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Titel: Wie die Bertelsmann Stiftung neues Vertrauen zurückgewinnen will – Ein Rückblick

Datum: 23. September 2009 um 11:17 Uhr
Rubrik: Agenda 2010, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft
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Am 17.09.2009 berichteten wir in den Hinweisen des Tages über die Bildung einer „Task-Force“ durch die Bertelsmann Stiftung zum Thema “Perspektive 2020 – Deutschland nach der Krise”.
Solche Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung, die gesellschaftspolitische Agenda zu bestimmen, sind nicht neu. Schon über 10 Jahre lang arbeitet die Stiftung auf ihre Weise z.B. auch an der Änderung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. So wurde auch die Hartz-Reform vorbereitet, mit Versprechen die nicht eingehalten wurden und die über die wahren Absichten täuschten.
Wenn jetzt nach dem Scheitern der Bertelsmann Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb und Flexibilisierung neues „Vertrauen in der Gesellschaft zurückgewonnen und stabilisiert“ werden soll, dann braucht man offenbar eine neue Strategie.
Man hat wohl erkannt, dass die alten Formeln vom “aktivierenden Sozialstaat” und vom “Fördern und Fordern” angesichts der Erfahrungen, die die Menschen mit dieser Politik gemacht haben, nicht mehr ausreichen. Man muss also nach neuen Formeln suchen, wie „Vertrauen in die demokratische und marktwirtschaftliche Ordnung in Krisen bewahrt und gestärkt werden“ kann.
Wie die Bertelsmann Stiftung bisher vorgegangen ist, um ihre Mission zu erfüllen, das lässt sich u.a. recht gut an der Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze studieren. Um sich einen kritischen Blick auf die neue „Task-Force“ und hinter die wohlklingenden Ankündigungen zu bewahren, halten wir es für interessant noch einmal den Blick zurück zu werfen.
Welchen Einfluss die Stiftung auf die Vorbereitung und Begleitung der Hartz-Gesetze genommen hat, das kann man in der materialreichen Untersuchung von Helga Spindler nachlesen, die im Sammelband “Bertelsmann – Netzwerk der Macht” 2007 veröffentlich wurde. Die Autorin hat diesen Beitrag 2008 um ein Nachwort ergänzt.

War die Hartz-Reform auch ein Bertelsmann Projekt?
Von Helga Spindler

Es scheint, dass bei diesem spektakulären deutschen Reformprozess Bertelsmann, bzw. die Bertelsmann Stiftung, ausnahmsweise einmal nicht beteiligt war. In der Kommission [1] waren u.a. speziell ausgewählte hochrangige Vertreter von Unternehmensberatungen wie McKinsey, Roland Berger und einer Market Access for Technology Services GmbH, Vorstandsmitglieder von VW, Deutsche Bank, BASF, Deutsche Bahn und der Generalsekretär des Zentralverbands des deutschen Handwerks vertreten, aber von Bertelsmann war niemand dabei.

Und doch stellt sich bei genauer Betrachtung heraus, dass die Bertelsmann Stiftung unsichtbar in der Runde saß. Sie konnte es sich leisten, in dieser umstrittenen Kommission nicht direkt in Erscheinung zu treten, und sich auf Zuarbeiten und Weichenstellungen zu konzentrieren. Doch ganz im Sinne der Stiftungsphilosophie, reine Wohltätigkeit anderen Stiftern zu überlassen und sich selbst auf das operative Geschäft zu konzentrieren und in die Gesellschaft zu wirken (Thielen 2002: 23 f.), wurden auch hier zielstrebig Netzwerke aufgebaut und die Entwicklung mit gesteuert.

Problembereiche und Vorgeschichte

Fachlich ging es bei der Hartz-Reform um die Anwendung der Ideen eines aktivierenden Staates auf die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, um eine neue Steuerung und Kontrolle von Behörden, Dienstleistern und Arbeitslosen sowie die Abschaffung bestimmter sozialer Sicherungssysteme und -niveaus.

Die Veränderungen betrafen im Gesetzgebungsbereich die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitsförderung, die im Sozialgesetzbuch III (SGB III) geregelt sind und die Sozialhilfe, die im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geregelt war. Im institutionellen Bereich ging es um die Arbeitsverwaltung und die Sozialverwaltung der Kommunen; und das alles in einer Phase abnehmender Beschäftigtenzahlen.

Nach dem Regierungswechsel 1998 war eine Reihe von Problemen sichtbar geworden. In der vorher nie erreichten Zahl von knapp 1,5 Millionen Arbeitslosenhilfebeziehern, die bis 2003 auch noch steil auf über 2 Millionen anstieg, bildete sich der fehlgeschlagene Einsatz von Arbeitsmarktpolitik nach der deutschen Einheit ab. In der Sozialhilfe – wo die Anzahl der Bezieher und die Ausgaben relativ stabil blieben, sogar zeitweise leicht zurückgingen (Statistisches Bundesamt 1999:13, 2003:44) – hatten einige Modellprojekte in den 90er Jahren die unterschiedlichen Ansätze von kommunalen Sozialbehörden und zentral gelenkten Arbeitsämtern bei der Beschäftigungsförderung deutlich gemacht. In Deutschland herrschte in diesem Bereich ein komplexes Geflecht von lokalen, föderalen und zentralen Strukturen, das durch zeitweise stark fließende Europa-Mittel noch undurchdringlicher wurde. Zudem herrschte in der Sozialdemokratie beim Übergang in die Regierungsverantwortung ein gewisses Theoriedefizit, das darin begründet war, dass man bis dahin einfach der Regierung Kohl die Schuld an der hohen Arbeitslosenzahl übertragen hatte – und die war nun weg und die Arbeitslosigkeit stieg nach kurzer Unterbrechung dennoch an. Das galt auch für die Gewerkschaften, die noch eine starke Stellung in der Arbeitsverwaltung hatten.

Das Arbeitslosengeld war vor allem durch die längere Bezugsdauer für Ältere zu einem kostenaufwendigen Teil der parteiübergreifenden Frühverrentungspolitik geworden. Der Bereich der Arbeitslosenhilfe war rechtsstaatlich noch stark durchformt – vor allem zugunsten von Familien – und durch Sozialgerichte kontrolliert. Das galt auch für die Arbeitsförderung, die für Arbeitslose durchaus attraktive Angebote wie ABM oder »echte« Weiterbildungen vorsah. Die Sozialhilfe war ebenfalls rechtsstaatlich angelegt und enthielt ethisch noch einen zu starken Bezug auf die Menschenwürde und Bedarfsdeckung, als dass man die Leistungen, das staatlich gewährleistete Existenzminimum, zu rasch zurückfahren konnte. Manche Verwaltungsgerichte hatten zwar ihre Kontrollfunktion bereits etwas zurückgenommen, aber noch nicht genug.

Auf einen Schlag war das nicht zu verändern und es herrschte allseitige politische Ratlosigkeit. Drei Strategien schienen erfolgversprechend um diese Strukturen aufzubrechen: einmal internationale Benchmarkings, die das Entwickeln bestimmter Alternativkonzepte zuließen, die geeignet waren, das deutsche System gewissermaßen »von außen« aufzubrechen (dazu auch Fleckenstein 2004). Internationale Vergleiche bei komplexen sozialen Systemen haben häufig die Folge, von nationalen Rahmenbedingungen und Implementierungsproblemen abzulenken, weil man doch angeblich eine funktionierende Strategie in einem anderen Land gefunden hat, dessen Rahmenbedingungen man im einzelnen aber oft nicht kennt und die einem vielfach auch absichtsvoll verschwiegen werden.

Zweitens mussten Akteure gefunden werden, die sich anders als die bisherigen Sozialpartner – etwa im Bündnis für Arbeit – im Eigeninteresse von solchen Rezepten einnehmen ließen. Drittens musste man sich einiges einfallen lassen, damit die in Deutschland noch relativ starken Gewerkschaften möglichst spät erkannten, dass ihre Klientel von den Veränderungen doch stark betroffen sein würde. Letzteres war nach meiner Einschätzung die Hauptaufgabe des mit der IG Metall eng verbundenen Peter Hartz, was hier nicht weiter untersucht werden kann. Die beiden anderen Strategien aber werden in der weiteren Untersuchung eine wichtige Rolle spielen.

Wenn man sich unter solchen Bedingungen an das kritische Nachzeichnen von politischen Entwicklungen und Einflüssen macht, muss das mit einer Offenlegung der eigenen Haltung und Bewertung einhergehen, die hier kurz skizziert werden soll:

Das deutsche System von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe mit den damit verbundenen Ansätzen zur Beschäftigungsförderung war überhaupt nicht so unpassend. Es differenzierte – wenn auch grob – nach unterschiedlichen Zielgruppen und schuf, auch in der Finanzierung, klare Zuständigkeiten zwischen kommunalen Trägern, Bundesanstalt für Arbeit und Bund (Spindler 1996; Spindler 2002a). Wenn man die Kommunen am perspektivlosen Verschieben von Menschen in die Arbeitslosenversicherung gehindert hätte und sie sich ansonsten auf besonders arbeitsmarktferne Zielgruppen konzentriert hätten, wenn die Arbeitslosenhilfe zeitlich begrenzt worden wäre und die Arbeitsämter einmal auf eine bessere Berücksichtigung betrieblicher Anforderungen und Personalauswahl, zum anderen auf die tatsächliche Betreuung und die Vermittlung auch von weniger qualifizierten aber arbeitsmarktnahen Menschen aus der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe ausgerichtet worden wären, was ja zu ihrem Aufgabenbereich gehörte und nur vernachlässigt worden war, dann hätte, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Zuständigkeiten und der individuellen Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der Betroffenen, das deutsche System gut überleben können. Es wäre noch erfolgreicher geworden, wenn es gelungen wäre, die Bundesländer in eine finanzielle Verantwortung einzubeziehen, die über das großzügige Verteilen von EU- und Bundesmitteln hinausgegangen wäre, wenn ein regulärer Stellenmarkt im sozialen und öffentlichen Dienstleistungsbereich entwickelt und ausgebaut, statt faktisch bis heute abgebaut worden wäre – das Ganze flankiert von einer moderaten, existenzsichernden Mindestlohnpolitik.
Aber das ist vor allem wegen seiner rechtsstaatlichen Implikationen und der existenzsichernden Elemente samt Berücksichtigung von Tarifen nun mal kein Modell nach dem Geschmack der Bertelsmann Stiftung und der tonangebenden Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler.

Für die folgende Untersuchung, die sich auf den Zeitraum von 1999 bis etwa 2003 konzentriert, werden bei dieser unübersichtlichen Lage zwei markante Ausgangspunkte gewählt, um daran dann die personellen und inhaltlichen Verflechtungen im politischen Entwicklungsprozess aufzuzeigen.

Benchmarking in der Arbeitsmarktpolitik

Der erste Punkt wird markiert durch ein 19-seitiges Thesenpapier vom 2. Juni 2000: »Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik«. Verantwortet wurde es von der Benchmarking-Gruppe des »Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit«. Dieses im Dezember 1998 wiederbelebte Bündnis führte neben der Gründung von zahlreichen Arbeitsgruppen auch zur Gründung einer wissenschaftlichen Expertengruppe, bestehend aus den Professoren Gerhard Fels (Institut der deutschen Wirtschaft, IW), Rolf Heinze (Ruhr-Universität Bochum), Heide Pfarr (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung, WSI), Günther Schmid (Wissenschaftszentrum Berlin, WZB) und Wolfgang Streeck (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, MPIfG).

Das Thesenpapier der Gruppe ist auffällig, weil es sehr früh viele Elemente der Hartz-Vorschläge unter Verweis auf internationale Vorbilder (das waren damals schon Dänemark, Niederlande, Großbritannien und – noch – die USA) enthält. Der skizzierte Umstieg auf eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik umfasste die Förderung und den Ausbau der Leiharbeit, die Erstellung von verbindlichen Eingliederungsplänen, einen Einstieg in die private Arbeitsvermittlung sowie die gezielte Förderung neuer Selbständigkeit. Die bisher üblichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und die damit anschließend entstehenden Leistungsansprüche wurden grundsätzlich verworfen. Verstärkter Zwang und Sanktionen bei Arbeitsvermittlung, Beratung und bei Ablehnung zugewiesener Beschäftigung wurden befürwortet. Es wurde außerdem empfohlen, in stärkerem Maße als bisher Lernprozesse auf »dezentraler Ebene« anzustoßen. »Voraussetzung hierfür ist eine noch stärkere Öffnung der Arbeitsmarktpolitik für private Organisationen oder gemischt-wirtschaftliche Netzwerke (public-private-partnerships), die innovative Praktiken inszenieren, erproben und durch Nachahmung verbreiten« (ebd.: 16). Ob die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erforderlich sei, bedürfe weiterer Prüfung. »Fest steht« für die Gruppe aber bereits, dass eine Zusammenführung »erhebliche Effektivitäts- und Effizienzgewinne versprechen [sic]« (ebd.: 18).

