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Titel: Wegtauchen und wegschieben als politische Strategie des Weiter-so

Datum: 20. März 2009 um 9:12 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Das kritische Tagebuch, Finanzkrise, Private Public Partnership, Strategien der Meinungsmache
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Der gestrige Tag zeigte schlaglichtartig die Strategie der Kanzlerin beim Umgang mit der Krise. Merkel tut in ihrer Regierungserklärung immer noch so, als sei die Krise von außen über Deutschland gekommen, als habe diese nichts mit der vorausgegangenen deutschen Politik zu tun und vor allem, als habe man alles richtig gemacht. Merkel redet von „gemeinsamem Handeln“ und schiebt die Bekämpfung der Krise auf die internationale Ebene und blockt dann dort durchgreifende Maßnahmen ab. Merkel lehnt weitere Konjunkturinitiativen auf europäischer Eben ab; statt internationalen Druck auf Steueroasen zu machen, bekämpft ihre Partei im Innern sogar die schwarze Liste der gewiss wirtschaftsfreundlichen OECD. Passend dazu fordern am Tag der Regierungserklärung die Fraktionen von CDU und SPD ein Gesetz zur Vereinfachung der Umsetzung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Gleichzeitig treibt die Union mit der Blockade der Neuregelung für die Jobcenters ein übles Spiel auf dem Rücken der Arbeitslosen. Wie in einem Brennglas wird darin deutlich, die Bundesregierung taucht in der Krise weg, schiebt Lösungsstrategien auf die lange Bank internationaler Gremien und wartet auf bessere Zeiten, um weiter zu machen wie bisher. Wolfgang Lieb

In Frankreich treibt es Millionen auf die Straße und in Deutschland darf die Bundeskanzlerin in einer sich immer mehr zuspitzenden Krise eine der nichtssagendsten Regierungserklärungen abgeben. Und niemand regt sich auf. Nichts von der Kanzlerin zur steigenden Arbeitslosigkeit und zum dramatischen Anstieg der Kurzarbeit, nichts zur Bekämpfung von Steueroasen oder zu obszönen Abfindungszahlungen und Boni von Managern. Täglich werden unkontrolliert Milliardenhilfen an bankrotte Bankinstitute vergeben und die Kanzlerin plappert die üblichen Floskeln von Kontrolle und Transparenz nach. Da sackt die Wirtschaft in eine Depression ab und die Kanzlerin hat nichts Wichtigeres zu sagen, als die „Schuldenbremse“ zu loben. Am gleichen Tag als das Statistische Bundesamt für das Jahr 2008 wieder einmal einen Reallohnverlust vermeldet wiederholt die Kanzlerin ihren unsäglichen Satz, dass man verhindern müsse, dass „wir dauerhaft über unsere Verhältnisse leben“.

Nach wie vor tut die Kanzlerin so als sei Deutschland von der Krise nur „betroffen“, als hätten die Bundesregierungen nichts zu der Finanzkrise beigetragen. Sie meint mit dem 500-Milliardenpaket zur Bankenrettung und mit den beiden zusammengeschusterten Konjunkturpäckchen käme „Deutschland gestärkt aus der Krise“ heraus. Im Rat in Brüssel gehe es nur noch darum “wie wir nationale Maßnahmen noch besser abstimmen und bündeln können”.

Statt eigene Vorschläge zur Krisenbewältigung zu machen, verweist Merkel auf die internationale Ebene und schwadroniert von einer „noch nicht existierenden Finanzmarktverfassung“ oder – noch abgehobener – von einer „Charta des nachhaltigen Wirtschaftens“. Sobald die Kanzlerin jedoch Berlin verlassen hat und von Gipfel zu Gipfel reist, blockiert gerade sie „gemeinsames Handeln“ oder sie erzwingt faule Kompromisse. So sperrt sie sich gegen weitere Konjunkturmaßnahmen auf europäischer und schon gar auf transatlantischer Ebene. Da werden in den USA eine Billion Dollar in die US-Wirtschaft gepumpt und der Rat in Brüssel beschließt gerade mal 5 Milliarden (das ist gerade ein Prozent des europäischen Konjunkturpakets) für Energie- und Kommunikationsnetze. Da rüpelt der Finanzminister in der ihm eigenen Arroganz gegen kleine Nachbarländer und in Brüssel wird vielleicht gerade noch Liechtenstein auf die „schwarze Liste“ der Finanzoasen gesetzt. Statt die Liste der 46 Länder mit „ungenügenden Fortschritten“ bei der Einhaltung von Steuerstandards abzuarbeiten, die der OECD-Chef Angel Gurría am 5. März in einem Brief an den britischen Finanzminister Alistair Darling aufgelistet hat, lässt es die Kanzlerin zu, dass ihre Partei ein Bundesgesetz gegen die Steuerflucht auf Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt.

Statt einen „Rettungsschirm“ für Arbeit aufzuspannen, verweigert die Union die vom Verfassungsgericht auferlegte Neuregelung der Jobcenter und lässt deren Mitarbeiter und die von ihnen betreuten Arbeitslosen im Regen stehen. Das Schicksal der Opel-Arbeiter überträgt die Kanzlerin, dem Unternehmensberater Roland Berger, auf dessen „Rat“ die Treuhand nach der deutschen Einheit im Osten hunderte von Unternehmen „platt gemacht“ hat.

Mitten in der Depression hat die Kanzlerin kein dringenderes Ziel, als dass der Europäische Rat „ein Bekenntnis zum Stabilitäts- und Wachstumspakt“ ablegt. Das entspricht der deutschen Begründung für die „Schuldenbremse“ in der Verfassung. Da legte man in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für die Banken schnell mal 500 Milliarden auf den Tisch oder wirft ohne nähere Begründung und Prüfung der Hypo Real Estate oder der Commerzbank Milliarde um Milliarde nach, um später mit dem Grundgesetz im Rücken das Geld bei Sozialleistungen, Bildung oder Infrastrukturinvestitionen wieder hereinzuholen.

In diese Linie passt, dass die Fraktionen von Union und SPD heute gemeinsam beantragt haben, die Öffentlich-Privaten Partnerschaften (PPP) auszuweiten und den Finanzinvestoren in Zukunft die Tür noch weiter aufzumachen.

Dieses Wegtauchen in der größten Krise und das Schieben von Krisenvermeidungsstrategien auf die lange Bank der internationalen Konferenzen, wo den schönen Reden an den deutschen Michel keine Taten mehr folgen, lässt nur einen Reim zu: Unter viel gedroschenem Stroh, verbirgt sich ein schlichtes Weiter-so.

Wann kommt die französische Marianne endlich über den Rhein und zieht dem deutschen Michel die Zipfelmütze von den Augen


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