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Titel: Kommt die wirtschaftspolitische Kurskorrektur?

Datum: 2. Mai 2004 um 11:27 Uhr
Rubrik: Finanzpolitik, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Verschiedene aktuelle Meldungen, unter anderem Äußerungen Joschka Fischers in einem Spiegel-Interview, deuten darauf hin, dass die Bundesregierung verstanden hat: ihre bisherige Reformpolitik bringt die wirtschaftliche Belebung nicht. Angeblich will sie den Kurswechsel. Die neoliberale Linie hat versagt. Die Chance, einen solchen Kurswechsel auch personell zu verankern, hat sie sich entgehen lassen. Sie hätte zum Bundesbankpräsidenten, der ja die Politik der eigenen Zentralbank und – weit wichtiger – den geldpolitischen Kurs der Europäischen Zentralbank mitbestimmt, eine Person durchsetzen können, die ein klares Zeichen für einen auf Expansion der Binnennachfrage setzenden Kurs gewesen wäre. Der Würzburger Professor Peter Bofinger war im Gespräch. Finanzminister Eichel hat dem widersprochen. So haben wir mit Axel Weber einen ziemlich unbeschriebenen Professor, dessen Nominierung der neoliberale Mainstream begeistert beklatschte, zum Bundesbankpräsidenten bekommen. Eine verpasste Chance.
Man kann der Bundesregierung zugute halten, dass sowohl die meinungsführende Wissenschaft von der Nationalökonomie als auch die Mehrheit der Medien in der wirtschaftspolitischen Debatte einen bemerkenswerten Grad an Inkompetenz erreicht hat.

Die Bundesregierung hätte mit der Ernennung eines Bundesbankpräsidenten, der kapiert hat, dass es in Deutschland vor allem an einer Stärkung der Binnenkonjunktur mangelt, ein Zeichen setzen und ein Gegengewicht bilden können gegen die unsachgemäße Fortsetzung des Geredes vom Reformstau. Einer Reihe von Äußerungen des Bundeskanzlers war zu entnehmen, dass er verstanden hat, wie sehr es jetzt auf eine Stimmungsverbesserung ankäme und dass deshalb endlich damit aufgehört werden muss, davon zu reden, Deutschland habe seine Reformaufgaben nicht erledigt.

Gerade zu repräsentativ für den gebündelten Sach-Un-Verstand waren die Einlassungen im ZDF-Morgenmagazin vom 26.4.. Es begann mit der Nachricht, in dieser Woche müsste die Wachstumsprognose wieder einmal nach unten korrigiert werden, auf vermutlich 1,5 Prozent, während der Internationale Währungsfonds bei der Weltwirtschaft insgesamt ein Wachstum von über vier Prozent real sieht. Zur Erklärung unseres Zurückbleibens werden dann die großen “Ökonomen” aus der Politik bemüht: Friedrich Merz mit der Klage über das Reformdefizit in Deutschland, der thüringische Landesvorsitzende Matschie von der SPD und die grüne Haushaltsexpertin Hermenau ebenfalls mit Hinweisen auf die Notwendigkeit von Reformen, und dann der Wirtschaftsweise Wiegard mit dem Lösungsvorschlag, noch eine Steuerreform zur Lösung des Problems obendrauf zu packen. Wie soll aus diesen Reformen die wirtschaftliche Belebung folgen?

Hätten wir einen Bundesbankpräsidenten, der nicht Teil der kollektiven Wahnvorstellung ist, Deutschlands Problem sei der Reformstau, dann könnte dieser hier zu Lande wie auch als wichtiges Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank seine Stimme erheben. Das wäre eine Stimme der Vernunft. Denn wir leiden nicht an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, wir haben extrem hohe Exportüberschüsse mit rund 66 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr, wir haben die USA als Land mit dem höchsten Welthandelsanteil wieder überholt, auch unsere Leistungsbilanz im Austausch mit den neuen EU-Beitrittsländer z. B. ist positiv. Usw. Aber es fehlt uns an Binnennachfrage. Die Konsumenten in Deutschland sind verunsichert; jede dieser Reformen, zu deren Begründung die Reformer die Lage unseres Landes regelmäßig in schwarzen Farben malen müssen, verunsichert sie weiter. Seit zehn Jahren wird unsere Volkswirtschaft unter ihren Möglichkeiten “gefahren”. Die Kapazitätsauslastung liegt knapp über 80 Prozent. Der jährliche Produktionsausfall beträgt mindestens 150 Milliarden Euro. Wann endlich begreift die deutsche Öffentlichkeit diese Zusammenhänge? Wann endlich lernen dies die Medien?