Auch wenn die Forderungen dieses Papiers heute nicht mehr unbekannt sind: es erschien damals zu einem Zeitpunkt, in dem die rot-grüne Reformpolitik stagnierte, auch weil das in eine ähnliche Richtung gehende – von Bodo Hombach aus dem Bundeskanzleramt lancierte – Schröder-Blair-Papier von 1999 noch starke Kritik in den eigenen Reihen provozierte (Blancke/Schmid 2003). Illusionslos schätzt auch Wolfgang Streeck rückblickend ein, dass das Bündnis für Arbeit spätesten seit Sommer 1999 keine echten Gestaltungsmöglichkeiten mehr hatte (Streeck 2003: 8f). Warum also noch dieses Thesenpapier im Sommer 2000, das doch kurz und knapp schon viele Gewissheiten über den einzuschlagenden Weg enthielt?

Hier wurde Längerfristiges vorbereitet und die politische Schwächephase zur weiteren Ausarbeitung der nur vorläufig zurückgestellten politischen Ziele genutzt.
Das zahlte sich jedenfalls für einen aus: Günther Schmid wurde 2002 eines von zwei wissenschaftlichen Mitgliedern der Hartz-Kommission, deren von ihm ja schon vorher konzipierte und offenbar auch stark mitgestaltete Ergebnisse er öffentlich befürwortet und verteidigt hat (Schmid 2003 a, b; Jann/Schmid 2004; Fleckenstein 2004: 669). Die Thesen »Aktivierung der Arbeitsmarktpolitik« brachte er in einer aktuellen Fassung zusammen mit vielen anderen seiner Evaluierungsstudien und Ausarbeitungen als persönlichen Beitrag in die Kommissionsarbeit ein.

Rolf Heinze und Wolfgang Streeck zählten zu den strategischen Kanzlerberatern der ersten Stunde. Die aus dem Ausland importierten Ideen vom aktivierenden Staat sollten auch für Deutschland fruchtbar gemacht werden. (Ein anschaulicher Bericht über die personellen und inhaltlichen Kontakte findet sich im Spiegel 30/2004, 20f: »Langer Anlauf, kurzer Sprung«.) Sie beide, wie auch Günther Schmid, wirkten ausdrücklich als Vertreter des koordinierenden Bundeskanzleramtes in der Benchmarking-Gruppe, wobei sich Streeck später über dessen mangelnde Koordinierungsarbeit beschwerte (Streeck 2003: 8). Beide zogen sich im Weiteren aus dem operativen Geschehen zurück (Heinze 2004).

Aber nun zu Bertelsmann und einem Hinweis, der sich für Außenstehende erst im Abschlußbericht findet: »Die Arbeitsgruppe Benchmarking tagte in der Regel unter Beteiligung von Dr. Stefan Empter und Dipl.Volkswirt Andreas Esche von der Bertelsmann Stiftung« (Eichhorst/Profit/Thode 2001: 1). Die Bertelsmann Stiftung war sozusagen die »unsichtbare Vierte« im Bündnis für Arbeit, wie es das Handelsblatt einmal formuliert haben soll.

So verwundert nicht, dass sich die Thesen der Benchmarking-Gruppe auch inhaltlich auf eine Studie beziehen, die Stefan Empter und Frank Frick für die Bertelsmann Stiftung zuvor in Auftrag gegeben haben – auf die 1999 in 1. Auflage im Verlag Bertelsmann Stiftung erschienene Studie von Martin Kröger und Ulrich van Suntum: »Mit aktiver Arbeitsmarktpolitik aus der Beschäftigungsmisere? Ansätze und Erfahrungen in Großbritannien, Dänemark, Schweden und Deutschland«. Die Studie enthält bereits weitgehende Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung künftiger Arbeitsmarktpolitik. Offen wird z.B. bereits die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Überweisung aller längerfristig Arbeitslosen an eine dezentral agierende Fürsorgebehörde gefordert (ebd.: 220f). Die Empfehlungen werden in den Thesen nicht vollständig, aber doch in vielen gewichtigen Teilen übernommen.

Eine weitere Beziehung ergibt sich aus dem Schriftenverzeichnis der Thesen. Dort findet sich der Verweis auf zwei einschlägige Manuskripte von Werner Eichhorst und Stefan Profit von einem »Projektbüro Benchmarking der Bertelsmann Stiftung am Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung« (Thesen: 19). Eine Mitteilung des Instituts ergibt:
»Seit dem 1. Juni 1999 ist Dr. Werner Eichhorst (ehemaliger Stipendiat des Instituts) Projektleiter des ›Projektbüro Benchmarking‹, das in seiner ersten Arbeitsphase am MPIfG hospitiert. Das Projektbüro basiert auf einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Bundeskanzleramt, der Bertelsmann Stiftung und dem MPIfG und soll die Arbeit der ›Arbeitsgruppe Benchmarking‹ des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit der Bundesregierung wissenschaftlich unterstützen. Es beschäftigt sich insbesondere mit der Sammlung von quantitativen und qualitativen Daten zum internationalen Vergleich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik« (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, 12. Juli 1999).

Abgeschlossen wurde das Projekt mit einer 440-seitigen Veröffentlichung erst im Jahr 2001: »Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Bericht der Arbeitsgruppe Benchmarking und der Bertelsmann Stiftung an das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit« (Eichhorst/Profit/Thode 2001). Wissenschaftlich allein verantwortet wurde die Arbeit von Werner Eichhorst, der bis Ende 2004 weiter als Projektleiter der Bertelsmann Stiftung agierte, von Stefan Profit, der 2001 von der Bertelsmann Stiftung in das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wechselte, und von Eric Thode, der ihn bei Bertelsmann 2001 ablöste. »Das Projektbüro Benchmarking war während der Arbeit an Benchmarking Deutschland Gast beim MPI in Köln.« Die Konzeption und die Abhandlungen im Bericht wurden ausführlich mit der Arbeitsgruppe Benchmarking diskutiert (ebd.: 1). Streeck soll die Arbeit noch 2005 als „ bible for employment policies“ bezeichnet haben ( Pautz 2006:5)

Auch wenn diese Abhandlung zu den etwas differenzierteren Arbeiten in diesem Bereich zählt und auch die Probleme solcher Vergleiche noch anspricht: Das Thesenpapier aus dem Jahr 2000 wusste schon vorher, auf welche Benchmarking-Ergebnisse es sich konzentrierte- und die Bertelsmann Stiftung führte das Projekt der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsrankings mit Ulrich van Suntum auch noch nach 2000 weiter, ergänzt z.T. von direkten Teiluntersuchungen für die Hartz-Kommission. Sie sicherte damit die Kontinuität der Forschungsarbeit- dort wo der Politik vorübergehend die Luft ausging. Aber zunächst einmal war mit der Benchmarking- Gruppe auch die Arbeit der Bertelsmann Stiftung gescheitert, wie Pautz in seiner schon sehr materialreichen vorläufigen Skizze über den Einfluss von Think Tanks in Deutschland festhält. ( Pautz 2006 :5 ).
Alleine mit dieser Form von Politikberatung war für Deutschland keine erfolgreiche Strategie zur Veränderung hin zum aktivierenden Staat möglich, deshalb jetzt zum zweiten Ausgangspunkt.

Der Ausbau dezentraler Beschäftigungsprojekte in Verbindung mit den Vorbereitungen für die Abschaffung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Hier begann es 1999 mit einer in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommenen Einladung ausgewählter Arbeitsmarktakteure durch Noch-Bundespräsident Roman Herzog auf Schloss Bellevue und der Beauftragung der Bertelsmann Stiftung mit der Koordinierung von Arbeitsmarktpolitik: »…Aufgrund des steigenden Problemdrucks haben einige deutsche Kommunen in den vergangenen Jahren begonnen, die Sozialhilfe auf Beschäftigung auszurichten und somit die lokale Arbeitsmarktpolitik aktiv mitzugestalten. Auf diesem Feld wird viel experimentiert und Ausmaß sowie Qualität der kommunalen Beschäftigungspolitik sind noch sehr unterschiedlich. Angesichts dieser Problematik wurde auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog am 7. Mai 1999 im Schloss Bellevue in Berlin der Grundstein für ein Projekt zur Förderung beschäftigungsorientierter Sozialpolitik in Kommunen gelegt. Hieraus entstand das Ende 2000 gegründete Netzwerkprojekt ›BiK – Beschäftigungsförderung in Kommunen‹ an dem 24 besonders motivierte und reformfreudige Kommunen mitgearbeitet haben« (ehemalige Startseite von www.bik-online.de, Zugriff am 9.9.2006 ). Dr. Helga Hackenberg wurde bei Bertelsmann als Projektleiterin der Abteilung »Arbeitsmarkt und Beschäftigung« im Bereich »Wirtschaft« zusätzlich eingestellt. Sie brachte spezielle Kenntnisse über das niederländische System mit.

Parallel zu dieser Beauftragung erschien 1999 eine Schrift im Verlag der Bertelsmann Stiftung: »Beschäftigungsorientierte Sozialpolitik in Kommunen – Strategien zur Integration von Sozialhilfeempfängern in das Erwerbsleben«. Verantwortlich waren Dr. Stefan Empter, Bereichsleiter des Bereichs Wirtschaft der Bertelsmann Stiftung und bereits bekannt aus der Benchmarking-Arbeitsgruppe, und der Politikwissenschaftler Frank Frick, seit 1994 bei der Stiftung und zuletzt Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Noch etwas oberflächlich zusammengestückelt erschienen da 12 deutsche Fallstudien von Bielefeld über den Landkreis Nordhausen und Leipzig bis nach Stuttgart, gefolgt von Studien über Groningen und den US-Bundesstaat Wisconsin bis nach Dänemark und eine kleine kanadische Provinz, versehen jeweils mit Bewertungen und einer Analyse der Erfolgsfaktoren (wobei irgendein Erfolg überall festgestellt wurde).

Interessant war hier das Vorwort, das sich besonders auf die Kommunen als Betroffene der Beschäftigungsmisere konzentrierte. Viele würden sich »nicht untätig ihrem Schicksal ergeben« und lediglich passiv den Lebensuntererhalt sichern, sondern hätten begonnen, die Sozialhilfe auf Beschäftigung auszurichten.
»Dabei orientierten sich die Vorreiter in Deutschland an internationalen Beispielen und wurden damit selbst zu nationalen Vorbildern.« Um dies weiterzuentwickeln habe die Bertelsmann Stiftung diese »nationale und internationale Bestandsaufnahme und Best-Practice-Recherche durchführen lassen« (ebd.: 7). Zu weiteren Zielen der Studie und der Orientierung auf Wisconsin und die Niederlande als Vorbilder, ein Interview mit Frank Frick: »Wir brauchen intelligente Organisationsmodelle mit neuen Anreizstrukturen« (Blätter der Wohlfahrtspflege 1999, Heft 7/8: 149 f).

Diese Verlagerung auf die Zusammenarbeit mit den Kommunen als bisher noch nicht eingebundene arbeitsmarktpolitische Akteure war strategisch weitblickend. Denn einige Kommunen hatten in diesem Bereich für ihre Sozialhilfebezieher bereits workfare-ähnliche Modelle eingeführt, die einer zukünftigen Übertragung derartiger Aktivierungspolitik Vorschub leistete.

Die Kommunen hatten schon immer das Instrument der Mehraufwandsbeschäftigung (»Ein-Euro-Jobs«, § 19 Abs.2 BSHG), mit dem man Menschen in Beschäftigung verpflichten konnte, ohne, wie bei den ABM-Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, noch an Arbeitsrecht und Sozialversicherung gebunden zu sein. »Workfare« meint im Gegensatz zu der im deutschen System schon immer bestehenden Verpflichtung, eine reguläre Arbeit aufzunehmen (Erwerbsobliegenheit), die systematische Verpflichtung bei Bezug existenzsichernder Leistungen sofort eine öffentlich rechtlich organisierte Beschäftigung anzunehmen, die nicht mehr als individuelle Eingliederungshilfe, sondern als eine Art Gegenleistung und auch zum Test der Arbeitsbereitschaft gedacht ist. Als ökonomisch besonders erfolgreich gilt bei Wirtschaftswissenschaftlern die bewusst unattraktive Ausgestaltung dieser Beschäftigung, damit sich die noch Restleistungsfähigen angesichts dieser Anforderung möglichst bald »selbst selektieren«. Viele Kommunen hatten bereits »innovativ« und »lokal flexibel« mit privater lokaler Arbeitsvermittlung experimentiert, örtliche Gliederungen der Wohlfahrtsverbände als Auftragnehmer eingebunden, eigene Beschäftigungsgesellschaften gegründet, die sie mit allen möglichen für die Kommunalkasse nützlichen Aufträgen versehen konnten ( dazu mehr bei Spindler 2005).

