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Titel: BILD-Kampagne gegen die gesetzliche Krankenversicherung geht weiter

Datum: 9. Januar 2008 um 15:13 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, INSM, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Derzeit erleben wir mal wieder ein typisches Beispiel für den Kampagnen-Journalismus der BILD. Am 7.1.08 verlautbarte BILD eine Studie der Arbeitgeber-PR-Agentur INSM mit einer Horrormeldung: „Wegen Gesundheitsfonds – Kassen-Beiträge bis zu 712 Euro pro Jahr rauf!“. Einen Tag später lautete die Schlagzeile: „Wirtschaft fordert Stopp des Gesundheitsfonds“. Und heute titelt BILD: „So teuer kann`s werden“.
Wir haben erläutert, welche Absicht hinter dieser Kampagne steht, nämlich das Inkrafttreten des von der Großen Koalition beschlossenen „Gesundheitsfonds“ im Jahr 2009 zu stoppen und stattdessen einen Systemwechsel von der paritätisch zur komplett privat finanzierte Gesundheitsvorsorge, mit einer unsolidarischen, für alle gleich hohen „Kopfpauschale“ durchzusetzen. Wolfgang Lieb

BILD ist keine Zeitung, die informiert und kommentiert, was die Rolle der Medien in einer Demokratie sein sollte, nein, BILD betreibt systematische Meinungsbeeinflussung zur Durchsetzung interessensbezogener politischer Ziele – Kampagnenjournalismus eben.

Die Manipulation der Öffentlichen Meinung und der Druck auf die Politik laufen häufig nach dem gleichen Schema ab, wie diesmal:
Die arbeitgeberfinanzierte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ veröffentlicht eine von ihr in Auftrag gegebene Studie, die zu einem von den Arbeitgebern erwünschten Ergebnis kommt. Diese Veröffentlichung würde kaum jemand aufgreifen, weil der Lobby-Charakter der INSM sich inzwischen herumgesprochen hat. Nun macht BILD die Studie zur Schlagzeile und plötzlich stürzen sich Medien und Politik auf dieses Thema. In „Tagesschau“ oder „heute“ bekommt das Thema einen prominenten Rang und fast alle Zeitungen berichten und kommentieren.
Im Grundrauschen der Medien bekommt der Zuschauer den diffusen Eindruck, die Krankenkassen könnten schon wieder teurer werden, der „Gesundheitsfonds“ scheint der Grund. Nach dem Stimmenwirrwarr bleibt zurück: Nichts Genaues weiß man nicht.
Die übrigen Medien gehen wieder zur Tagesordnung über, aber Bild zieht das Thema weiter hoch: „Die Debatte um die Beitragsexplosion durch den Gesundheitsfonds wird immer heftiger!“, heißt es heute.

Prompt findet sich auch schon eine Ministerin, die den Start des „Gesundheitsfonds“ in Frage stellt: Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU): „Solange die Auswirkungen nicht im Detail geklärt sind, steht eine Verschiebung (nach der Wahl 2009, WL) im Raum.“
Damit ist das Thema auf der Bühne der Politik.
Wenn es zu einer Verschiebung nach 2009 kommen würde, wäre das erste Ziel erreicht: Dann kommen die Bundestagswahlen und wenn diese eine schwarz-gelbe Mehrheit brächten, wäre man dem Ziel der Kampagne näher gekommen: CDU und FDP wollen ja die Kopfpauschale und den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ganz so wie das Handwerksverbandschef Otto Kentzler in BILD fordert: „Die Politik …muss sich zu einer radikalen Kurskorrektur durchringen, die Kassenbeiträge vom Lohn abzukoppeln.“

BILD weiß natürlich auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung für eine solidarisch finanzierten Krankenversorgung ist (die Idee einer Bürgerversicherung findet hohe Zustimmung), deshalb heizt das Boulevard-Blatt den Zorn der Beitragszahler weiter an und listet auf Basis der von der INSM Studie in die Welt gesetzten Beitragserhöhung auf 15,5 % in einer großen Vergleichstabelle von 50 Krankenkassen auf, wie viel das jeweilige Kassenmitglied angeblich monatlich mehr zahlen muss.

Durch die Tabelle, die ja Exaktheit vorspiegeln soll, bekommt die vom Gesundheitsministerium als „unseriös“ beurteilte Studie der INSM beim Leser einen Wahrheitsgehalt. Es soll Ärger beim einzelnen geschürt werden: Schon wieder wird mir in die Tasche gegriffen, der Gesundheitsfonds ist schuld, er muss weg! Eine solche Reaktion soll beim Leser erreicht werden.

Die Tabelle ist jedoch in doppelter Hinsicht eine Täuschung:
Erstens wird das Ergebnis einer bestellten Auftragsstudie der Arbeitgeberlobby – also die Erhöhung der Beiträge – als Tatsache suggeriert.
Zweitens wird der Leser auch noch bei der Höhe der errechneten Mehrbelastungen getäuscht. Die Berechnung der Tabelle bezieht sich „auf Durchschnittseinkommen von 3077 Euro brutto/Monat“. Bei Angaben von solchen Durchschnittswerten kann man generell sagen, dass sie entweder nichts aussagen oder dass sie manipulativen Charakter haben. Beim Durchschnittseinkommen fließt nämlich das Managergehalt genauso ein, wie das Einkommen des Niedriglöhner.

Das Statistische Bundesamt [PDF – 584 KB] weist im Jahr 2005 z.B. für Arbeiter einen durchschnittlichen Bruttoverdienst von 2.542 Euro (im Osten 1.960 Euro) aus. Dementsprechend läge die in der Tabelle ausgewiesene Mehrbelastung deutlich niedriger.
Aber aus noch einem anderen Grund ist die Tabelle irreführend: Ab einem Monatseinkommen von 3.937,50 können sich Arbeitnehmer privat versichern – und das tun viele Besserverdiende auch, um die Vorteile der Zwei-Klassen-Medizin zu genießen. Das heißt, die Durchschnittseinkommen der Gruppe der gesetzlich Pflichtversicherten liegen erheblich niedriger. Auch deshalb wird der Durchschnittsbetrag der Mehrbelastung in der BILD-Tabelle zu hoch ausgewiesen.

Schon daran lässt sich die mangelnde Seriosität dieser Tabelle erkennen.

Aber für den Kampagnen-Journalismus der BILD ist jede Manipulation recht. Hauptsache man kann damit seine politischen Ziele verfolgen.
Aber kaum jemand greift diese hinterhältige Täuschung an.


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