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Titel: „America First!” – Destabilisierung Venezuelas und Drohgebaren gegen Chinas Führung in Lateinamerika

Datum: 12. Februar 2018 um 14:53 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Die US-Regierung setzt weltweit auf Eskalation. Donald Trumps Devise „America First!”, die sich zunächst als protektionistische Wende zur Abschottung des US-amerikanischen Binnenmarktes und als Rückzug aus der Kriegstreiberei seiner demokratischen Vorgänger anhörte, erweist sich im Gegenteil als Hyperbel von Aggressionsbereitschaft. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.


Der jüngste Südamerika-Blitzbesuch von US-Außenminister Rex Tillerson lässt diese Schlussfolgerung zu. Am Vorabend seiner Reise, in der ersten Februar-Woche 2018, stieß er in einer Rede an der Universität Texas in Austin gleich zwei Drohungen aus. Die erste an die Adresse Venezuelas: „Falls die Dinge schwierig werden sollten“, könnte das Militär Maduro stürzen, auf den ein „schönes Haus am Strand in Cuba” warte. Die zweite an die Adresse Chinas: „Lateinamerika braucht keine neue imperiale Macht!”, knurrte Tillerson.

Die Antwort des venezolanischen Verteidigungsministers, General Vladimir Padrino López, war kurz und bündig: “Den bolivarischen Streitkräften soll(e) kein imperialistischer Gentleman mit Anweisungen daherkommen!”. Auch Präsident Wladimir Putin blieb ein Säbelrasseln nicht erspart. Die zunehmende Präsenz Russlands in der Region und sein „Waffenexport an Länder, die sich gegen Washington stellen“, sei „alarmierend”, so Tillerson.

Das Muskelspiel der US-Diplomatie wird auf dem Tiefststand des Ansehens von Donald Trump in gesamt Lateinamerika zur Schau gestellt, der vor wenigen Wochen einige Nationen des Kontinents als „Scheißländer“ bezeichnet hatte. Inna Afinogenova vom Sender Russia Today ließ Tillersons Unredlichkeit nicht billig und widmete ihr im spanischsprachigen Programm die Videoglosse „Humor-Spalte: USA beschuldigen andere Länder, in Lateinamerika zu intervenieren“.

Ölboykott und Einkesselung Venezuelas

Tillersons Blitzbesuche in Mexiko, Argentinien, Peru und Kolumbien verfolgten das Ziel, den Anti-Maduro-Kurs der in der Venezuela-Debatte verbündeten, konservativen Regierungen auf härtere Maßnahmen einzuschwören. Flaggschiff der vom ehemaligen CEO des weltgrößten Raffinerie-Konzerns ExxonMobil geplanten Sanktionen ist, in Lateinamerika und der Karibik einen Boykott des Venezuela-Öls durchzusetzen, der die ohnehin angeschlagenen Staatsfinanzen des Chavismo empfindlich treffen soll.

Die Begegnungen auf höchster Regierungsebene ließen allerdings bald Widersprüche zwischen der harmlosen, offiziellen Gesprächsagenda und den tatsächlichen Abmachungen erkennen. So wollte Tillerson offiziell mit der Regierung Mauricio Macri über eine arglos anmutende „bilaterale Agenda des Wirtschaftswachstums und der Zusammenarbeit in Sicherheit” verhandeln. Kaum hatte er jedoch Argentinien verlassen, kündigte Macris Ministerin für Innere Sicherheit, Patricia Bullrich, die Aufstellung einer gemischten Taskforce mit der US-amerikanischen Agentur zur Drogenbekämpfung (DEA) im nordöstlichen Posadas – am Dreiländer-Eck mit Brasilien und Paraguay – an.

Die Nachricht beherrschte die Titelseiten selbst konservativer Tageszeitungen in Buenos Aires (Patricia Bullrich confirmó que se creará una “task force” con EE.UU. en Posadas para combatir el narcotráfico – Clarín, 09.02.2018). Da die Vereinbarung aber auch die Bekämpfung eines ominösen „Terrorismus“ einschließe, ist wie andernorts in solchen Fällen üblich, mit der Teilnahme von US-Special-Forces und des CIA zu rechnen. Auf diese Weise kommen die USA endlich zu ihrem seit langem, regelrecht erpressten militärischen Stützpunkt in Argentinien.