Außerdem mussten die kommunalen Vermittler nach den Beobachtungen von Bertelsmann andere, und vor allen Dingen weniger gesetzliche Vorgaben beachten, denn für sie galt das BSHG und nicht das viel kompliziertere, präzisere Sozialgesetzbuch III, an dem man offenbar wenig Gefallen fand (die Bertelsmann-Sicht auf die beiden Gesetze wird besonders eingängig aber auch kritiklos wiedergegeben und illustriert in einem Artikel von Elisabeth Niejahr: »Zu viel Arbeit fürs Amt«, Die Zeit 21.08.2003 ). In diesem Beschäftigungsnetzwerk hatte sich schon eine merkwürdige Mischung von sozialtechnokratischem Machbarkeitswahn (»Wir schaffen Arbeit«) und autoritärer Arbeitserziehungs- und Volksbeglückungs-Philosophie entwickelt, die oft mit durchaus beachtlichem Geschick im Erschließen von Arbeitsfeldern ( leider auch im Bereich sehr schlechter bis inakzeptabler Arbeitsbedingungen) und Sensibilität für Personalentwicklung zumindest bei wenig qualifizierten und schwierigen Menschen gepaart war. Hier bestand ein großes Potential, das ein starkes Interesse erkennen ließ, seine Mitmenschen in Beschäftigung zu bringen und gleichzeitig ein hinreichendes Desinteresse an den sich daraus ergebenden – und überhaupt geregelten – Arbeitsbedingungen.

Gerade auch bei sozialdemokratischen Kommunen, wie etwa Köln, Offenbach oder Hamburg, hatten nicht nur niederländische oder dänische Modelle Pate gestanden, sondern insbesondere auch der Blair’sche New Deal. »Druck macht beweglich«, hatte schon 1998 Richard Layard, Professor der London School of Economics den Deutschen empfohlen und auf die Frage nach möglichen Widerständen geantwortet: „Es hängt davon ab, wie man es einführt. Unsere Philosophie in GB war: wir führen das Programm erst für junge Leute ein – weil Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten besonders schlechte Angewohnheiten schafft, weil die Öffentlichkeit am meisten dahinter steht und weil die Erfolgsaussichten bei dieser überschaubaren Gruppe besonders groß sind “ (»Druck macht beweglich.« Ein Interview mit dem Vater des New Deal, Professor Richard Layard, London School of Economics, DIE ZEIT, Nr. 28 vom 2.07.1998: 20). Besonders beeindruckt von den Jugendprogrammen waren Arndt Schwendy und Hermann Genz aus dem Sozialamt Köln, Gerhard Ackermann vom Sozialamt Krefeld und Matthias Schulze-Böing aus Offenbach.

Der gemeinnützige kommunale Beschäftigungsträger BBJ Servis gGmbH organisierte im Herbst 1998 eine Studienreise für Vertreter der Jugendsozialarbeit nach Großbritannien um Philosophie und Ablauf des New Deal genauer kennenzulernen. Und es entwickelten sich enge Kontakte und Gegenbesuche auf allen Ebenen, wie etwa bei der nordrhein-westfälischen Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (GIB). Besonders aktiv in NRW war auch Rainer Radloff von der städtischen Personalentwicklungsgesellschaft REGE in Bielefeld.

Und verschiedene Akteure der deutschen Arbeitsmarktpolitik, wie etwa Matthias Schulze-Böing aus Offenbach, waren schon 1998 – lange vor Roland Koch – auf dreiwöchiger Studienreise in Wisconsin und zeigten sich sehr beeindruckt vom dortigen Casemanagement und One-Stop-Shop (Mankel 1998).

Viele Kommunen, die mir oder anderen dadurch aufgefallen waren, dass sie in der Beschäftigungsförderung mit den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen oder dem Sozialhilferecht besonders auf Kriegsfuß standen, die ein besonders abschätziges Menschenbild in ihrer Öffentlichkeitsarbeit benutzten oder unter der Hand Workfare-Modelle eingeführt hatten oder besonders intensive Kontrolle über soziale Dienstleister und Arbeitslose anstrebten – alle Elemente jeweils in veränderlichen Gewichtsanteilen und nicht überall alle – tauchten über kurz oder lang im Umkreis von Bertelsmann auf.

Und so enthielt diese erste Broschüre 1999 als Best-Practice-Beispiele auch Berichte über Köln, Bielefeld, Krefeld, Offenbach, Saarbrücken und dazu noch über Leipzig mit seiner damals noch überdimensionierten Beschäftigungsgesellschaft BfB (bis zu 8000 Beschäftigte), und noch weitere Kommunen, die aus anderen Projekten kamen.

Ein besonderer Dank für die Mitarbeit und die wertvollen Anmerkungen zu einem Kapitel (dem Kapitel 2.3), in dem es sehr präzise schon um eine grundsätzliche Reform der Transfersysteme ging, wurde an Dr. Helmut Hartmann aus Hamburg gerichtet (ebd.: 8 ). Im Vordergrund stand da bereits die unbedingte Forderung nach einem Leistungssystem und einer Behörde. Das hat zwar logisch die Abschaffung des anderen Systems und der anderen Behörde oder im deutschen föderalen System ein großes Chaos zur Folge. Aber das wurde nicht vertieft, vorläufig wurden nur die Vor- und Nachteile nebeneinandergestellt (ebd.: 35 f.). Bevor das entschieden werden könne, solle erst einmal die intensivere Zusammenarbeit ausgetestet werden.

Auch die Zusammenarbeit mit Helmut Hartmann wurde ab diesem Zeitpunkt intensiver. Er betrieb bereits seine eigene Beratungsfirma, die con_sens GmbH in Hamburg, die in der Folge mit zahlreichen Aufträgen der Bertelsmann Stiftung versehen wurde. Helmut Hartmann hatte nicht nur lange Jahre Erfahrung in der deutschen und europäischen Armutsforschung und in einschlägigen Projekten, sondern leitete auch von 1992–1998 das Landessozialamt Hamburg. In dieser Zeit hatte er die Behörde im Rahmen eines neuen Controlling- und Steuerungsmodells mit rechtlich fragwürdigen Praktiken bereits völlig umgestellt, in eine Art Profitcenter verwandelt, wie Dirk Hauer in einer Untersuchung belegt (Sozialpolitische Opposition Hamburg (Hrsg.) BROT(h)LOS LEBEN – Überblick über die Sozialhilfe in Hamburg, September 1999. Besprechung in info also, Heft 1/2000: 61). Er hatte bereits in einer gegen das damalige Bedarfsdeckungsprinzip verstoßenden Rechtsauslegung arbeitsfähigen Sozialhilfebeziehern die Auszahlung von Sozialhilfe mit der Begründung vorenthalten, jeder der wolle, könne in Hamburg auch Arbeit finden (Nachweise bei Spindler 2001a) und er hat die niederländische Vermittlungs- und Leiharbeitsfirma Maatwerk in Deutschland eingeführt.

Ab 1995 hat er sich in einem damals noch von der Firma Kienbaum betreuten Benchmarking-Projekt der Sozialämter von Großstädten engagiert. 1998 gründete er dann die Beratungsfirma con_sens Consulting für Steuerung und soziale Entwicklung GmbH, die seither Kommunalverwaltungen, Ministerien und Wohlfahrtsverbände vor allem in den Bereichen Sozialhilfe und Beschäftigung berät. Ein erster Großauftrag bestand in der Übernahme und weiteren Betreuung des Benchmarking-Projekts der Großstädte von Kienbaum, dem viele weitere ähnliche Projekte mit anderen Städtegruppierungen in Deutschland und der Schweiz folgten. So umstritten dieser Ansatz in der Sozialhilfe auch war (vor allem weil viele gewählte Kennziffern für Schlechtleistungen genauso wie für gute Leistungen stehen konnten. Kritisch zum Benchmarking in der Sozialhilfe Spindler 2001b) – für die Zusammenarbeit mit Bertelsmann war es die ideale Voraussetzung und unter den kommunalen Trägern hatte er mit einer gewissen Korrektur am Ansatz von Kienbaum auch Vertrauen erworben. Im Gegensatz dazu hatte die Produktgruppe Sozialwesen der Städte der Bertelsmann Stiftung Ende der 90er Jahre nur einen relativ kleinen Vergleichsring von 6 Mittelstädten aufbauen können.
Zudem hat Helmut Hartmann 1998 auch mit einem Artikel im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins in der sozialen Fachwelt den Startschuss für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gegeben (Hartmann 1998).

Nun mussten noch experimentierfreudige Kommunen gefunden werden. »Die Bertelsmann Stiftung unterstützt Kommunen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit« – wurde die Ausschreibung im Juli 2000 in einer Pressemitteilung vorgestellt. Zwar hätten viele Kommunen in den letzten Jahren erste Schritte unternommen, jetzt aber gehe es darum, die besten Ansätze weiterzuentwickeln und sie in der Praxis zu testen. Nach einer weiteren Mitteilung wurden dann 25 Kommunen »unter zahlreichen Mitbewerbern ausgewählt«.
Da kamen reichlich Kommunen zusammen, die bereits 1999 vorweg als Best-Practice-Beispiele identifiziert worden waren.

Nur die Stadt Leipzig, der 1999 noch eine positive Vorreiterrolle auch für Westdeutschland zugeschrieben worden war, war nicht mehr dabei. Ihr Vorzeigebetrieb war bereits ins Trudeln gekommen, seit der bis dahin hochgelobte Geschäftsführer Matthias von Hermanni, der ein Netz von gegenseitiger Abhängigkeit und Vorteilsnahme aufgebaut hatte, im Herbst 1999 wegen strafrechtlicher Ermittlungen vom Dienst suspendiert worden war. Der Betrieb, der viel reguläre Arbeit verdrängt, typische Verschiebepraktiken in die Arbeitslosenversicherung umgesetzt und trotzdem der Stadt noch viele Folgekosten beschert hat, wurde 2002 weitestgehend aufgelöst (Dickmann 2002). Das war allerdings kein Hinderungsgrund, den Oberbürgermeister von Leipzig, Wolfgang Tiefensee, der den Stadtrat auch noch 1999 nur unzureichend über einen Prüfbericht über den BfB informiert hatte, als einzigen kommunalen Vertreter in die Hartz-Kommission zu berufen.

Aber es wurden natürlich auch Kommunen aufgenommen, die von diesen nationalen Vorbildern lernen wollten oder die bereits in einem von der Bertelsmann Stiftung, der Hans-Böckler-Stiftung und der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) getragenen Netzwerk: »Kommunen der Zukunft« oder bei dem Vergleichsring der 6 Mittelstädte mitgearbeitet hatten.

Neben diesem Bertelsmann-Projekt wurde vom zuständigen Bundesministerium fast gleichzeitig ein großes Bundesmodellprojekt aufgelegt, das MoZArT-Projekt (Modellprojekt zur Zusammenarbeit der Arbeitsämter und Träger der Sozialhilfe), an dem auch noch einmal 28 Kommunen teilnahmen, und das von der Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH (gsub) begleitet und von der Firma infas ausgewertet wurde. Manche Kommunen hatten auch Doppelmitgliedschaften, wie etwa Köln, Bremen, Göttingen oder Pirmasens. Damit hatte sich Deutschland in ein sozialpolitisches Großlabor verwandelt.

Während vom MoZArT-Projekt bis zum Schluss wenig nach außen drang und die Erkenntnisse für die Hartz-Kommission, die noch vor Ende des Projekts eingesetzt wurde, rasch auf einem Folienvortrag zusammengestellt werden mussten, ohne dass man sie in den Grundlagen nachvollziehen konnte, schwollen die Begleitmaterialien und Handbücher aus der Bertelsmannproduktion seitdem kontinuierlich an.

