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Titel: Ohne Leidenschaft, keine Zukunftsvision … Beide eine schwache Besetzung

Datum: 14. September 2009 um 17:21 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
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So das Urteil des Theaterregisseurs Claus Peymann bei Anne Will nach dem Duell zwischen Merkel und Steinmeier. – Wir sind schon bescheiden geworden, wenn wir diesem Medienereignis von gestern Abend etwas abgewinnen wollen. Es war sterbenslangweilig und perspektivlos. Und es war in weiten Teilen verlogen. Das ist zu belegen. Albrecht Müller

Mich interessiert nicht die von den Meinungsforschungsinstituten in den Vordergrund gerückte Frage, wer von beiden Spitzenkandidaten bei diesem Duell wohl mehr Punkte gemacht hat. Selbst wenn Steinmeier aufgeholt haben sollte, ist das ziemlich uninteressant, weil er keine Machtoption hat und damit keinerlei Perspektive zum Regierungswechsel bietet. Uns müssten einige andere Fragen interessieren. Dazu einige Anmerkungen:

  1. Dass am 27. September eine Richtungswahl anstehe, wie zumindest die SPD behauptet, war gestern Abend nicht zu erkennen.

    Steinmeier fordert den Mindestlohn, die Begrenzung der Managergehälter, die Beibehaltung des Ausstiegs aus der Kernenergie und eine Finanzmarktsteuer/Börsensatzsteuer.
    Merkel will die Steuern senken und erhofft sich davon Wachstum und damit Arbeitsplätze. Sie ist gegen den Mindestlohn und für eine Börsenumsatzsteuer nur, wenn das international geregelt wird, worauf man lange warten muss. Und dann noch das übliche Bekenntnis zu Familien usw..
    Das sind magere programmatische Vorstellungen und keine richtungsweisenden Unterschiede. Der Mindestlohn ist wichtig, aber keine Richtungsentscheidung. Die Begrenzung der Managergehälter ist eine Alibiforderung, die am Skandal der ungerechten Einkommens- und Vermögensverteilung nichts ändert. Die Kanzlerin wie der Herausforderer haben offensichtlich keine Zukunftsperspektive.
    Und emotionales Engagement schon gar nicht.

  2. Ihre Einlassungen waren über weite Strecken schlicht verlogen, was nur schwer zu erkennen ist, weil beide das gleiche behaupten.
    1. Wenn die Finanzkrise nicht gekommen wäre, dann wäre alles paletti. Dann stände unser Land wirtschaftlich großartig da. Dank der gemeinsamen Politik einschließlich der rot-grünen Agenda 2010 und der Zustimmung der Union zu dieser Politik im Bundesrat sei die Arbeitslosigkeit abgebaut worden. – Das ist alles beschönigend und nicht der Wahrheit entsprechend: Wir hatten einen minimalen Aufschwung mit geringen Wachstumsraten, die schon signalisierten, dass damit die Arbeitslosigkeit nicht wirklich abgebaut werden kann. Dass die Arbeitslosenzahlen statistisch abnahmen, hat damit zu tun, dass Millionen Menschen in Minijobs und in die Leiharbeit gedrängt worden sind. Der kleine Aufschwung war nachweisbar nicht von der Agenda 2010 verursacht sondern ein Ergebnis des Nachholbedarfs an Investitionen und die Folge einer besonderen Exportstärke, die außenwirtschaftlich übrigens höchst problematisch war. Die Binnennachfrage war schon 2007 eingebrochen – lange bevor die Finanzkrise auch für die Vertreter der deutschen Bundesregierung durch Zusammenbruch von Lehman Brothers sichtbar wurde. (Zu dieser Diagnose gibt es in den NachDenkSeiten und in den beiden Kritischen Jahrbüchern viele Belege, genauso im Kapitel 12 „Inkompetenz in der Wirtschaftspolitik“ von „Meinungsmache“. Zwei Links zu den NDS seien hier notiert: vom 14.3.2007 und vom 8.11.2007)

      Es hätte gestern Abend die Chance gegeben, dass die Darstellung des angeblichen wirtschaftspolitischen Erfolgs der Großen Koalition und der Agenda 2010 aufgeflogen wäre. Peter Kloeppel (RTL) fragte Angela Merkel, ob sie wisse, wie hoch das durchschnittliche Wachstum in den letzten Jahren gewesen sei. Sie wich aus. Er nannte die 1,5 %, eine Ziffer, die gerade mal reicht, die Arbeitslosigkeit nicht steigen zu lassen. Die Sendung war aber so angelegt, dass nicht nachgehakt werden konnte. Deshalb wurde der von beiden Koalitionspartnern betriebene Schwindel nicht sichtbar.

      Interessant war bei diesem Teil noch das Bekenntnis Angela Merkels zur Mitwirkung an der Agenda 2010 über den Bundesrat. Da ist wenigstens klar geworden, dass für diese neoliberale Politik sowohl Rotgrün als auch Schwarzgelb verantwortlich zeichnet. Das muss festgehalten werden, weil es innerhalb der Union Kräfte gibt, die sich aus dieser Verantwortung davon stehen wollen.

