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Titel: So verlief der Chat bei Finanztest nach den Erfahrungen eines NDS-Lesers

Datum: 26. September 2008 um 8:53 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente
Verantwortlich:

Albrecht Müller.

Sehr geehrte Redaktion,
angeregt durch Ihren Beitrag zur Fragestunde bei Finanztest habe ich versucht, meine kritischen Fragen dort zu platzieren, diese wurden allerdings übergangen. Die Befürchtung, die ich bereits in einer vorangegangenen E-Mail an Sie geäußert hatte, hat sich nun bestätigt. Gerne möchte ich Sie informieren, wie genau die Zensur vonstatten ging:

  1. Man konnte vorher über einen von Finanztest bereit gestellten Link Fragen für den Live-Chat einreichen. Die Funktion war in der Nacht vorher deaktiviert (Fehlermeldung, hatte ich in der vorangegangenen Mail geschildert), zu diesem Zeitpunkt waren bereits etwa 30 Fragen gesammelt, die einsehbar waren. Man konnte für eine Frage stimmen, die Fragen wurden somit nach Wichtigkeit geordnet. Es wurde versprochen, mindestens die drei Fragen im Chat zu beantworten, für die am häufigsten gestimmt wurde.
  2. Eine Stunde vor Beginn des Chats war die Fragenannahmefunktion wieder aktiv (vielleicht schon vorher, weiß ich nicht). Um 12:45 Uhr (15 min vor Chatbeginn) wurde ohne Vorwarnung der Link zu den gesammelten Fragen umgeleitet auf eine Chat-Funktion, die Fragesammlung war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr sichtbar. Es war deshalb nicht möglich nachzuvollziehen, ob die gesammelten Fragen, wie versprochen, gemäß Stimmgewicht beantwortet würden.
  3. Im Live-Chat konnte man Fragen an die Moderation stellen, die diese nach Gutdünken an den Chef-Redakteur, Herrn Tenhagen weiterleitete. Ich hatte ab 12:00 Uhr sechs Fragen zur Sammlung gegeben, wovon fünf angenommen wurden, um 12:45 bei Umschalten auf Chat-Funktion hatte ich die sechs Fragen erneut abgeschickt und massiv versucht, während des Live-Chats meine Fragen noch einmal abzusetzen mit direkter Ansprache der Moderation, worauf ich auch (persönliche, für die Allgemeinheit unsichtbare) Antworten erhielt. Nur Ausflüchte (Fragen nicht kurz genug, nicht prägnant, inhaltlich wertvoll, könnten aber hier nicht behandelt werden u.s.w.). Keine einzige meiner Fragen wurde behandelt, obwohl Frage Nummer 2 unter die Top ten nach der Stimmenanzahl gelangte. Auch auf wiederholte kurze Fragen im Live-Chat der Art “Wer genau haftet bei ausländischen Sicherungsfonds?” als direkte Reaktion auf das Chat-Geschehen wurden übergangen.

Hier meine sechs Fragen, die ignoriert wurden:

