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Titel: Bemerkungen zum Artikel „Brüder, zur Sonne, zur Nichtigkeit“ von Marcus Hammerschmitt in Telepolis vom 25.06.07 von Jörg Hobland, ver.di Bayern

Datum: 27. Juni 2007 um 8:15 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Gewerkschaften, Medien und Medienanalyse
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In unseren Hinweisen vom 26.06.07 haben wir unter Ziffer 6 auf eine scharfe Kritik am Verhandlungsergebnis zwischen Telekom und ver.di von Jörg Hammerschmitt verwiesen. Jörg Hobland vom ver.di-Landesbezirk Bayern hat uns dazu seine Bemerkungen zukommen lassen, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.

Liebe Leserinnen und Leser,

der Artikel von Marcus Hammerschmidt ist ein beredtes Beispiel über die Krokodilstränen einer Presse, die sich ganz ungeniert freut, wenn Gewerkschaften Niederlagen erleiden. Es ist leider aber auch eine der großen Niederlagen der Pressefreiheit, dass der heutige Journalismus sich nicht die Mühe macht, wenigstens ein bisschen zu recherchieren. Die Antwort, warum es sich bei diesem Abschluss um ein Traumergebnis für die Telekom handeln soll, bleibt der Verfasser zumindest schuldig. Mit Suggestion allein werden noch keine Tatsachen dargestellt. Wer die Berichterstattung der letzten Monate verfolgt hat und zugleich wusste, wogegen bzw. wofür ver.di hier gekämpft hat, kann sich immer nur die Augen reiben über die Darstellungen in den Medien.

So wurde selbst in öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer wieder behauptet, ver.di kämpfe um die Verhinderung der Ausgliederung der Servicegesellschaften. Diese Behauptung war aber die Propaganda des Konzerns DTAG, um damit die Illegalität des Streiks in der Öffentlichkeit zu begründen. Ver.di (ebenso wie alle anderen Gewerkschaften) können aber nur Arbeitskampfziele auswählen, die auch tariffähig sind, zu denen also überhaupt Tarifverträge abgeschlossen werden können. Die Organisation eines Konzerns bzw. eines Unternehmens unterliegt aber der „freien Unternehmensentscheidung“ und ist nicht tariflich beeinflussbar.

Worum ging es aber dann? Es ging darum, bei dem Betriebsübergang das für die Beschäftigten bisher gültige Tarifgefüge zu retten und in die neuen Gesellschaften zu überführen. Üblicherweise würden die Beschäftigten (um es einmal verkürzt darzustellen) die erworbenen Rechte nach einem Jahr verlieren oder – soweit ein anderes Tarifgefüge zur Verfügung steht, in dieses übernommen. Es versteht sich von selbst, dass ein Unternehmen ein Interesse daran hat, das Bessere auf das Schlechtere zu verschmelzen und nicht umgekehrt.

Hammerschmidt behauptet in seiner Unkenntnis, es gäbe einen Rückfall in die 38-Stunden-Woche. Dem ist entgegen zu halten, dass die 38-Stunden-Woche die tarifliche Regelarbeitszeit darstellt. Die Reduzierung auf die 34-Stunden-Woche war ein temporärer Akt im Rahmen des tariflichen „Beschäftigungsbündnisses“, der 10.000 Beschäftigten den Arbeitsplatz rettete. Die jetzige Erhöhung konnte auch vor dem Hintergrund wieder eingeführt werden, dass diese 10.000 Arbeitsplätze nun nicht abgebaut werden. Warum dies eine Niederlage der Gewerkschaft sein soll, erschließt sich in keiner Weise. Zudem wurde vereinbart, dass 4150 Nachwuchskräfte neu (also zusätzlich) eingestellt werden. Worin liegt denn hier die Niederlage?

