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Titel: Einführung zum Pleisweiler Gespräch „Nie wieder Krieg …“ von Albrecht Müller

Datum: 10. Oktober 2016 um 13:45 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Friedenspolitik, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
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Einige NachDenkSeiten-Leser haben den Wunsch geäußert, eine schriftliche Fassung der Vorträge zum Pleisweiler Gespräch vom 2. Oktober vorgelegt zu bekommen. Zumindest für meine Einführung ins Gespräch liegt ein Entwurf vor. Er entspricht weitgehend der vorgetragenen Fassung. Diese Einführung skizziert die Entwicklung vom Erfolg der Entspannungspolitik, dem Abbau der Konfrontation zwischen West und Ost, bis zur Wiederbelebung der Feindschaften in Europa. Und ich erläutere an zwei Punkten, warum aus meiner Sicht die Kriegsgefahr gegeben ist. Albrecht Müller.

„Nie wieder Krieg – Wie sähe eine vernünftige Strategie im Umgang mit Russland aus?

Das ist das Thema des 26. Pleisweiler Gesprächs, heute mit Dr. Johannes Posth und Ihnen, unseren Gästen.

Unsere Einladung fand großes Interesse. Das liegt vermutlich an dreierlei:

Erstens an unserem Referenten. Johannes Posth war insgesamt 24 Jahre lang in Russland und in der Ukraine tätig. Und er ist immer noch eng mit jener Welt verbunden. Vor drei Tagen noch war er bei der Gedächtnisfeier für die vor 75 Jahren in der Schlucht Babyn Jar ermordeten 33.771 Juden. Er hat Freunde in Moskau und in Kiew und er wundert sich über die neue Konfrontation wie viele von uns auch.

Zweitens sind so viele interessierte Menschen gekommen, weil das Thema Krieg oder Frieden viele Menschen umtreibt.

Drittens folgt das große Interesse daraus, dass die Pleisweiler Gespräche und die NachDenkSeiten inzwischen bei Menschen, die sich noch eigene Gedanken machen, einen guten Ruf haben. Das freut uns natürlich, auch wenn wir manchmal nicht mehr wissen, ob und wie wir gegen die gewaltigen Windmühlenflügel der großen Meinungsmacher ankommen sollen.

Im März 1994 war ich mit Schülern, Lehrern und meiner Frau, damals Leiterin des Trifels Gymnasium im benachbarten Annweiler, zu einem Austauschbesuch in Moskau. Wir hatten eine Reihe von interessanten Gesprächen. Die Gespräche waren überaus freundschaftlich. Wir alle waren fest davon überzeugt, dass wir am Beginn einer neuen und immer währenden Freundschaft stehen.

Damals waren wir auch zu Gast bei Johannes Posth. Er hatte russische Freunde eingeladen. Auch bei ihm herrschte eine freundschaftliche Atmosphäre unter Russen und Deutschen. Auch bei Gesprächen mit Vertretern der deutschen Wirtschaft in Moskau war trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten Russlands eine Aufbruchstimmung der Zusammenarbeit spürbar.

Dass es in Russland wirtschaftlich schwierig wird und dass es auch sonst eine Fülle von Problemen gibt, war erkennbar. Aber: Es gab keinerlei Zweifel daran, dass Russland zu uns gehört, zu Europa. Niemand wäre auf die Idee gekommen zu glauben, wir seien die Guten und die in Russland seien die Bösen. Dieses Denken in den Feindbildern des Kalten Krieges schien uns überwunden zu sein.

Die Konfrontation war 1990 beendet. Und jene 300.000 Menschen, die 1981 im Bonner Hofgarten gegen die Nachrüstung demonstriert hatten, konnten 1990 das Ende der Block-Konfrontation als einen Erfolg ihres persönlichen Einsatzes feiern. Wir gingen 1989 und 1990 davon aus, dass jetzt Abrüstung angesagt ist und dass wir uns mit den neuen Freunden im Osten einschließlich Russlands gemeinsam auf den Weg des Friedens machen.

1990, bei dieser großen Wende galt das ja auch in der Politik:

  • Schluss mit dem kalten Krieg,
  • Gemeinsame Sicherheit organisieren,
  • Das Ende des Warschauer Paktes kam und auch das Ende der NATO sollte möglich sein, so forderte das die SPD in ihrem Berliner Grundsatzprogramm vom Dezember 1989
  • Abrüstung
  • Vertrauen bilden
  • Wirtschaftlich zusammenarbeiten, gemeinsame Unternehmen gründen. Die BASF, eines der großen Unternehmen der Pfalz, hat nachweislich damit ernst gemacht und eng kooperiert.
  • Hunderte Unternehmen wurden dort und hier gegründet, im Vertrauen darauf, dass wirklich Schluss sein soll mit Kriegsgefahr und Abschreckung und Misstrauen.

Aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht!

Es war offenbar naiv anzunehmen, die NATO, die USA und die hinter ihnen steckende Rüstungswirtschaft würden eine Welt ohne Konflikte mitmachen wollen. Wir haben ihren Einfluss und ihre Macht unterschätzt.

Hinzu kam etwas sehr wichtiges anderes: die geo-strategischen Erwägungen der USA sprechen gegen einen Frieden mit Russland, es sei denn, Russland unterwirft sich und lässt sich wie zu Jelzins Zeiten ausbeuten. Da Russland dazu seit der Präsidentschaft von Putin nicht bereit ist, bleibt nur der Weg des Konflikts, des Kampfes oder der Versuch des RegimeChange, also der Versuch, auch in Moskau einen Machtwechsel herbeizuführen.

Viele von uns haben den Wechsel der politischen Linie in Washington und Brüssel verschlafen. Ich gehöre auch dazu. In Zeiten der Präsidentschaft von Bill Clinton, als die allgemeine Öffentlichkeit mit seinen Sexgeschichten belustigt wurde, hat sich die NATO nach Osten ausgedehnt – entgegen der Verabredung von 1990.

Willy Wimmer hatte hier beim Pleisweiler Gespräch davon berichtet, dass Bundeskanzler Kohl nach seinen Besuchen in Washington oft irritiert nach Bonn zurück kam – wegen des erkennbaren Neuaufbaus der Konfrontation und damit wegen des Bruchs der Verabredungen mit Gorbatschow. Willy Wimmer hat in einem Brief an den dann amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder im Mai 2000 davon berichtet, welche expansiven geostrategischen Vorstellungen auf einer gemeinsamen Tagung des US-Außenministeriums und des Thinktanks „American Enterprise Institute“ in Bratislava vorgetragen worden waren.

Heute wird aufgerüstet, auch in Deutschland. Die Kampfstärke des US Militärs zum Beispiel in Ansbach wird verstärkt. Die in Büchel gelagerten Atomwaffen werden modernisiert. Der Drohnenkrieg läuft über Deutschland. Deutschland ist mittendrin. Wir sind an Manövern an der russischen Grenze beteiligt.

Auch dort, jenseits der Grenze, also in Russland, wird wieder aufgerüstet. Auch dort werden Manöver abgehalten. Auch russische Bomber üben über der Nordsee und über der Ostsee.

Wenn ich an unsere wunderbaren Gespräche in Moskau und die herrlichen, mit Wodka begossenen Freundschaftssprüche aus dem Jahr 1994 denke, dann fürchte ich, in einer neuen Welt angekommen zu sein. In einer Welt des Irrsinns!!

Und eines kann ich sicher auch für viele von Ihnen sagen: wir haben nicht nur die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Wir sind auch aufs übelste betrogen worden.

Wir sind um die Früchte einer gewaltigen Anstrengung der Verständigung zwischen West und Ost betrogen worden. Die Entspannungspolitik war ja nicht vom Himmel gefallen. Sie war das Ergebnis großen strategischen Denkens und harter Arbeit – gerade von Politikern aus Deutschland: Willy Brandt, Egon Bahr, Walter Scheel, auch Helmut Schmidt und dann auch Helmut Kohl.

An der Durchsetzung dieser Friedenspolitik waren viele Menschen aus Europa und aus Deutschland beteiligt. Aber die Lobby aus Militär und Rüstung und Finanzwirtschaft hat uns die Friedensdividende geklaut.

Kriegsgefahr?

Jetzt stehen wir wieder mitten im kalten Krieg. Und wenn ich darüber rede, dass es eine echte Kriegsgefahr gibt, dann nicht aus Lust und Dollerei. Oder weil ich dramatisieren will. Ich halte es für notwendig, dass man die Risiken sieht, damit man die falschen Schritte vermeidet und die richtigen geht.

Und jene, die behaupten, es gäbe keine Risiken, will ich fragen: haben Sie 1989 geglaubt, dass NATO Bomber 1999 Belgrad bombardieren könnten?