In Peru traf Tillerson mit dem in der kontinentalweiten Causa Odebrecht wegen schwerer Korruption angeklagten Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski zusammen. Kuczynski sorgte für Schlagzeilen in den internationalen Medien, als er vor wenigen Wochen den 2009 wegen grober Menschenrechtsverletzungen zu einer 25-jährigen Haftstrafe verurteilten, ehemaligen peruanischen Diktator Alberto Fujimori begnadigte, um selbst einer bevorstehenden Amtsenthebung zu entkommen.

Im Zentrum der in Lima diskutierten Themen stand die Vorbereitung des nächsten Amerika-Gipfels, der im kommenden April stattfinden und an dem Donald Trump teilnehmen soll. Der Lima-Gipfel steht unter der Schirmherrschaft der in Washington D.C. ansässigen, konservativen Organisation Amerikanischer Staaten (englisch: OAS, spanisch: OEA).

Als zentrales Gipfelthema ist die „Demokratische Regierungssteuerung im Kontext der Korruption“ angekündigt, von der sich die USA offenbar die kontinentale Akzeptanz der vom Department of Justice (DoJ) zunächst nach Brasilien exportierte Judizialisierung der Politik „im Kampf gegen Korruption“ erhoffen, die im größten lateinamerikanischen Land seit drei Jahren von einer von den USA ausgebildeten Justiz-Task-Force unter Führung Richter Sérgio Moros erfolgreich gegen Ex-Präsident Luis Inácio Lula da Silva eingesetzt wird.

Beim Treffen mit Juan Manuel Santos und seiner Außenministerin María Ángela Holguín in Kolumbien stand, so die offizielle Erklärung, angeblich „die Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Bemühungen Kolumbiens im Kampf gegen den Coca-Anbau und die Kokain-Herstellung“ im Vordergrund. „Unterstützung“ war selbstverständlich eine rhetorische Floskel, hatte doch die Administration Donald Trump 2017 circa 35 Prozent ihrer jährlichen Millionen-Dollar-Zuschüsse für die Drogenbekämpfung in Kolumbien gekappt und der US-Präsident erklärt, „die USA lieben keine Länder, in denen Drogen gezüchtet werden“.

„Von großem Schmerz geplagt“, sah sich Tillerson allerdings dazu gezwungen, den in aller Welt längst bekannten Hauptgrund für den Kokainschmuggel beim Namen zu nennen:

„Wir geben es nicht gern zu, aber wir sind der Hauptmarkt für Drogen”

Sodann überzog er die Regierung Santos mit rhetorischem Lob. Kolumbien sei „der beste Partner“ im Bemühen um Frieden, Entwicklung etc. – hatte nicht Trumps Vize Mike Pence vor Monaten in Buenos Aires das Gleiche von Argentinien behauptet? Well, the Trump guys don´t even read the official reports…

Tillerson scheute jedoch keine direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Die USA seien mit einigen Aspekten des Friedensplans zwischen der Regierung Santos und der ehemaligen Guerilla-Organisation FARC nicht einverstanden. Zum Beispiel mit der Klausel, die die von der US-Justiz verlangte Auslieferung von FARC-Mitgliedern verhindert – eine freche Forderung angesichts der mehr als 30 Morde an ehemaligen FARC-Mitgliedern seit Inkrafttreten des Friedensabkommens.

Den jamaikanischen Premierminister Andrew Holness versuchte der ExxonMobil-Mann schließlich auf gemeinsame „Energieanstrengungen“ einzuschwören. Nämlich die Ölsuche und -Produktion zu intensivieren, um die venezolanischen Lieferungen an die USA und die Karibik zu kompensieren.

