damit nachdrücklich ermutigt worden sind, ihr verantwortungsloses Treiben fortzusetzen.

Wie aber soll man künftig an den Schulen die Zeit der Nazidiktatur behandeln, wie soll man junge Menschen davor bewahren, den neuen braunen Verführern in die Hände zu fallen, wenn man die Geschichte dermaßen ins Gegenteil verdreht?

Oettinger, der sich nach wie vor nicht für diese unsäglichen Äusserungen entschuldigt hat, hat dem Land und seinem Amt schweren Schaden zugefügt. Ein wachsweiches Dementi in der „Bild-Zeitung“ als Entschuldigung zu bezeichnen, ist völlig abwegig. Ein Publikationsorgan wie ausgerechnet „Bild“ ist dafür keinesfalls der richtige Weg. Weshalb stellt sich Oettinger den Fragen der Journalisten nicht in einer Pressekonferenz?

Dieser Umgang mit seinem Fauxpass, der offenbar gar keiner war, macht Oettinger als Ministerpräsident untragbar. Es wäre das beste für unser Land, Oettinger würde sofort zurücktreten.


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