»Kooperation statt Konkurrenz. Studie über die Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Sozialämtern« erschien 2000 schon in 2. Auflage und war verantwortet von Frank Frick und Helga Hackenberg. Dargestellt wurden die Ergebnisse »einer flächendeckenden Erhebung
über die Arbeits- und Kooperationsweise der Arbeits- und Sozialverwaltungen unter besonderer Berücksichtigung von good-practice-Beispielen«. Mit der Erhebung hatte die Bertelsmann Stiftung – man ahnt es schon – die Unternehmensberatung con_sens beauftragt. Besonders viele gute Praxisbeispiele wurden in Köln, Hamburg und Pirmasens identifiziert, viele Empfehlungen ausgesprochen und viele Eindrücke und Verwaltungswünsche vor Ort erfasst. Ein besonderes Interesse galt der Verbesserung des Datenaustauschs und der Kontrolle über Dritte.

2001 erschien noch eine vom Herausgeberkreis der »Kommunen der Zukunft« verantwortete und offenbar von Helmut Hartmann (ebd.: 7) verfasste Broschüre: »Benchmarking in der lokalen Beschäftigungsförderung«, mit der auch für dieses Feld der Kennzahlenvergleich als Grundlage für Bestandsaufnahme und Identifizierung von Best Practice angepriesen wurde. Auch diese vorgeschlagenen Kennzahlen lassen erkennen, dass Beschäftigungsförderung dabei in erster Linie unter einem Kosten-Nutzen-Aspekt für die Träger und weniger bis gar nicht unter einem Nutzenaspekt für die Arbeitslosen empfohlen wird, und dass die Mitentscheidungsmöglichkeiten der Betroffenen, ihre Qualifikation, Neigung und persönlichen Ziele schon gar nicht Gegenstand des Verfahrens sein sollen.

2001 folgte das »Handbuch zur Kooperation von Arbeitsämtern und Kommunen. Gemeinsam für die Integration in den Arbeitsmarkt. Texte, Beispiele und Materialien“ und 2002 das „Handbuch Beratung und Integration. Fördern und Fordern – Eingliederungsstrategien in der Beschäftigungsförderung«.

Auffällig ist hier der veränderte Herausgeberkreis. Herausgeber sind jetzt nicht mehr die Bertelsmann Stiftung allein, sondern nun auch Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag und Deutscher Städte- und Gemeindebund. Beide Bände beginnen mit einem Grußwort von Bundesarbeitsminister Walter Riester. Es beginnt eine zeitweise Verschmelzung von Bertelsmann mit den öffentlichen Trägern.

Das Handbuch »Beratung und Integration« greift dabei schon tief ins Selbstverständnis sozialer Dienstleistungen ein. Es wird arbeitsmarktzentriertes Casemanagement anhand von Best-Practice-Beispielen Schritt für Schritt erläutert und empfohlen den Prinzipienstreit um die Sanktionen doch hintan zu stellen und ganzheitlich zu fördern und zu fordern. Die Beispiele erschöpfen sich aber in durchgängig unfreiwilligen Maßnahmen, bei denen sogar das simpelste Gesprächsangebot mit Rechtsmittelbelehrung und Androhung von Leistungsentzug versehen ist (Beispiel aus Bielefeld). »Teacher, preacher, friend and cop« müsse der neue Fall-Manager sein, und das sei nicht nur eine neue Berufsbezeichnung, sondern stehe für einen grundlegenden Paradigmenwechsel hin zu ganzheitlichen Strategien zur Eingliederung Arbeitsloser in das Erwerbsleben, schreiben Stefan Empter und Helga Hackenberg in der Einleitung.

Hier wird der bisherige sozialrechtliche Begriff der Beratung und persönlichen Hilfe (Spindler 2002b) umgepolt, und so wundert es nicht, wenn eine resolute Projektleiterin aus Pirmasens an anderer Stelle vertritt:“ Wer sich nicht beraten lässt, bekommt auch kein Geld“ (Nagel 2002:18) oder wenn die Kölner Vertreter in der Fachzeitschrift der AWO fordern, dass sich ein sozialer Berater auch die Hände mit Sanktionen schmutzig machen müsse. Dieses Selbstverständnis wird auch von den beauftragten sozialen Dienstleistern gefordert (Genz/Schwendy 2004:10). Und der Umgang mit Software zur vollständigen Erfassung auch der persönlichsten Daten und Auswertung des Casemanagementprozesses scheint allemal wichtiger als Kenntnisse von sozialen oder Arbeitsrechten der zu managenden Personen oder gar deren Bedürfnissen und Neigungen zu sein.

Mit traditionellen Instrumenten und Maßnahmen jedenfalls könne man Menschen nicht mehr in den Arbeitsmarkt integrieren.

Diese z.T. didaktisch rührend einfühlsam aufbereitete Handbuchreihe wird dann 2003 durch das »Handbuch: Steuerung der Arbeitsmarktpolitik – Prinzipien, Methoden und Instrumente« ergänzt, das den Umgang mit Benchmarking und Qualitätsmanagement abrunden soll. Auch der Endbericht des Bik Projektes folgte 2003: »Lokale Arbeitsmarktpolitik – Stand und Perspektiven«, herausgegeben von Helga Hackenberg alleine. Er wird bezeichnenderweise unter der Überschrift: »Hilfen gegen den finanziellen Kollaps in Kommunen« mit der Bertelsmann-Pressemitteilung vom 18. September 2003 der Öffentlichkeit vorgestellt. Worin der »finanzielle Kollaps« durch arbeitslose Sozialhilfebezieher bestanden haben soll, bleibt im Dunkeln.
Aber das wird in diesem Rahmen nicht weiterverfolgt, denn auch dieses Projekt wurde ja im ersten Halbjahr 2002 von der Einsetzung der Hartz-Kommission überholt.

Die direkten Kommissions-Zuarbeiten durch die Bertelsmann Stiftung

Hier ist der operative Einfluss von außen her schwerer nachzuvollziehen, aber er wird, bzw. wurde auch nicht verschwiegen.

In mehreren Publikationen ist plötzlich von einer Arbeitsgruppe der Bertelsmann Stiftung: »Reform der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe« die Rede. Nach einem stiftungsinternen Bericht von Frank Frick arbeitete diese Arbeitsgruppe in Abstimmung mit dem Bundesarbeitsministerium. Er berichtet weiter, dass die Arbeitsgruppe die Möglichkeiten der besseren Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Kommunen untersucht habe, wobei diese Maßnahme »sich als ungeeignet herausgestellt hat, die Probleme auf dem Arbeitmarkt zu lösen. Sinnvoller erscheint vielmehr ein steuerfinanziertes einheitliches System, in dem sämtliche Leistungen aus einer Hand erfolgen« (Frick 2002a). Das bedeutet aber, die Bertelsmann-Arbeitsgruppe hat irgendwann allen vorherigen Kooperationsempfehlungen zum Trotz schon einmal die Entscheidung für ein neues, einheitliches System getroffen.

Es begann ein hektisches Publizieren und natürlich weitere Auftragsvergabe, die noch am Besten im Infopool von www.bik-online.de nachzuvollziehen – war. Irgendwann im Herbst des Jahres 2006 und glücklicherweise erst nach Abschluss dieser Recherche ist diese Fundstelle allerdings verschwunden . Ob das dem verstärkten öffentlichen Interesse an dem Einfluss der Stiftung bei der Hartz- Reform oder einer allgemeinen Neuordnung des Internetauftritts geschuldet ist , ist nicht zu ermitteln. Viele Arbeiten sind auch in den Anlagen zum Bericht der Hartz-Kommission enthalten, die heute nur noch in der CD-ROM-Version des Kommissionsberichts nachzulesen sind. Die Kommission selber teilte sich für ihre Arbeit in fünf Teilprojekte auf, die fünf mehr oder weniger aussagekräftige Teilberichte und einen Zwischenbericht vorlegten. Diese Berichte sind noch im Internet zu finden, etwa bei www.arbeitnehmerkammer.de/sozialpolitik.

Aufgeteilt hat sich offenbar auch die Bertelsmann-Arbeitsgruppe. Die Unterarbeitsgruppe: »Reduzierung des Nebeneinanders der Hilfesysteme« beauftragte Bruno Kaltenborn im Februar 2002 mit einer Expertise: »Quantitative Wirkungen und Anreize für die beteiligten Fiski« (Nachgedruckt in Gesundheits- und Sozialpolitik Heft 1–2/2003) und im März 2002 mit einer Datensammlung zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Beides offenbar zur Untermauerung der Forderung, die Systeme zusammenzulegen. Später folgte noch ein Auftrag zu den fiskalischen Konsequenzen der Personal-Service-Agenturen.

Bruno Kaltenborn ist freiberuflicher Wirtschaftsforscher und Politikberater, der sich, nachdem die Grünen mit der Regierungsbeteiligung ihr Grundsicherungsmodell aufgegeben hatten, mit Begleituntersuchungen zu Kombilohnmodellen einen Namen gemacht hat.

Und natürlich ergingen Aufträge an Helmut Hartmann, der schon im Februar 2002 in Kurzfassung ein Organisationsmodell der Arbeitsförderung vorlegte und im Juni 2002 ein Expose zur Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden, das eine sehr anschauliche Beschreibung des als Vorbild favorisierten Centrum voor Werk en Inkomen (CWI) gab. Hartmann beschreibt später sein Wirken selbst so:

»Auf dem Gebiet der Hartz-Gesetzgebung hat con_sens mehrere Studien für die Bertelsmann Stiftung erstellt (bik-online im www), darunter als Hintergrundmaterial für den Bericht der Hartz-Kommission für 15 Staaten kurze Übersichten zur Arbeitsmarktpolitik mit dem Schwerpunkt ›Steuerung‹ und ›Innovationen‹. Die Studien liegen als Anlage zum Bericht der Hartz-Kommission vor und wurden Ende 2002 als gesonderte Publikation von der Bertelsmann Stiftung herausgegeben« (Deutscher Verein 2005).

In den Materialien zum Kommissionsbericht finden sich unter der Überschrift: »Internationaler Vergleich« 15 Länderstudien, die con_sens im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt hat.

Am 7. März 2002 muss eine weitere Arbeitsgruppe unter Moderation der Bertelsmann Stiftung getagt haben, deren Ergebnisse von Jürgen Kruse präsentiert wurden, einem Sozialrechtler, der bislang mehr im Krankenversicherungsrecht gearbeitet hatte. Dabei ging es unter dem Titel: »Reform von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe« alternativ um entweder eine verbesserte Koordinierung beider Systeme oder um die Zusammenführung derselben und um allgemeine Prämissen und Bewertungskriterien. Für was man sich auch entscheide, im Vordergrund müssten die Eingliederungsmaßnahmen stehen, während die Unterhaltssicherungsleistungen demgegenüber für alle erkennbar zurücktreten müssten. Am besten sollte das Prinzip »Keine Leistung ohne Gegenleistung« gelten und Geldleistungen nur erbracht werden, solange sich der Erwerbslose aktiv um Eingliederung in das Erwerbsleben bemühe. Diese Papiere, die ausdrücklich vorläufigen Charakter haben sollten, sind ebenfalls in den Anlagen zum Kommissionsbericht enthalten.

Richtig aktiv wird Frank Frick selber. Von ihm ist ein 7-seitiges Strategiepapier: »Zur Diskussion um die Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe« und ein Folienvortrag: »Reformkonzepte zur institutionellen Zusammenarbeit und Systemreform« bereits im Januar 2002 nachgewiesen. In dem Strategiepapier wird bereits die grundlegende Systemreform favorisiert, zu der die Bertelsmann Arbeitsgruppe gefunden habe und prägnant die Zielsetzung formuliert: »In der Arbeitsgruppe gab es einen Konsens über das oberste Ziel: Die Reduzierung und Vermeidung der Hilfebedürftigkeit. Alle anderen Ziele – Transparenz und Bürgerfreundlichkeit, Kundenorientierung und Akzeptanz – müssen dahinter zurückstehen, damit es keine Zielkonflikte gibt« (ebd.: 3). Die Folien finden sich als Sachverständigenbeitrag in den Kommissionsmaterialien wieder.

Am 22.05.2002 fand mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung in Berlin für alle Teilprojekte der Kommission ein Benchmarking-Workshop: »Reformen der Arbeitsverwaltung im internationalen Vergleich« statt, in dem Vertreter aus Österreich, Großbritannien, Schweiz und Niederlande ihre Systeme darstellten. Die auswertende Abschlussdiskussion wurde von Frank Frick geleitet.

