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Titel: Kabinettsklausur: „Aufschwung – Teilhabe – Wohlstand“

Datum: 27. August 2007 um 9:06 Uhr
Rubrik: Strategien der Meinungsmache, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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So lautet die Überschrift des Abschlusspapiers der Kabinettsklausur auf Schloss Mesberg [PDF – 56 KB]. Man hört die Botschaft wohl, allein sie wird durch die darin beschriebenen Absichtserklärungen und Prüfaufträge nicht belegt. Die Überschrift über das Abschlusspapier beweist eigentlich nur, dass die Bundesregierung das größte Legitimationsdefizit ihrer „Reform“-Politik mit wohlklingenden Schlagworten zu überdecken versucht. Denn immer mehr Menschen fragen immer drängender danach, was denn der moderate Aufschwung mit den „Reformen“ zu tun haben soll und vor allem, wer an diesem Aufschwung teil hat und wer eigentlich vom gestiegenen Wohlstand profitiert. Wolfgang Lieb

„Wir wollen, dass der Aufschwung für mehr und mehr Menschen auch persönlich spürbar wird. Das setzt Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft voraus, aber auch gesellschaftliche und politische Anstrengungen“, heißt es in dem Papier einleitend.

Was hat es den Menschen „persönlich“ gebracht, dass die „Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft“ seit Jahren so hervorragend ist, dass Deutschland seine Exportleistungen ständig steigern konnte? Welcher Gruppe in dieser Gesellschaft werden eigentlich mit den „Strukturreformen“ „Anstrengungen“ abverlangt?
Wem werden denn mit der Umsetzung der „bereits verabredeten Initiativen“ zur Alterssicherung, zur Stärkung der Pflege, zum Niedriglohnbereich Opfer abverlangt?
Dazu ein treffendes Zitat der Kanzlerin aus dem ZDF-Sommerinterview:
ZDF: Sie haben diese Ergebnisse aber auch erzielt, weil Sie den Bürgern viel zugemutet haben, zum Beispiel wenn wir an die Mehrwertsteuererhöhung denken.
Merkel: Richtig, habe ich ja gesagt. Deshalb bin ich auch eine gute Reformerin.

Bringen die Mehrwertsteuererhöhung, die Rente mit 67, die „Riester-Rente“, Hartz IV, die Ausweitung des Niedriglohnbereichs oder die Pläne zur (Teil-) Privatisierung der Pflege den Arbeitnehmern mehr Wohlstand, oder greifen diese Reformen nicht viel mehr in die Taschen der Arbeitnehmer?
Zur „Wettbewerbsfähigkeit“ nochmals Merkel im ZDF-Sommerinterview:
Wir haben die Mehrwertsteuer erhöht, wir haben die Eigenheimzulage gestrichen. …
Wir haben eine Unzahl von Reformen durchgeführt. Wir werden aus der Steinkohle aussteigen, wir werden die Bahn privatisieren. Wenn ich jetzt die Unternehmenssteuerreform nehme, das alles sind Dinge, die Schritte in eine Richtung sind, um Deutschland wettbewerbsfähig in der Welt zu machen.

Hat Deutschland eigentlich vor diesen „Reformen“ Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit gehabt, und durch welche dieser „Reformen“ ist Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht worden?

Bringen die Maßnahmen zur inneren Sicherheit und verbesserten Terrorabwehr, bringt die Privatisierung der Bahn mehr Teilhabe?

Wird eine noch in diesem Jahr erwogene Entscheidung, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf unter 3,9 Prozent zu senken, die berufliche Eingliederung tatsächlich verbessern? Die weitere Rücknahme der Leistungen der Bundesagentur mag das Fordern erhöhen, aber gewiss nicht das Fördern.

Ist die Aufnahme der Postdienstleistungen in das Arbeitnehmerentsendegesetz, sofern „die Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen Antrag stellen“ und unter der Annahme, „dass über 50 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Postbranche tarifgebunden sind“, gemessen an dem Zugeständnis der weiteren Liberalisierung der Postmärkte zum 1.1.2008 nicht eher ein Danaergeschenk?

Stellt eine „Neuausrichtung der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik in 2007 durch Straffung und Präzisierung“ nicht eher eine Bedrohung für die Arbeitslosen dar?

Oder: Wo sieht eigentlich die Bundesregierung einen „dynamischen Aufschwung im Osten“?

„Die Bundesregierung will Erwerbstätige, die voll beschäftigt sind oder nahe daran, aber mit ihrem Arbeitseinkommen nicht das Existenzminimum erreichen, möglichst vor Hilfebedürftigkeit schützen (sie fallen damit nicht ins ALG II) und bessere Anreize für die Ausweitung der Erwerbstätigkeit in Richtung Vollerwerbstätigkeit setzen.“ Was könnte Erwerbstätige, „die voll beschäftigt sind“, vor dem Existenzminimum besser schützen als ein Mindestlohn? Sahen die „Anreize“ für die Ausweitung der Erwerbstätigkeit bisher nicht eher so aus, dass die Leistungen bei Arbeitslosen gekürzt werden sollen, um einen materiellen Druck zu schaffen, jede noch so niedrig bezahlte Arbeit anzunehmen?

