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Titel: Unternehmerlager im Steuersenkungsrausch

Datum: 9. Oktober 2004 um 13:16 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Steuern und Abgaben
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Die acht Spitzenverbände der Wirtschaft forderten am 7.Oktober eine rasche und grundlegende Reform der Unternehmensbesteuerung mit einer „spürbaren Entlastung“ der Unternehmen. Der „internationale Steuerwettbewerb“ dulde keinen Aufschub. „Außer immer neue Tarifsenkungen zu fordern, fällt Rogowski & Co KG nicht viel ein“ sagt das Bundesfinanzministerium. Hans Eichel hat Recht.

„Deutschland hat in Europa und weltweit mit die höchste Unternehmenssteuerbelastung“ so beginnt das Klagelied in einem Papier unter dem Titel „Grundanforderungen an eine Reform der Unternehmensbesteuerung“ das die acht Spitzenverbände der Wirtschaft am 7. Oktober in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt haben (www.dihk.de). Im Ergebnis wird einmal mehr die „Senkung der hohen Belastung der Arbeitskosten insbesondere mit Sozialabgaben….und eine spürbare (steuerliche) Entlastung“ der Unternehmen gefordert.

Hat Deutschland wirklich die höchste Unternehmenssteuerbelastung?

Im Internationalen Vergleich liegt Deutschland nach diesem Papier mit Japan (40%) und den USA (Staat New York) (39,9%) mit einem nominalen Steuersatz von 40% mit am höchsten. Frankreich, Spanien, die Niederlande, Italien, Österreich oder Belgien liegen zwischen 36 und 34%, einige Prozentpunkte niedriger. Gar nicht zu reden von den Steuerfluchtparadiesen im Westen, also Irland mit 12,5% oder der Schweiz mit immerhin auch nur 25%. Die Steuersätze in den östlichen EU-Beitrittsländern reichen von Null (!) Prozent in Estland bis 31% in Tschechien und sprengen alle bisherigen Vergleichsmaßstäbe. (Alle Angaben aus dem o.g. Papier)

Unter dem Druck des internationalen Steuerdumpings hat die Bundesregierung die Unternehmenssteuern in 2004 schon von 40 auf 38,7% abgesenkt. Auch andere Länder wie Österreich oder Belgien sind in den internationalen Steuersenkungswettbewerb schon eingestiegen. Die Dumpingsätze in Osteuropa werden – jedenfalls bis die horrende Staatsverschuldung in diesen Ländern nicht zum Umdenken zwingt – den Druck auf weitere Steuersenkungen noch erhöhen.

Nun sagt allerdings die Steuerbelastung allein noch nicht viel über die Qualität und Attraktivität eines Standorts aus, sonst wären die skandinavischen Länder mit erheblich höheren Steuern schon längst aus dem Rennen. Die Investitionsbereitschaft hängt ja wohl auch von vielen anderen Standortfaktoren ab. Ein Land mit schlechter Infrastruktur oder einer miserablen Zivilgerichtsbarkeit oder einer hohen Kriminalität wird auch mit niedrigen Steuersätzen nicht sonderlich attraktiv.

Viel entscheidender ist aber, was bei der Diskussion um Steuersenkungen von den Verbandsfunktionären bewusst verschwiegen wird: Die Statistik über die nominalen Unternehmenssteuersätze ist zwar eine von den Vertretern der Wirtschaft gerne und häufig aufgesuchte Klagemauer, sie sagt allerdings über die effektiv von den Unternehmen in Deutschland bezahlten Steuern wenig bis gar nichts aus. Entscheidend für die tatsächlich bezahlten Steuern sind nämlich die so genannte Bemessungsgrundlage und die Steuerschlupflöcher, also die Abschreibungsmöglichkeiten oder Sonderregelungen. Vor allem bei den Bemessungsgrundlagen für die Höhe der Steuern, packen die Steuerbehörden vergleichbarer Länder, etwa in England oder Irland weitaus härter zu als bei uns.

Jedermann weiß doch inzwischen, dass z.B. so große Konzerne wie Daimler oder Bayer jahrelang keinen Cent Steuer abgeführt haben. Vodafone will sogar die milliardenschweren Spekulationsgewinne bei der Übernahme von Mannesmann als Verluste von der Steuer absetzen.

Die effektive Besteuerung auf privates Kapitaleinkommen in Deutschland lag z.B. nach einer Berechnung des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) im Jahr 2001 bei 22,6% und damit niedriger als im Durchschnitt der EU-15-Staaten mit 29,8%. Sie betrug in Frankreich effektiv 39,1%, Großbritannien 35,1 und selbst im Steuerparadies Irland 29,2%, also immerhin sieben Prozentpunkte mehr als im Land mit der angeblich „höchsten Steuerbelastung“. (Claus Schäfer, in WSI-Mitteilungen 11/2003 S. 641, www.boeckler.de). Untersuchungen des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (dem jedenfalls nicht der Vorwurf der Gewerkschaftsnähe gemacht werden kann) kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen: Die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften hat sich von1999 bis 2003 von 20,4 auf 11,4%, von Personengesellschaften von 17,5 auf 13,1% und bei den Dividendensteuern von 58 auf 33% gesenkt (Wirtschaftsdienst 3/2004, S. 154, www.jarass.com)