Zu den Sitzungen der Kommission am 27. Mai 2002 und am 21. Juni 2002 sind von ihm zwei Sachverständigenberichte über die Ergebnisse von 5 Länderreisen und den Umbruch in insgesamt 15 Arbeitsverwaltungen in Europa und Übersee nachgewiesen. Das Ganze wurde im Spätjahr 2002 als Broschüre: »Arbeitsverwaltungen im Wandel – Erfahrungen aus 15 Ländern im Vergleich« im Bertelsmann Verlag publiziert. Für mehr visuell eingestellte Menschen produzierte die Bertelsmann Stiftung parallel noch einen Film mit Begleitheft: »Die Arbeitsverwaltung im Umbruch – europäische Impressionen« mit Reportagen aus Großbritannien, Dänemark und Niederlande.

FAZ.NET vom 13.August 2002 (»Hartz-Ideen europaweit im Trend«) berichtete zu diesen Aktivitäten: »Anleihen nimmt das Hartz-Konzept vor allem bei den europäischen Nachbarn Niederlande, Großbritannien, Österreich, Schweiz und Schweden. Die Bertelsmann-Stiftung erstellte im Mai und Juni 15 Länderberichte für die Hartz-Kommission. Das Gremium war ›hellauf begeistert‹, erinnert sich ein Stiftungsmitarbeiter«. Wie sich aus einer anderen Quelle ergibt, hatte die Stiftung auch gleich Studienfahrten an die besagten Orte organisiert (Fleckenstein 2004: 654).

Das Januar-Diskussionspapier von Frank Frick und die Beiträge von Jürgen Kruse werden im Zwischenbericht der Hartz-Kommission über weite Strecken aufgenommen.

Besonders gefragt scheinen die Ansichten der Bertelsmann Stiftung im Teilprojekt II der Kommission: »Lohnersatzleistungen und Sozialhilfe« gewesen zu sein, dem Isolde Kunkel-Weber von der Gewerkschaft ver.di, Harald Schartau, ehemaliger Bezirksleiter der IG Metall in NRW und gerade zum SPD-Minister für Arbeit und Soziales in NRW aufgestiegen und Wolfgang Tiefensee, SPD-Oberbürgermeister von Leipzig, angehörten. Der Bericht des Teilprojekts weist einen Workshop am 12. April 2002 aus, bei dem u.a. Frank Frick als Sachverständiger eingeladen war und einen Workshop am 16. Mai in Köln, wo nicht nur die Kölner Sozialverwaltungen breiten Raum hatten, ihr Modell darzustellen, sondern auch Eric Thode von der Bertelsmann Stiftung einen umfangreichen Vortrag zu »Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im internationalen Vergleich« hielt. Die inhaltlichen Bezüge, die sich daraus in den Teilberichten und im Endbericht nachweisen lassen, können hier nicht weiter vertieft werden.

Was bei diesen begeisterten Ländervergleichen überspielt wurde: Die britischen Jobcenter Plus haben erst am 1. April 2002 ihre Arbeit begonnen, die niederländischen CWI Anfang 2002. Es gab bis dato nur behördenseitige Selbstdarstellungen aus diesem Bereich, die auch die Kommissionsmaterialien bestimmten – keine gesicherten Ergebnisse. Einen Hinweis auf die Mindestlohnpolitik in beiden Ländern oder die deutlich höheren Quoten von anerkannt Erwerbsunfähigen, die das verstärkte Fordern dort erträglicher erscheinen lassen, vermisst man völlig. Erfahrungen der betroffenen Arbeitslosen selbstverständlich auch. Nach neueren Erkenntnissen waren die von der Stiftung sehr propagierten Jobcenter in anderen Ländern doch nicht so ganz unumstritten, weswegen man sich lieber das damals modellhaft bestehende Kölner Jobcenter zum Vorbild nahm (Fleckenstein 2004: 657f), das ja ebenfalls zum Bertelsmann-Netzwerk gehörte und sich an diesen Vorbildern orientierte.

Was die Akteure auch dabei in ihrer Begeisterung ganz übersehen haben oder übersehen wollten: das Kölner Jobcenter lag zwar räumlich beim Arbeitsamt, war aber in Wirklichkeit ein Sozialamt, das sich nur noch auf Beschäftigungsangebote um jeden Preis konzentrierte und dabei seine übrigen Sozialhilfeaufgaben bereits vernachlässigte (Spindler 2002c; Scholz 2004); die Jugendabteilung Jobbörse Junges Köln erzielte ihre Haupterfolge durch den in den Folgen nicht genau erfassbaren Abgang von großen Gruppen junger Antragsteller (Spindler 2003). Weder diese negativen Seiten, noch die ungeklärten Zuständigkeiten und Abgrenzungsprobleme, die fachliche Kritik am praktizierten Casemanagement und die damals nicht seriös erfassbaren Kosten dieses Modells wurden je zur Kenntnis genommen.

Immerhin: die Arbeit des Teilprojekts II führte zum Modul 6 des Berichts der Kommission »Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe« und das wurde als fast einziges Modul später mit der Verabschiedung des neuen Sozialgesetzbuch II (= »Hartz IV«) auch umgesetzt.

Schließlich ist noch im Juni 2002 etwas mehr öffentlich ein »Positionspapier« der Bertelsmann Stiftung: »Eckpunkte einer Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe« nachzulesen, das die bisher erarbeiteten Empfehlungen zusammenfasst. Erstaunlich ist das Nachwort: die Bertelsmann Stiftung sei beim Verfassen des Papiers durch »eine Kommission aus unabhängigen Sachverständigen« beraten worden, denen auch für »die offene, konstruktive Kritik« gedankt wird. Von diesen 29 Kommissionsmitgliedern sind ca. 15 leitende Mitarbeiter von Bundes- und Landesministerien, kommunalen Spitzenverbänden und von der Bundesanstalt für Arbeit. Dann folgen aus dem Bereich kommunaler Träger Vertreter aus… Köln, Krefeld, Hamburg, Osnabrück, Pirmasens, Zwickau und Herne – man kennt sich von BiK! Dann kommen noch Herr Hartmann, Herr Kaltenborn und Herr Kruse, Herr Empter, Herr Frick und Frau Hackenberg und last not least Herr Kannengießer von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Seit wann müssen Träger öffentlicher Aufgaben als unabhängige Experten eine private Stiftung bei einem Positionspapier über die Bestimmung ihrer Aufgaben beraten? Und seit wann sind eigene Mitarbeiter und Auftragnehmer unabhängige Experten?
Da haben sich offenbar irgendwelche Koordinaten im Selbstverständnis verschoben.

Auch mag Herr Frick seine Patenschaft nicht ganz unter den Scheffel stellen. Mit dem Hinweis auf diese von der Stiftung erarbeiteten Quellen meldete er sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. »Jedes der untersuchten Länder könne größere Erfolge auf dem Arbeitsmarkt vorweisen als Deutschland, sagte Frank Frick, Arbeitsmarktexperte bei der Bertelsmann Stiftung, die an der Kommissionsarbeit beteiligt war« (»Peter Hartz wird in ganz Europa fündig«, FAZ 16.8.2002: 10. Der Bericht hat viel Ähnlichkeit mit dem von Alexander Jung: »Empfangspersonal statt Panzerglas« im Spiegel Nr. 26/2002: 28f und von Clemens Wieland im (Bertelsmann-)Forum 4/2002). Danach benennt er die übertragbaren Elemente aus den einzelnen Ländern. In seiner Auswertung der internationalen Erfahrungen setzt er sich dann zwar ein wenig von der Kommission ab und propagiert die leicht veränderte Bertelsmann Schwerpunktsetzung, die das Gebiet noch stärker wettbewerblich durchdringen will, aber im großen und ganzen besteht Übereinstimmung, was Leiharbeit, Jobcenter, stärkere Zumutbarkeit und wettbewerbliche Elemente bei der Arbeitsvermittlung angeht.

Im August 2002 erschien dann endlich der Bericht der Hartz-Kommission

Doch der wurde ja sehr rasch nur als Zwischenetappe zur Agenda 2010 begriffen. Aber immerhin war der Kommission gelungen, jedenfalls vor den Wahlen den Eindruck zu erwecken, es werde so etwas wie eine Arbeitslosenhilfe für alle geben und eine umfassende Betreuung durch die Arbeitsämter. Etwas, was viele sozialdemokratische Wähler oder auch Wohlfahrtsverbände, wie etwa der DPWV ganz positiv aufnahmen. Dass das so ernst nicht gemeint war und nicht die Arbeitsämter für die Sozialhilfe, sondern das System der Sozialhilfe für die Arbeitslosenhilfebezieher erschlossen werden sollte (Spindler 2002c), das merkten viele erst später.

Und auch in der Konzeption der Personalserviceagentur (PSA) erkannte man, gerade wenn man das niederländische Vorbild vor Augen hatte, die Probleme schnell. Durchgesetzt in der Kommission hatte sich nach einem Insiderbericht der hessische Landesarbeitsamtsleiter Wilhelm Schickler, der das Modell der vermittlungsorientierten Arbeitnehmerüberlassung durch das berufliche Fortbildungszentrum der Bayrischen Wirtschaft anderen nationalen und internationalen Vorbildern vorzog. Weil sich das auch von der von Peter Hartz favorisierten Wolfsburger Personalserviceagentur stark unterschied, hat sich zur Sicherheit parallel zur Kommissionsarbeit zusammen mit Wilhelm Schickler eine ungewöhnliche Kooperation am Rande ergeben, die sich in einer weiteren Broschüre der Stiftung niederschlägt: Weil es für die PSA noch an detaillierten konkreten Konzepten fehle, »haben sich die Bertelsmann Stiftung, die Bundesanstalt für Arbeit und McKinsey & Company entschlossen, ihr know-how zu bündeln und parallel zur Arbeit der Kommission mit vereinten Kräften einen Beitrag zu leisten. ›Gemeinsam sind wir stark‹ war hier das Motto […]. Das Ergebnis dieser ebenso intensiven wie fruchtbaren Zusammenarbeit von hochrangigen Experten der beteiligten Institutionen« war die Broschüre »Die Personal-Service- Agentur (PSA)«, die bereits Anfang Herbst 2002 vorlag und schon in den Kommissionsbericht eingespeist wurde (Fleckenstein 2004: 660f). Zu Löhnen in Höhe des Arbeitslosengelds II oder ein wenig darüber, sollten ca. 375 000 Arbeitslose innerhalb von 5 Jahren arbeiten und vermittelt werden.

Diese Mühe war vergebens. Die niederländische Firma Maatwerk – in Deutschland bisher nur in einigen lokalen Sozialhilfevermittlungsprojekten (Hamburg u.a.) erfahren – hatte über 200 Aufträge für PSAen durch ein besonders günstiges Angebot an sich gezogen und hatte sich diesem Geschäft nicht gewachsen gezeigt. Unseriöse Abrechnung von Zuschüssen und schlechte Behandlung von Arbeitslosen ließ man ihr noch durchgehen (»Personal-Service-Agenturen sahnen Arbeitsamtszuschüsse ab«, FAZ 21.01.2004: 13, mit Verweis auf die reichlich beschönigenden IAB- Kurzberichte 1 und 2/2004; Wompel 2004), aber den Konkurs im Februar 2004 konnte man dann doch nicht abwenden (»Pleite nach Maß«, Spiegel 9/2004: 99). Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass das inzwischen stark zurückgegangene geförderte Verleihgeschäft von den Beschäftigungsgesellschaften durch den noch viel weniger geregelten und kontrollierten Verleih von Ein-Euro-Kräften form- und rechtloser bewerkstelligt werden kann ( Spindler 2004; 2006 ) . Profitiert von dem Vorgang hat allerdings die Leiharbeit in Deutschland allgemein, die aufgewertet und von arbeitsrechtlichen Beschränkungen befreit wurde (Schmid 2003a) und sogar von den Gewerkschaften mit einem Tarifabschluss honoriert wurde, der noch unter den Mindestarbeitsbedingungen in einigen Nachbarländern liegt. Damit hatte die gescheiterte PSA vermutlich ihren eigentlichen Hauptzweck erfüllt.

