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Titel: Nachtrag zum Spiegel: Offenbar lernunfähig und zur weiteren Talfahrt entschlossen. Es gibt auf Dauer keinen Bedarf an einem unkritischen Mainstream-Spiegel

Datum: 8. Februar 2008 um 14:00 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Neoliberalismus und Monetarismus
Verantwortlich:

Kaum hatte ich heute Nacht den Eintrag zur Entwicklung beim Spiegel geschrieben, da wurde um 5:41 Uhr von Christian Reiermann, Wirtschaftsredakteur im Hauptstadtbüro des Spiegel, auch schon bestätigt, dass nach Meinung dieses Autors der Spiegel das Kampfblatt der herrschenden Le(h)ere bleiben soll. Wenn Sie wissen wollen, wie diese Leute denken, dann lesen Sie den in Anlage 1 verlinkten Beitrag. In Anlage 2 geben wir zwei Leserbriefe zur Kenntnis, die sich mit dem Beitrag von Christian Reiermann auseinander setzen. Albrecht Müller.

Von mir aus will ich noch anmerken: Aus meinem Studium der Ökonomie kenne ich durchaus einen anderen Gebrauch des Wortes „neoliberal“. Das waren damals, vor gut 45 Jahren wissenschaftliche Autoren, von denen man viel lernen und sich auch sachlich auseinander setzen konnte. Deshalb fällt mir der Gebrauch des Wortes in der heutigen Bedeutung auch nicht leicht, genauso wenig wie der Gebrauch des Wortes Reform. Und dennoch kann ich mich dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht entziehen.
Ich benutze den Begriff Reform nicht mehr in dem Sinn, wie wir ihn in den sechziger und siebziger Jahren gebraucht haben, als eine Veränderung, die der Mehrheit und vor allem den Schwächeren zugute kam. Heute nutze ich diesen Begriff so, wie die Reformer vom Schlage Schröders und Clements, Merz’ und Merkels ihn gebrauchen – als Begriff zur Beschreibung von Veränderungen, die vor allem den Oberen zugute kommen.
Genauso geht es mir mit dem Begriff neoliberal. Ich nutze ihn zur kurzen Kennzeichnung der herrschenden ökonomischen Ideologie. Leider kann man sich eben dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht entziehen, wenn man weiter kommunizieren will.
Dies vorweg. Ansonsten sind die beiden Leserstimmen lehrreich.

Anlage 1:
08. Februar 2008
ANTI-NEOLIBERALISMUS
Unsozial sind immer die anderen
Von Christian Reiermann
Das Wort “neoliberal” ist zum politischen Kampfbegriff verkommen. Von CSU-Politikern bis zu Vertretern der Linken: Der unsoziale Generalverdacht wird gern und schnell formuliert – dabei hat die Vokabel mal so unschuldig begonnen.
Quelle: Spiegel-Online

Anlage 2:
Zwei Leserstimmen, eine aus dem Forum von SpiegelOnline, eine an NachDenkSeiten geschickt:

A. Lesermail T.K.

Sehr geschätzte NDS-Redaktion,

Ihnen wird bestimmt der Artikel „ANTI-NEOLIBERALISMUS: Unsozial sind immer die anderen“ auf spiegel.de aufgefallen sein. Der Artikel dient natürlich der Rehabilitierung des Begriffs „Neoliberalismus“. Noch dazu ist er sachlich falsch. Ich habe soeben einen Leserbrief zum Artikel an Spiegel Online geschickt mit folgendem Inhalt:

Sehr geehrter Herr Reiermann,
ich würde ihnen empfehlen, Ihre Etymologie des Begriffs “Neoliberalismus” noch einmal zu überprüfen. In seiner heutigen Verwendung entspricht der Begriff weitgehend dem englischen “neoliberalism”, was einfach eine verkürzte Form von “neoclassical liberalism” darstellt. “Neoclassical” wiederum bezieht sich auf die neoklassische Wirtschaftstheorie der sogenannte “Chicago School”, die z. B. die Wirtschaftspolitiken von Pinochet, Reagan und Thatcher entwarf. Im Englischen wird also mit dem Begriff “Neoliberalism” eine Denkschule bezeichnet, die sich vom guten alten Ludwig Erhard darin unterscheidet, dass sie eben gerade nicht auf einen starken Sozialstaat setzt sondern auf Eigenverantwortung und das freie Spiel der Märkte. Insofern ist Ihre Aussage “Als neoliberal gelten hierzulande generell Leute, die sich mit dem Rüstzeug der Ökonomie den Problemen der Wirklichkeit stellen” sachlich falsch. Als neoliberal gelten vielmehr Leute, die sich mit dem Rüstzeug der NEOKLASSISCHEN Ökonomie wappnen. Diese stellt aber nur einen – durchaus umstrittenen – Ansatz unter vielen dar. Zum Rüstzeug der Ökonomie gehören auch Keynesianismus, Marxismus, Evolutionäre Ökonomie und vieles mehr. Neoliberale Ökonomen beschränken sich ganz bewußt auf einen Ansatz unter vielen, nämlich die Neoklassik. Aus den weltfremden neoklassischen Modellen leiten sie immer wieder die gleichen Rufe nach freien Märkten und Sozialabbau ab. Deswegen ist die Gleichsetzung von Neoliberalismus und Marktradikalismus im Grunde zulässig.

