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Titel: Über die Nachhaltigkeit der Meinungsmache und die Borniertheit der Macher

Datum: 24. Februar 2009 um 9:46 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Eine kleine Nachlese zum Karneval: Gestern hatte ich das Vergnügen, beim Warten auf die Tagesthemen in den Kölner Karneval und dann in den Tagesthemen selbst in den Mainzer Karneval reinzuschmecken. Und dann noch den Börsenbericht von Anja Kohl mitzubekommen. In beiden Prunksitzungen spielte Andrea Ypsilanti immer noch eine herausragende Rolle. Obwohl sie kein Amt mehr hat, obwohl sie sich zurückgezogen hat, muss sie als Fußabstreifer für diese Sorte von Büttenrednern und Umzugsgestaltern herhalten. Die manipulierte Botschaft, dass es sich hier um eine Versagerin und Unperson handelt, sitzt offenbar ganz tief. Albrecht Müller

Mich interessiert in diesem Zusammenhang nicht die Person, obwohl ich Andrea Ypsilanti endlich Ruhe gönne. Interessant ist die Tatsache, dass es heute in dieser so genannten Demokratie möglich ist, total zu manipulieren, aus einem X ein U zu machen, aus Marmelade Mist. Die Voraussetzung dafür, ist, dass ein hohes Maß an Gleichschaltung und Wiederholung erreicht wird. Interessant ist, dass es in wichtigen Funktionen – Büttenredner haben eine wichtige Funktion – Menschen gibt, die so borniert sind und dass es ein ausreichend großes Publikum gibt, das einen solchen Stuss mit Applaus quittiert.
Ypsilanti wird das aushalten. Aber ob wir eine ähnliche Gleichschaltung bei anderen relevanten Themen aushalten, ist eine andere Frage. Die ähnlich weit und gleichgerichtet verbreitete Botschaft, Konjunkturprogramme seien Strohfeuer und brächten nur Schulden, hat immerhin schon den Schaden angerichtet, dass die politisch Verantwortlichen unfähig waren, rechtzeitig und mit der notwendigen Quantität und Entschiedenheit der erkennbaren Rezession entgegenzuwirken.
Auch die stereotypen Aggressionen gegen Hartz-IV-Empfänger sind gefährlich.

Der Börsenbericht von Anja Kohl in den Tagesthemen ist übrigens deshalb in diesem Zusammenhang zu erwähnen, weil sie dort auch eine der üblichen Stereotypen nachgebetet hat. Der DAX unterschritt die 4000-Marke. Das wurde von ihr wie auch von anderen schon Stunden vorher als die Unterschreitung einer psychologisch wichtigen Marke bezeichnet. Diese Stereotype wird einfach gedankenlos wiederholt, ohne zu fragen, ob eine ohnehin fragwürdige Einlassung in Zeiten der Krise der Kapitalmärkte noch irgend einen Sinn macht.

PS: Mit dieser kritischen Anmerkung zu einigen Büttenreden möchte ich keinesfalls pauschal etwas gegen karnevalistische Bräuche und schon gar nichts gegen zu Grunde liegende Einstellungen mancher Karnevalisten gesagt haben. Im Gegenteil.
Wenn wir den zwischenmenschlichen Umgang der in den Kölner Kneipen Karneval feiernden Menschen auf den Umgang untereinander in ganz Deutschland übertragen könnten, dann sähe unsere Welt anders und sehr viel besser aus.
Dort spürt man etwas von dem, was Horst Eberhard Richter auf dem Neujahrsempfang des DGB gesagt hat. Ich zitiere die Schlusspassage:

Zurück zur aktuellen Krise und zu ihren Wurzeln und Folgen. In den aktuellen Talkshows sind sich Minister, Bankpräsidenten und Wirtschaftler darin einig, dass zwei Untugenden eine entscheidende Bedeutung zukomme: Gier und Egoismus. Aber sind dies nicht zwar unsympathische, dennoch längst stillschweigend akzeptierte psychische Triebkräfte in der kapitalistischen Praxis? Zufällig bin ich dieser Tage auf eine psychologische Skizze von John Steinbeck aus den siebziger Jahren gestoßen, in der er kurz und bündig erklärte: “Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Dagegen sind Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit und Egoismus Merkmale des Erfolges.

Das können wir heute nicht mehr als Ironie lesen, sondern nur noch im Zorn über den präzise diagnostizierten Ungeist, an dem wir ansetzen müssen, wenn wir noch einmal heil davonkommen wollen. Die Freiheit, hinter der sich Gier und Egoismus im Neoliberalismus verstecken, ist nicht die von der Französischen Revolution gemeinte Freiheit, die von Gleichheit und Brüderlichkeit (besser Geschwisterlichkeit) aufgefangen wird.“

In vielen Kölner Kneipen sind zumindest während der Saison „Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl“ nicht Symptome des Versagens. Schade, dass sich das bis zu manchen Büttenrednern noch nicht rum gesprochen hat.


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