Am 7. März 2003 veranstalteten die Bertelsmann Stiftung und die Bundesanstalt für Arbeit dann noch eine gemeinsame Fachtagung: »Job Center – die lokalen Zentren für Integration und Beschäftigung«, in der die konkreten Aufbauprobleme diskutiert und in einer gemeinsamen Broschüre festgehalten wurden. Den »Blick über den Zaun« ermöglichte die schon aus dem internationalen Workshop vom 22.5. 2002 bekannte Lynda Russel aus Kent/UK, deren Vortrag unter der Überschrift: »From Vision to Reality« die Stichworte »Managing the change«, »Leadership for change« abarbeitete und allerlei sozialtechnokratisches Know-how lieferte, einschließlich des »Mantra der Jobcentres Plus: Arbeit für alle die können, Unterstützung für die, die nicht können« – alles weitere entscheidet der Behördenmitarbeiter. Die Tagung wurde aufgearbeitet in einer gemeinsamen Broschüre: »Job Center. Konzeption und Diskussion der lokalen Zentren für Erwerbsintegration« (verantwortlich: Helga Hackenberg, 2003). Dabei wird nach dem »Work-first«-Prinzip bereits erwogen, die Leistungsanträge erst nach Beratung und nachgewiesenen vergeblichen Arbeitsbemühungen der Arbeitslosen anzunehmen (ebd.: 46) und die Übertragung dieser Praxis auch auf den Arbeitslosengeldbereich angedacht. Noch deutlicher wird es bei den Perspektiven: »Eine tragfähige Lösung für die Integration arbeitsmarktpolitischer Dienstleistungen erfordert: […] Eine starke Vereinfachung des SGB III, wobei das BSHG hier durchaus Modellcharakter für die Neugestaltung bei bestimmten Fragestellungen haben kann« (ebd.: 83f). Im Klartext bedeutet das zusammen mit den anderen Vorschlägen: Workfare und Fürsorgesystem für alle Arbeitslosen, auch für die Bezieher der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld.

In diesem Zusammenhang steht vermutlich auch noch die 2003 im Auftrag der Stiftung erstellte »Kurzexpertise: Zielsteuerung in der Arbeitsmarktpolitik – vom Ausland lernen? Die Beispiele Österreich und das Vereinigte Königreich« von Helmut Hartmann.

Dabei wird hervorgehoben, dass Recht in diesen Ländern nur als allgemeiner gesetzlicher Rahmen, eine Art Hülle, existiert, während die konkrete Steuerung durch eine möglichst reduzierte, quantitative Ziel- und Erfolgsbestimmung, dezentrale Entscheidungsmöglichkeiten, nichtöffentliche Expertengremien oder über Delegation an außenstehende Dienstleister erfolgt. Dort gibt es weniger gerichtliche oder sonstige Kontrolle, nur noch Zielvereinbarung und Kontraktmanagement, kein bestimmtes, für den Bürger kalkulierbares und im Ergebnis beeinflussbares Verfahren und Ergebnis mehr. Er hat nur noch »Chancen«, aber keine subjektiven Rechte mehr. Vor diesem Hintergrund werden auch Änderungswünsche für das SGB III formuliert: möglichst kurz soll es werden, möglichst wenig Rechte, möglichst große Handlungsspielräume für operativ tätige Akteure und ein einfacher, rechtlich und praktisch leicht praktizierbarer Sanktionsmechanismus… (ebd.: 35f).

Die hier gelieferte Zusammenstellung verdeutlicht eines: Ohne die Vor-, Zwischen- und Mitarbeit der Bertelsmann Stiftung auf vielen Ebenen wären die Vorschläge der Hartz-Kommission und die folgenden gesetzgeberischen Aktivitäten fachlich und auch institutionell schon gar nicht umzusetzen gewesen.

Mit Hartz IV ist ein erster Durchbruch gelungen, der die zeitweiligen Schwächephasen der Politik mit kontinuierlicher strategischer Aktivität kompensierte. Umgekehrt muss auch Werner Eichhorst nachträglich der Politik ihren Anteil zugestehen; »Die Entwicklung der Vorschläge der Hartz-Kommission wäre ohne das ›window of opportunity‹ (Zeitfenster) des ›Vermittlungsskandals‹ nicht möglich gewesen. Erst durch die geschickte Nutzung dieser Gelegenheit durch die Bundesregierung zur Einsetzung einer Expertenkommission gelang es etablierte Reformblockaden in der Arbeitsmarktpolitik aufzubrechen.« Er liefert auch gleich noch sein Politikverständnis nach: »Gegenüber den etablierten parteipolitisch geprägten parlamentarischen Entscheidungsprozessen und auch im Vergleich zum blockierten ›Bündnis für Arbeit‹ profitierte die Arbeit der Hartz-Kommission von ihrer pluralistischen Zusammensetzung, bei der Vertreter der Parteien und Verbände sowie der Wissenschaft nur eine untergeordnete Rolle spielten. Prägender waren Unternehmer und Unternehmensberater.« Da macht es für ihn auch nichts, dass die »Verständigung innerhalb der Kommission« »nur um den Preis teilweise widersprüchlicher oder mehrdeutiger Formulierungen erreicht werden konnte« und eine »Eins-zu-eins«-Umsetzung gar nicht möglich gewesen wäre. Entscheidend sei, dass sie »wesentliche Impulse zur strukturellen Reformen des deutschen Beschäftigungssystems geliefert«, »die Notwendigkeit weitergehender Veränderungen veranschaulicht« und damit die »›Agenda 2010‹ erst ermöglicht« habe (Eichhorst 2006)

Ähnlich bewerten die beiden Kommissionsmitglieder Günther Schmid und Werner Jann die mehr volkspädagogische Wirkung der Kommission, wenn sie 2004 ihr Buch: »Eins zu eins? Eine Zwischenbilanz der Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt«, damit vorstellen, dass zwar bei einzelnen Modulen die Erwartungen zu hoch gesteckt gewesen wären, dass die Kommission dennoch »zum ersten Mal ein kohärentes Gesamtkonzept für einen modernen und flexiblen Arbeitsmarkt vorgelegt, eine klare Agenda für die Reformdiskussion vorgegeben und eine nachhaltige Reformbewegung in Gang gesetzt« habe. Insofern sei »ein Lernprozeß im Geiste des Gesamtkonzepts wichtiger als eine mechanistische Eins-zu-eins-Umsetzung«.

Und abschließend auch noch der Blick von Frank Frick auf die Hartz-Kommission: Unter der Überschrift »Reform-Lehrstück« kommentiert er die Voraussetzungen und Gründe für die erfolgreiche Kommissionsarbeit:
„Skandal“ um gefälschte Vermittlungszahlen: in dieser institutionell verkrusteten, korporatistisch geprägten, föderalistisch verfassten und lobbyistisch unterwanderten Republik gibt es wirkliche Reformchancen nur noch angesichts eines handfesten Skandals.

  • Der Vergleich als Aufbruch aus der Lethargie: Die Menschen waren nicht bereit, tatenlos zuzuschauen, wie Arbeitslosigkeit lediglich verwaltet wird. Wenn die Nachbarländer Dänemark, Niederlande, Großbritannien, Schweiz und Österreich derartig erfolgreich Beschäftigung aufbauen, werden in einem Wahljahr Erwartungen geweckt.
  • Berufung geeigneter Personen: Vollblutpolitiker saßen nicht in der Kommission – niemand hatte ein Interesse daran, kurz vor der Wahl unangenehme Maßnahmen zu vertagen und stattdessen Wahl- und Sonntagsreden in Berichtsform vorzulegen. Auch handelte es sich nicht um institutionelle Beteiligungen – die Kommissionsmitglieder bildeten zwar die wichtigen gesellschaftlichen Gruppen ab, waren aber als Personen berufen und erwehrten sich erfolgreich der Instrumentalisierung.
  • Ein mutiger Vorsitzender: Peter Hartz hat den Auftrag des Kanzlers zum Umbau der Bundesanstalt für Arbeit eigenmächtig ausgeweitet. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit erschien ihm zu Recht als erstrebenswertes Ziel.
  • Kluge Hintergrundarbeit: Während die Kommission tagte, analysierte und diskutierte, wurden hinter den Kulissen die Spielräume ausgelotet und die heiligen Kühe identifiziert. Heraus kam das erfolgversprechendste Reformpaket der deutschen Arbeitsmarktpolitik« (Frick 2002b: 22).

Hier formuliert sich ein Selbstverständnis, ganz in dem Sinn wie Gunter Thielen es für die Stiftung schildert: Policy Analysis und strategische Politikberatung »werden auch bei uns in dem Maße an Bedeutung zunehmen, in dem die großen Parteiapparate und politischen Stiftungen durch ihre unaufhaltsame Überalterung, hemmungslose Interessenpolitik und überbordende Bürokratie erstarren. Die Bertelsmann Stiftung hat künftig die Möglichkeit aus ihren Kompetenzfeldern heraus hochagile Think Tanks zu bilden, in denen junge Menschen zu Ideenbrokern werden. Ein Mutterschiff mit vielen kleinen Schnellbooten; das ist der Flottenverband, mit dem die Bertelsmann Stiftung künftig im Wettbewerb der politischen Ideen kreuzen wird« (Thielen, 2002: 26).

Am Hartz-Beispiel zeigt sich, dass es nicht nur Ideenwettbewerb, nicht nur fleißige Hintergrundarbeit ist, sondern in der Summe ein strategisch aktives Agieren und Vor-Auswählen unter handverlesenen Partnern und ideologischen Positionen und das, wie man so schön sagt, »finanziell gut gepolstert«. Insofern ist die Trennung zwischen Politikakteuren und Zuarbeitern, die Fleckenstein noch glaubt treffen zu können (Fleckenstein 2004: 669), und die ihm vermutlich aus sehr unterschiedlichen Gründen von seinen Gesprächspartnern nahegelegt wurde, nicht einfach aufrecht zu erhalten. Und auch Günter Schmid, der ansonsten ein recht informatives Bild des Netzwerks der Hartz-Kommission zeichnet (Schmid 2003b: 77), verschleiert den Einfluss der Stiftung durch drei mysteriöse »Einfluss«-Pfeile mehr, als er ihn aufklärt. Dabei fehlt auch noch ein wichtiger vierter Pfeil im Bereich Presse/Medien vollständig, der sich keinesfalls nur auf die Bertelsmann-Organe beschränkte.

Wenn man die hemmungslose Sehnsucht nach einer vollständig widerspruchsfreien Gesellschaft, zu der sich Peter Hartz später bekennt (Hartz: »Ich habe einen Traum«, 2005; dazu auch Jäger: »Hartz träumt, Wenn ich die Regierung wär: Peter und die Tafelrunde«, 2005), seine Vorstellung von der mittelalterlich-feudalen Tafelrunde der Sozialreformer, vom wunderbaren, sympathischen, liebevollen Alleinherrscher, der mit seinem Leben für den Abbau von Arbeitslosigkeit haftet, in die Analyse mit einbezieht, dann stellt sich die Frage, wer in der Kommission Akteur war und wer Zuarbeiter, womöglich noch einmal ganz neu.

Resümee: Netzwerkarbeit mit demokratiefeindlichem Kern

Was ist an der beschrieben Entwicklung kritisch?

Es ist das gute Recht einer jeden Regierung, den mit der Politikberatung zu beauftragen, der ihr sympathisch ist. Es ist das gute Recht eines jeden Unternehmers, der meint, etwas zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können, eine Stiftung zu gründen und Themen bearbeiten zu lassen. Dass sich dabei Gleichgesinnte treffen, wird jeweils unvermeidlich sein.

Doch wer öffentliche Aufgaben erfüllt, Gesetze verändern will, die in Gestaltungsrechte und Lebenschancen von Millionen Bürgern eingreifen, der muss sich der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Die Mitwirkenden müssen ihre gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Ziele offen legen, die Öffentlichkeit muss den Prozess nachvollziehen, erkennen können, wer welchen Einfluss ausübt und welche Konsequenzen das Vorgehen hat. Das war schon angesichts der inoffiziellen Aufträge des Bundespräsidenten Roman Herzog, der auf dem Gebiet eigentlich keine Kompetenz hatte (Frank Frick: »Der Präsident suchte ein neues Thema und wir hatten eines«, Schumann 2006), und aus dem Kanzleramt durch Bodo Hombach bei gleichzeitiger Niederlage mit dem offen politisch vorgestellten Schröder-Blair-Papier, nicht eingehalten.

Was mir besonders auffiel, war, dass sich seit der zunehmenden Netzwerkarbeit durch die Bertelsmann Stiftung die Akteure überhaupt nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandergesetzt haben, Gegenargumente praktisch an einem Panzer der Selbstgewissheit abprallten, die Wahrheit bereits erkannt zu haben. Ein deutlicher Bruch im Politikstil bestand darin, keine Betroffenenorganisationen mehr zur Beratung zuzulassen, wie in früheren Sozialhilfeprojekten, und bei Tagungen oder den Anhörungen zu Gesetzesentwürfen nicht mehr wie früher wenigstens pro forma noch kritische Stimmen oder profilierte Vertreter von Verbänden und verschiedenen gesellschaftlichen Kräften zu Wort kommen zu lassen. Auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, der bei derartigen Vorhaben in der Vergangenheit mit Vorarbeiten, Koordination und begleitenden Gutachten beauftragt wurde, war diesmal nicht eingeschaltet. Das spontan formulierte und offenbar bertelsmannkonforme Pluralismus- und Gesellschaftsverständnis von Werner Eichhorst und Frank Frick liefert hierfür natürlich den Schlüssel. Wenn sie meinen, die Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen seien an der Arbeit beteiligt gewesen (Schumann 2006), dann haben sie nur noch handverlesene Mitglieder ausgewählter Gruppen vor Augen.

