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Titel: Bemerkenswertes Interview zur „Obamania“

Datum: 4. August 2008 um 14:01 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Wahlen
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In der „Rheinpfalz“ vom 23.7. erschien ein Interview mit Thomas Kliche von der Universität Hamburg, Vorsitzender der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologen. Zum Verständnis auch der künftigen Vorgänge in den USA ist der Text hilfreich. Albrecht Müller.

Es folgt der gesamte Text des Interviews in der in Ludwigshafen erscheinenden Regionalzeitung „Rheinpfalz“:

„Obamania” auch in der Bundesrepublik: Obwohl die wenigsten Deutschen mit den politischen Inhalten des US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama vertraut sind, wünschen sich die meisten von ihnen den Senator aus Illinois als Nachfolger von George W. Bush. Wie ist das zu erklären? Der Psychologe Thomas Kliche antwortet auf die Fragen unseres Redakteurs Hartmut Rodenwoldt.

Herr Kliche, kann Barack Obama übers Wasser gehen?
Ja, unbedingt. Denn wir lernen nicht den Menschen Obama persönlich kennen, sondern einen Mythos. Mythen sind in amerikanischen Wahlkämpfen wichtig. Das sind Personenwahlkämpfe. Schon Ronald Reagan hat ausführlich mit dem Marlboro- Cowboy gearbeitet. Barack Obama arbeitet mit dem Kennedy-Mythos. Kennedy war jung, dynamisch, ein Aufsteiger. Der macht Hoffnung und gibt Versprechen auf die Zukunft ab.

Jung, dynamisch, Versprechen auf die Zukunft – das sind austauschbare Merkmale. Daran allein kann es nicht liegen.
Der Trick bei amerikanischen Wahlkämpfen ist, die Person glaubhaft mit dem Mythos zu verknüpfen. Mythen arbeiten nicht rational. Sie arbeiten auf einer vorbewussten Ebene von Hoffnungen und Visionen.

Da taucht einer wie Obama aus dem Nichts auf. Die wenigsten kennen seine politischen Inhalte. Dennoch wünschen sich fast drei Viertel der Deutschen Obama als nächsten US-Präsidenten. Wie ist das zu erklären?
Ich glaube, sie werden die Inhalte auch nicht genauer kennenlernen, weil es sie noch nicht gibt. Deshalb sollten wir uns anschauen, wofür dieser Mythos Obama steht, und nicht, was der Kandidat Obama sagt: Er steht für ein Lösungsversprechen und für einen Aufbruch zu dieser Lösung. Er vermittelt den Leuten: “Politik kann was verändern. Wir wollen den Wandel und ich kann Euch den Wandel bringen.” Er spricht also Menschen sehr stark an, die alles anders wollen als jetzt unter Bush. Er kann ein tiefes Unbehagen mit dem Neoliberalismus und mit seiner aggressiven Verbreitung durch Kriege mobilisieren. Obama wirkt zusätzlich unverbraucht und ehrlich. Er hat ja schon immer gegen den Irak-Krieg gestimmt.

Sie sprechen jetzt von Leuten, denen Politik nicht ganz fremd ist. Aber junge Mädchen, die Merkel, Beck oder Westerwelle nicht die Bohne interessiert, entwickeln plötzlich ein Interesse für Obama.
Weil sie über Merkel, Beck und Westerwelle schon viel wissen. Diese sind verbraucht. Die ändern nicht wirklich etwas. Die gehen keine neuen Wege, die haben keinen Lösungsentwurf. Was die Politikverdrossenheit in Deutschland stark bestimmt, ist, dass kein Mensch mehr weiß, wo es langfristig hingehen soll. Obama weiß das auch nicht, jedenfalls sagt er es nicht. Aber die Leute nehmen ihm sein Heilsversprechen ab, weil er allein schon wegen seiner Hautfarbe einen Kontrast zum bisherigen System darstellt.