Und haben Sie damals geglaubt, dass es 2014 zu einem gewaltsamen Putsch in der Ukraine kommen könnte und danach kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden?

In einer Rede anlässlich der Demonstration in Ramstein habe ich am 10. Juni dieses Jahres zehn Risiken für den Frieden benannt. Ich will zu zwei Risiken etwas ergänzen:

Erstens zum neu belebten Aufbau eines Feindbildes Russland und zur sich überschlagenden Propaganda: die Propagandaschlacht läuft auf westlicher Seite vermutlich deshalb so auf Hochtouren, weil mit der Propaganda die Kriegsschuldfrage schon vor Beginn eines Krieges beantwortet wird. Wenn es dem Westen gelingt, den Russen die Schuld an einer möglichen kriegerischen Auseinandersetzung in Europa anzuhängen und aufzuladen, dann wächst die Kriegsgefahr enorm. Dann kann nämlich vollzogen werden, was der US-General Breedlove, in einer Anhörung des US-Repräsentantenhauses im Februar 2016 in Aussicht gestellt hat. Ich zitiere:

„Die USA sind bereit, gegen Russland in Europa zu kämpfen und es zu besiegen“.

In Europa. Ja, damit sind wir gemeint

Das war die Erklärung eines wichtigen Militärs, des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR).

Auch wegen dieser Äußerungen in dieser Konstellation widerspreche ich jenen, die behaupten, es gäbe keine Kriegsgefahr!

Zweitens: es gibt das Kriegs-Risiko, dass sich innerhalb der Streitparteien des kalten Krieges, also im Westen wie im Osten Kräfte durchsetzen könnten, die auch vor heißen kriegerischen Auseinandersetzung nicht zurückschrecken.

Die Entspannungspolitik gründete auf einer strategischen Überlegung. Sie lautete: „Wandel durch Annäherung“. Wir haben damals dafür plädiert, die Konfrontation abzubauen, um sowohl im Westen als auch vor allem im Osten Veränderungen zu bewirken, einen gesellschaftlichen und mentalen Wandel zu bewirken, eine innere Entwicklung, die es erleichtert, sich mit dem anderen zu verständigen, sich zu vertragen.

Das war eine ausgesprochen erfolgreiche Strategie.

Wenn Sie diese Formel nun auf die heutige Zeit übertragen und sie für die heutigen Verhältnisse korrekt formulieren, dann lautet sie: Wandel durch Konfrontation.

Der Wandel ist dann kein positiver Wandel, keine Veränderung zu besseren inneren Verhältnissen, zu mehr Menschenrechten und mehr Demokratie, sondern ein Wandel zur Verhärtung nach Innen und nach Außen. Dieser kann aus der neuen Konfrontation folgen und dazu würde ich von unserem Referenten gerne etwas hören.

Der Westen hat mit der Ausdehnung der NATO und mit der Missachtung der Angebote der russischen Führung – zum Beispiel in der Rede des Präsidenten Putin im Deutschen Bundestag in 2002 -, oder jetzt auch konkret beim Syrien-Konflikt, zu erkennen gegeben, dass wir im Westen dazu neigen, die ausgestreckte Hand zu missachten.

Wenn man ein bisschen Fantasie hat, dann kann man sich vorstellen, wie die Gegner Putins und Medjejews und Lawrows in Russland sich ins Fäustchen lachen, wenn die Vertreter ihres Staates beim Westen so auflaufen, wie das in letzter Zeit geschehen ist.

Die NATO-Ausdehnung war eine Provokation. Die Raketenaufstellung in Polen und Tschechien und Rumänien ist eine Provokation. Der Propagandakrieg, der von uns geführt wird und in den sich Politiker wie Joschka Fischer zum Beispiel massiv einbringen, die Russenhetze und die Kriegstreiberei, die wir in unseren Medien jeden Tag neu feststellen können, muss in Russland zu einer Stärkung jener nationalistischen und teilweise religiös angehauchten Kräfte führen, die der westlichen Lebensweise sowieso nicht trauen.

Wie schätzt unser Gast und Referent die Gegenkräfte nationaler und religiöser Herkunft in Moskau ein? Wie sicher ist Putin im Sattel? Wer käme nach ihm?

Und dann natürlich die Hauptfrage: wie könnte eine vernünftige Strategie gegenüber Russland aussehen. Lieber Johannes Posth, Du bist gefragt.

Die Videos (Einführung, Vortrag und Diskussion) zum 26. Pleisweiler Gespräch finden Sie hier.


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