Man hat offenbar auch besonders darauf geachtet, möglichst keine Sozialjuristen mehr einzuladen, jedenfalls keine, die mit dem Gebiet langjährig vertraut waren, und keine Wissenschaftler, die dem bestehenden Sozialstaat noch ein bisschen was abgewinnen konnten, beizuziehen. Nicht dass man deren Argumente hätte übernehmen müssen, aber Kritik wahrzunehmen und sich damit auseinander zusetzen ist etwas anderes, als sie totzuschweigen. Offensichtlich waren die Anhänger sozialen Rechtstaats, die Gegner von Workfare-Modellen, die sozialen Dienstleister und Berater, die sich mit ihren Angeboten noch den Arbeitslosen und ihren Interessen verbunden fühlen, als Vetospieler inoffiziell identifiziert und zielstrebig aus den Vorbereitungen ausgeschlossen worden. Die von Bertelsmann eingerichtete Arbeitsgruppe ist nicht nur in der entscheidenden Zeit, sondern bis heute ein Geheimbund geblieben, was die jeweiligen Mitglieder, die Arbeitsgebiete und vor allem die Arbeitsaufträge angeht. Selbst die erstellten Materialien und Arbeitspapiere, die häufig nur zufällig für gewisse Zeit im Internet auftauchten, sind einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung und Bewertung nicht zugänglich. Auffällig ist , dass diejenigen, die sich mit der Tätigkeit der Stiftung befassen, praktisch auf nachträgliche Interviews mit Vertretern der Stiftung angewiesen sind ( Fleckenstein 2004, Pautz 2006, Schumann 2006 ), durch die die Informationen aber anders als beim Einblick in vollständige Originaldokumente den neuen Gegebenheiten entsprechend gesteuert werden können. Der Wegfall des „bik- online“ Infopools machte das zuletzt noch einmal ganz deutlich .

Es war eine sehr raffinierte Form der Einflussnahme auf die deutsche Sozialpolitik, die effektiv war, ohne sichtbar zu werden. Frank Böckelmann hat das einmal so gekennzeichnet: »Es ist keine Frage, dass sich vieles ändern muss. Aber als Leser und Zuschauer gewinnt man heute den Eindruck, einem geschlossenen, fast totalitären Spektrum weniger und einander sehr ähnlicher Meinungen gegenüberzustehen.« Es scheine, »dass fast alles was man hört oder liest, in gewisser Weise vorsortiert und aufeinander abgestimmt ist […]« (Rötzer 2004). Und so fühlten sich nicht nur die Laien als Zuschauer, sondern auch viele Fachleute, die sich lange mit dem Bereich befasst haben und durchaus etwas zur Weiterentwicklung hätten beitragen können. Der Focus der Politik wurde so nicht erweitert, sondern im Gegenteil verengt und so kanalisiert, wie es offen agierende Interessengruppen kaum zu erreichen vermögen.

Das Ganze wird auch nicht dadurch relativiert, dass sich Wissenschaftler aus renommierten Forschungseinrichtungen wie etwa MPIfG oder WZB ( Pautz 2006: 6) mit sehr ähnlichen Strategien in die Politikberatung drängen und ihren grenzenlosen Datenhunger, ihre Bedürfnisse nach Evaluierungsmöglichkeiten und Träume vom Aufbau einflussreicher nationaler Politikberatungsinstitutionen (Schmid 2003b: 81) gegenüber der Notwendigkeit normativen Schutzes von sozialen, demokratischen und Persönlichkeitsrechten der Bürger in den Vordergrund schieben.

So hatte man dann genau den Boden für eine radikale Veränderung geschaffen, die endlich einmal ohne Bedenkenträger aus den verschiedensten Bereichen durchgeführt werden konnte; auch unter Inkaufnahme der vielen immanenten handwerklichen und organisatorischen Mängel, die dadurch geradezu vorprogrammiert waren. Man hat ja nicht nur Millionen Betroffene durch Hartz IV – die neue Grundsicherung für Arbeitsuchende, das Sozialgesetzbuch II – verunsichert, sondern auch Hunderttausende von Behördenmitarbeitern ( Sell 2006 )und sozialen Dienstleistern; ein juristisches und organisatorisches Chaos inszeniert, das seinesgleichen sucht und sogar erfahrene Softwareentwickler wie die Firma Prosoz an den Rand des Ruins trieb. Und wenn sich die Folgen gegenwärtig noch in zu vielen Gerichtsprozessen niederschlagen, dann wird man das auch bald durch die Einführung einer Sozialgerichtsgebühr oder durch die Abschaffung der spezialisierten Sozialgerichte in den Griff bekommen. Oder die Bertelsmann Stiftung initiiert ein Sozialrichterprojekt zur effektiven und effizienten Abwicklung von SGB-II-Verfahren – mit Entwicklung einschlägiger Kennzahlen…

Die Politik, und in diesem Fall ganz besonders die sozialdemokratische Politik, die durch ihre Auftragsvergabe für die gesamte Entwicklung in erster Linie verantwortlich ist, hat sich durch dieses Vorgehen die falsche Sicherheit bestellt, alle Fachleute seien sich einig, das Ausland hätte die verschiedenen Modelle zu aller Zufriedenheit bereits implementiert, hätte problemlos durch Aufbau einer neuen Organisation zwischen Arbeitsamt und Kommunen die Arbeitslosigkeit bekämpft und vieles mehr. Dieses Ausmerzen von fachlichen Gegenstimmen, demokratischer Willensbildung und umfassender Bürgeraufklärung, das ist für mich das Gefährliche und der demokratiefeindliche Kern, dieser zugestandenermaßen perfekten Netzwerkarbeit, die zielstrebig strategisch günstige »Zeitfenster« abwartet, um lange vorbereitete Projekte umsetzen zu können. Ob das dann »Florida Rolf« ist oder ein angeblicher Vermittlungsskandal (bis heute wird nicht ausgewiesen, welche Vermittlungen auf mehr oder weniger zielgerichtete Aktivitäten der Behörde zurückzuführen sind, dafür werden neuerdings die bis zu 500 000 Zuweisungen in Ein-Euro-Jobs als Vermittlungen mitgezählt) oder ein nackter Partner einer Arbeitslosen auf dem Balkon, das ist dann letztlich gleichgültig. Irgendwas lässt sich, vor allem wenn man auch noch über ein Mediennetzwerk verfügt, immer zielstrebig hoch kochen. Es stehen dem in Deutschland keine verlässlichen, profilierten Netzwerke gegenüber, die die Gesellschaft über die Risiken und Nebenwirkungen dieser hochkomplexen, sozialtechnokratischen Projekte aufklären. Im Gegenteil, über die Rolle der gewerkschaftsnahen Stiftungen, der Friedrich-Ebert-Stiftung ( Pautz 2006:8 ) und der Evangelischen Akademien in diesem Prozess würde sich vermutlich eine weitere kritische Untersuchung lohnen.

Auch wenn man bei Bertelsmann bescheiden darauf hinweist, dass man noch nicht die vollständige Macht über die Gesetzgebung habe und dass über Hartz IV schließlich andere entschieden hätten (Schumann 2006): Die Hartz-Kommission hat sich mit Jobcentern, der neuen Zumutbarkeit und der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe seit Februar 2002 beschäftigt, die Arbeitsgruppen der Bertelsmann Stiftung haben schon seit 1999 mit vielen Fachleuten an diesem Thema zielstrebig gearbeitet und durchgängig die Verschlechterung der Rechtspositionen von Arbeitslosen propagiert. So konnte sich die Hartz-Kommission auf die Arbeiten von Bertelsmann und die Politik auf die Vorschläge der Hartz-Kommission beziehen, obwohl weder die Evaluierung verschiedener Modellprojekte, noch die viel schwierigere Neuordnung der Gemeindefinanzreform einigermaßen seriös vorangekommen waren (Tegtmeier 2003).

Die nächste Reform ist bereits geplant

Das Projekt Hartz IV ist beendet. Die Politik arbeitet bereits an Hartz V.

Roman Herzog ist nach Beendigung seines Amtes über andere Projekte mit Bertelsmann verbunden geblieben und hat sich sozialpolitisch rasch mit dem Interview: »So viel Sozialstaat ist unsozial« der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zur Verfügung gestellt.

Bodo Hombach ist inzwischen als Geschäftsführer eines europaweit expandierenden Zeitungskonzerns, der WAZ Gruppe, tätig.

Helga Hackenberg kann seit Anfang 2005 an einer Berliner Fachhochschule Sozialarbeiter ihrem neuen Rollenverständnis entsprechend als »teacher, preacher, friend and cop« ausbilden.

Werner Eichhorst ist nach einem kurzen Zwischenspiel beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur in Nürnberg (IAB) seit 2005 beim Institut Zukunft der Arbeit (IZA) tätig, inzwischen als Senior Research Associate.

Frank Frick ist weiter bei der Bertelsmann Stiftung und leitet jetzt das Projekt »Agenda Moderne Regulierung«.

Die BiK-Runde hat sich mit Unterstützung aus dem Bundesministerium für Arbeit neu formiert und heißt jetzt bp:k, Beschäftigungspolitik: kommunal e.V.

Und die Bertelsmann Stiftung hat schon wieder ein neues noch größeres sozialpolitisches Projekt: sie will den Deutschen ein neues Arbeitsrecht schenken. Es sind schon hochkarätige Wissenschaftler beauftragt. Nicht, dass es auch dafür nicht eine gewisse Notwendigkeiten gäbe, aber muss es wieder nach diesem Schema laufen?

»Der Zeitplan für dieses Projekt ist ehrgeizig: Bereits von März an sollen einige Abschnitte in kleineren Kreisen diskutiert werden.« Versprochen wird, dass der Prozess die ganze Zeit von einer breiten Öffentlichkeit begleitet werden soll. »Auch die Bertelsmann Stiftung will einen Vorschlag ›aus der Mitte der Zivilgesellschaft‹, damit er eine ernsthafte Realisierungschance habe, erläutert Jörg Habich, Projektmanager der ›Agenda moderne Regulierung‹ bei der Bertelsmann Stiftung« (FAZ 22.02.2006: 25). Die Ideenbroker und die Schnellboote sind schon unterwegs. Schon ist der erste Sammelband aus dem hauseigenen Verlag auf dem Markt: »System Arbeitsmarkt. Chancen für eine Reform des Arbeitsrechts«, 2006. Redaktion: Dr. Stefan Empter und Frank Frick, Autoren u.a: Dr. Werner Eichhorst, Dr. Stefan Empter, Frank Frick, Dr. Jörg Habich.
Und ein internationaler Vergleich der Reformen der Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsmarktregulierung ist auch schon enthalten.


Fundstellen:
Alle Links soweit nicht anders angegeben: Zugriff am 9.12.2006

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  • Bertelsmann Stiftung (Hg.)2000: Kooperation statt Konkurrenz- Studie über die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern, Gütersloh
  • Bertelsmann Stiftung, Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund ( Hg.) 2001: Kooperation von Arbeitsämtern und Kommunen, Gütersloh
  • Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung, Verband für kommunales Management-KGSt (Hg.) 2001: Benchmarking in der lokalen Beschäftigungsförderung, Gütersloh
  • Bertelsmann Stiftung, Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund ( Hg.) 2002: Handbuch Beratung und Integration. Fördern und Fordern – Eingliederungsstrategien in der Beschäftigungsförderung, Gütersloh 2002
  • Bertelsmann Stiftung, 2002: »Eckpunkte einer Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Positionspapier der Bertelsmann Stiftung«
  • Bertelsmann Stiftung, Bundesanstalt für Arbeit, McKinsey & Company (Hg.), 2002: »Die Personal-Service-Agentur (PSA)«, Gütersloh
  • Bertelsmann Stiftung, Bundesanstalt für Arbeit, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund ( Hg.) 2003: Handbuch Steuerung der Arbeitsmarktpolitik. Prinzipien, Methoden und Instrumente. Gütersloh
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  • Wompel Mag, 2004:“Vor/an/gegen die Wand! Maatwerk- die Geschichte einer fast typischen PSA“, in: Express 3/2004,1; www.labournet.de

Aus: Jens Wenicke, Torsten Bultmann (Hrg): Netzwerk der Macht- Bertelsmann, BdWi Verlag, 2.Aufl. Marburg 2007, S. 279-311.
Wir danken den Herausgebern für die Genehmigung zum Nachdruck.