Wird ein “Ausbildungsbonus” für überdurchschnittlich ausbildende Betriebe, finanziert aus Steuergeldern, mehr Ausbildungsplätze bringen als eine Ausbildungsplatzabgabe für diejenigen Betrieben, die unter ihren Möglichkeiten ausbilden?

„Mehr Durchlässigkeit, insbesondere zwischen Berufs- und Hochschulausbildung. Mehr Hochschulabsolventen – das heißt: 40 % eines Jahrganges für ein Studium gewinnen“. So begrüßenswert der Zugang zum Studium für Meister wäre, sind aber nicht der zunehmende (örtliche) Numerus Clausus durch die Einführung von gestuften Studiengängen oder die Einführung von Studiengebühren nicht viel höhere Zugangsbarrieren zu „Aufstiegschancen“?

„Wir wollen eine arbeitsmarktadäquate Steuerung der Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte vorsehen und die Position unseres Landes im Wettbewerb um die Besten stärken“ heißt es in dem Papier. Werden damit nicht weitere Aus- und Weiterbildungsanstrengungen konterkariert?

„Um aktuelle Engpässe bei Ingenieurberufen in besonders nachgefragten Fachrichtungen auszugleichen, zur Zeit bei Maschinen- und Fahrzeugbau und Elektroingenieuren, wird die Bundesagentur für Arbeit ab dem 1.11.2007 für Bewerber solcher Fachrichtungen aus den neuen zwölf EU-Mitgliedsstaaten auf die individuelle Vorrangprüfung verzichten.“ Nimmt man damit den nach Angaben des Verbandes deutscher Ingenieure (VDI) über 22.500 arbeitslos gemeldeten (meist älteren) Ingenieuren nicht ihre letzte Chance, wieder in den Arbeitsmarkt aufgenommen zu werden?

Da wird nun gerade das Hochschulrahmengesetz abgeschafft, und jetzt soll ein „Wissenschaftsfreiheitsgesetz mehr Flexibilität für Forschungseinrichtungen und Hochschulen, u.a. bzgl. Haushaltsrecht, Baurecht, Ausgründungen, Mitnahmefähigkeit von Pensionen, Nebentätigkeitserlaubnissen; Ausbau der nationalen und internationalen Vernetzung“ schaffen.
Weiß da die linke Hand nicht mehr was die rechte tut? Hat man nicht noch vor kurzem die Föderalismusreform mit der Dezentralisierung der Zuständigkeit für die Hochschulen als „Jahrhundertreform“ gefeiert?

Und wie will man eigentlich einem „internationalen Rahmen der sozialen Marktwirtschaft“ Geltung verschaffen, wenn man schon im Innern immer mehr soziale Standards abbaut?

Man kann die meisten der auf 11 Seiten niedergeschriebenen Ankündigungen, Absichtserklärungen oder Prüfaufträge durchgehen, fast überall folgen mehr Fragezeichen als Antworten, wie sich daraus „Teilhabe und Wohlstand“ für die Mehrheit der Bevölkerung ergeben sollen. Und solche Fragezeichen sind ja nicht Ausdruck eines überzogenen Misstrauens in die Regierungspolitik: Haben nicht viele Menschen bitter erfahren müssen, dass sich hinter den wohlklingenden „Reform“-Ankündigungen eher Bedrohungen statt Verbesserungen verbergen?

Was die Regierung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode konkret zur Stabilisierung des Aufschwungs zu tun gedenkt, wie sie praktisch für mehr „Wohlstand für alle“ (Merkel im ZDF-Sommerinterview) und für mehr Teilhabe daran sorgen will, danach kann man in dem langen Abschlusspapier ziemlich lange suchen.

Dass die „Ergebnisse sozialdemokratisch anmuten“ sollen, kann nur von solchen Kreisen behauptet werden, denen die „Zumutungen“ immer noch nicht weit genug gehen oder die darüber hinweg täuschen wollen, dass die Sozialdemokraten in der Regierung weitgehend auf Merkel-Kurs liegen.
Und weil die Sozialdemokraten sogar noch stolz darauf sind, dass sie sich der Kanzlerin fügen, ist es auch kein Wunder, dass Frau Merkel der SPD den Wind aus den Segeln nimmt.
Wie schrieb die Süddeutsche Zeitung jüngst so schön: „Merkel ist die beste Sozialdemokratin, die die SPD zurzeit hat“. Und Müntefering ist „Merkels treuester Schlosshund“ möchte man dazu mit der taz hinzufügen.


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