Brachial-Offensive gegen China

Wenngleich die USA ihre Einstimmung einzelner konservativer Regierungen in Lateinamerika auf den harten Kurs gegenüber Venezuela und Kuba als vorläufigen Erfolg verbuchen wollen, dürfte ihnen die Einspannung des Kontinents gegen die chinesische – in geringerem Maße auch die russische – Präsenz auf dem Kontinent kaum gelingen; zu tief sind die USA von ihrer einstigen Führungsrolle abgesunken, umso umfangreicher und fortgeschrittener sind die chinesischen Planungen. Mit kaum verhohlener Nervosität beobachtete Washington seit 2013 drei aufeinanderfolgende Besuche des chinesischen Präsidenten Xi Jinpings in der Region und befürchtet, die wirtschaftliche Führungsrolle Chinas könnte bald mit politischer Führung in Lateinamerika ergänzt werden.

Als zweitwichtigste globale Investitionszone Chinas operieren gegenwärtig mehr als 2.000 Unternehmen aus der fernöstlichen Wirtschaftsmacht in Lateinamerika. Bereits 2014 hatte der Handel zwischen China und der lateinamerikanischen Region den Rekordwert von circa 250 Milliarden Euro erreicht. Handel, Investitionen und chinesische Projekte generieren laut der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO, 2017) 1,8 Millionen Arbeitsplätze in Lateinamerika und der Karibik.

Tillersons Drohung, „Lateinamerika braucht keine neue imperiale Macht!”, war eine Reaktion der von den Öl- und Rüstungskonzernen und ultraliberalen Think Tanks gestützten Trump-Administration auf das Ende Januar in Santiago de Chile stattgefundene Arbeitstreffen Chinas mit der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (spanisch: CELAC). Auf dieser dritten Konferenz des China-CELAC-Forums hatte die Volksrepublik ihr virtuoses (man kann auch sagen: visionäres) Projekt von der „Neuen Seidenstraße“ vorgestellt; ein Mammut-Investitionsprojekt im Werte von 900 Milliarden Dollar.

Die Santiagoer Tagung stand unter der Devise „von den Anreiner-Gebieten zur Route“ und sollte deutlich machen, wie Lateinamerika wirtschaftsstrategisch mit China, Europa, Afrika und Asien verbunden werden soll. Die dafür erforderlichen Investitionen in Lateinamerika hatte Präsident Xi Jinping auf dem ersten CELAC-China-Treffen vor drei Jahren in Peking mit 250 Milliarden Dollar für den Zeitraum von 2015 bis 2025 angegeben; im bilateralen Handel sollen bis dahin gar 500 Milliarden Dollar umgeschlagen werden.

Im Einzelnen sehen Chinas Planungen für Lateinamerika den Auf- und Ausbau globaler, sowohl terrestrischer als auch maritimer, Konnektivität vor. China will sich in Lateinamerika aktiv am Aufbau von Verkehrssystemen, der Infrastruktur und des Energiesektors beteiligen. Dazu gehören Projekte wie die im Bau befindliche Bi-Ozeanische Eisenbahn vom Atlantik, in Brasilien, zum Pazifik, in Peru. Ferner die Gründung gemeinsamer Reedereien und Fluggesellschaften für Direktflüge zwischen China und dem lateinamerikanischen Kontinent.

Nachhaltige Bewirtschaftung eines bilateralen Großmarktes von gegenseitigem Nutzen ist das zweite Großraum-Projekt. China will Handel und Investitionen zur Finanzierung eines internationalen Verbraucher-Marktes für 2 Milliarden Konsumenten zwischen China und Lateinamerika fördern. Die fernöstliche Großmacht ermutige sämtliche lateinamerikanischen Länder, die nicht nur Rohstoffe, sondern zunehmend auch hochwertigere Industriewaren nach Fernost exportieren wollen, heißt es in der chinesischen Absichtserklärung.