Um aber überhaupt beurteilen zu können, worum es ging, muss man sich das Tarifgefüge erst einmal ansehen. [1] Es wurde vereinbart, dass es zu einer Vergabereduzierung externer Arbeiten kommt und somit die Arbeit im Unternehmen gehalten werden kann. Es wurde der Tarifvertrag zu den Arbeitzeitkonten übernommen. Es wurden die tariflichen Regelungen zu Rufbereitschaft und Herbeiruf geregelt. Es wurde der optimierte Dienstantritt tariflich geregelt. Es wurde der Tarifvertrag zu Bildschirmarbeit und der Tarifvertrag zu Erholzeiten mit herüber genommen. Es wurde ein Ausschluss betriebsbedingter Beendigungskündigungen bis zum 31.12.2012 tariflich vereinbart, dazu ein Auslagerungsverzicht bis zum 31.12.2010. Es wurde der Tarifvertrag Rationalisierungsschutz der DTAG übernommen. Dazu kommt noch der Standortvertrag, mit dem die Präsenz des Unternehmens in der Fläche (in ländlichen Räumen) gesichert werden soll.

Hinzu kommen weitere Tarifverträge, die in diesem Rahmen selbstverständlich nicht inhaltlich dargestellt werden können:

  • Betriebl. Altersversorgung DTAG = Deutsche Telekom AG
  • Telearbeit DTAG
  • TV Bildschirmerholzeit DTAG
  • TV Teilzeit DTAG
  • TV Arbeitsjubiläen DTAG
  • TV Umwelt DTAG
  • TV Soziales DTAG
  • TV Weiterbildung
  • TV Aussendienst DTAG
  • TV ATZ DTAG
  • TV Entgeltumwandlung / Kapitalkontenplan TMD (T-Mobile)
  • TV Telearbeit TMD
  • TV Altersteilzeit

In einem Tarifvertrag Sonderregelungen wurden vereinbart, z.B.

  • Erhalt der Betriebszugehörigkeit
  • Überführung von Arbeitszeitguthaben
  • Absicherung der „Unkündbarkeit“ einschließlich „hereinwachsen“ der Beschäftigten, die noch nicht unkündbar sind
  • Entgeltsicherung älterer Arbeitnehmer
  • Wohnungsfürsorge

Dies kann man nun wirklich nicht als Niederlage darstellen. Es ist allerdings zu unterstellen, dass Herr Hammerschmitt noch nie etwas davon gehört hat, weil er sich des Themas nicht angenommen hat. Die Tariflandschaft kennt eben mehr als nur Entgelt- und Arbeitszeittarifverträge

Nun muss an dieser Stelle noch auf das Thema Bezahlung eingegangen werden. Ver.di hat mit diesem Arbeitskampf eine Tarifauseinandersetzung zum Auslagerungsschutz geführt und keine Entgeltrunde. Dass ein Angriff auch auf diesen Bereich erfolgte, ist in keiner Weise von der Hand zu weisen. Hier aber immerhin das Nominaleinkommen verteidigt zu haben, ist sicher keine Niederlage. Es ist sicher als „Kröte“ anzusehen, dass zukünftige Entgeltverhandlungen mit einem Minus beginnen. Die Absenkung erfolgt hier schrittweise. So wird die nächste Entgeltrunde (01.01.2009) mit einer Absenkung von 2,19 Prozent beginnen, d. h. bei einem Tarifabschluss von 2,19 Prozent behalten die Beschäftigten ihr gegenwärtiges Einkommen. Ist der Tarifabschluss höher, wird eine moderate Einkommenserhöhung erzielt.

Es ist vor diesem Hintergrund sicher verständlich, dass sich das Management der Telekom mit den beiden Schlagworten 6,5 Prozent weniger Einkommen und Erhöhung der Arbeitszeit auf 38 Stunden propagandistisch sehr viel leichter tut, als ver.di mit der Gesamtdarstellung des durchaus erfolgreichen Ergebnisses. Ob die Telekom hier wirklich ihr Traumziel erreicht hat, mag dahingestellt bleiben. Der Beitrag von Marcus Hammerschmitt zeigt aber eines auf: In einer demokratischen Kultur ist der Kompromiss das einzige Mittel sich zu einigen. Da kommt selbstverständlich nicht nur Begeisterung auf. Wer eine Form der Auseinandersetzung einfordert, die in Sieg und Niederlage, mit dem Gesichtsverlust einer Seite endet, verabschiedet sich von diesem kulturellen Ansatz.

