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Titel: Das Buch zur Krise: „Nur Deutschland kann den Euro retten“ von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas

Datum: 19. Juni 2015 um 9:03 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Europäische Union, Rezensionen, Wettbewerbsfähigkeit
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Nur Deutschland kann den Euro retten

Die Griechenland-Krise spitzt sich zu: „Grexit“ oder gar „Graccident“? „Showdown“ auf dem EU-Finanzministertreffen? Kommt ein Schuldenschnitt? Oder gar das Ende der Sparpolitik? „Griechen-Bashing“ oder doch „Deutschen-Bashing“? Wer bei all dem Wirrwarr dieser Tage noch den Durchblick behalten will, dem sei das Buch der beiden Ökonomen Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas zur Lektüre empfohlen. „Nur Deutschland kann den Euro retten“, heißt es. Das Buch ist wichtig und hochaktuell zugleich. Denn es liefert die theoretischen Grundlagen zur Euro-Krise und bietet überdies linken Regierungen einen Leitfaden für den Euro-Ausstieg. Hauptverursacher der Krise ist nach Ansicht der Autoren aber nicht der vielzitierte „griechische Schlendrian“, sondern – der Titel lässt es bereits erahnen – das auf Export und Austerität basierende deutsche Wirtschaftsmodell. „Wir haben darin noch einmal die Geschichte der Eurokrise aufgerollt und Schritt für Schritt gezeigt, welche fatale Rolle Deutschland von Anfang an spielte“, sagte Flassbeck über das Buch. Von Thomas Trares [*]

Im Zentrum ihrer Analyse steht die Entwicklung der Lohnstückkosten in der Eurozone. Diese sind nämlich nicht nur ein Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, sondern auch der „entscheidende Faktor für die Preisbewegungen in einer Volkswirtschaft“. Wichtig in einer Währungsunion ist nun, dass sich die Staaten auf ein Inflationsziel einigen und ihre Lohnpolitik daran ausrichten, indem sie die Löhne an die nationale Produktivität anpassen. Verkürzt heißt dies: In einer Währungsunion sollten Länder mit hoher Produktivität hohe Löhne zahlen, Länder mit niedriger Produktivität niedrige Löhne.

Berücksichtigt man ferner, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ein Inflationsziel von nahe bei zwei Prozent verfolgt, dann sollte sich der Lohnzuwachs in einer Volkswirtschaft auf die Summe des nationalen Produktivitätswachstums plus zwei Prozent Inflation belaufen. Gegen diese „goldene Regel“ hat aber nicht nur Griechenland verstoßen, indem es lange Zeit zu hohe Löhne zahlte, sondern auch Deutschland mit seinen über Jahre hinweg zu geringen Lohnzuwächsen. „Länder, die ´über ihren Verhältnissen leben´, sind ebenso problematisch wie solche, die ´unter ihren Verhältnissen leben´“, schreiben Flassbeck und Lapavitsas dazu.

Aufgegangen ist diese Schere bereits im Jahr 1999. Die Einführung des Euro fiel damals mit einer Neuausrichtung der deutschen Arbeitsmarktpolitik zusammen. Die Bundesregierung begann gemeinsam mit den Arbeitgebern Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, um die hohe Arbeitslosigkeit mit niedrigeren Lohnzuwächsen zu bekämpfen. Die Gewerkschaften knickten schließlich ein. Sich einen Vorteil innerhalb der Währungsunion zu verschaffen, stand damals noch nicht im Vordergrund.

Dennoch war damit der Grundstein für eine Niedriglohnpolitik gelegt, die in den folgenden Jahren einen Keil in die Währungsunion treiben sollte. Denn nach einem Jahrzehnt hatte sich so zwischen Deutschland und Südeuropa eine Kosten- und Preislücke von etwa 25 Prozent aufgetan. Die Konsequenzen daraus sind: Leistungsbilanzungleichgewichte, Deflation und eine steigende Verschuldung in den Peripheriestaaten. „Deutschland hat eine Politik der ´Bereicherung auf Kosten seiner Nachbarn´ verfolgt, aber erst nachdem es sich ´auf Kosten seiner eigenen Beschäftigten bereichert´ hat. Das ist das Geheimnis des deutschen Erfolgs der letzten anderthalb Jahrzehnte“, schlussfolgern die beiden Ökonomen.

Eine Besserung der Lage ist freilich nicht in Sicht. Denn bei den handelnden Personen in Berlin und Brüssel ist eine Einsicht in solche Zusammenhänge erst gar nicht vorhanden. Flassbeck und Lapavitsas sprechen hier von einem „dicken Panzer politischer Vorurteile“, der seit Beginn der Krise eine vernünftige und konstruktive politische Debatte verhindert habe. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass hier zwei vollkommen konträre ökonomische Denkschulen aufeinanderprallen. Hier der nachfrageorientierte Keynesianismus von Flassbeck und Lapavitsas, dort der angebotsorientierte Monetarismus der Bundesregierung mitsamt seiner „besessenen Fixierung auf Fiskalziele“ und „absoluten Intoleranz gegenüber einer Inflation von mehr als zwei Prozent“.