  1. Ist es richtig, dass man im Schadensfall keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung aus dem Sicherungsfonds der privaten deutschen Banken hat (für den Teil der Einlage der 90% von maximal 20.000 € übersteigt)? Behält sich nicht vielmehr der Bundesverband ausdrücklich das Recht vor, nach Gutdünken (z.B. bei subjektiv gefühlter Überforderung) nicht zu zahlen? Wieviel % der zu schützenden Einlagen waren Anfang des Jahres im Sicherungsfonds, wieviel werden es noch sein, wenn Entschädigungen für IKB, Lehman-Deutschland und die bisherigen Pleiten dieses Jahr geleistet sind? Unter welchen Szenarien wird der Fonds nicht leisten? Warum erscheint Ihnen die Unverbindlichkeit des Sicherungsversprechens irrelevant (schließlich sprechen Sie immer nur von sicher und Sicherung ohne die Nicht-Einklagbarkeit im Falle des Falles zu erwähnen)? Woraus genau speist sich ihre Zuversicht (in jedem Heft und bei jedem Ihrer öffentlichen Auftritte), dass ein Nicht-Entschädigungsszenario nicht eintreffen wird.
  2. Wer haftet für die gesetzliche Einlagensicherung der privaten deutschen Banken von 90% bis maximal 20.000 € ? Der deutsche Staat, die Banken selbst? Welche Einlagengesamtsumme in Deutschland ist so zu schützen? Falls die Banken selbst haften, wieviele große und mittlere Banken dürften nach Ihrer Einschätzung höchstens zusammenbrechen ohne dass das ganze System zusammenbricht? Könnte der Zusammenbruch einer Großbank per Dominoeffekt den Zusammenbruch aller Banken nach sich ziehen, da hier alle Banken für die zusammengebrochene gesetzlich haften müssen bis zum letzten Cent? Welche Einlagengesamtsumme (90% bis 20.000 € je Kunde) kommt ca. für die Deutsche Bank zusammen? Ist die deutsche Bank nicht längst überschuldet (gigantische Scheinvermögen in Form von level 3 assets gegenüber realen Schulden)? Wem gegenüber wäre der Rechtsanspruch auf Entschädigung im Falle eines Systemzusammenbruchs geltend zu machen? Mit welchen Erfolgsaussichten?
  3. Wer haftet für die gesetzlichen Einlagensicherungsversprechen (i.d.R. 20.000 €) der Banken aus folgenden EU-Ländern: Niederlande, Luxemburg, Österreich, Island? Ist es der jeweilige Staat oder sind es (nur) kollektiv die jeweiligen Banken dort? Für wie leistungsfähig halten Sie die Systeme jeweils, speziell: wie viele Bankenzusammenbrüche kann das jeweilige System verkraften, ohne selbst zusammenzubrechen und damit das Schutzversprechen wertlos zu machen. Die Anfrage betrifft Spitzenreiter der Tagesgeldanbieter: Credit Europe (NL), Ak Bank (NL), Advanzia (L), Kaupthing Edge (IS).
  4. Ich habe vom Unmut der deutschen privaten Banken gehört, die (2002 oder so) im Rahmen von EU-Gesetzen oder Verordnungen gezwungen wurden, aus Wettbewerbsgründen die Mitgliedschaft im Sicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken auch deutschen Töchtern ausländischer Banken einzuräumen, entgegen den berechtigten Einwänden der deutschen Banken, ja keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik der ausländischen Muttergesellschaften nehmen zu können und damit eine Haftung für deren Töchter nicht zuzumuten sei. Ist es denkbar, dass in einer angespannten Lage (mehre Banken bereits bedrohlich angeschlagen), im Fall der Pleite einer ausländischen Mitgliedsbank, etwa der indischen ICICI um ein willkürliches Beispiel zu nennen, die Zahlung aus dem Sicherungsfonds verweigert wird (immerhin ist die Leistung aus dem Fonds nicht einklagbar) und somit bzgl. der Einlagensicherung, wenn’s hart auf hart kommt die ICICI ein höheres Risiko als die Commerzbank darstellt, obwohl beide demselben Sicherungssystem angehören?
  5. Wie bewerten Sie die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Einlagensicherungssysteme im Krisenfall (mehere gleichzeitige Bankenzusammenbrüche) im Vergleich: Gesetzliche Einlagensicherung deutscher privater Banken (90% bis 20.000), freiwillige Einlagensicherung deutscher privater Banken (Teil der Einlagen, der von der gesetzlichen Sicherung nicht gedeckt ist bis zu 30% des Eigenkapitals der jeweiligen Bank), Sicherungssystem der Sparkassen, Sicherungssystem der Volks- und Raiffeisenbanken, gesetzliche Sicherung in den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Island? Stellen augenblicklich Sparkassen im Vergleich zu den anderen Sicherungssystemen ein höheres Risiko dar, da sich die Landesbanken reihenweise massiv verspekuliert haben?
  • Haben folgende Institutionen im Falle eines drohenden Systemzusammenbruchs a) der deutschen Privatbanken, b) der Sparkassen, c) der Volks- und Raiffeisenbanken eine definierte, im Zweifelsfall einklagbare Sicherungsrolle: Deutsche Bundesbank, EZB, der deutsche Staat? Wer ist im Falle eines drohenden Systemzusammenbruchs (Unfähigkeit angeforderte Einlagen zurückzuzahlen) der Lender of last ressort (der ultimative Kreditgeber), welche Personen/Institutionen treffen im Krisenfall welche Entscheidungen, haben welche Entscheidungsbefugnisse?
  • Das Chat-Protokoll soll in Kürze bei Finanztest abrufbar sein. Ich wette darauf, dass die aufgelaufene Sammlung von Teilnehmer-Fragen nicht mehr veröffentlicht wird, geschweige denn ihre Rangordnung gemäß Teilnehmer-Bewertung. Die Gegenüberstellung der gestellten zu den tatsächlich beantworteten Fragen wäre nämlich eine Blöße, die sich Finanztest vermutlich nicht geben will.

    Vielleicht sind meine Erfahrungen mit Finanztest noch einer kurzen Erwähnung in einer Ergänzung zu Ihrem oben genannten Artikel wert.

    Mit freundlichen Grüßen
    P. H.
    25.9.2008


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