Die Mehrheit der Medien in Deutschland hat die Nominierung des Professors der Nationalökonomie Weber zum Bundesbankpräsidenten begrüßt, teils euphorisch begrüßt. Allerdings, das fiel auf, ohne Begründung, die etwas mit seinem neuen Job und der damit verbundenen ökonomischen Notwendigkeit und Möglichkeit zu tun hat. Er wurde von den Meinungsführern so herzlich begrüßt, weil sie davon ausgehen können, dass er ihre neoliberalen Kreise nicht stört und alles so weitergehen kann wie bisher. Die Bundesregierung hatte nicht den Mut gehabt, diese Kreise zu stören. Sie hätte die Kreise des eigenen Bundesfinanzministers stören müssen. Eichel begründete die Nominierung Webers mit den Worten: “Dies bedeute, dass wir in der geldpolitischen Kontinuität bleiben.” – Das bedeutet vermutlich auch, dass die Bundesbank und unser Vertreter bei der Europäischen Zentralbank die Gleichgewichtigkeit der beiden Ziele Preisstabilität und Vollbeschäftigung, die im Stabilität- und Wachstumsgesetz vorgegeben ist, auch in Zukunft missachten wird. Das wird unserem Land und auch der rot-grünen Bundesregierung schlecht bekommen. Das Land wird weiter ökonomisch unter seinen Möglichkeiten gefahren.

Vieles an dem vorherrschenden Elend folgt daraus, dass es eine kritische Begleitung des Geschehens in den Medien und in der Wissenschaft kaum noch gibt. Wo bleiben denn die Fragen nach dem Erfolg der bisherigen neoliberalen Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik? Wo bleibt denn die selbstverständliche Frage danach, wie erfolgreich die Sparpolitik eines Hans Eichel eigentlich bisher war? Und wo bleibt die Frage nach dem Erfolg der Bundesbankpolitik? Ihre Hochzinspolitik hat beginnend mit den neunziger Jahren zu der permanenten Unterauslastung unsere Volkswirtschaft geführt, unter der wir bis heute leiden.

Statt die Reformpolitik kritisch zu hinterfragen, hat die Mehrheit der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten in der vergangenen Woche die Fortsetzung des Spar- und Reformkurses gefordert. Diese Forderung ist schon deshalb grotesk, weil der bisherige Sparkurs ja nur ein Kurs der Absichtserklärungen war. Tatsächlich haben weder die Regierung Kohl noch die Regierung Schröder mit Hans Eichel gespart. Sie haben die Absicht dazu erklärt und mit ihrer Absicht den Sparerfolg immer wieder zunichte gemacht, weil sie unsere Volkswirtschaft in eine prozykliche Abwärtsbewegung getrieben haben. Man muss feststellen, dass die Mehrheit der Wissenschaft, der Medien und der Politik dem gleichen banalen Denkfehler erliegen: sie übertragen ihre einzelwirtschaftlich gültige Erkenntnis, dass der Sparabsicht in der Regel der Sparerfolg folgt, auf die Volkswirtschaft, wo dies nachweisbar und logischerweise nicht gelungen ist. Mit der verschärften Stagnation schrumpfen die Steuereinnahmen und die Beitragsleistungen der Arbeitnehmer, und der Zuschussbedarf für die sozialen Sicherungssysteme, vor allem für die Arbeitslosen, wächst. Deshalb hat Finanzminister Eichel entgegen seinen Absichtserklärungen immer mehr neue Schulden machen müssen. Auch jetzt wird der mögliche Kurswechsel der Bundesregierung falsch erklärt und falsch kommentiert. Es wird behauptet, die Bundesregierung wolle „ihren bisherigen Kurs der Haushaltskonsolidierung aufgeben“ („Sonntag aktuell“ von heute und andere Medien wie auch Vertreter der Politik). Es war keine Haushaltskonsolidierung. Was nicht ist, kann man auch nicht aufgeben.


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