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Titel: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!

Datum: 22. Januar 2016 um 11:12 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Politiker aller Parteien liebäugeln mit einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Österreich hat gestern bereits etwas umgesetzt, das je nach Sprachregelung einer solchen Obergrenze nahekommt. Dabei ist es eigentlich egal, wie man das Kind nennt: Eine wie auch immer formulierte Mengenbeschränkung von Flüchtlingen ist unter Einhaltung internationaler Abkommen nicht möglich. Außer … ja, außer man baut eine Mauer und erteilt einen Schießbefehl. Ist es das, was wir wollen? Von Jens Berger

Die Sprachregelung über das, was die österreichische Politik gestern beschlossen hat, ist noch nicht ganz ausgefeilt. Während die Innenministerin von einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge spricht, nennt der designierte Verteidigungsminister das Vorhaben „Planungsgröße“ oder „Richtgröße“, während der Bundeskanzler lieber von einem „Richtwert“ sprechen will. Die bayerische CSU war dennoch vor Freude ganz aus dem Häuschen, fordert sie doch bereits seit Wochen eine Obergrenze.

Wenn man sich die Argumentationsfetzen der österreichischen und der bayerischen Regierung anhört, könnte man glatt denken, die Einführung einer Obergrenze für Flüchtlinge sei ein bloßer Verwaltungsakt – ungefähr so wie der Beschluss, im Neubaugebiet eine verkehrsberuhigte Zone einzuführen. Dem ist aber nicht so. Nur ein sehr kleiner Teil der jährlich eintreffenden Flüchtlinge, bekommt von den deutschen Gerichten des Status eines Asylberechtigten zugewiesen. Der übergroße Teil derer, die einen Aufenthaltstitel bekommen, wird als Flüchtling gemäß der Genfer Flüchtlingskonventionen anerkannt oder darf schlicht nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden, da ihm dort Gefahr für Leib und Leben drohen.

Was würde sich an der grundsätzlichen Lage nun also ändern, wenn die Regierung eine „Obergrenze“ einführen würde? Dafür müsste man erst einmal klarstellen, wie man eine solche Obergrenze definiert. Ist dann bei X Schluss und die deutschen Gerichte nehmen keine Asylanträge mehr an? Das geht nicht, da das Asylrecht als persönliches Recht im Grundgesetz festgeschrieben ist und zudem durch internationale Abkommen geschützt ist – dazu gehören übrigens auch die EU-Verträge. Und wie sieht es mit den Flüchtlingen aus? Kann man wenigstens bei ihnen eine Obergrenze festlegen? Nein. Andernfalls müsste man aus der Genfer Flüchtlingskonvention aussteigen, also einen Grundpfeiler des Völkerrechts und der Vereinten Nationen einreißen. Will die CSU das? Soll Deutschland sich aus dem Kreis der zivilisierten Staaten verabschieden? Wenn es dies ist was, Söder, Seehofer und Co. wünschen, dann sollen sie es auch so sagen.

Und wie sieht es mit den Duldungen aus? Kann der Staat denn nicht wenigstens die Obergrenze indirekt durchsetzen, indem er härter durchgreift? Nein. Abschiebeverbote werden von den deutschen Gerichten ja schließlich nicht aus Gutmenschentum oder politischer Korrektheit heraus verhängt, sondern weil den betreffenden Personen Gefahr für Leib und Leben droht. Und die Sicherheitslage in Syrien wird durch die Verabschiedung einer Obergrenze in Österreich oder Deutschland um kein Jota besser oder schlechter. Wenn man also deutsches und internationales Recht einhalten will, dann braucht man eine Obergrenze erst gar nicht zu verabschieden, da eine solche Grenze schlicht nicht umsetzbar oder präziser durchsetzbar ist. Alles andere ist bloße Symbolpolitik.

Wer wirklich Obergrenzen durchsetzen will, muss dafür sorgen, dass die Flüchtlinge deutsches Staatsgebiet physisch erst nicht erreichen. Momentan wird dies eher schlecht als recht durch Flüchtlingsabwehr auf dem Mittelmeer und einer Kooperation mit der Türkei umsetzt. Der Erfolg oder besser Misserfolg dieser Strategie drückt sich unter anderem in den aktuellen Flüchtlingszahlen aus. Mehr ist wohl nur durch die Errichtung eines „antiislamischen Schutzwalls“ möglich – einer Mauer, wie es sie in Form des „Tortilla-Walls“ beispielsweise an der Südgrenze der USA gibt; inklusive Grenzsicherung, zur Not mit Selbstschussanlagen und dem Schießbefehl. Nur wenn wir die Grenzen wirkungsvoll dicht machen, können wir den Zustrom und damit die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge regulieren … allen anderen Lösungen steht das Recht im Wege.

Der gesamten Debatte fehlt es vor allem an einem: An Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Natürlich wäre es am Allerbesten, wenn die potentiellen Flüchtlinge keinen Grund mehr für eine Flucht hätten und sich das Problem so in Luft auflösen würde. Das Gegenteil ist jedoch der Fall und man ist sicher kein Pessimist, wenn man sagt, dass sich daran zumindest mittelfristig auch nichts ändern wird. Die Menschen werden also weiter in Richtung Deutschland strömen.

Es ist übrigens im Kern vollkommen legitim eine Obergrenze zu formulieren … nur, dass man sie eben nicht durchsetzen kann. Mehr als eine Million Zuwanderer pro Jahr stellen den deutschen Staat nun mal auf eine schwere Belastungsprobe und natürlich wäre es für die Allgemeinheit von Vorteil, wenn sich die Zahl der Zuwanderer drücken ließe. Nur wie?

Ein Problem der Politik ist es, vor dem Bürger immer handlungsfähig dastehen zu müssen. Ein Politiker der sagt „Da können wir leider auch nichts machen“ wird vom Wähler abgestraft. Stattdessen wird seitens der Politik eine Handlungsfähigkeit vorgespielt, die so faktisch gar nicht vorhanden ist. Ja, Österreich und auch Deutschland könnten eine Obergrenze umsetzen. Aber nur dann, wenn man die Landesgrenzen durch einen scharf bewachten Grenzzaun oder eben eine Mauer dicht macht. Wie werden dann aber die Wähler, die heute über den „Sexmob von Köln“ erzürnt sind, reagieren, wenn sie in der Tagesschau die ersten Bilder von Minderjährigen sehen, die von deutschen Grenzschützern mit einem Schuss in den Rücken erlegt wurde? „Ja mei, so haben wir das nun aber auch nicht gemeint“. Doch! Wer Obergrenzen will, der muss wohl oder übel auch die Mittel gutheißen, die nötig sind, um solche Obergrenzen umzusetzen. Alles Andere ist unehrlich – egal ob es nun um die Politik oder die Öffentlichkeit geht, die ihrerseits die Politik unter Druck setzen.


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