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Titel: Wahl in Sachsen: Historisch niedrige Wahlbeteiligung – Rechtsextreme und Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

Datum: 1. September 2014 um 8:43 Uhr
Rubrik: Rechte Gefahr, Wahlen
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Wieder einmal rühmten nahezu alle Politiker am Wahlabend in Dresden das großartige Abschneiden ihrer Parteien. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten (49,2%) sind aber wählen gegangen. Jeder siebte Wähler gab seine Stimme den Rechtspopulisten der AfD (9,74%) oder den Neonazis von der NPD (4,95%; -0,6%). Diese beiden Parteien erhielten mehr Stimmen als die SPD (12,36%; +2,0%). Von diesen Alarmzeichen für eine lebendige Demokratie und von dem dramatischen Rechtsruck ließen sich sämtliche „Wahlsieger“ am Wahlabend ihre Stimmung nicht verderben.
Man könnte das Wahlergebnis auch so zusammenfassen: Ein populärer Ministerpräsident rettet seine Partei (CDU: 39,41% ; – 0,8%); da Rot-Rot-Grün keine Perspektive abgab, gab es keine Wechselstimmung, deshalb gab es am Ferienende eine niedrige Wahlbeteiligung, die wiederum Stanislaw Tillich im Amt hielt, aber vor allem den rechten Protestparteien zugute kam und der AfD zum ersten Mal in ein deutsches Parlament verhilft. Die FDP ist mit 3,78% (- 6,2%) auch in Sachsen aus dem Landtag geschrumpft und an keiner Regierung in Deutschland mehr beteiligt. Die LINKE bleibt mit leichten Verlusten (-1,7%) zum vierten Mal stärkste Oppositionspartei (18,91%). Tillich kann durch das – nur äußerst knappe Ausscheiden der NPD aus dem Landtag – nun die SPD und die Grünen als Koalitionspartner gegeneinander ausspielen. Von Wolfgang Lieb.

Nur 49,2% der 3,4 Millionen Wahlberechtigten gingen am gestrigen letzten Tag der Schulferien in Sachsen an die Wahlurnen. 1990 waren es noch 73%, 2009 noch 52,2%.

Hatten die Sachsen bis zur Wende keine Wahl, so haben sie nach 24 Jahren offenbar nur noch wenig Interesse an einer Wahl.

Quelle: tagesschau.de

Der alte und vermutlich neue Ministerpräsident des Freistaates Sachsen wollte über das Abschneiden seiner Partei vor den Mikrofonen nicht so gerne reden, lieber sprach er darüber, dass der Wähler ihm den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben habe und die CDU nach 24 Jahren nunmehr weitere 5 Jahre die Regierungspartei stellen würde. Er brüstete sich damit, dass die seine Partei mehr Stimmanteile auf sich vereinen konnte, als Rot-Rot-Grün zusammen. Nimmt man allerdings seine bisherige Regierungskoalition zusammen, so hat diese um insgesamt 7 % verloren.
Jedenfalls hat die CDU von dem Einbruch der FDP um 6,2% nicht profitiert.

Da weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, erteilten Stanislaw Tillich allerdings nur knapp 20% per Stimmzettel den Auftrag eine neue Regierung zu bilden und gleich welche Koalition er anstrebt, so hätten höchstens ein Viertel der wahlberechtigten Sachsen ihre Stimme für die neue Regierung abgegeben.

Dass die CDU von 73 % bei der ersten Landtagswahl 1990 auf den niedrigsten Stimmenanteil von 39,4% schrumpfte und dass die Partei trotz eines hohen Popularitätsvorsprungs von Stanislaw Tillich (58% gegenüber dem SPD- Spitzenkandiaten Martin Dulig 17% und Rico Gebhardt von der Linkspartei 9% (ARD)) unter den derzeitigen Umfragewerten der Bundespartei lag, kehrte man unter den Teppich.

Quelle: heute.de

Bei der nun schon zum vierten Mal zweitstärksten Partei, der Linken (18,91%), sah man sich mit den leichten Verlusten (-1,7%) ein bisschen enttäuscht, aber stabilisiert. Man rühmte sich, dass man die absolute Mehrheit der CDU verhindern konnte, aber bis auf einen Wahlkreis in Leipzig (Jule Nagel von der Linkspartei) hat die Union sämtliche Wahlkreise gewonnen.
Die LINKE sollte sich Gedanken darüber machen, dass sie nur von 19% der Arbeiter und Angestellten gewählt wurde, während diese Berufsgruppe zu 40% die CDU wählte. Außerdem hat die Linkspartei ein demografisches Problem: Ihre größte Unterstützung erhielt sie mit 24% von den über 60-Jährigen, während sie von den unter 30-Jährigen nur noch von 14% gewählt wurde.

Die SPD mit 12,36% blieb deutlich unter ihren Umfragewerten der letzten Monate. Dass die Sozialdemokraten im – historisch betrachtet – „sozialdemokratischen Mutterboden“ seit drei Wahlen mit nur 10% mehr als die Hälfte unter den auch nicht gerade glänzenden Umfragewerten der Bundespartei lagen, wurde von allen ihren Sprechern mit der „schwierigen“ Situation erklärt. Ein bisschen besser stand die SPD allerdings auch schon mal da, aber von der Flucht von Anke Fuchs nach der Wahlniederlage 1990 und ab der Regentschaft von „König Kurt“ (Biedenkopf) im offenbar immer noch autoritätshörigen Freistaat hat sich die Partei nie erholen können. Gerade einmal 2 Prozent mehr und weniger als ein Drittel der Prozentanteile der CDU kann man nun gewiss nicht als Durchbruch bezeichnen. Wie in der vorletzten Legislaturperiode, dürfte sich die SPD aber anpassungsfreudig als Koalitionspartner für die CDU andienen.