Ein anspruchsvolles, drittes Szenario benennt den Aufbau einer eigenständigen und fortgeschrittenen Großindustrie als Ziel. China sei bereit, Ausrüstungen, Technologien, Finanzierungsfonds und Schulungen für lateinamerikanische Länder anzubieten. In diesem Punkt hat das Fernostland es eilig. Unter besonderer Berücksichtigung von Logistik, Stromerzeugung und Informatik solle die Zusammenarbeit zur Erhöhung der regionalen Produktionskapazität unmittelbar beschleunigt werden, hieß es in Santiago.

Die Gelegenheit für Innovationen nutzen. Hier bietet China mit einem wissenschaftlichen Innovationsplan die Integration Lateinamerikas in „eine Seidenstraße des Internets“ und in die „Digitale Seidenstraße“ an. Diese Zusammenarbeit soll sich auf strategische Sektoren wie Luft- und Raumfahrt, erneuerbare Energien, künstliche Intelligenz, Big Data, Internet und Bio-Medizin erstrecken. Die institutionelle Abwicklung steht auf chinesischer Seite unter dem Banner vom „großen Austausch auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitigem Vertrauen“.

Das ist der Punkt, an dem China politisch Klartext redet. Die Großmacht bietet sich an, den Austausch über Governance auf Regierungsebene zu fördern, doch auf politische Parteien, lokale Behörden, Medien, Denkfabriken und Individuen auszuweiten. Dazu regt Peking die beiderseitige Vermehrung von Kulturzentren an, darunter selbstverständlich die chinesischen Konfuzius-Institute. Jedenfalls sollen ab sofort 600 politische Parteiführer nach China eingeladen und in den nächsten drei Jahren 6.000 chinesische Regierungsstipendien an Lateinamerikaner vergeben werden.

„China versucht jetzt, politischen Einfluss zu gewinnen. Immer mehr gelingt es ihm, in die akademischen, kulturellen, sozialen Sphären und in die Medien vorzudringen“, kommentierte der spanische China-Korrespondent und Buchautor Juan Pablo Cardenal im Dezember 2017 auf einer Konferenz des Wirtschaftsforums Americas Society im Council of the Americas in Washington (China aumenta su influencia en Latinoamérica ante la falta de estrategia de EE UU – El País, 12. Dezember 2017).

Der Qualitäts-Unterschied zwischen US-amerikanischer und chinesischer Handelspraxis ist frappierend: Während sich China in Lateinamerika um strukturverändernde Investitionen in Energie, Fernverkehr und Infrastruktur-Entwicklung mit großzügigen Rückzahl-Konditionen und Modalitäten bemüht, entpuppten sich die meisten US-„Investitionen“ in den vergangenen Jahren als opportunistische „Akquisitionen“ und Entnationalisierung lateinamerikanischer Vermögenswerte durch Hedgefonds.

„Sie haben zig Initiativen in die Wege geleitet, um den Kontakt zu Eliten, einflussreichen Multiplikatoren und Meinungsführern, Diplomaten und Journalisten zu intensivieren und sie für eine positives China-Bild zu gewinnen”, warnte Cardenal seine Zuhörer, die zwar längst begriffen haben, dass „America First!” ein Mix von Plattitüde und Sackgasse ist, doch wegen ihres angewöhnten globalen Führungsanspruchs gern als Vertreter der abdankenden Weltmacht weiterwursteln würden wie bisher.

Ein chinesisches Sprichwort besagt:

„Auch der schönste Traum endet mit dem Erwachen.”

Allerdings verschenkt China nichts. Zu den Hintergründen der großzügigen Angebote gehören brachliegende, enorme Produktionskapazitäten von Großbau-Konzernen im Besitz chinesischer Kommunen und Provinzen und gemischter, privater-staatlicher Technologie-Unternehmen, die nach umfangreichen Infrastruktur-Projekten im Landesinneren auf rasche Anschluss-Projekte im Ausland angewiesen sind.

Ein anderes geflügeltes Wort – „Yì shān bù róng èr hŭ“ – gab schon zu Konfuzius´ Zeiten die Richtung an:

„Auf einem Berg können nicht gleichzeitig zwei Tiger existieren.”

Bei Wahrung seiner Autonomie könnte Lateinamerika davon profitieren.


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