Nachtrag 2008 von Helga Spindler

Weitere Berichte über die Arbeit der Hartz-Kommission.

Die Arbeit der Kommission ist inzwischen noch weiter ausgewertet worden und die Akteure oder ihre Schüler sind auch noch aktiv und nehmen Einfluss, während sich die Bertelsmann Stiftung etwas zurückgezogen hat und nur den Optionskommunen, die ihrer Zielsetzung am nächsten kommen, weiterhin Unterstützung anbietet. Bei der immer noch ausstehenden, vom Bundesverfassungsgericht geforderten Organisationsreform kann sich durchaus, je nach politischer Konstellation, eine Ausweitung dieses Modells ergeben.

Neben Günther Schmid ist auch das zweite wissenschaftliche Kommissionsmitglied, der Potsdamer Politikwissenschaftler Werner Jann zu erwähnen, der auf seiner Homepage einige Schriften und Interviews über seine Sichtweise zur Verfügung stellt (z.B. das KWI info 6/2003 mit ausgewählten Beiträgen zum Hartz-Konzept und weitere Interviews in den Potsdamer Neusten Nachrichten, PNN). Anne Marie Weimar hat mit ihrem Doktorvater Jann an vielen Sitzungen der Hartz-Kommission teilgenommen. Sie hat ihre Beobachtungen in einer Dissertation verarbeitet: „Die Arbeit und die Entscheidungsprozesse der Hartz-Kommission.“ ( Band 13 der Schriftenreihe Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung, Wiesbaden 2004.), die sich zwar weniger den inhaltlichen Fragen als umfangreichen politologischen Systematisierungsversuchen widmet, aber doch eine Reihe von ( teilweise mühsam anonymisierten ) Detailinformationen über die Vorgänge enthält.
Jann und Schmid lieferten auch eine frühe Einschätzung der Hartz-Reform (Werner Jann/ Günther Schmid ( Hrsg.) Eins zu eins? Eine Zwischenbilanz der Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt, 2004 ).
Die nachhaltige Reformbewegung, die beide damals in Gang setzen wollten, ist auch 2008 nach vielen weiteren Gesetzesänderungen und der Kritik an der Mischverwaltung durch das Bundesverfassungsgericht (ein Problem, das beiden Experten nicht aufgefallen war) noch lange nicht abgeschlossen.

Im Handbuch Politikberatung ( Svenia Falk u.a. ( Hrsg.) Wiesbaden 2006 ) finden sich gleich zwei Abhandlungen: Sven T. Siefken: „Die Arbeit der so genannten Hartz-Kommission und ihre Rolle im politischen Prozess“ ( S. 374- 389 ) und mehr grundsätzlich Werner Eichhorst/ Ole Wintermann: „Politikberatung in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik“ ( S. 419 – 436). Werner Eichhorst ist inzwischen zum Stellvertretenden Direktor Arbeitsmarktpolitik im IZA aufgestiegen und nutzt seine Stellung, um in vielen Publikationen die Erfolge der Hartz Reform zu bewerben. ( Zuletzt etwa in: IZA DP Nr. 3194 : Der Arbeitsmarkt in Deutschland: zwischen Strukturreform und sozialpolitischem Reflex. November 2007. Für besonders tragisch hält er alle Ansätze „zurück zu einem starken sozialpolitischen Sicherungsversprechen“ a.a.O. S. 20. Gegen Mindestlohn setzt er Mindestbildung…usw.)

In allen diesen Schriften lernt man viel über politische Einflussnahme durch für die Öffentlichkeit nicht überprüfbare, strategisch ausgewählte internationale Benchmarkings, über Policy-Netzwerke, gezielte Skandalisierung und Windows of Opportunity, Think Tanks und über Politmarketing und Beratungsstrategien einer kleinen Gruppe von Sozialwissenschaftlern, die viel Wert legen auf effiziente Verwaltungstechniken und eine (möglichst von ihnen gelenkte) permanente Evaluation, aber nicht auf soziale Rechte, Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten für Bürger und Implementierung bürgerfreundlicher Verwaltungsverfahren. Der soziale Rechtsstaat, die Herstellung menschenwürdiger Lebensverhältnisse für Arbeitende, Arbeitsuchende und Behördenmitarbeiter gleichermaßen ist den Akteuren kein erkennbares politisches Anliegen. Von da aus sind die vielen Rechtsstreitigkeiten bei der Umsetzung der Reform nicht überraschend, sie waren ihnen aber offenbar genauso nebensächlich wie die Höhe der sozialen Absicherung oder die eindeutige organisatorische und finanztechnische Zuordnung ( „Wir haben uns natürlich auch nicht mit technischen Fragen beschäftigt…“ Jann, PNN 15.8.2008). Berater können sich eine solche Haltung leisten, Politiker nicht.

Peter Hartz selbst getäuscht?

Neuerdings stellt sich heraus, dass eines der prominentesten Opfer dieser Politikberatungsstrategie möglicherweise Peter Hartz selber wurde: Die Kürzung des Arbeitslosengeldes für langjährig Versicherte sei ein Betrug; der drohende Abbau der Zuständigkeit der Bundesagentur scheint ihm ein fataler Fehler; die Differenzierung der Arbeitslosen nach unterschiedlicher Arbeitsmarktfähigkeit hält er für eine der Todsünden der Arbeitsmarktreform. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sei weder seine Idee gewesen noch von der Politik so umgesetzt worden, wie die Kommission es (seinem Verständnis nach) vorgeschlagen habe. Wenn man die Ausführungen im Kommissionsbericht liest, kann man allerdings nachvollziehen, dass er sich wohl eher eine Arbeitslosenhilfe für alle als eine Sozialhilfe für alle vorgestellt hat. “Mit den Alg II-Empfängern wird jetzt experimentiert“ (S. 234) (Quellen: Peter Hartz: Macht und Ohnmacht, 2007, und die Berichterstattung darüber in: FAZ vom 26.3.2007, S. 13, und Focus online vom 25.3.2007). Er mag diese Folgen seiner vom Wolfsburger System her formulierten Module nicht überblickt haben, die beteiligten Politikberater und die Bertelsmann Stiftung, die ihm seine Missverständnisse und Illusionen gerne gestattet haben, wussten das schon und haben es genauso wie die Privatisierung von Arbeitsvermittlung, Leiharbeit und die Absenkung des Existenzminimums auch angestrebt.

Wie wird es weitergehen?

Wer sich mit den Strategien beschäftigt, ahnt auch, dass für die Akteure und Vordenker die gegenwärtige Phase nur Durchgangsstadium zu einer weiteren Entwicklung ist, die mit jedem neuen Änderungsgesetz zielstrebig vorangetrieben wird.

In der Bundespolitik hat sich momentan die von Helmut Hartmann vorangetriebene Hamburger Praxis durchgesetzt: Olaf Scholz, Bundesarbeitsminister seit 2007, stammt aus Hamburg, sein Staatssekretär Detlev Scheele hat dort als langjähriger Geschäftsführer einer der größten kommunalen Beschäftigungsfirmen, der Hamburger Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft (hab) der Behörde alle Experimentiermöglichkeiten im Umgang mit Arbeitslosen geboten, bis hin zu völlig sinnloser Beschäftigung wie Aufbauen von Mauern zu Übungszwecken, die dann wieder eingerissen wurden. Der Workfare-Gegenleistungs-Gedanke wird im Gesetz unauffällig vorangetrieben (Dazu Spindler H.: Arbeiten für die Grundsicherung- schleichende Einführung von Workfare in Deutschland, Soziale Sicherheit Heft 11/2008 S.365 – 372). Dazu gehört die Vorschrift über die Sofortangebote (§ 15 a SGB II, 2006) und die über unverzüglich anzubietenden Arbeitsgelegenheiten für Menschen über 58 Jahre (§ 3 Abs.2a SGB II, 2008). Widersprüche dagegen habe ihre aufschiebende Wirkung verloren (Änderung § 39 SGB II ,2009 )
So werden Behörden und vor allem auch private Dienstleister, Beschäftigungs- und Leiharbeitsfirmen, die die Behörde nach und nach ablösen sollen, noch mehr Macht über Arbeitslose erhalten, es werden weitere Experimentierfelder geöffnet und die Kontrollfunktion der Gerichte weiter zurückgefahren, denn Verwaltung und auch Arbeitsvermittlung wird erst richtig effizient, wenn der Bürger nichts mehr zu sagen hat.

Einen knappen Ausblick auf noch weitere mögliche Reformschritte gibt ausgerechnet das Sonderheft zum 60-jährigen Erscheinen der gewerkschaftsnahen WSI-Mitteilungen (Heft 7, 2008). Christine Trampusch, die ebenfalls als Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung schon 2003 neben vielen anderen demokratischen Institutionen auch Gerichte und Rechtsprechung als Veto-Akteure bei Strukturreformen ausgemacht hat (Dauerproblem Arbeitsmarkt: Reformblockaden und Lösungskonzepte, in: Aus Politik und Zeitgeschehen B 18-19/2003 ), bewertet die gesamte Agendapolitik als „Vorwärtsreform“ und gibt nicht nur der Hoffnung Ausdruck, dass die gesamte Arbeitsmarktpolitik kommunalisiert werden solle, sondern propagiert auch grundsätzlicher die Abwendung von politischen und sozialen Bürgerrechten und eine Zurücknahme der „Rückwärtsreformen“, mit denen die Agendapolitik an einigen Stellen korrigiert wurde. ( Sozialpolitik: Vorwärts- und Rückwärtsreformen und Neuvermessung der Solidarität, WSI-Mitteilungen 2008,Heft 7, S. 365- 371). Zusammen mit Werner Eichhorst hat Wolfgang Streeck damit gleich zwei ehemalige Mitarbeiter zur einschlägigen
wissenschaftlichen Begleitung der Arbeitsmarktreform platziert.

Lesenswert ist auch die Stellungnahme von Günther Schmid im gleichen Heft (Entgrenzung der Erwerbsarbeit- Erweiterung der sozialen Sicherheit, a.a.O. S.358- 364), der inzwischen als Emeritus zwar die steigenden Risiken flexibler Beschäftigung, den fehlenden Mindestlohn, die schwarzen Schafe bei der Leiharbeit und sogar das „Gerechtigkeitsdefizit“, das „die Neuorganisation der Grundsicherung ( Hartz IV)“ hinterlassen habe, beklagt, was er als wissenschaftliches Mitglied der Hartz-Kommission hätte voraussehen und mit entsprechenden Vorschlägen hätte eindämmen können. Aber er will den Weg weiter gehen und z.B. nur die weniger werdenden Rechte in der Arbeitslosenversicherung durch ein „Persönliches Entwicklungskonto“ ergänzen, das kaum mehr Ähnlichkeit mit dem bisherigen Leistungsanspruch auf Weiterbildung hat. Offenbar ist er auch von dem Spruch seines niederländischen Kollegen beeindruckt, Zeitarbeitsunternehmen seien die Gewerkschaften von morgen. Grundsätzlich teilt er nach wie vor die Auffassung, dass die Arbeitslosenversicherung das moralische Verhaltensrisiko der Ausnutzung des Systems durch die Versicherten („moral hazard“) zu zähmen habe. Er möchte es nur nicht mehr so überbetont sehen, sondern durch ein nebulöses „innovatives Verhaltensrisiko“ ausbalancieren. Kein Wort davon, dass auch das moralische Verhaltensrisiko der Arbeitgeber gezähmt werden müsste und durch Gesetz gezähmt werden kann. Dass beim Wirken derartiger Politikberater Rechtspositionen der Bürger mit jeder Gesetzesreform weiter auf der Strecke bleiben, ist absehbar.


Zu der begleitenden, auch von Bertelsmann unterstützten neuen Wertediskussion für die Politik vergl. auch “Der sozialpolitische Konsens wird aufgekündigt” von der gleichen Autorin in der Zeitschrift Soziale Psychiatrie 03/2008


Die Autorin, Professorin Dr. Helga Spindler, ist Professorin für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Arbeitsrecht an der Universität Duisburg-Essen


[«1] Die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ tagte im Auftrag der Bundesregierung von Februar bis August 2002. Sie wurde benannt nach ihrem Vorsitzenden Dr. Peter Hartz, damals Vorstandmitglied der Volkswagen AG.


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