Die Grünen haben sich im Osten allgemein und in Sachsen im Besonderen immer schwer getan, ihre leichten Verluste halten sich im Rahmen. Die Partei wird nun gegen die SPD um Tillich buhlen, um mit ihm ins Koalitionsbett zu steigen. Eine bessere Ausgangsbedingung für Koalitionsgespräche konnte sich die CDU kaum ausmalen. Letztlich wird Tillich – wie von ihm gewohnt – nichts riskieren und der SPD das Ja-Wort geben, denn diese Koalition hätte auch bei den Bürgerinnen und Bürgern die höchsten Zustimmungswerte.

Andererseits: Sollten sich die SPD und die Grünen als zu spröde Bräute erweisen, dürfte die CDU, wenn es um Macht geht – anders als die SPD gegenüber der Linkspartei – , nicht in eine „Ausschließeritis“ verfallen.

Die FDP hat bis heute noch nicht begriffen, warum sie von den Wählerinnen und Wählern in einer Wahl nach der anderen in die Wüste geschickt wird und nunmehr an keiner Regierung mehr beteiligt und nur noch in acht Landtagen vertreten ist. Der Landesvorsitzende Holger Zastrow und der Parteivorsitzende Christian Lindner wirkten jedenfalls ziemlich ratlos. Lindners Kampfaufruf gegen den angeblich „grassierenden Sozialdemokratismus“ wirkte nur noch lächerlich. Zastrow konnten es nicht begreifen, dass seine FDP aus einer Regierung herausgewählt wurde, deren Regierungschef sich jedoch erfolgreich behaupten konnte. Ähnlich wie bei der SPD kann man bei den „Liberalen“ beobachten, wenn eine Partei erst einmal das Vertrauen ihrer Stammwähler verloren hat, dann wird es sehr schwer wieder Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Das Pech für die FDP ist nur, dass sie nicht so viel Substanz hatte, wie die SPD. Die FDP ist jedoch ein warnendes Beispiel dafür, wie sich eine Partei binnen kurzer Zeit überflüssig machen kann.

Eigentlich nicht überraschend war der Anstieg der AfD von Null auf knapp 10 Prozent und damit nach der Eroberung von Sitzen im Europaparlament deren erstmaligem Einstieg in ein Landesparlament. Die neoliberalen, nationalistischen und rechtspopulistischen Euro-Krisen-Gewinnler kamen schon bei der Europawahl im Mai dieses Jahres auf diesen Wert.

Diese neue Partei hat – bei aller Zurückhaltung gegenüber Wählerwanderungsergebnissen – vor allem bei der CDU Wählerstimmen abgeworben. Kein Wunder, denn Tillich hat die AfD selbst hoffähig gemacht, indem er im Wahlkampf eine Koalition mit dieser Partei nicht ausschloss und erst kurz vor Toresschluss von der Bundes-CDU gestoppt wurde.

Die Erfolge der Rechtspopulisten beruhen aber nicht nur auf der geringen Wahlbeteiligung, darin drückt sich auch die Unzufriedenheit mit allen anderen Parteien aus. 60 % aller Befragten AfD-Wähler haben ihre Stimmabgabe als Denkzettel verstanden. Besorgniserregend ist, dass diese Partei bei den unter 30-Jährigen und bei Arbeitern überdurchschnittlich gut abschnitt.

Es ist derselbe Effekt, der auch die Erfolge des Front National in Frankreich erklärt: Ein beachtlicher Anteil der Wähler ist der Meinung, dass es egal, welche der demokratischen Parteien man wählt, es ändert sich nichts, deswegen wählen man – weil auch die Linke keine glaubwürdige Alternative mehr bietet – eben aus Protest rechts.

Auch in Sachsen lebte diese deutsche „Tea-Party“ von der provokativen Frage „das wird man doch noch sagen dürfen“, also dem Stammtischgerede über den Missbrauch von Sozialleistungen durch Einwanderer, der Stimmungsmache gegen Ausländerkriminalität, gegen Homo-Ehe, vor dem Aussterben der Deutschen und deswegen gegen die Abtreibungsgesetze und natürlich gegen den Euro – was womöglich in einer Region, die sich doch so lange nach der D-Mark sehnte, besonders attraktiv ist. Interessant ist, dass die Wähler dieser Rechtspopulisten zu einem guten Teil aus Bevölkerungsschichten stammen, die von sich sagen, dass es ihnen wirtschaftlich gut gehe. Überdurchschnittlich viele Stimmen erhielt diese Partei von den unter 30-Jährigen sowie von Arbeitern und von Selbstständigen.

Es ist ja auffällig, dass gerade im „wilden Osten“ (Karl-Rudolf Korte) Deutschlands rechte, ausländerfeindliche Parteien besonderen Zulauf finden, wo doch bekanntermaßen am wenigsten Migranten leben. Das hat sicherlich damit zu tun, dass jedenfalls in Sachsen die CDU seit der Einheit den Rechtsradikalismus schlicht leugnete. Und die Leugnung geschah deshalb, weil rechtsradikales Gedankengut bis tief in die CDU hinein angesiedelt ist.

Die NPD verfehlte um gerade einmal 808 Stimmen den Einzug in den Dresdener Landtag. Das riecht nach Wahlanfechtung oder Stimmennachzählung. Angesichts der Tatsache, dass die Neonazis relativ viele Stimmen an die AfD verloren haben, sollte man das Ausscheiden aus dem sächsischen Landtag nach drei Legislaturperioden aber nicht als Zeichen nehmen, dass nun dort der braune Spuk vorüber wäre.


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