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Titel: Déjà-vu – neuer kalter Krieg

Datum: 21. Mai 2007 um 15:30 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Die für mich unangenehmste Meldung der letzten Woche war: „Merkel geht offen auf Konfrontationskurs zu Putin. – Ein heftiges Wortgefecht haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Präsident Wladimir Putin auf dem EU-Russland-Gipfel in Samara geliefert. Merkel kritisierte das Anreiseverbot für Oppositionsführer Garri Kasparow. Putin konterte scharf.“ Hier wird ein neuer Kalter Krieg angezettelt. Und noch mehr als der letzte hat er innenpolitische Gründe. Albrecht Müller.

Vorweg: die innere Entwicklung in Russland gefällt mir seit langem nicht. Schon länger als manchem wirtschaftsnahen und konservativen politischen Beobachter im Westen. Diesen hat gerade die Zerstörung sozialer Einrichtungen und manche Privatisierung und Ausbeutung von Volksvermögen durchaus gefallen, solange es sich an dieser Plünderung des russischen Volkes ganz gut verdienen ließ.

Jetzt gehen immer mehr westliche Politiker deutlich auf Distanz. Unsere Bundeskanzlerin, der neue französische Präsident, die USA schon seit längerem, und auch weniger wichtige Personen aus der zweiten Reihe. Einer davon, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl-Theodor zu Guttenberg meldet sich im „Spiegel“ dieser Woche mit einem Namensbeitrag (!) zu Wort (SPIEGEL 21/2007 – 21. Mai 2007 – Moskau handelt zynisch. Die sogenannte Neue Ostpolitik des Auswärtigen Amtes ist eine Chimäre. Von Karl-Theodor zu Guttenberg“)

Da werden das Raketenabwehrsystem der USA in Polen und Tschechien bagatellisiert, da wird behauptet, Russland sei kein verantwortungsvoller Partner und die enger werdende Verflechtung im Bereich Energie sei ein verhängnisvolles Erbe der Ära Schröder, da wird beklagt, der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck habe von der gleichen Nähe zu Russland und den USA gesprochen, und dann behauptet von Guttenberg, für die intendierte „strategische Partnerschaft” mit Russland fehle das gemeinsame Wertefundament, das präferierte Bild von der Äquidistanz Deutschlands zu den USA und Russland wirke ärmlich. Schließlich habe auch Sarkozy der „Achse Paris-Berlin-Moskau“ eine deutliche Absage erteilt. Erstaunlich ist auch die offene Polemik des Obmanns der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss gegen das Auswärtige Amt und seine so genannte Neue Ostpolitik. Das tut er nicht ohne Zustimmung von Kanzlerin Merkel.

An diesem Interview wird besonders sichtbar, welche Strategie auch hinter der Attacke von Frau Merkel steckt: Mit der Kritik an den undemokratischen Zuständen Russlands wird zugleich die Lage im Westen beschönigt. So funktioniert das nach den Regeln der Kommunikationstheorie. Greife einen andern mit dem Vorwurf, der dich eigentlich treffen müsste, an, und du erscheinst in einem guten Licht:

Ernsthaft kann ein denkender Mensch heute von einer Wertegemeinschaft mit den USA George Bushs, mit Guantanamo und dem angerichteten Elend im Irak nicht mehr sprechen. Wenn jedoch das Feindbild Russland wieder funktioniert, dann geht das. Der Konflikt dient dazu, von den eigenen Schwächen abzulenken. Diese sind, gerade was Rechtsstaatlichkeit und noch mehr was Demokratie betrifft, manifest: sinkende Wahlbeteiligungen, erschreckend gleichgerichtete Medien, Berlusconi und gleichfalls wachsende Medienmacht in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen, undemokratische Strukturen der Willensbildung im EU-Europa, Manipulation und noch mal Manipulation, Ausschaltung der Arbeitnehmerschaft aus der Willensbildung in einer Reihe von westlichen Ländern, angesichts der Hegemonie des Arbeitgeberlagers auch bei uns, Schäuble und sein Umgang mit dem G8-Gipfel, pauschale Verunglimpfung von Demonstranten als Extremisten, und so weiter.

Wer diese inneren Zustände hat, braucht ein Feindbild. Und wenn das Feindbild kritikwürdig ist, umso besser. Es ist wie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts: die Scharfmacher spielen sich gegenseitig in die Hände. Und es hat den aus ihrer Sicht positiven Nebeneffekt: die Rüstung kann weitergehen.

Noch ist das nicht alles gelaufen. Aber die Tendenzen sind nicht erfreulich. Wir laufen in eine neue Konfrontation. Sie könnte auch deshalb besonders gefährlich werden, weil einzelne Partner im EU-Europa eine Rolle spielen, die wir bei der letzten Konfrontation noch nicht mit im Boot hatten. Wir müssen also gewärtig sein, immer wieder mit Konflikten ehemaliger Teile der Sowjetunion beziehungsweise ihrer Satelliten konfrontiert zu werden – wie im Falle Polens oder Estlands.

Keine gemütliche Entwicklung. Und eigentlich einmal ein Grund, Gerhard Schröder zu loben. Motive hin oder her, seine Neigung, die Freundschaft mit Russland zu pflegen, war überhaupt nicht falsch.

Eigentlich wollten wir das Ende des Ost-West-Konfliktes. Stattdessen sind gerade vom Westen gravierende Fehler gemacht worden. Die Ausdehnung der NATO bis an die Grenzen Russlands ist einer der schlimmsten Fehler.

Übrigens: Viele Russen, auch Putin-Gegner und -Kritiker sehnten sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes. Sie werden durch Busch, Sarkozy und Merkel in besonderer Weise enttäuscht.

Siehe zum Gesamtthema auch unser Beitrag vom 19. Februar 2007: Putin, neues Wettrüsten und das Berliner SPD-Grundsatzprogramm


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