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Titel: Nachtrag zum Thema Staatsverschuldung

Datum: 29. Juni 2009 um 9:51 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Steuern und Abgaben, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Im Beitrag „Bekommen wir die Verschuldung überhaupt noch in den Griff?“ hatte ich es unter Ziffer 4. versäumt, die Liste der sinnvollen Möglichkeiten zur Einnahmeverbesserung anzuhängen. Ich hatte dies unterlassen, weil unsere Vorstellungen dazu in den NachDenkSeiten immer wieder erwähnt worden sind. Außerdem ist es nicht in jedem Fall sinnvoll, solche Steuererhöhungen ins Spiel zu bringen, solange die Konjunktur noch nicht läuft. Aber die Zurückhaltung ist von einem Nutzer als schlimmes Versäumnis empfunden worden. Deshalb wird die Auflistung der Finanzierungsmöglichkeiten gerne nachgeholt – verbunden mit der Bitte um Nachsicht, wenn eine Möglichkeit vergessen worden sein sollte. Albrecht Müller

Im Kern geht es darum, dass mit der Steuerpolitik versucht werden muss, diejenigen zur Finanzierung der Folgen der Finanzkrise heranzuziehen, die sie mitverursacht haben, und jedenfalls dafür zu sorgen, dass die starken Schultern die Hauptlast tragen. Dabei wird man in Kauf nehmen müssen, dass unter jenen mit den starken Schultern auch solche Zeitgenossen sind, die den Casinobetrieb nicht für Spekulationen zum eigenen Vorteil genutzt haben. Es geht auf jeden Fall nicht an, dass die Last der Finanzkrise, wie mit der Mehrwertsteuererhöhung beabsichtigt, vor allem den Schwächeren aufgeladen wird.
Anders als es bei der Union und der FDP diskutiert wird und Rot-Grün es in der Vergangenheit praktiziert hat, wird eine solche Steuerpolitik auch bei den direkten Steuern ansetzen müssen. Parallel zum notwendigen Versuch, die direkten Steuern anzuheben, ist es notwendig, mit der Schließung der Steueroasen wirklich ernst zu machen.
Was ist möglich:

  1. Erhöhung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer auf über 50 %. Das können beispielsweise 53 % sein oder auch 56 %, wie die SPD früher einmal vorgesehen hat.
  2. Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die in der Zeit der Regierung Kohl abgeschafft worden ist.
  3. Wiedereinführung der Gewerbekapitalsteuer, die ebenfalls in der Regierungszeit von Helmut Kohl abgeschafft wurde.
  4. Erhöhung der Körperschaftssteuer
  5. Streichung der Steuerfreiheit für Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen.
  6. Aufhebung der Steuerfreiheit im Bereich der Finanzdienstleistungen.
  7. Wirksame Erbschaftsbesteuerung statt der weiteren Lockerung.
  8. Wiedereinführung der Börsensatzsteuer
  9. Angleichung der Steuersätze für Zins- und Vermögenseinkünfte an die Steuersätze der Einkommensteuer. (Siehe 1.)

Man muss die Möglichkeit zur Umsetzung dieser Vorschläge nüchtern betrachten und auch die Widerstände richtig einschätzen. Wir sind in der öffentlichen Debatte zurzeit weit entfernt davon, solche selbstverständlichen Vorschläge überhaupt in Erwägung zu ziehen. Das kann man beispielhaft daran zeigen, dass der selbstverständlichste Vorschlag, die Streichung der Steuerfreiheit der Heuschrecken (siehe 5.) von den Offiziellen bisher nicht einmal in Erwägung gezogen wird, selbst die SPD, die zurzeit so tut, als hätte sie ihr Herz für soziale Gerechtigkeit wieder entdeckt und propagandistisch auch gegen Heuschrecken zu Felde zieht, hat bisher ihrem Finanzminister noch nicht vermittelt, dass sie die Streichung dieser Steuerfreiheit verlangt. Wo ist die Kraft der so genannten Linken in der SPD? Hat Andrea Nahles diesen Akt von Steinbrück schon verlangt? Hat sie dafür die Unterstützung des Parteivorsitzenden Müntefering?
Für die Streichung der Steuerfreiheit sprechen nicht nur die Verbesserung der Einnahmensituation, sondern auch der Flurschaden, den diese Steuerbefreiung angerichtet hat und immer wieder anrichtet. Ein Unternehmen nach dem andern wird bei Nutzung dieser Steuerbefreiung gefleddert. Ein neues Beispiel siehe in Anlage 1.

Die öffentliche Debatte ist weit von der Einsicht in die Notwendigkeit entfernt, bei den direkten Steuern und bei der Belastung der stärkeren Schultern anzusetzen. Wie weit, das kann man an den neuen Beschlüssen der Union zu ihrem Parteiprogramm sehen. Beispielhaft: da soll der Kindersteuerfreibetrag erhöht werden. Der Kindersteuerfreibetrag kommt aber vor allem jenen zugute, die gut verdienen. Ein solcher Vorschlag ist ein Signal für den Stand der Debatte. Wir sind unerträglich weit von sozialer Vernunft entfernt.

Anlage 1
Investoren plündern Kabelkonzern
Orion in Not: Nach FTD-Informationen drohen 1,8 Mrd. Euro langfristige Schulden den von Finanzinvestoren gebildeten Konzern und seine Dachgesellschaft zu erdrücken. Mehrere Investoren unter Führung der britischen Private-Equity-Gesellschaft Aletheia hatten seit Ende 2005 mehrere deutsche Kabelnetzbetreiber übernommen und daraus den Orion-Konzern gebildet. Um dies zu finanzieren, bürdeten sie der Gruppe gewaltige Schulden auf. Mit operativen Gewinnmargen von 40 Prozent läuft das Kabelgeschäft von Orion eigentlich gut. Vor allem bei der Tochter Tele Columbus bleibt allerdings wegen der gewaltigen Schulden von den Einnahmen so gut wie nichts übrig. “Die Schulden fressen denen die Haare vom Kopf”, hieß es in informierten Kreisen. Internen Dokumenten zufolge, die der FTD vorliegen, summierten sich die Zinszahlungen bei Orions übergeordneter Dachgesellschaft Escaline allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres auf 77 Mio. Euro – bei einem Betriebsgewinn von nur 49 Mio. Euro. Tele Columbus müsse jedes Jahr Beraterhonorare von rund 20 Mio. Euro schultern, sagte ein Insider. Hinzu kämen weitere Managementgebühren in Millionenhöhe, die an einzelne Escaline-Gesellschafter ausbezahlt worden seien.
Quelle: FTD


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