Aber nicht nur die Wissenschaft, auch Unternehmensverbandsvertreter selbst wiederlegen die Behauptungen über die wettbewerbsfeindlich hohen Unternehmenssteuern in Deutschland. Solche Stimmen kommen allerdings – wie immer wenn es sich um günstigere Wirtschaftsdaten handelt – nicht aus dem In-, sondern aus dem Ausland. So sagt etwa Digby Jones, der Generaldirektor des CBI, des Dachverbandes der britischen Unternehmer, dass – selbst unter Einbeziehungen der in Deutschland bekanntlich weitaus höheren Sozialleistungen – die britische Wirtschaft mit Steuern und Sozialabgaben nahezu genau so hoch belastet ist, wie die deutsche. Der britische Unternehmerverband hat in einer Statistik die Belastung der Wirtschaft mit Steuern und Sozialabgaben am Bruttoinlandsprodukt gemessen. Danach muss die Wirtschaft in Franreich 14,4%, in Deutschland 10,1%, in Großbritannien 9,9%, in den Niederlanden 9,7%, in den USA 7,2% gemessen am Sozialprodukt an den Fiskus und an die Sozialkassen abführen. (zit.nach SZ v. 14.10.03).
Auch unter Berücksichtigung der naheliegenden Vermutung, dass den britischen Verbandsvertreter dieselben Motive geleitet haben dürften wie unsere deutschen Wirtschaftsfunktionäre, nämlich politischen Druck auf Steuersenkungen auszuüben, kann man kaum bestreiten, dass das Jammern bei uns im Lande mal wieder maßlos übertrieben wird.

Die Tatsachen sprechen nämlich eine ganz andere Sprache: Die gesamte relative Abgabenbelastung der Unternehmens- und Vermögenseinkommen ist von 1999 auf 2003 von 22,9 auf 15,7%, also um 7,2 Prozentpunkte (HWWA Wirtschaftsdienst ebd.) gefallen, was allein für das Jahr 2003 ca. 31,7 Milliarden Euro geringere öffentliche Haushaltseinnahmen ausmacht. Nimmt man noch die weitere Tatsache hinzu, dass sich die Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Vergleich zur Belastung des Arbeitnehmerentgelts seit 1980 mehr als halbiert hat (HWWA ebd.), so ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, dass das Unternehmerlager einem Steuersenkungsrausch (R. Hickel) verfallen ist. (Am liebsten wäre ihnen wohl ein Steuersatz wie in Estland, nämlich Null, dann würden nur noch die unselbständig Beschäftigten und die Konsumenten Steuern bezahlen.)

Das Papier der Wirtschaftsverbände endet in einem flammenden Aufruf: „Eine solche (Steuer-)Reform ist überfällig und im gesamtwirtschaftlichen Interesse für Wachstum und Beschäftigung notwendig. Davon profitieren Wirtschaft und Bürger gleichermaßen“.

So als hätten wir in Deutschland Kapitalknappheit und als müssten die Kapitalerträge besonders privilegiert werden? Haben die drastischen Steuersenkungen in wohl dreistelliger Milliardenhöhe durch die Unternehmenssteuerreformen der letzten Jahren zu Investitionen in Deutschland geführt?
Sie haben zu nichts anderem geführt als zu drastischen Steuerausfällen und zu einer steigenden Staatsschuld, zu immer weiteren Einsparungen staatlicher Leistungen, zu einer erheblichen Senkung der öffentlichen Investitionen und damit zu einer weiter zurückgehenden oder stagnierenden Binnennachfrage. Der schwache Binnenkonsum ist aber doch – erkannter maßen – eines der Haupthindernisse auf dem Weg in eine verbesserte Konjunktur.

Hans Eichel – den wir auf den NachDenkSeiten wegen seiner vermeintlichen Sparpolitik häufig genug kritisiert haben, hat Recht, wenn er sagt: „Es passt nicht zusammen, gestern die hohe Neuverschuldung zu kritisieren, und heute zu sagen: Wir wollen weniger Steuern zahlen“.

Wie oft wollen die Wirtschaftsverbände eigentlich noch Steuerreformen machen? Wie oft soll es noch heißen „nach der Reform ist vor der Reform“. Es ist an der Zeit, dass es in unserem Land wieder verlässliche Rahmenbedingungen gibt. Die immerwährende Revision der für die Wirtschaft gesetzten Daten führt eher zu Verunsicherungen und gehört inzwischen zu einem wirklichen Investitionshemmnis.

Anmerkung:

Man mag die Diskrepanzen zwischen nominalen Steuersätzen und effektiven Steuerzahlungen bedauern und sie mag wirklich dazu führen, dass kleinere Unternehmen, die die Steuertricks nicht kennen, benachteiligt werden. Man muss allerdings davon ausgehen, dass alle Schlupflöcher und Sonderregelungen nicht ohne die Wirtschaftslobby zum Gesetz geworden sind und vielleicht sogar, dass sie einen Sinn haben oder hatten. Jedenfalls ist es unlauter, wenn man so argumentiert, als habe man damit nichts zu tun und als könne man die tatsächliche Steuerbelastung einfach verschweigen, um seine politischen Ziele durchzusetzen und damit die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen.


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