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Titel: Finanzhypokrisie. Von Joseph Stiglitz

Datum: 12. Dezember 2007 um 8:13 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Finanzkrise, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Dank unserer aufmerksamen und freundlichen Leserinnen und Leser kommen wir und Sie immer wieder in den Genuss von interessanten Beiträgen und zum Beispiel auch von Übersetzungen. So erreichte uns gestern folgende Mail: Liebes Team der Nachdenkseiten, der Kommentar von Albrecht Müller über die Arroganz unserer Kanzlerin hinsichtlich “guter Regierungsführung” der afrikanischen Staaten in Ziffer 8 der Hinweise vom 10. 12. hat mich an den folgenden Artikel von Joseph Stiglitz in der spanischen Tageszeitung El Pais erinnert. Die Übersetzung habe ich beigefügt. – Wir sagen Danke und reichen das Geschenk weiter.

Finanzhypokrisie

Joseph Stiglitz
Aus: El pais 30/11/2007 Tribühne

Dieses Jahr erleben wir den 10ten Jahrestag der Ostasienkrise, die in Thailand am 2. Juli 1997 begann und sich über Indonesien im Oktober nach Korea im Dezember ausbreitete. Sie ging dann schließlich über in eine weltweite Finanzkrise, die Russland und einige andere Länder Lateinamerikas, wie Brasilien, erreichte und eine Serie von Kräften entfesselte, die in den folgenden Jahren fortfuhren zu wirken: Man könnte sagen, daß Argentinien in der Situation im Jahre 2001 eines ihrer Opfer war.

Nach der Krise von 1997 gab es in der Welt nicht eine Finanzreform von Bedeutung.
Es gab viele andere unschuldige Opfer, unter ihnen Länder, die nicht einmal an den internationalen Kapitalflüssen, die den Ursprung der Krise veranlaßten, teilnahmen. Eines der am meisten betroffenen war z. B. Laos. Obwohl alle Krisen gerade beendet waren, wußte in jenem Augenblick niemand die Weite, die Tiefe, nicht einmal die Dauer der Rezessionen und abgeleiteten Depressionen. Es war die schlimmste Krise seit der Großen Weltwirtschaftskrise.

In meiner Eigenschaft als Chefökonomist und erster Vizepräsident der Weltbank war ich inmitten des Brandes und der Debatten über seine Ursachen und die politisch adäquaten Antworten. Diesen Sommer und diesen Herbst habe ich wieder viele betroffene Länder, unter ihnen Malaisia, Laos, Thailand und Indonesien besucht. Es ist ermutigend zu sehen, wie sie sich erholt haben. Diese Länder haben heute ein Wachstum von 5 oder 6% und mehr; nicht so schnell wie in den Zeiten des Ostasienwunders, aber vielmehr als zahlreiche Beobachter nach der Krise voraussahen.
Viele Länder änderten ihre Politik, aber in eine andere Richtung als sie der IWF empfahl. Die armen waren diejenigen, die am meisten unter den Folgen zu leiden hatten angesichts dessen, daß die Löhne im Sturzflug sanken und die Arbeitslosigkeit hoch schnellte. Je nachdem wie die Länder aus dem Loch herauskamen, entschieden sich viele der „Harmonie“ eine neue Bedeutung zu geben in dem Sinne, die Bresche zwischen Reich und Arm, Stadt und Land zu reparieren. Sie legten mehr Gewicht auf Investitionen in Menschen, sie lanzierten phantasievolle Initiativen, um mehr Bürgern Gesundheit und den Zugang zu Geld zu gewähren, und sie schufen Sozialfonds, um lokale Gemeinden bei ihrer Entwicklung zu helfen.

Untersuchen wir die Krise 10 Jahre später, können wir mit mehr Klarheit erkennen, bis zu welchem Punkt der IWFund das Finanzministerium der USA sich bei ihren Diagnosen, Rezepten und Prognosen irrten.
Das fundamentale Problem war die frühzeitige Liberalisierung der Kapitalmärkte. Es scheint deswegen ironisch, daß der Staatssekretär des US-Finanzministeriums wieder dabei ist die Liberalisierung der Kapitalmärkte in Indien zu empfehlen, eines der beiden großen Länder auf dem Wege der Entwicklung (gemeinsam mit China), das aus der Krise 1997 schadlos herauskam.

