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Titel: Neoliberale Mobilmachung in der Bildung: Schon wieder ein Bildungstest – diesmal von der PR-Maschine „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“

Datum: 28. November 2004 um 17:19 Uhr
Rubrik: Bildung, INSM, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Die neoliberale Lobby macht auf dem Felde der Bildung mobil. Nach McKineys Studentenranking veröffentlichte wenige Tage danach, am 24.11.04, die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ihren sog. „Bildungstest“. Das Ergebnis überrascht nicht: Hier wie dort schneiden die Südstaaten und CDU-regierte Länder am besten ab. Der wissenschaftliche Schreibtisch der „INSM“, das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft Köln“ hat 105 Indikatoren, die irgendetwas mit Bildung zu tun haben, zusammengetragen, diese in irgendwelche Korrelationen gebracht und kommt dann, ohne dass die Daten in einen plausiblen Bezug zur Bildungspolitik der jeweiligen Länder gebracht worden wären, zu dem Ergebnis, dass Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen über dem Durchschnitt und alle anderen Länder unterdurchschnittlich abschneiden.
Die Methode ist immer gleich: Erst Miesmachen, um dann neoliberale Reformen „mit eiserner Entschlossenheit“ zu verlangen.

Sicher nicht ganz zufällig werden innerhalb einer Woche zwei Bildungsrankings von wirtschaftsnahen Think-Tanks veröffentlicht: Ein „Studentenranking“ vom Unternehmensberater McKinsey & Co und ein „Bildungsmonitor“ von der neoliberalen PR-Maschine „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Beide Veröffentlichungen kommen zum gleichen Ergebnis: Der konservative Süden Deutschlands und CDU-regierte Länder sind an der Spitze. Will sagen: Von den Südländern lernen, heißt siegen lernen.

Die Art und Weise, wie die INSM die von ihr erforderlich gehaltenen „Reformen“ der nach ihrer Ansicht renitenten Bevölkerung vermittelt werden sollen, kennen wir ja schon von anderen Politikfeldern, etwa der Sozialpolitik: Man malt ein Katastrophengemälde und verlangt, dass mit „eiserner Entschlossenheit“ reformiert wird.
Das hört sich dann aus dem Munde des Geschäftsführers der Initiative, Tasso Enzweiler, für die Bildungspolitik wie folgt an: „Das Bildungssystem in Deutschland ist, gemessen an seiner einstigen Vorrangstellung, in einer schockierend armseligen Verfassung… Angesichts des zunehmenden Globalisierungsdrucks und des demographischen Wandels (da sind sie also wieder die zwei angeblich „objektiven“ Reformzwänge) versündigen wir uns an unseren Kindern, wenn wir unser marodes Bildungssystem nicht mit eiserner Entschlossenheit reformieren.“

An Hand des jetzt veröffentlichten Bildungstests will die INSM belegen, dass „die Spitzenreiter Bayern und Baden-Württemberg aufgrund intensiver Schwerpunktsetzung noch die Chance besitzen, an das Niveau international führender Bildungsnationen… Anschluss zu finden“, dass aber „die Schlusslichter der INSM-Bildungsstudie…mit ihrer Bildungsarbeit in der Versenkung verschwinden.“

Wer solche apodiktischen Urteile fällt, müsste sich seiner Sache schon ziemlich sicher sein. Sehen wir uns die Sache also einmal etwas genauer an – hier speziell den Monitor zur Hochschullandschaft (nur dazu kann ich mir ein Urteil erlauben):

Das arbeitgebernahe „Institut der deutschen Wirtschaft Köln“(IW), der wissenschaftliche Schreibtisch der INSM, hat keine Kosten und Mühen gescheut und 105 Indikatoren, die in irgend einem Zusammenhang mit Bildung stehen, von 10 Wissenschaftlern in 11 Monaten zusammentragen lassen. „Sämtliche Statistiken, die bis einschließlich September 2004 verfügbaren waren“, seien miteinander verglichen worden und mit den dabei gewonnenen Ergebnissen sollten „Reformansätze und Impulse für die Bildungspolitik in den Bundesländern“ geliefert werden(Siehe Pressemitteilung der INSM 28/04 vom 24.11.04 www.insm.de).

Der Bildungstest belege also – so wird behauptet – dass das „Bildungssystem in Deutschland“ gemessen am „Niveau international führender Bildungsnationen …in einer schockierend armseligen Verfassung“ sei. Belege für diese Behauptung gibt es allerdings nicht. Die Studie zieht zwar für den Hochschulbereich immerhin 30 Statistiken heran, Zahlen, die einen internationalen Vergleich zuließen, sucht man jedoch vergeblich. Warum die Hochschulen der Schlusslichter des Monitors – in Berlin, Bremen und in Sachsen-Anhalt – gemessen am internationalen Niveau „in der Versenkung verschwinden“ sollten, bleibt das tiefe Geheimnis der Verfasser.
Um einen fairen Vergleich geht es ja auch gar nicht, es geht vor allem darum, Deutschland auf einem weiteren Feld, diesmal der Bildngspolitik schlecht zu reden. (Nur nebenbei bemerkt: Bei der Schulbildung gibt es neben den bekannten Schülervergleichstests, also Pisa und IGLU auch nichts Neues.)

