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Titel: ver.di: Den Neoliberalismus überwinden – “Aktiv werden für eine soziale Antikrisenpolitik” – Demos in Hamburg und Berlin

Datum: 12. Januar 2009 um 9:47 Uhr
Rubrik: Das kritische Tagebuch, Finanzkrise, Gewerkschaften, Sozialstaat
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Der Gewerkschaftsrat der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat bereits am 5. Dezember 2008 einen beachtenswerten Beschluss gefasst. Er analysiert aus gewerkschaftlicher Sicht die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise und zieht den Schluss:  “ver.di tritt gemeinsam mit anderen Gewerkschaften, sozialen Kräften und Bewegungen für einen grundlegenden Politikwechsel ein – in Deutschland und im Weltmaßstab. Der Neoliberalismus muss auch in der politischen Praxis und den Strukturen der Staaten, der EU und der internationalen Institutionen überwunden werden.” Damit nimmt sich ver.di viel vor. Die Probleme, um die es geht, und die Veränderungen, die dringend notwendig sind, verlangen in der Tat nach einer breit aufgestellten Aktion. Hermann Zoller

In der Resolution führt ver.di eine lange Liste von Forderungen auf: von einem Zukunftsinvestitionsprogramm über 50 Milliarden Euro über eine Reform der Lohn- und Einkommenssteuer und die höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften, der Rücknahme der Rente mit 67 und der möglichst schnellen Einführung eines Mindestlohns von 7,50 Euro (möglichst bald von 9 Euro) bis zur Neuordnung der Weltwirtschaft und des Weltfinanzsystems.

“Wir wollen durchsetzen, dass die Rechte der abhängig Beschäftigten erweitert und gute Arbeit für alle gesichert bzw. ermöglicht wird. Vermögen und Einkommen müssen von oben nach unten, zugunsten der arbeitenden Menschen und der Armen umverteilt werden. Wir fordern eine Sozialstaatsoffensive, die auf der nationalen wie auf der europäischen Ebene dem Wohlfahrtsstaat wieder zu seinem Recht verhilft. Wir wollen einen aktiven Sozialstaat, der die öffentliche Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge in öffentlicher Verantwortung und auch in öffentlichem Eigentum im Interesse der Bürgerinnen und Bürger wieder ausbaut. … Wir setzen uns ein für internationale Zusammenarbeit und Solidarität in einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die Hunger überwindet und die nachhaltige Entwicklung aller Länder fördert. … Wir brauchen einen weltweiten sozial-ökologischen ‘Green New Deal'”, heißt es in der ver.di-Resolution.

Beim Deklamieren von Forderungen soll es aber nicht bleiben, es soll gehandelt werden: “Jetzt ist die Zeit gekommen, um für eine andere, eine sozial gerechte, solidarische und ökologisch verantwortungsvolle Politik zu mobilisieren. Ver.di ruft alle Mitglieder auf, in den Betrieben und Verwaltungen, in der Arbeit wie in der Freizeit für diese Politik zu werben. Dabei suchen wir Bündnisse mit Sozialverbänden, Kirchen, sozialen Initiativen und Bewegungen”, heißt es in der Resolution. So wird sich ver.di u.a. für einen offenen DGB-Kongress zum Thema Kapitalismus einsetzen und auch zum attac-Kongress aufrufen, der vom 6. bis 8. März 2009 in Berlin stattfindet. Die Resolution schließt: “Die europäische und internationale Zusammenarbeit und Entwicklung gewerkschaftlicher Gegenmacht muss gestärkt werden. Verstärkt sind Formen international abgestimmter Aktionen für eine soziale Politik in Europa zu entwickeln.”

Und ver.di ist dabei, den Worten Taten folgen zu lassen: Erste Demonstrationen sind am 12. Februar in Hamburg und am 21. März in Berlin geplant.

Anhang:
Beschluss des Gewerkschaftsrats von ver.di vom 5.12.09 [PDF – 68 KB]

Hinweis:
ver.di-Redebausteine siehe NDS Hinweise vom 9. Januar 2009 Ziffer 6.

Anmerkung:
Die NachDenkSeiten haben zwar in einigen analytischen Einschätzungen über die Finanzkrise eine andere Meinung als der Gewerkschaftsrat von ver.di, dennoch halten wir es für richtig und wichtig, dass die Gewerkschaften aktiv werden.
Eine abweichende Meinung haben wir insbesondere in der Analyse der Ursachen für die Finanzkrise. Die Annahme etwa, dass der „letzte Grund der Finanzkrise… der gewaltige Überschuss an Anlage suchendem Kapital“ sei, der zur Entwicklung gigantischer Spekulationsblasen führt, teilen wir so nicht.

Siehe dazu die Diskussionsbeiträge von Albrecht Müller:
“Ist die Geldschwemme Ursache der Finanzmarktkrise? Ein Anstoß zu ein paar Zweifeln an einer gängig werdenden These.” und “Den Kapitalmarkt effizienter organisieren – Konversion ist angesagt (Teil I)”.


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