T.K.

B. Lesermail Andreas Heil

Mein lieber Herr Reiermann
von Andreas Heil

Schön dass Herr Reiermann dem Internet-Publikum seine “Erkenntnisse”
zum Begriff “sozial” vorerst vorenthält.

Seine “Erkenntnisse” zum Begriff “neoliberal” lassen sich im Brockhaus des Jahres 1955 nachschlagen. Dort werden explizit die Herren Röpke, Rüstow, Hayek, Eucken, Böhm und Miksch in Bezugnahme auf die legendäre “Genfer Konferenz” genannt. Sie strebten lt. Brockhaus einen “dritten Weg” zwischen Kapitalismus und Kollektivismus an. Davon konnte jedoch bei der Gruppe um Hayek schon keine Rede sein und so gründet sich die ideengeschichtliche Verwirrung schon in der Zeit, als der Begriff
entstand.

Was fehlt, ist somit der Hinweis auf die Unvereinbarkeit der Ansichten der Gruppe um Hayek und den Freiburgern, sowie die Erwähnung der Sonderstellung von Müller-Armack, der der eigentliche theoretische Vater der “sozialen Marktwirtschaft” wurde und keineswegs in allen Details mit W. Röpke oder W. Eucken konform ging.

Für die heutige (und teilweise auch schon damalige) Struktur der Wirtschaft hat der damalige Ordoliberalismus keine Antwort – er hat ein eklatantes Theorieloch zwischen angeblich wünschenswerter kleinteiliger Konkurrenz, da nur sie dem “Ideal” des “vollständigen Wettbewerbs” wenigstens nahekommt und den zur Erzielung von Skalenerträgen notwendigen Agglomerationen zu Großkonzernen. Praktiziert wurde teilweise Verstaatlichung (!), gewünscht eher Zerschlagung, jedoch um den Preis, eben jenen Fortschritt, der auf Skalenerträge angewiesen ist, gleich mit auszuschließen.

Der Schlüsselsatz beim Reiermann ist aber ein anderer: “Als neoliberal gelten hierzulande generell Leute, die sich mit dem Rüstzeug der Ökonomie den Problemen der Wirklichkeit stellen und dabei auch noch Sympathie für das Wirken von Märkten erkennen lassen oder die Globalisierung für eine gute Sache halten.”

Dieses an Unverschämtheit kaum zu überbietende Eigenlob deckt sich in keinster Weise mit dem was am kontemporär sogenannten Neoliberalismus von dessen Gegnern vehement und ökonomisch fundiert kritisiert wird. Nicht umsonst beruft sich z.B. Lafontaine ja selbst auf die Begründer der “Sozialen Marktwirtschaft”, aber vor allem auf das was sie tatsächlich vertreten haben.

Im Brockhaus von 1991 ist der graviere nde Unterschied in Herrn Reiermanns Einheits-Sauce bereits deutlich herausgestellt. Dort werden unter Neoliberalismus die beiden Schulen der Freiburger (Ordo-) und der US-amerik. Strömung (Friedman) unterschiedlich subsumiert und einige wichtige Aspekte der Freiburger herausgestellt.

Dort findet sich sogar das Ziel der Verstetigung wirtschaftlicher Entwicklung, um Konjunkturschwankungen auszugleichen. Müller-Armack wäre niemals auf die absurde Idee gekommen, dem abstrakten Markt eine Definitionsmacht über etwas, was gut sei oder schlecht sei, zuzugestehen – oder gar das Marktergebnis als das rekursiv dann einzig richtige anzunehmen, sondern er verstand Markt als das was es sinnvollerweise nur sein kann: Ein vorzügliches Instrument um gesellschaftliche Ziele zu erreichen, wenn es richtig angewendet wird, d.h. dass die Politik Rahmen setzt, die die Marktakteure dazu bringen, das gewünschte zu erreichen.

Heutige “Neoliberale” bringen die Politik dazu, die Rahmen zu beseitigen, die sie stören, um das von ihnen selbst gewünschte besser zu erreichen.


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