Da gibt sich jemand dem Gefühl und der Sehnsucht hin, Obama könne die Welt retten?
Das ist sehr zweischneidig. Auf der einen Seite ist das Versprechen von der Gestaltbarkeit von Welt ja Sinn der Politik. Das ist in Deutschland verloren gegangen. Da wird nur noch gefeilscht auf kleinstem Niveau ohne irgendeine Zukunftsvision. Auf der anderen Seite ist das Heilsversprechen ja auch so etwas wie der “Glamour” der Politik – ein falscher Glanz. Der führt dazu, dass die Menschen immer mehr die “Events” in der Politik suchen. Ich sehe da eher Ähnlichkeiten zum Auftritt des Papstes als zu Politikern in Deutschland.

Stichwort Events: Bei der Fußball-Fanmeile haben Hunderttausende nicht Schweinsteiger oder Podolski gefeiert, sondern eher sich selbst….
Ja. Die Identifikation mit einer Gruppe, das Gefühl, gemeinsam stark zu sein, ist etwas, was sich in politischen Führern bündelt. Menschen identifizieren sich gerade dann mit Führern, wenn sie Angst haben und selbst nicht wissen, wohin die Reise geht. Sie geben einen Teil ihrer Selbstverantwortung an diesen Führer ab. Das geschieht immer häufiger. Das Schlimme daran ist, dass es systematisch eingeübt wird, wie etwa beim Fußball. Das ist dann übertragbar auf andere Felder, zum Beispiel auf die Politik.

Ein Teil der politischen Klasse ist ebenfalls von Obama begeistert. Für die trifft Ihre letzte Analyse nicht zu.
Aber für die ist alles besser als die schwachsinnige Bush-Politik. Der hinterlässt doch einen weltweiten Scherbenhaufen ohne Lösungsmöglichkeiten und unter Verlust der Glaubwürdigkeit von westlichen Regierungen.

Gehen mit Obamas Heilsversprechen auch die völlig unrealistischen Erwartungen an ihn einher?
Ja, entsprechend werden sie auch enttäuscht werden. Wenn sich herausstellt, dass sich Obama, wie andere, seine Budgets vom Kongress absegnen lassen und Kompromisse eingehen muss, ist das Heilsversprechen schnell verbraucht.

Was sagt das alles über uns in Deutschland aus?
Wir gieren nach ernsthaften Gestaltungsentwürfen für die Zukunft. Dabei greifen wir auch zu Strohhalmen. Wir beteiligen uns stellvertretend emotional an solchen Experimenten. Das hat den zusätzlichen Charme: Es ist völlig risikofrei. Wir müssen Obama nicht wählen, und wir müssen ihn danach nicht aushalten. Insofern müssen wir ihn auch nicht verantworten.

Erschreckt Sie das?
Ja, mich erschreckt inzwischen einiges. Was da wiederkommt, sind Modelle einer Massenpsychologie, die wir seit den dreißiger Jahren für überholt gehalten haben.

Zu was führt das?
Menschen gewöhnen sich daran, aus Angst vor der Zukunft Führer zu beauftragen. Sie erwarten von denen Lösungen, anstatt selbst die Verantwortung in der Demokratie zu übernehmen. Psychologisch betrachten wir das als Abwehrmechanismus:
Man schiebt Verantwortung auf Große und Mächtige ab, und fühlt sich dadurch entlastet. Die Politik soll die Zukunft gestalten, aber gleichzeitig nichts ändern, nichts entscheiden und niemanden stören. Ein durchaus widersprüchlicher Auftrag an die Politik und zugleich bedrohlich für die Demokratie.

Wie ist das zu ändern?
Politische Bildung ist ein Stichwort. Ein anderes: Wir löffeln jetzt die Suppe aus, die uns die Politiker der letzten zwanzig Jahre eingebrockt haben. Mit zahllosen Skandalen haben sie uns gezeigt, dass sie ihre eigenen Gesetze und Werte nicht besonders ernst nehmen. Das mindert dauerhaft das Vertrauen in Politik. Daher müssen wir von unseren Politikern ein besonderes Maß an Integrität und Moral fordern. Übrigens auch von den wirtschaftlichen Eliten. Ferner: Wir brauchen ein politisches System der echten Beteiligung der Menschen. Wir brauchen mehr Respekt und Offenheit für den Volkswillen.

Zur Person
Thomas Kliche von der Universität Hamburg ist Vorsitzender der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologen.


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