Es mag durchaus sein, wie Hammerschmitt behauptet, dass die Gegenseite das Interesse an einer Partnerschaft verloren hat und mit dem Klassenkampf von oben ernst macht. Die Begründung, sie sei aus Gründen der globalen Konkurrenz dazu gezwungen, ist allerdings hanebüchen.
Wer dies propagiert, sollte dann auch so konsequent sein, zu sagen: Im Zeitalter der Globalisierung ist die Demokratie das falsche Gesellschaftsmodell. Gewerkschaftliche Rechte sind immer die demokratischen Rechte derer, die keine Macht haben. Die Erfahrungen aus der Weimarer Republik geben keinen Hinweis darauf, dass die verweigerte Anerkennung demokratischer Spielregeln zu mehr Demokratie und besseren Ergebnissen geführt hat.

Der Streik war alles andere als zahm. Er hat eine flächendeckende Wirkung gehabt und gewollt nur in Teilen die Bevölkerung tangiert. Nur jemand der sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen wollte, kann zu dem Ergebnis kommen: Es sei unentscheidbar, ob das noch normaler Service war oder schon Streik. Man mag ver.di verzeihen, dass es nicht das Ziel der Gewerkschaft war, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu treffen, sondern das Management.

Erschreckend ist und dies muss kritisiert werden, die Gier des Journalismus (ich verallgemeinere hier bewusst) nach Sensationen. Selbstverständlich ist es für einen Journalisten viel spannender, über randalierende Demonstranten zu berichten, als sachlich über das hier dargestellte Tarifpaket. Ziel war es jedoch, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten abzusichern und nicht die Sensationspresse zu bedienen. Worthülsen lösen keine Probleme. Was bitteschön ist der Unterschied zwischen einem Streik und einem „echten“ Streik?

An einem Punkt muss man den Kritikern allerdings zustimmen. Die Realeinkommen konnten sicher nicht verteidigt werden. Rechnet man dies volkswirtschaftlich hoch, trägt dies nicht zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei. Dies auch vor dem Hintergrund, dass fast überall der Versuch unternommen wird, Reallohnsenkungen durchzusetzen. Es sei in diesem Zusammenhang aber darauf verwiesen, dass diese Tarifauseinandersetzung auch eine Auseinandersetzung mit der Bundesregierung war. Es ist sicherlich nicht falsch, dass René Obermann einen Auftrag von Peer Steinbrück (SPD) und Thomas Miro (SPD) hatte, dieses Unterfangen durchzuführen. Zumindest wurde im Aufsichtsrat der Telekom mit der Stimme von Thomas Miro die Zustimmung erteilt. Eine falsche Regierungspolitik kann aber nicht durch eine gewerkschaftliche Tarifpolitik kompensiert werden. Dieser Illusion sitzen leider noch zu viele auf. Für die Sozialdemokratie gilt: Man kann nicht auf den Parteitagen und in Zeitungsartikeln für die soziale Gerechtigkeit eintreten und in der Regierungsverantwortung das Gegenteil praktizieren, wenn man sich selbst ernst nimmt oder ernst genommen werden will.

Zusammenfassend kann gesagt werden:

  • Das Tarifergebnis ist weder eine Katastrophe noch Debakel.
  • Es ist kein glanzvoller Sieg, aber eine beachtliche Arbeitsleistung!
  • Das in der Realität Machbare orientiert sich nicht an den Wünschen von Journalisten. Mehr Rambazamba hätten kein besseres Ergebnis gebracht.
  • Eine falsche Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik kann nicht durch die Tarifpolitik korrigiert werden, dazu ist diese nicht da.
  • Die Globalisierung zwingt nicht zu Fehlentscheidungen. Die angeführte Logik existiert nicht.

[«1] Die einzelnen tarifvertraglichen Inhalte können wegen des Umfangs hier natürlich nicht erläutert werden.


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