Auch von der Europäischen Kommission ist keine Hilfe zu erwarten. Zwar hat man dort die fortwährenden Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands als Problem erkannt und mit dem „Six Pack“ ein Verfahren eingeführt, das in der Lage ist, diese zu überwachen. Doch die praktischen Erfahrungen sind ernüchternd. Prüfberichte und Interpretation der Daten seien nach wie vor „vom neoklassischen Ansatz gefärbt“. Bei den Lohnstückkosten etwa vertritt die EU-Kommission den Grundsatz: „Je niedriger, desto besser“. Mit einem solchen Ansatz wird es der Kommission nicht gelingen, die Währungsunion aus der Krise zu führen, glauben Flassbeck und Lapavitsas. Auch eine politische Union bzw eine Transferunion halten die beiden für keine gangbare Alternative. Denn in Europa gebe es schlichtweg kein Staatsvolk (demos), das das Funktionieren einer solchen Union gewährleisten könne.

Im Grunde haben die Autoren das Thema Währungsunion abgehakt. „Die Zukunft der Eurozone sieht trostlos aus“, schreiben sie. „Deutschland hat sich als die dominante Macht der EU herausgeschält, die anderen ihre Bedingungen diktiert, die entscheidenden Einfluss auf die Debatten nimmt und eifersüchtig über ihre Vorteile wacht“. Der politischen Linken in Europa empfehlen sie deswegen, sich gezielt auf einen konfrontativen Austritt aus dem Euro vorzubereiten. Allerdings befindet sich jede Regierung, die ein Alternativprogramm durchsetzen will, sofort in einem unauflösbaren Konflikt. Die Autoren bezeichnen diesen „unmögliche Triade“. Demnach ist es unmöglich, einen drastischen Schuldenschnitt zu organisieren, die Sparpolitik zu beenden und gleichzeitig im politischen und institutionellen Rahmen der Währungsunion zu verbleiben.

Eine linke Regierung sollte deswegen lieber gleich Verhandlungen über eine neue Beziehung zur EU und Währungsunion führen. Der Ausstieg aus dem Euro sollte dabei immer eine Option sein. Die größte Schwierigkeit dürfte dann darin bestehen, die Liquidität aufrechtzuerhalten und ein lebensfähiges Wechselkursregime zu schaffen. Der Konflikt mit den Institutionen der EU und der Währungsunion wird unvermeidlich sein, die Opposition der Neoliberalen unerbittlich.

Schließlich exerzieren die beiden Ökonomen am Beispiel Griechenlands durch, wie ein Ausstieg aus dem Euro aussehen könnte. Die Ausgangslage beschreiben sie wie folgt: „Das Land scheint in einem Gleichgewicht niedrigen Wachstums und außerordentlich hoher Arbeitslosigkeit gefangen, ohne über die Instrumente der Wirtschaftspolitik zu gebieten, die seine Misere ändern könnten. Außerdem wird Griechenland von enorm hohen Schulden niedergedrückt und durch eine Reihe von Abkommen und institutionellen, von EU und Währungsunion festgelegten Mechanismen geknebelt, die das Land zwingen, seine Wirtschaftstätigkeit in die Bedienung seiner Schulden zu kanalisieren. Der einzige Ausdruck, der diese Sachlage angemessen beschreibt, ist Schuldknechtschaft.“

Um sich daraus befreien zu können, entwerfen die Autoren einen Alternativplan für Griechenland, der folgende Punkte umfasst: einen radikalen Schuldenerlass, ein Ende der Sparpolitik, die Verstaatlichung des Bankensystems, die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit, eine ökologisch nachhaltige Industriepolitik sowie Demokratisierung und Umbau des Staates.

Ihr Buch haben Flassbeck und Lapavitsas zwar schon vor der Machtübernahme SYRIZAS in Griechenland geschrieben, der Wahlsieg der Linkspartei im Januar dieses Jahres hatte sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung aber bereits angedeutet. „Es ist wahrscheinlich, dass es in naher Zukunft, vielleicht schon 2015, zur Bildung einer linken Regierung unter Führung der Oppositionspartei SYRIZA kommt. Für Griechenland wäre das ein folgenreiches Ereignis, und für Europa könnte sich das als Wendepunkt erweisen“, orakelten Flassbeck und Lapavitsas seinerzeit. Möglicherweise ist Europa in diesen Tagen genau an solch einem Wendepunkt angekommen.


[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.


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