    2. Verlogen ist das Engagement von Steinmeier und der SPD für den Mindestlohn. Wenn die SPD dies hätte durchsetzen wollen, hätte sie in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode eine andere Koalition eingehen müssen: Rot-Rot-Grün. Das hätte es rechnerisch ja immerhin geben können. Da Steinmeier diese Option auch in der nächsten Legislaturperiode ausschließt und mit der von ihm angestrebten Koalition mit der FDP der Mindestlohn eh nicht durchsetzbar ist, ist seine Forderung ganz einfach nicht ernst gemeint. Es ist Spielmaterial zum Einfangen der Arbeitnehmerschaft. Auch die Durchsetzung des Programmpunktes Begrenzung der Managergehälter und Umsatzsteuer wird mit der von Steinmeier und der SPD Führung bevorzugten Koalition nicht möglich sein, einmal abgesehen davon, dass sie nicht zustande kommen wird.
    3. Verlogen ist auch die wiederkehrende Behauptung vom sozialen Ausgleich, für den die jetzige SPD-Führung stehe. Die jetzige Führung steht für die Privatisierung der Altersvorsorge, für die Erhöhung des Renteneintrittsalters, für die Zerstörung des Vertrauens in die Arbeitslosenversicherung, für die Ausdehnung der Leiharbeit und der prekären Arbeitsverhältnisse. Zumindest für Betroffene ist deshalb schwer zu glauben, dass es dieser SPD-Führung um sozialen Ausgleich ginge.
    4. Nicht nur verlogen sondern richtig gelogen war die Behauptung Steinmeiers, die SPD habe seit 2005 gesagt, wir bräuchten neue Regulierungen auf den Finanzmärkten. Tatsache ist, dass beide Koalitionspartner noch im Koalitionsvertrag von 2005 die weitere Deregulierung , die Erleichterung von Verbriefungen und eine lasche Kontrolle der Finanzmärkte vereinbart haben und dies von ihrem Finanzminister maßgeblich betrieben wurde. (Informationen dazu siehe hier)
  3. Bemerkenswert ist die erkennbare Primitivität der wirtschaftspolitischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen der beiden Kandidaten

    Von Angela Merkel hörten wir das Rezept: Steuern senken, daraus folgt Wachstum und daraus folgen Arbeitsplätze. Das ist einfachste neoliberale, angebotsökonomische Denke. Aus Steuersenkungen folgen keine Aufträge und keine neuen Investitionen. Investiert wird dann, wenn die Nachfrage steigt und die Kapazitäten nicht reichen, um diese zu befriedigen.

    Von Angela Merkel hören wir auch wieder den Glauben an die heilsame Wirkung der Senkung von Lohnzusatzkosten. Das sind primitive Formeln. Übrigens nahezu in völliger Übereinstimmung mit ihrem Kontrahenten, der diesem Glauben schon bei der Formulierung des Kanzleramtpapiers vom Dezember 2002 verfallen war. Darüber ist in der „Reformlüge“ ausführlich berichtet.

    Angela Merkel sagte, die Union stehe für die weitere Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft, weil wir die Globalisierung haben. Und keiner lacht.

    Steinmeier spricht vom Neustart der sozialen Marktwirtschaft. Zum Weinen.

    Die meisten programmatischen Vorstellungen waren ausgesprochen unpräzise formuliert. Wir brauchen Regeln für die Finanzmärkte, meint Merkel. Welche denn? Das zu erfahren wäre interessant.

  4. Zu wichtigen politischen Fragen wurde nichts richtungsweisendes gesagt.

    Nichts zur inneren Situation unseres Landes, zum wachsenden Gewaltpotenzial. Kein Wort zum Mord in München.
    Nichts wirklich Erhellendes zu Bildung, zum gescheiterten Bologna Prozess, zur bisherigen Hochschulpolitik.
    Nichts zur Privatisierungspolitik und was uns dort weiter erwartet. Wie geht es mit der Bahn weiter? Will man weiter öffentliches Vermögen verscherbeln, um der Finanzwirtschaft außerordentliche Gewinnchancen zu eröffnen?
    Wie will man mit der Verarmung des Staates umgehen und dem Zwang vieler Kommunen sich ihrer Pflichten zur Versorgung mit öffentlichen Leistungen zu entledigen?
    Auch zu Afghanistan hätte ich eigentlich gerne mehr und Präziseres erfahren.
    Dass wichtige Fragen ausgeklammert wurden, lag nicht an den vier Fragestellern. Es fiel auf, dass auf mehrere Fragen gar nicht oder ausweichend geantwortet wurde.

  5. Die beiden Statements am Schluss waren typisch für die Sprechblasen, mit denen man uns anderthalb Stunden eingeschläfert hat.
  6. Das Fazit:

    Mit diesen beiden Personen wird es keine Korrektur der von der neoliberalen Ideologie bestimmten Politik geben. Mit Steinmeier nicht die notwendige Kurskorrektur der SPD. Mit Angela Merkel, wenn eine Korrektur dann eine Verschärfung des wirtschaftsliberalen Kurses zusammen mit der FDP. Das sind keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Aber immerhin:

    • Im Gespräch mit Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die glauben, mit der jetzigen SPD-Führung würde eine neue Richtung eingeschlagen, kann man auf dem Hintergrund des gestrigen Duells gut belegen, dass dies ein Irrglaube ist.
    • Und jenen, die sich daran festklammern, Angela Merkel vertrete eine sozial eingefärbte CDU, kann man mit diesem Auftritt von Angela Merkel auch diesen Glauben nehmen.

    Noch ein Fazit zum Sendetyp: zwei Personen zum Duell einzuladen, die so miteinander verstrickt sind wie Merkel und Steinmeier, macht keinen Sinn. Da ist das alte Modell der Elefantenrunde, also der Präsenz aller im Bundestag vertretenen Parteien, in jedem Fall ergiebiger. Damit würde zusätzlich auch noch der undemokratische Eindruck vermieden, als gäbe es nur diese beiden Alternativen.


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