Es ist kein Zufall, daß die Länder, die ihren Kapitalmarkt nicht gänzlich liberalisierten, es so gut ergangen ist. Die anschließenden Nachforschungen des IWF haben all jene seriösen Studien bestätigt, die sagen: Die Liberalisierung der Kapitalmärkte verursacht Instabilität und nicht notwendigerweise Wachstum (Indien und China waren auch die Ökonomien, die am schnellsten wuchsen).

Selbstverständlich begünstigt die Liberalisierung der Kapitalmärkte die Wall Street (deren Interessen das US-Wirtschaftsministerium vertritt): Sie verdient Geld mit den Kapitaleingängen, mit den Ausgängen und mit der Restrukturierung, die durch das folgende Chaos stattfindet. In Südkorea empfahl der IWF den Verkauf der staatlichen Banken an US-Investitoren, trotz der Tatsache, daß die Koreaner 40 Jahre ihre Volkswirtschaft in einer bewundernswerten Weise mit einem größerem Wachstum und größerer Stabilität als die USA führten und ohne die systematischen Skandalen der nordamerikanischen Finanzmärkte.

In einigen Fällen kauften US-Firmen die Banken, sie hielten sie bis sich Korea erholte und dann verkauften sie sie mit Milliarden Dollar Gewinn. In der Eile, die Westlichen zum Kauf der Banken anzuhalten, vergaß der IWF ein Detail: die Garantie, daß Südkorea zumindest einen Teil der Wohltaten über die Steuer zurückerhielt. Man kann darüber diskutieren, ob nordamerikanische Investoren mehr Erfahrungen im Bankwesen entstehender Märkte hatten, aber es ist unzweifelhaft, daß sie mehr Erfahrungen in der Steuerflucht haben.

Der Widerspruch zwischen den Ratschlägen des IWF und dem US-Finanzministerium Ostasien gegenüber und dem, was in dem aktuellen Desaster der Hypotheken mit hohem Risiko geschieht, ist nicht zu verneinen. Den ostasiatischen Länden sagte man, daß sie ihre Zinssätze erhöhen sollten, in einigen Fällen bis 25%, sogar 40% oder mehr, wodurch eine Welle von Zahlungseinstellungen hervorgerufen wurde. In der aktuellen Krise haben die Zentralbank der Vereinigten Staaten und die Europäische Zentralbank die Zinssätze reduziert.

Ebenso erhielten die von der ostasiatischen Krise betroffenen Länder den Ratschlag, daß mehr Transparenz und weniger Regulierung notwendig sei. Jedoch war der Mangel an Transparenz ein fundamentaler Faktor für die Kreditkrise in diesem Sommer; die faulen Hypotheken waren umgewandelt, verteilt über die gesamte Welt, eingepackt in bessere Produkte und vorgetäuscht als Garantie, so daß niemend mit Sicherheit sagen konnte, von wem was hatte. Und nun hört man einen Chor von Stimmen der Vorsicht hinsichtlich der neuen Normen, die selbstverständlich ein Hinderniss für die Finanzmärkte sein könnten (einschließlich der Ausbeutung der schlecht informierten Kreditnehmer, das die Wurzel der Problems darstellt). Am Schluß haben trotz der Hinweise über die moralischen Risiken die westlichen Banken es erreicht, daß man sie rettet, teilweise, von ihren schlechten Investitionen.

Nach der Krise 1997 entstand der Konsens, daß eine fundamentale Reform der finanziellen Weltarchitektur notwendig sei. Aber das aktuelle System ist, obwohl es eine unnötige Instabilität hervorruft und fürchterliche Kosten den Schwellenländern aufdrängt, für betimmte Interessen nützlich. So ist es nicht befremdlich, daß 10 Jahre später nicht eine einzige Reform von Bedeutung stattfand. Auch nicht, daß die Welt erneut einer Periode der finanziellen Instabilität gegenübersteht mit unsicherem Ausgang für die Weltwirtschaften.

Joseph Stiglitz ist Wirtschaftsnobelpreisträger.
Sein letztes Buch heißt Making Globalization Work. Project Syndicate, 2007. Übersetzung von Maria Luisa Rodrígues Tapia.


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