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Titel: „Perspektive Deutschland 2004“, eine Umfrage, die exemplarisch ist für die Umdeutung von Kritik an der „Reform“-Politik in die Forderung nach weiter gehenden Reformen

Datum: 28. April 2005 um 17:03 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, Manipulation des Monats, Wertedebatte
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Großes Tamtam dürfte eine Online-Umfrage unter mehr als einer halben Million Teilnehmern entwickelt vom Unternehmensberater McKinsey und wohl finanziert von ZDF und Stern die nächsten Tage erregen. „Deutschland in der Krise“, „Deutsche bekennen sich klar zu Reformen“, „Wir müssen konsequent den Weg weiter gehen“ sollen die Botschaften sein. Dass sich die Deutschen in ihrem Heimatland überwiegend wohl fühlen, dass sie sich aber sehr wohl Sorgen über den eingeschlagenen politischen Kurs machen oder dass sie mehr soziale Gerechtigkeit wollen, das wird bei der Interpretation dieser aufwändigen Umfrage ausgeblendet, umgedeutet oder kommt allenfalls zwischen den Zeilen vor.

Lassen wir einmal die Frage, ob mit Online-Umfragen ein repräsentatives Stimmungsbild gewonnen werden kann, außen vor. Reden wir auch nicht darüber, dass ZDF und Stern nicht etwa ein renommiertes Meinungs- oder gar ein Sozialforschungsinstitut beauftragt, sondern die angebotenen Dienste der in ihrer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ausrichtung einschlägig bekannten Unternehmensberatungsfirma McKinsey in Anspruch genommen haben.

Schaut man bei „ZDF.de“ auf die Darstellung der Ergebnisse, so verkünden die Überschriften folgende Hauptbotschaften: „Große Vertrauenskrise“, „Deutschland in tiefer Krise“, „85% bekennen sich klar zu Reformen“ und wollen den „gesellschaftlichen Wandel“.

Sieht man sich allerdings die Umfrageergebnisse im Detail an, so staunt man über solche Schlussfolgerungen: „Die Stimmung in Deutschland ist schlecht“ lautet ein Fazit. Dabei ergibt das Umfrageergebnis, dass 64% der Deutschen – im Westen sind es sogar 75% – sich in ihrem Heimatland „wohl fühlen“. Im lebensfrohen Frankreich sind es dagegen nur 62% und in „bella Italia“ nur 53%, im wirtschaftlich angeblich so erfolgreichen England gar nur 46% und ganz schlecht ist die Gefühlslage im papsttreuen Polen, wo sich nur 6% derzeit wohl fühlen. Wenn in Deutschland also Depression herrscht, dann müsste bei unseren Nachbarn mindestens schon Weltuntergangsstimmung herrschen und die Polen können eigentlich nur noch „rüber machen“.

Wie so häufig in den letzten Jahren, darf man sich in Deutschland aber nicht mit zufriedenstellenden Zuständen zufrieden geben, sondern die Stimmung der Deutschen muss mal wieder mies geredet werden. Dabei haben sie eine ziemlich realistische Sicht der Dinge, aus der sich ergibt, dass ihnen die derzeitigen Umstände Sorgen machen und aus denen sich im Rückschluss ergibt, dass sie kaum Vertrauen in die herrschende Politik bzw. in die „Reformen“ setzen. Aber das darf natürlich so nicht überkommen. Was eben nicht sein darf, das nicht sein kann.

Wen kann es eigentlich wundern, dass bei über 5 Millionen statistisch ausgewiesenen Arbeitslosen sich 56% der Befragten insgesamt, 74% der (Fach-) Arbeiter, 70% der Angestellten in der Privatwirtschaft, ja sich sogar 55% der Angestellten im Öffentlichen Dienst Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen? Wer kann erstaunt sein, dass 66% die Situation auf dem Arbeitsmarkt als schlecht beurteilen? Ist es da nicht mehr als plausibel, wenn sich 85% Sorgen machen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert.

Ist es nicht eher eine massive Kritik an den Hartz-Gesetzen als Ausdruck einer schlechten Stimmung, wenn 68% nicht daran glauben, dass die Arbeitslosenzahlen zurück gehen?

Wenn man täglich aus allen Kanälen zu hören bekommt, dass der internationale Wettbewerb die Verlagerung von Arbeitsplätzen erzwinge, wenn nicht Löhne und Arbeitnehmerrechte abgebaut würden, so wäre es doch alles andere als überraschend, wenn nicht mindestens 63% der Befragten der Meinung wären, dass durch die Globalisierung Arbeitsplätze wegfallen.