Aber auch die Beziehung der unzähligen Zahlen zur Hochschulpolitik im Inland oder zu hochschulpolitischen Reformen in den einzelnen Ländern wird an keiner Stelle klar, noch wird dazu Erhellendes ausgeführt. Durch welche hochschulpolitischen Reformen die Südländer besser abschneiden sollen als andere, wie und weshalb sie ihre Mittel angeblich „effizienter“ und „zielgerichteter“ einsetzen sollen, all das bleibt völlig im Vagen. Es scheint vor allem darum zu gehen, dass man den Ländern, die in der Spitze eingestuft werden, zutraut, eine solche Politik – die die Untersuchenden selbst für richtig halten – am besten auf den Weg gebracht zu haben.
Man könnte auch sagen, der Bildungsmonitor ist durch einen konservativen politischen „Sympathie-Bias“ verzerrt.

(Das folgt dem gleichen Muster, nach dem die INSM kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen Georg Milbradt zum „Ministerpräsidenten des Jahres“ gekürt hat – allerdings ohne dass die erwünschte Sympathiewerbung sich im Wahlergebnis niedergeschlagen hätte: Milbradt hatte bei den nachfolgenden Wahlen einen Einbruch und wurde bei der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten selbst von eigenen Parteifreunden im Stich gelassen.)

Ob die „Masse“ der herangezogenen Statistiken bewertende Aussagen über die „Klasse“ der Bildungseinrichtungen und der Bildungsqualität zulässt, ist jedenfalls bei einer ziemlich großen Anzahl der eingeflossenen Indikatoren höchst zweifelhaft. Aber selbst wenn man einmal dieser „Zahlenideologie“ folgt (der man wohl eine Immunisierungsabsicht unterstellen darf), dann stellt sich für den Hochschulbereich die Frage, warum Bayern eine Spitzennote erteilt wird, obwohl dieses Land bei fast allen Indikatoren, an denen sich der Ist-Bildungs-Zustand ablesen lässt, allenfalls durchschnittliche Werte erzielt.

(Für den folgenden Absatz bitte ich die Leserinnen und Leser um Entschuldigung, aber um meine Kritik zu belegen, bleibt mir nichts anderes übrig als wenigstens einen Teil der Indikatoren aufzuzählen.)

Bayern liegt allenfalls im Durchschnitt oder sogar im hinteren Mittelfeld etwa

  • beim „Anteil der Absolventen an der akademischen Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 65 Jahren“,
  • beim „Anteil der Hochschulabsolventen an der Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 40 Jahren“,
  • beim „Anteil der Absolventen in Ingenieurwissenschaften an allen Absolventen“,
  • beim „Anteil der Absolventen in Mathematik und Naturwissenschaften an allen Absolventen“,
  • beim „Anteil der Studierenden in Ingenieurwissenschaften an allen Studierenden“,
  • beim „Anteil der Studierenden in Mathematik und Naturwissenschaften an allen Studierenden“,
  • bei der „Relation des Frauenanteils in Mathematik und Naturwissenschaften zum Anteil der Frauen an allen Studierenden“, oder
  • bei dem sonst für den Modernisierungsgrad so wichtig erachteten „Anteil der Studienanfänger in Bachelor- Studiengängen“ oder gar
  • beim „Anteil der Studierenden an der Bevölkerung zwischen 18 und 40 Jahren“ – wo Bayern zur Schlussgruppe gehört.

Sind also gemessen an den vom IW selbst gesetzten Maßstäben die Mittel in Bayern jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Untersuchung tatsächlich so „effizient“ und „zielgerichtet“ eingesetzt worden, dass dieses Land bei den doch sonst für die Zustands-“Bewertung des Humankapitalniveaus“ so wichtig erachteten Bestandsgrößen allenfalls mittlerer bis unterer Durchschnitt ist?
So viel schlechter können andere Bundesländer in ihrer Hochschulreformpolitik jedenfalls bis heute gar nicht gewesen sein – und dennoch hebt man Bayern in die Spitzengruppe. Noch mehr: In keinem einzigen der 30 für den Hochschulbereich angelegten Indikatoren nimmt Bayern die Spitze ein und auf wundersame Weise landet es weit vorne.

Ich will hier keinen Beweis führen, dass die anderen Länder besser sind, geschweige denn, dass Bayern schlechter ist – im Gegenteil, aber der Bildungstest der INSM ist ein typisches Beispiel nur die altbekannte Tatsache, dass bei Korrelationsbetrachtungen die Sinnhaftigkeit der Korrelationen und die Gewichtungsfaktoren oder – wie das IW das nennt – das „Punktevergabeverfahren“ eine bestimmende Rolle spielen. Sie sind entscheidend für das Ergebnis – oder genauer gesagt: Für das erwünschte Ergebnis.

Man könnte auch sagen: Viel Aufwand um nichts. Oder besser: Eine aufwändige wissenschaftliche Camouflage für politische Propaganda.

Denn um nicht viel mehr als um politische Propaganda geht es der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ auch bei ihrem „Bildungstest“: Sie malt von Deutschland eine Katastrophengemälde, sie versucht einen „Reformstau“ zu suggerieren, sie schürt Ängste in der Bevölkerung um eine rationale Debatte zu verhindern, sie versucht die Politik (diesmal vor allem in den Ländern) unter Druck zu setzen, um die eigenen neoliberalen Reformkonzepte als Weg aus der selbst inszenierten Misere aufzudrängen und durchzusetzen. Es ist eine politische Propaganda nach Art des Kasperletheaters. Dort ist allerdings das Kasperle klug genug, um den Teufel zu überlisten. In der politischen Wirklichkeit ging das Theater in den letzten Jahren leider meist anders aus.

Quelle: INSM »


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