Interessant ist, dass – trotz der täglichen Propaganda – die Kampagne zur Verlängerung der Arbeitszeit bei den Leuten offenbar überhaupt nicht verfängt. Das zeigt sich etwa darin, dass 58% meinen, die Arbeit sei nicht gerecht verteilt. Nur 25% glauben daran, dass eine längere Arbeitszeit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhöhe, vielmehr sehen fast die Hälfte der Befragten (46%) in weniger Arbeit mehr Chancen für Arbeitslose. Und jetzt kommt`s noch dicker: Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten wäre bereit auch nur 2 Stunden länger zu arbeiten und nur um ein Drittel wäre bereit irgendwelche Einkommensverzichte in Kauf zu nehmen, selbst wenn der Arbeitsplatz gefährdet wäre.
Diese Bockigkeit der Befragten muss die Befrager wirklich depressiv machen.

Geradezu ärgerlich für den Leser, weil manipulativ ist die Umfrage, wenn es um die Alternative zwischen mehr Markt oder mehr Staat geht. Dabei werden vier Antwortmöglichkeiten vorgegeben: „Mehr Staat“, „Mehr Markt“, „Viel mehr Markt“ und „Markt pur“. Bei soviel Markt ist es kein Wunder, wenn der Staat dabei schlecht abschneidet. Wer wäre schon für mehr Staat? Die Frage nach mehr Sozialstaat, wurde – sicherheitshalber – erst gar nicht gesellt. Bei solcher Befragungsmethodik erkennt man die Absicht und man ist zu Recht verstimmt.

Ziemlich auffallen und penetrant wird das gesamtes „Reform“-Vokabular abgefragt. Jedoch, wenn man die Antworten einmal mit einander konfrontiert, kommt es doch für die Umfrager zu in ihren Interpretationstexten erkennbar unerwünschten Ergebnissen:

Ja selbstredend, bei der von den Befragten als bedrückend empfundenen Realität wollen 52% „gesellschaftlichen Wandel“, aber Wandel eben gerade nicht in die Richtung, wohin er derzeit abläuft, sondern „ganz eindeutig“ in Richtung auf „weniger soziale Unterschiede“.
„Ausgesprochen groß ist der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit. Diese Tendenz zieht sich durch weite Teile der Umfrage“ liest man denn auch im Kleingedruckten, wenn man sich die Mühe macht, nach den Überschriften weiter zu lesen.

„Die Eigenverantwortung wird zukünftig immer größer – und das ist auch gut so. So sehen es vor allem die älteren Menschen“ heißt es im Fazit dieser Fragestellung. Dass aber die große Mehrheit durchschaut, was hinter der „Eigenverantwortung“ wartet, und deshalb nur 43% hinter dieser Forderung stehen, bleibt unkommentiert.

Suggestiv ist auch die Fragestellung nach Studiengebühren: Ob man denn dafür wäre, „wenn ausreichend Stipendien für finanziell Benachteiligte zur Verfügung stehen“. Obwohl also eine positive Antwort gerade zu aufgedrängt wird, stimmen nur 25% zu und mit nochmals 16% weniger stimmen dem die Schüler und Studenten zu.

Man könnte noch viele Beispiele für methodisch unsaubere Fragen und ihre tendenziöse Interpretation anführen. Es ist durchgängig mit Händen zu greifen, welche Tendenz hinter dieser Meinungskampagne steht. Thomas Mitschke, der die Umfrage betreuende McKinsey-Direktor zieht aus der Umfrage den Schluss: „Wir müssen es nur wollen und konsequent den Weg weitergehen, den wir eingeschlagen haben“. Ja, „wir“, die McKinseys dieser Welt, müssen es nur wollen, egal was die Menschen von dem eingeschlagenen Weg halten mögen. Denn über deren Meinung können die Unternehmensberater nur noch ein „trauriges Fazit“ ziehen: „Die Deutschen haben das Vertrauen in eine baldige Erholung der Wirtschaft und eine grundlegende Reform des Sozialstaates verloren.“ So heißt es irgendwo ganz versteckt und am Ende einer langen Liste von Pressemitteilung über die „Perspektive Deutschland“ aus dem Hause McKinsey.

Wie wahr! Deshalb ist wohl weniger bei „den Deutschen“ als bei denen, die eben gerade diese „grundlegende Reform des Sozialstaats“ wollen, die Stimmung so schlecht und deshalb müssen sie die miese Stimmung auf die Bürger übertragen.

Was die Propagandisten der Umfrage mit der Angst, die sie damit weiter verbreiten, auf alle Fälle vermeiden wollen, ist die trotzige Nachfrage, ob das Vertrauen der Deutschen in eine baldige Erholung der Wirtschaft nicht vor allem deshalb verloren gegangen ist, weil sie dem herrschenden wirtschaftspolitischen Kurs gründlich misstrauen.

Quelle 1: ZDF »
Quelle 2: Perspektive Deutschland »

P.S.: Studieren Sie lieber die Untersuchung selbst als die Pressemitteilungen. Wenn Sie beide miteinander vergleichen, können Sie allerdings den manipulativen Charakter der Interpretation der Umfragewerte erkennen.


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